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JAHRBÜCHER
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PHILOLOGIE UND PÄDAGOGIK.
Eine kritische* Zeitschrift
in Verbindimg mit einem Verein von Gelehrten
herausgegeben
von
M. Joh. Christ, Jahn,
Dritter Jahrgang,
Dritter Band. Erstes Heft.
Oder der ganzen Folge
AchterBand. Erstes Heft.
Leipzig,
Drqck und Verlag von B. G. Teubner.
18 2 8,
Si quid novisti rectius istis,
Candidas imperti; si non, his utere mecum.
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Hebräische Spraclikunde.
Erster Artikel.
1) Anfangsgründe der hebräischen Sprache , ent-
worfen von D. Ernst Gottfried Adolf Böckel. Berlin , bei August
Rücker. 1824. 92 S. 8. nebst zwei Tabellen.
[Vgl. Jen. Lit. Zeit. 1825 No. 71. AViner's u. Engelh. Neues krit.
Journ. der theol. Lit. III, 3 S. 368 — 37!). Leipz. Lit. Zeit. 1825
No. 291. Seebode's Neue krit. Bibl. 1827, 1 S.81 — 89.]
2) Formenlehre der hebräischen Sprache^ zum Ge-
brauch für Schulen und zum Selbstunterricht von Carl Reyher.
Gotha , bei Carl Glaeser. 1825. ilV u. 118 S. 8. nebst zwölf
Tabellen.
[Vgl. Leipz. Lit. Zeit: 1825 No. 290.]
3) Die hebräische Sprache für den Anfang auf
Schulen und AIi:ad,eJJlien. Zunächst zum Gebrauch bei
seinen Vorlesungen \on 'tläphael Ilanno, der Philos. Doktor und
ausserord. Prof. an der Univ. zu Heidelberg. In zwei Abtheiliingen.
Heidelb., Neue akademische Buchh. von Karl Groos. 1825. XIII u.
153 S. 8. [Erste Abtheilung.]
[Vgl. Gott. gel. Anz. 1825 No. 135. Seebode's Neue krit. Bibl.
1826, 6 S. 579 — 592. Allgem. Schulzeit. 1827 Litbl. II
No. 35.]
4) Hebräische Paradigmen tabellarisch zusammengestellt
von M. Julius Friedrich Eötlcher , Collaborat. an der Kreuzschule
zu Dresden. Dresd. , Wagnersche Buchh. 1822. XXV Tab. in gv. 4.
[Vgl. Allg. Schulz. 1826 Litbl. II No. 38.]
Öo erwünscht dem Freunde der Wissenschaft das Lehen und
die Betriebsamkeit sein muss , die sich seit einer Reihe von
Jahren auch auf dem Gebiete der hebräischen Literatur gezeigt
haben, so sehr wird bei näherer Betracbtung diese Freude durch
die Wahrnehmung getrübt, dass so viele jenem Fache ihreThä-
tigkeit zugewandt haben, welche dazu, nach dem Erfolge zu
urtheilen , keinen innern , sondern höclistens einen äussern Be-
1*
4 Hebräische Sprachkunde.
ruf hatten, und die auf keinem andern Gebiete der Sprachge-
lehrsamkcit als Schriftsteller aufzutreten gehabt haben würden,
ohne sich vorher weit sorgfältiger auf demselben umgesehen
und selbst noch Vieles gelernt zu haben. Doppelt unerfreulich
ist die Erfahrung, dass selbst Beurtheiler in nahmhaften Litera-
tur-Zeitungen solclie Erzeugnisse mit einem Lob und Beifall
empfangen können, die beweisen, auf welchem niedrigen Stand-
puncte sich wenigstens noch ein Theil desjenigen gelehrten
Publicum's befindet, das man mit allem Recht als urtheilsfähig
sollte voraussetzen dürfen. Desto angenehmer sind dann aber
die Beispiele eigenthümlicher und selbständiger Forschung, ei-
nes in die Gründe der Erscheinungen eindringenden oder we-
nigstens denselben nachspürenden wissenschaftlichen Geistes,
der dieErkenntniss der Wahrheit einzig weiter zu bringen ver-
mag. Zu der ersten dieser Bemerkungen sieht sich der Reo.
zunächst durch die beiden ersten der genannten Sprachlehren
veranlasst, durcli deren Bekanntmachung weder die Wissen-
schaft selbst noch der Schulunterricht etwas Bedeutendes ge-
winnen kann; sie findet auch auf einige der später zu beurthei-
lenden Uebungsbücher ihre Anwendung. Dagegen können die
zwei letzten der oben genannten Schriften allerdings für Wissen-
schaft und Unterricht förderlich werden, die von Ilanno, wenig-
stens theilweise, mehr in der ersten, die von Böttcher mehr in
der zweiten Hinsicht.
Was zuvörderst die Anfangsgründe von B ö ekel betrifft,
seist schon von Andern mit Recht gerügt worden, dass keine
Vorrede den Zweck des Verf. und denStandpunct, von welchem
sein Lehrbuch beurtheilt sein will, näher bezeichnet. Zwar
bemerkt Ilr. B. in der ^egen den Rec. in der Leipz. Lit. Zeit,
gerichteten Nachrede zu seinen Anfangsgründen, AUg. Lit. Zeit.
1826 No. 26, „rföss er sie zum Leitfaden jür seine Vorlesungen
bestimmt habe^ und dass nur auf ausdrückliches Perlangen des
Verlegers die sich darauf beziehenden JForte auf dejn Titel
weggelassen sind.'-'- Allein hiegegen darf doch erinnert werden,
dass der Verleger hier etwas verlangte, wozu er kein Recht hatte,
worin folglich Hr. Bö ekel als Verfasser demselben durchaus
nicht hätte willfahren sollen. Oder sollte es dahin gekommen
sein, dass die Scliriftsteller nur den Zwecken der Buchhändler,
nicht denen der Wissenschaft und des gelehrten Publicum's die-
nen müssen? Für eben so unstatthaft muss Rec. die dort ge-
äusserte Ansicht erklären , „rfffss solch ein individuellen Zwek-
ken dienendes Compendium auf eine Recension keinen Anspruch
mache'-'- :, denn der öffentliche Lehrer muss es sich nicht nur
gefallen lassen, sondern selbst wünschen, dass die öffentlich
gemachten Ilülfsmittel seines Unterrichtes einer unparteiischen
Kritik unterworfen werden.
Im Allgemeinen muss der Rec. auch nach der gegebenen
Boclcel: Anfangsgründe der Hebräischen Sprache. 5
nachträglichen Erklärung des Vf. sein Urtlicil daliin abgehen,
dass die „Anfangsgründe'"', wenn sie schon neben der Elemen-
tar- und Formenlehre auch die Syntax umfassen, fi»r jeden
Zweck, auch für den ersten Unterricht, ungenügend seien;
überall erscheint diess Corapendiiim zu dürftig, oberflächlich,
unbestimmt, mit zu geringer Sorgfalt ausgearbeitet ; daher es
oft mit sich selbst in Widerspruch geräth , und bei aller Kürze
doch wieder Ueberflüssigesund Wiederhohlungen enthält. Mchts
desto weniger anerkennt Rec. gern, dass sich auch Proben eige-
ner Beobachtung und richtige selbständige Ansichten finden, de
nur um so mehr bedauern lassen, dass der Verf. nicht tiefer
geforscht, nicht umfassender und besonnener gearbeitet hat.
Dahingehören besonders folgende Stellen, § 15, 11: „Vor der
Tonsylbe bekommt ein leerer Buchstab oft ein Kamez; bb3
statt Sb2, api statt üpv" Vgl. §54, 3. 58, 5. Durch diese
Beobachtung wird man in Beziehung auf Verbalbildung mancher
unnöthigen Dialectsvergleichungen, die sich in den meisten
Grammatiken noch finden, überhoben. Nur ist an der Richtig-
keit des Beispieles bba sehr zu zweifeln, da sich wohl nur Sb3
oder Ss3 findet; aber Beispiele, wie nrS, n»X72, sind häufig.
Richtiger als gewöhnlich ist auch § 19, 2: „Vor Gutturalen
mit Kamez, ausser vor m, bekommt der Artikel auch wohl Segol."
Nicht zu missbilligen scheinen ferner die Benennungen Verba
deminutiva § 31, 2, und Polel, Polal^ Hithpolel § 54, 10;
die Ansicht § 56,4: „Nach einer andern Quiescens otiirt n, z.B.
N^is^, N^^jJDn"; denn in solchen Fällen kann weder vom Quie-
sciren noch von Mobilität des n die Rede sein; die Zusammen-
stellung § 57, 4 und 5 über die Participia der Verba nS, und
die Bestimmung § 76, 5, dass das ^ copulativura immer im ^
conversivura mit enthalten sei. Gern wollte der Rec. hierher
auch rechnen § 75, 12: „Statt eines Pronominis reflexivi wer-
den die Suffixa personarum gesetzt, i'dh /äw, auch sich'-'-, wenn
nicht der Verf. selbst auf die Rüge desLeipz. Recens. hin diese
nach unserm Dafürhalten richtige Beobachtung in der Nachrede
zurückgenommen und durch ein Versehen bei'm Abschreiben
oder Corrigiren entschuldigt hätte. Indessen^ hat sich der
Leipz.Rec. selbst nachher (Leipz. Lit.Zeit. 1826 No.67 S.534)
zur Behauptung des Vf. bekannt , imd die Beweisstelle Ezech.
34, 2. 8. 10. angeführt, wo nnt< se ipsos bedeute; und ohne
Zweifel hat er in der Ansicht jener Stelle ganz recht, wenn
schon Ewald krit. Gramm, der hebr. Sprache S. 623, § 340, 1,
es nicht will gelten lassen, sondern nnk c-'yHn und Dnixii?*!"» er-
klärt: sie weideten jene, wobei man sich nichts Deutliche« den-
ken kann. Aber es lassen sich noch mehrere Beispiele anführen,
die den von Ihn Bö ekel unwissentlich behaupteten richtigen
Satz ausser Zweifel setzen: 2 <Sö;/i. 15, 25: T\)r\''^ ■'?'*H5 ^f?. ^^^.^ °i<
nni3-nf<i ^^** ''^.^1'"!') "'^.^'''^n.l« Hier geht 'doch In« ganz ge-
6 Hebräische Sp rachkundc.
wiss auf das Subject des Verbi nij'in, und dass diess noch ein
anderes Object bei sich hat, thut ganz und gar nichts zur Sache ;
auch wäre es hier sehr nahe gelegen zu sagen r3Q-ni< statt 1ni<,
wenn in solchen Fällen durchaus eine Umschreibung gebraucht
werden müsste. Bei Jerem. ü ^ 19: n"* dn3 niD-'VD» on timh
Cin^< xibn, lautet der zweite Satz vollständig cnnk ü'<C;_'>^:iv Dn,
und DON hängt unmittelbar vom Verbo (freilich nicht vom
Subjecte) ab, die Umschreibung mit tyaj zu gebrauchen wäre
aber hier, wie in mancher andern Stelle, ganz unschicklich. End-
lich trage ich auch kein Bedenken, hieher zu ziehen die Stelle
JKrorf. 5, 19: Vja nni< SM";;\y"; •'^3 •'*icu? '):o''j) , wo der Zusammen-
hang durchaus zu erfordern scheint , dass man tzrva. als Reflexi-
vura nehme; deim wollte man onkauf SN"ib> •'J3 beziehen, so ent-
stände ein sehr matter, unbedeutender und schiefer Gedanke.
Die Zahl derjenigen Regeln aber, worin der Yf. sich als
einen ungründlichen und oberfläclilichen Grammatiker zeigt, ist
ungleich grösser, und es ist uns unbegreiflich, wie der Reo.
in der Jen. Lit. Zeit, die Präcision und Deutlichkeit derselben
rühmen, und diess Büchlein für eine skizzirte Darstellung des
Nothwendigsten aus der hebr. Grammatik erklären , ja gerade
die höchst unklare und verworrene Elementarlehre vorzüglich
lobenswerth finden konnte. Diese enthält sehr viel Unrichtiges
und Unbestimmtes, z.B. § ß, 13 die Definition des n mappika-
tum : „Ein zur Wurzel des Wortes gehörendes, also weder bloss
formales , noch die Stelle eines andern Consonanten vertreten-
des n wird am Ende ausgesprochen'^ u.s. w. Sonach könnte das
Suff. 3 pers. sing. fem. n— kein Mappik erhalten. § 8, 11: „Diess
(dass zwei Consonanten nach einem gedehnten Vocal zur fol-
genden Sylbe gehören) ist nur da nicht der Fall, wo die Ety-
mologie eine andere Sylbenabtheilung fordert, z.B. niSap", jik-
tol-nah." Keineswegs ist die Etymologie Ursache hievon;
(sonst müsste auch d"»ST3p so getheilt werden), sondern dass
Cholem hier wirklich kein gedehnter Vocal ist ; wie passt aber
zur Ansicht des Vf. die Abtheilung von ?ip,^, ^Y?i^' welche der
Etymologie geradezu widerstreitet*? Nicht richtiger ist Regel
15 dieses §, nach welcher man ^iSVn lesen soll ha-l'lu, da es
vielmehr hal-l'lu heissen muss; zu allgemein § 11, 1 über die
Assimilation des 3 ; Reg. 10 über die Verwandlung des n in n,
die auch der Reg. 3 widerspricht,- § 14, 3 über die Vocale un-
ter Gutturalen , u.a.m. Nicht genauer ist, wie sich leicht er-
achten lässt, die Abhandlung der Formenlehre. So wird §
17, 7 das Femininum r\n'\i*. vom Masc. n"i'« abgeleitet, da es
vielmehr von n-ik herkommt, wie hSd« von bpk, während n-jk
das Fem. nn*iN bildet. Nach § 18, 6 hätte nSty»rj im Plur.
nV^P^.. Aliein da im Sing, auch die Form n'jxyib» üblich ist,
so müsste wohl der Plur. abs. , wenn er vorkäme , nib'i'c» lau-
ten,' freilich kommt uurnlWcD Ps. 136,9 und vor Suff. Psi 114,
Bückel: Anfiingsgründe der Hebräischen Sprache. 7
2 vor, allein beide Steilen beweisen nichts für den Stat. absol.
Ebend, Reg. 8 wird von rflV) der Plural dtip-! gebildet , wo;
für es kaum einen Beweis giebt; denn die Stelleu Rieht. 11, 37,
vgl. y. 38 und Ps.45, 15, auf die sich des Vf. Ansicht vielleicht
gründet, sind ganz dagegen. Wie unbestimmt und in dieser
Ausdehnung irrig ist § 20, ß: „In mehrsylbigcn Wörtern wer-
den (im St. constr.) die veränderlichen Vocale der erstem Sifl-
ben weggeworfen'^ ! ünnöthige Wiederhohlungen und Verwei-
sungen , die doch dem Schüler nichts anschaulich machen, fin-
den sich § 2i, 10; § 25, ß; § 2«, 2 und 3; § 39, 7. Auch
der Vf. ist §32, 4, so wie Reyher § 64, 2, c, der Mei-
nung, dass Fiel eine privative oder negative Bedeutung, habe,
wogegen Rec. sicli schon anderwärts ausgesprochen hat; man
vgl. auchH anno S.80,Ewald S. 199 und zumilohenl. S.118.
Aber nach § 33, 3 soll sogar Iliphil, wiewohl seltener, priva-
tive Bedeutung haben, z.B. \in; besitzen, ^•'•^in aus dem Besitze
verdrängen. So hätte in diesem Verbo nicht nurHipbü, son-
dern Kai selbst privative Bedeutung; denn auch u;*}'; findet
sich in der Bedeutung: einen aus dem Besitz verdrängen. Diess
geht aber ganz natürlich zu; denn wenn man eine Person in
Besitz nimmt, d. Ii. zinsbar oder zum Sclaven macht, so ist
damit nothwendig verbunden, dass ihr früheres Eigenthum
ganz oder theilweise nicht mehr ihr gehört, sondern in die Ge-
walt des Bezwingers, Eroberers kommt; also wird sie dann aus
dem Besitze verdrängt. Ungenau sind auch die Regeln über
die Bedeutung des Niphai § 34, 1 und 4; denn hiesse {<v nur
sich fürchten^ nicht auch einen fürchten^ so könnte i<"5ia
nicht die Bedeutung gefürchtet werden erhalten , und sich ver-
U7ireinigen ist nicht RefLexhum von unrein sein^ sondern von
unrein machen. Nach § 42, 2 wird der Imperativ vom Futuro
gebildet, indem man die Präformativen weglässt; ähnlich
Hanno S. 70 u. 99. Eine sonderbare Ansicht, von der ich mich
wundere, dass neulich auch Ewald § 159 ihr beigepflichtet
und sie zu begründen gesucht hat. Rec. muss sie durchaus für
unrichtig und naturwidrig erklären. Das Einfachste ist wohl in
der Regel als dasAeltestc anzunehmen; und das Bedürfniss des
Imperativs musste eines der frühesten iji der Sprache sein , da-
her seine grosse Aehnlichkeit mit dem Infinitiv; weit eher liess
sich das Futurum eine Zeit lang entbehren. Auch lässt sich
nicht denken, dass gerade die wesentlichen und bedeutungsvol-
len Präformative weggelassen worden wären. Welcher Umweg
muss ferner nach dieser Ansicht für die Bildung des Imperativs
in den Formen Niphai , Iliphil und Hithpael gemacht werden,
wie sich aus Reg. 5 ergiebt, wonach in den genannten Conjuga-
tionen das durch Contra ction ausgefallene n wiederkommt! Da-
rum behauptet aber Rec. nicht, dass das Fut. vom Imper kom-
me, wie diess auch nach Gramm. §35, 1 nicht Hrii. Gesenius
S HebräischeSprachkunde.
entschiedene Ansicht ist (wenn schon Ew. S. 285 Note 9 sie ihm
wegen Lehrg. 8.878 zuschreibt), sondern vom Inßmtiv. Ohne
die nöthige Umsicht ist wieder die Regel 6 ebend. abgefasst:
„Wo ein Fut. apoc. statt findet, da wird der Imperativ von die-
sem abgeleitet." Der Vf. meint wahrscheinlich nur das Fut.
apoc. Hiph. im regulären Verbo, und es ist zu wünschen, dass
die Anfänger diese Regel vergessen , bis sie von andern Futuris
apoc. bei Verhis iir, '''v, nS hören ; aber selbst beim regulären
Verbo behauptet die Regel zu viel; vgl.Seebode'skrit. Bibl. 1826,
S S. 247 und Threii. 5,1: ts^^an, wo freilich das Keri nü-'an
verlangt; aber warum sollte niclit ts^in geschrieben werden?
Denn wäre die abgekürzte Form des Imper. die einzige übliche
gewesen, so könnte auch jenes •> nicht stehen, das doch auch
Ps.l42, 5 sich findet. Nach § 43, 3 sollte man denken, in den
Verbis med. E und 0 sei das Partie. Benoni immer dem Präte-
rito gleichlautend, was doch keineswegs der Fall ist; denn nie
findet sich SN\y für petens , sriN für amans , sondern immer
hiiSi}, ariN. Ebend. Reg. 8: „Auch giebt es (im Partie.) eine
Femininendung auf n— — , jedoch nicht in Hiphil undHophal."
Der Vf. behauptet ziemlich zuversichtlich einen Satz, der durch
eine bedeutende Anzahl von Beispielen widerlegt werden kann;
vgl. Genes. 35, 8: np^ic. Levit. 14, 21: ni^y«. Numer. 5, 15:
n-^sin. Esth. 2, 20: n-r^n. Proverb. 19, 14: nS^^yc. 2 Chron.
3,11: nr^o. IKön. 13, 2425.28. Jerem. 36, 30:'n3S;yö. Ge-
nes. 38, 25: riNisJi» (aus nNS!i»). Jesaj. 12, 5: ny']^»(Keri).
Seine eigenthümliche Eintheilung der anomalischen Verba hat
*keine Vortheile vor der gewöhnlichen, und verursacht eher un-
nöthige Schwierigkeiten. Nach § 60, 7 steht das Pronomen
nt dieser, nähml. Ort, für das Adverbium hier\ aber wahrschein-
licher ist nj eben so ursprünglich Adverbium als Pronomen; vgl.
das Griechische öe, wovon erst oös, das Deutsche rfa, wel-
ches gewiss älter ist als das und der. Auch der Vf. folgt in
der Syntax (an der sich allerdings auch noch Manches aussez-
zen lässt) § 65 , 1 der gewöhnlichen, aber höchst unphiloso-
phischen Ansicht, dass der unbestimmte Artikel im Hebr. durch
den bestimmten vertreten werde; doch ist dieser Irrthum schon
von Andern widerlegt worden. Falsch ist natürlich auch § 66,
6: „Der Vocativ wird häufig durch den Artikel bezeichnet:
z.B. tiictön o Himmel!'^ eine Meinung, der auch Reyher
§ 103, 3 und Hanno S. 148, vgl. 72, folgen; das Richtigere
giebt Ew. S.568, § 295, a, f. Manches Andere der Art, z.B.
von Ellipsen u. dgl., übergeht Rec. absichtlich, weil der Vf.
es mit den meisten bisherigen Grammatikern gemein hat; so
auch § 69, 4 über den Gebrauch von ni<» oder die Verdoppe-
lung des Adjectivs, um einen Superlativ auszudrücken; vgl.
Reyher § 109, 2, c; diess ist ja nur ein rhetorischer Ge-
brauch des Superlativs bei Griechen und Römern, den man
Reyher: Formenlehre der Hebräischen Sprache. 9
doch billiger Weise den Hebräern nicbt axicli als Pflicht zumu-
tlieii darf. Aber allzu obciflächlidi ist § 81, 2: „Oft haben
sie (zwei mit einander verbundencPräpositionen) die Bedeutung
der einfachen ; wenigstens ist die Nuancirung fast unmerklich:
i^nNü = "''^nisi nacli; Dy>9 = ny von." Wie man nur so etwas
schreiben kann! Wie ist es gedenkbar , dass, wenn zwei Prä-
positionen von so ganz entgegengesetztem Begriffe verbunden
werden , diess eine nur unmerkliche Nuancirung gebe ! Die
Nuancirung ist keine andere, als dass durch die vorgesetzte
Präposition in der Regel der Begriff" der nachfolgenden aufge-
hoben, und also das Aufhören des friiher bestandenen Verhält-
nisses bezeichnet wird. Zwar weiss ich wohl, dass auch diese
Ansicht noch Viele mit dem Vf. theilen; aber auch Stellen,
wie Exod. 14, 19 , Josu. 8, 2, Jerem. 9, 21, Ezech. 40, 7 be-
weisen sie durchaus nicht, wenn schon ^c dort nicht den oben
angegebenen Begriff hat; aber es bezeichnet die Richtung, wie
im Griech. Tcgog c. gen.
Der Druck des Buches ist schön, aber an Druckfehlern ist
grosser üeberfluss ; Rec. hat deren nicht nur vier bis fünf, wie
der Rec. in der Jen. Lit. Zeit. , sondern Avohl die vierfache An-
zahl bemerkt, mit deren Aufzählung er jedoch den Leser nicht
behelligen will.
Der Vf. von No. 2 hat zwar sein Buch mit einem Vorworte
versehen, worin er seinen Zweck angiebt, aber die Erscheinung
desselben hat er dadurch keineswegs genügend gerechtfertigt.
Er sagt nähmlich S. V: „Es scheine ihm an einetn Buche zu feh-
len., welches die einjachsten Gesetze der hebr. Sprache einfach
und klar entwickele., ohne entweder bloss Bruchstücke einer
hebr. Sprachlehre zu liefern., oder durch eine grosse Masse vo7i
Bemerkungen das Gedächtniss des Anfängers zu überfüllen.
Durch das Eine werde dieser eine geunsse Oberflächlichkeit in
seiner grammatischen Kenntniss erhalten, durch das Andere
nur mit Mühe und Noth seinen gram?natischen Cursus beendigen
können. Denn wenn auch die geschickte Leitung des Lehrers
das dem Anfänger nicht nothwendig zu Lernende heim Unter-
richt überschlage^ so werde doch dieser., theils., um die Bemer-
kungen , welche der Lehrer beim Unterricht macht , ivieder zu
ßnden., theils um sich die bündige Sprache seiner Gramma-
tik zu erklären., sehr leicht in Versuchung gerathen., das
Ganze seiner vollständigeren Sprachlehre durchzugehen. Wie
viel Zeit und Mühe dabei verloren gehe., und tvie wenig
der Anfänger im Gedächtnisse behalte., dürften Sachverstän-
dige wohl kennen.'-'' Schon hier kann Rec. des Vf. Ansichten
nicht theilen. Ihm scheint es nichts weniger als ein Unglück,
wenn lernbegierige und zugleich fähige Schüler in Versuchung
gerathen, das Ganze einer vollständigen Sprachlehre durchzu-
gehen. Diess werden sie wohl nicht thuu, bis sie schon au der
10 Hebräische Sprachkunde.
Hand des Lehrers einen ersten Cursus gemacht haben, und
dann kann es nicht anders als im Ganzen und Einzelnen der
Griindlichkeit und Tiefe ihrer Erkenntniss förderlicli sein. Mühe
soll und muss das Lernen einmalil kosten, und diese dem Schüler
ersparen zu wollen, ist ein eitles, sich selbst bestrafendes Be-
ginnen. Gesetztauch, dass der Schüler manche einzelne Er-
scheinung wieder vergesse: diess schadet nichts; hat er nur
den Bau der Sprache überhaupt erkannt und gefasst, so wird
er jene beimWiedervoikommen schon einzureihen und in ihrem
Zusammenhange zu begreifen vermögen. Der Vf. indessen ent-
schloss sich, einen Leitfaden jener Art auszuarbeiten, und dem
Publicum zu übergeben. Als Haupterfordernisse schwebten ihm
dabei vor : „Z>/e Hauptsache sollte kurz ujid b ü n d ig dargestellt
sein, doch zugleich so, dass sie tiefere Blicke in den Bau
der hebräischen Sprache thun Hesse, vor Alem aber sollte
Deutlichkeit im Ganzen und im Einzelnen stattfinden, so
dass sich der Anfänger einen vollständigen und deutlichen Ue-
berblick über den Bau der hebräischen Sprache machen könnte.''''
Sehen wir nun, ob und in wie weit der Vf. seinem Ziele nahe
gekommen ist.
Das Ganze besteht aus zwei Haupttheilen , der Ele-
mentarlehre und Formenlehre, in 112 fortlaufenden §§; die
Syntax blieb ausgeschlossen. Die Elementarlehre enthält zwei
Abschnitte, l) Schriftzeichen der Hebräer , in vier Capiteln 1)
von den Consonanten ; 2) von den V^ocalen a) Haupt\oc^\Q, b)
/fa/6vocale (Schwa und Chatheph) ; 3) vom Bagesch, Mappik und
Maphe; 4) von den ^ccewiew, Makkeph und Metheg. II) T er-
änderungen der Consonanten und Vocale, von der Sylbenabthei-
lung und dem Tone, wieder in vier der Hauptüberschrift ent-
sprechenden Capiteln. Die Formenlehre hat sieben Abschnitte:
1) Abstammung der Wörter und Angabe der Redetheile ; 2)
vom Arlikel; 3) vom Pronomen^ (diese beiden Abschnitte wä-
ren wohl logischer in Einen verbunden worden); 4) vom Verbo,
in drei Capiteln; 5) vom Nomen, in zwei Capiteln; C) vom
Zahlworte', T) von den Partikeln. Gegen die Eintheilung ist
nichts einzuwenden, aber desto mehr ^Q^^n die Behandlung
und Ausführung, aus deren etwas näherer Betrachtung sich er-
giebt, dass der Vf. eine eigene Grammatik zu schreiben nicht
geeignet war. Er scliliesst sich zwar genau anGesenius an,
wie er im Vorw. S. VII dankbar bekennt, aber er will denn doch
zuweilen selbständig sein und aus eigener halber und einseitiger
Beobachtung Regeln aufstellen, was ihm aber beinahe jedes
Mahl misslingt; daher Mir dem llec. in der Leipz. Lit. Zeit,
kaum glauben können , wenn er versichert, er habe das Büch-
lein sorgfältig durchgegangen, und darin wenig Unrichtiges
gefunden.
Schon dem ersten der ausgesprocheneu Erfordernisse, der
Reyher: Formenlehre der Hebräischen Sprache, 11
Kürze unA Bündigkeit ^ leistet der Vf. kein Genüge. Im Ge-
gentheil scheint er es recht eigentlich darauf angelegt zu haben,
ohne viel zu geben, doch durch Unaständiichkcit und Breite
sich ein gewisses Ansehen von Gründlichkeit zu verschaffen ; da-
her es nicht an liäufigen Wiederliohhingen fehlt. So sind z.B.
gleich § 1 die Consonantes finales hinten am Alphabet vollstän-
dig ausge^ietzt ; dann folgt aber doch noch Anna. 2 : „Fünf Con-
sonanten haben am Ende der Wörter eine andere Figur; man
nennt sie Finalbuchstaben u. s. w." Auch § 3 über den Ge-
brauch der Consonanten als Zahlzeichen ist , nachdem schon
im Alphabet ihr Zahlwerth angegeben worden, ziemlich über-
flüssig ; das Neue konnte in einer kurzen Anmerkung beigebracht
werden. Die §§8 und 9 enthalten ebenfalls viele Wiederhoh-
lungen, vgl, z.B. S.12 in d.M. und S.13 unten, und dazu noch
§35, 2. Die ungenaue Bestimmung § 17, 4: „Indessen ist
vor n und n zuweilen die Verlängerung unterblieben," wird
auch § 33, 1 und § 52, 2, a beinahe unverändert wieder ge-
geben. § 36, 3 und § 108 über die paragogischen Buchsta-
ben, theils überhaupt, theils am Nomen, konnte leicht zusam-
men gezogen werden.
Auch gegen die erforderliche Deutlichkeit verstösst diess
Lehrbuch sehr oft, indem es dem Vf. selbst an der rechten
Klarheit zu fehlen scheint. Was soll man sich z.B. bei § 47,1
denken, wo unter den Wörtern, die den Ton auf Penultima
be sitzen^ weh^w andern Verbalformen auch die mit dem Bildungs-
zusatz p (2 p. praet. sing, fem.) aufgeführt wird? Diese An-
gabe fand sich zwar auch in den frühern Ausgg. von Gesenius
Grammatik, aber sie ist wenigstens schon in der sechsten von
1823 weggelassen. Ziemlich unverständlich ist § 54, Anm.:
„Statt N'»n kommt imPentateuch xin vor, weil sonst die dritte
Fers. sing. masc. zugleich auch die dritte Person sing, fem. be-
zeichnete.'' Der Schüler, der noch nichts vonKeri und Chethibh
weiss , kann diess unmöglich fassen. § 5S, 2 wird ganz allge-
mein gelehrt: „diejenigen Verbalformen, welche mit einem
Consonanten schliessen, nehmen Suffixa zu sich, die mit einem
Vocale anfangen."- Wie wird diess der Schüler , wenn er nun
das Paradigma Taf. VIII erlernt, mit den Formen •'^nSüp,
'ijnSt:;-!, DD^cp, ^V^p''. in üebereinstimmung bringen können?
Denn auch § 94, 5 hilft nicht ganz aus. § 58, 5 (nicht 3), a, E
werden als Präpositionen, welche Suffixa nom. plur, zu sich
nehmen, Q-'Ja'^ und D''^s», genannt, was eben so unphilosophisch
ausgedrückt ist, als es dem Lernenden keinen klaren Begriff
von der Art der Verbindung geben kann. Wie vertragen sich
§85, 1 und 2, 3 mit einander, wo die erste Regel durch die
dritte grossen Theils wieder aufgehoben wird. Unklar und
Terwickelt müssen dem Schüler auch die Afformativa composita
§ 97 , 7, b erscheinen *, die Sache hätte sich viel einfacher und
12 Hebräische Sp rachkunde.
deutlicher darstellen lassen. Zur methodischen Deutlichkeit
kann Rec. es endlich auch nicht rechnen, wenn in den Para-
digmen der Nomina Tat. IX — XII die üuale von Noniinibus an-
gegeben werden, von denen sie nicht vorkommen, und schon
des Begriffes wegen niclit vorkommen können. Was soll man
sich z. B. bei dic^, D'in^'u:; (von nJiif der Schlaf) u. dgl. denken*?
Und doch bleibt sich der Verf. hierin nicht ganz getreu, son-
dern giebt unter DN den Dual C3''.3ty. Dieser Tadel trifft aber
auch die Tabellen von Böttcher.
Am meisten müssen wir endlich bezweifeln, ob der Schü-
ler durch diese Grammatik zu einem tiefern Blicke in den Bau
der hebr. Sprache^ ja zu einem vollständigen Ueberblick über
denselben gelangen werde; denn es finden sich im Buche selbst
nur zu viele Beweise, dass der Verf. nicht weit unter die
Oberfläche eingedrungen ist, keine umfassende Kenntniss
der Sprache und über Manches aiis der Elcmeiitarlehre wie
aus der Formenlehre ganz unphilosophische Ansichten
hat. Höchst mangelhaft ist z. B. § 14, Anm. : „Zuweilen
erhalten die Gutturalen ein einfaches Schwa, aber nur nach
einem kurzen Vocal, z. B. pyqi^." Also nach allen kurzen Vo-
calen, und in allen Stellungen'? wäre denn aber pyriJ in Pau-
sa nicht auch richtig'? Vgl. Deuter. 8, 10. Nach § 30 entsteht
der Plur. ninrN von na« durch Epenthesis; wie ist es denn aber
mit dem Plur. constr. nlnaiz; von naw*? § 40 lehrt der Verf. aus
sich: „Umstellung der Vocale erfolgt zuweilen, wenn ein An-
hang zu einem Worte tritt, der den Ton nicht hat, z.B. •'JiSiJi^
statt '<:^'5i3;p^." Wie verhält es sich denn mit üDn-i^tü u. s. w.,
wie mit dem Plural der Segolata*? § 58, 5, ß wird nnp unter
den Pi äposs. genannt , die theils Suff. nom. s/wg. theils plur. zu
sich nehmen, mit dem Beispiel •'Pnn und innp. Das letztere
wird sich aber kaum irgendwo finden; wohl kommt neben
Dn''rinn auch onnri vor, aber hier ist die Zusammenziehung we-
gen des in der 31itte stehenden n sehr natürlich. Unlogisch
werden § 59, 1 nt und nt^T nur durch ein dem letztern vorge-
setztes selle7t unterschieden ; denn n;r^n entspricht nicht dem nr,
sondern dem n;in; dasselbe gilt von den Formen gen. fem. und
comm. §ß5, Anm, wird als Beispiel von Hothpaal nfsann ange-
geben; so geschrieben kommt es aber nie vor, sondern "if^Qnn
sowie^TpQnn, npsn^, iTpsni; vgl. Ilanno S. i)2. Der Grund
dieser Erscheinung lässt sich entweder darin suchen, dass p als
ein lialber Guttural betrachtet wird (vgl. Ew. S. 104 oben),
oder es lässt sich vielleicht auch annehmen , die Form Hithp.
sei zuweilen nicht von Piel , sondern unmittelbar von Kai abge-
leitet worden, wenn z. B. Kai schon transitive Bedeutung hatte.
Die grosse Verwandtschaft von Kai und Niphal sowohl in Form
als Bedeutung scheint der letztern Ansicht nicht ungünstig.
§ 69, 2 wird die für Rec. neue Regel aufgestellt, dass auch
die Vcrba med. 0 hinter dem zweiten Radical im Infin. Patliach
Rcylier : Formenlehre der Hebräischen Sprache. IS
erhalten, und mit dem Beispiele ]'a\^ Inf. ^üf^, vgl. Taf. I, be-
legt. Allein schon bei denVerbis med.E ist diess Pathach nicht
ausschliessend herrschend, bei denen med. O kommt es wohl
gar nicht voi\ Uebcrhaupt ist die Zahl dieser Verba so klein,
dass sich von ilineri kein vollständiges Paradigma bilden lässt.
Indessen ist die Analogie und der vorhandene Gebrauch viel
eher für den 0-laut. Denn das Verb. \^*13 hat auch im Infin.
tüia, (Rieht. 3, 25: T:ii2-ny), woher das Subst. verb. ntwa, und
von bb> kommt mehrmahls der Inf. constr. nSb-; vor, der doch
eine Grundform bb*" voraussetzt. Eben so unrichtig iet § 80,
3, b: „Der Imper. und das Fut. Kai (der Verba ^ä) hat meh-
rentheils statt Cholem entweder Patach oder Zere (letzteres
ist aber nur beim Verbo ]n3 der Fall)." So wird das , was in
Einem Worte ausnahmsweise vorkommt, in die Regel aufgenom-
men, während das, was sich in vielleicht zwanzig Beispielen
findet, zur Ausnahme gemacht wird. Diesen Irrthum , derauf
völligem Missverständniss der Regel bei Gesenius zu beru-
henscheint, theilt aber mit Hrn. Reyher auch der Rec. von
Böckel in AVin. u. Eng. n. krit. Journ. 8.377. § 84, 2 wird
von nto^ das Iloph. 3t: ^i gebildet, und so auch Taf. VII unter
den Paradigmen aufgeführt, das doch wohl nie vorkommt, und
wenn es vorkäme, leicht von 21t3 abgeleitet werden könnte.
Wenn aber wegen i^i-» Jesaj. 54, 17 ein eignes Parad. Iloph.
zu bilden war, warum nicht auch für Niphal Taf. II, 9 wegen
n:£i3 Jesaj. 43, 10*? § 89 finden sich im Verzeichniss der Verba
defectiva mehrere ganz willkiihrlich gebildete Formen wie
1^3, n33, *T>ro u. s. w. : aber wer tiefere Blicke in den Bau der
hebräischen Sprache getlian hat, sollte auch wissen, dass ■< zu-
weilen durch ein Dag. f. im folgenden Consonanten ersetzt wird;
oder sich wie h und j assimilirt. § 90 , 1 wird über das n
parag. am Futuro so gesprochen, als ob es an allen Personen
desselben gleichmässig vorkäme , wenn sie nur auf den dritten
Radical ausgehen ; auch die Erklärung dieser Fut. parag. durch
„Futurum Conjunctivi" ist sehr ungenügend und unpassend. Dass
auch der Inf. nach Reg. 3 ein parag. n— erhalte, ist in dire-
ctem Widerspruch mit § 74, wo diess n— mit Recht als Femi-
ninendung dargestellt wird. Ein starkes Versehen ist § 97, 6,
dass HN^aj, Prophezeiung, unter den Nominibus mit Präform,
erscheint, da doch gleich als Stamm das freilich in Kai nicht
gebräuchliche n3D genannt wird. Im Anhang zu § 99, der eine
Uebersicht der Nominalbildung von Verbis nach Gesenius
giebt, finden sich neben dem aus dem Lehrgebäude Ausgezo-
genen auch manche Zusätze , die zum Theil ohne richtige Ein-
sicht eingeschoben Murden; auch in der Auswahl hätte etwas
kritischer verfahren werden dürfen. So wird No. 5 nSlna ein
Primitivum genannt, wofür es doch kein Etymologe wird gelten
lassen; vgl. No.3C. Unlogisch ist ebendas. die Verbindung der
Denominativa «im und niT'pa. Das Wort ^lo wird sowohl un-
14 Heliräische Sprachkande.
ter Nr. 9 als 25 angeführt , da es doch nur an einem Orte rich-
tig sein kann: vgl. Ges. Lehrg. S. 501. 505. Nr. 17 compa-
rirt Viindq als Derivatnm von rib, da es doch gewiss von nn^
kommt. Nach 21 ist Dclpn für D»ipnj3 , wie auch Gesen. S^
505 und sogar Ewald S. 257 unt. annehmen. Rec. gesteht,
dass er von solcher Aphäresis keinen BegriflF hat; sollte sich
nicht vielmehr diese Form an die vom Futuro abgeleiteten No-
mina anschliessen'? Man vergleiche neben b^imn , ciTin , beson-
ders auch ntz/in und n"'nVn; s. Ew. S. 26*0, der freilich eine
andere Ableitung annimmt. Nr. 24 werden nv/isa und n-inx in
Eine Classe gestellt, was unmöglich richtig sein kann, da sich
die beiden Wörter vor Suffixis ganz ungleich verhalten; vom
erstem kommen die Formen Tiü^i^a, "nnu^fia u. s. w. vor, so dass
also Kamez nicht pnrum ist , von ni?N hingegen ini'nN. Daher
ist H'^nN wahrscheinlich nur die abgekürzte Femininform von
nVHN, wie 0*1:2;^ von n*i''2.^, und wirklich möchte Ezech. 17, 8
in den Worten "rrinM lasS das letzte Wort nichts anderes als
das Adjectiv sein; vgl, v. 6 und Ezech. 16, 30: ntoW von t3->V;tü.
Nach § 105, 2 b und c a. E. soll der Status constr. in beiden
Zahlen durch Wegwerfung des schweren Suffixi gebildet wer-
den; welche unnatürliche Ansicht! Vorzüglich dürftig und
oberflächlich ist die[Abhandlung der Partikeln in Einem §, 112.
Da soll ^"•^'nnN nachdem heissen , und doch Adverbium sein
(S. 117 oben), ^"»ji-Sn nur zwischen^ f^nn-^M unter bedeuten,
nya nach^ eine Bedeutung die auch von Gesenius nicht er-
wiesen ist; bif.^<. neben und Ssn nahe bei kommt in Einem Satze
vor.
Auch an Druckfehlern felilt es nicht , und viele sind von
der Art, dass man nicht recht weiss, wofür man sie ansehen
soll: z. B. S. 13 in d. M. niSht statt fniSN; S. 15 § 12, 1 n^ittj
statt nSöry, welcher Fehler nicht nur S. 27 oben mit einem neuen
sich zwei Mahl wiederhohlt, sondern auch im Parad. Taf.XH
die ganze Columne lierunter. Ein falsches Citat ist § 48 a. E.
e)Din-SM Prov. 30, G; denn in der angeführten Stelle heisst es
vielmehr .^oin-^N. Zwei der auffallendsten Druckfehler finden
sich aber neben andern in den Zahlwörtern: der eine, dass es
S. 112 und 114 regelmässig nl.^ö statt nix» heisst, als ob es
durchaus so sein müsste; der zweite, dass S. 113 und 114 von
nabu; der Stat. constr. Djiotü, mit Segol statt mit Pathach, an-
gegeben wird. Diese Consequenz ist um so merkwürdiger, weil
sich derselbe Fehler nicht nur in Böttcher's Tabellen
(Nr. XXV.), sondern auch bei ühlemann (Hebr. Sprachlehre
S. 112.) und dem sonst so selbständigen Ewald (S. 492.)
wieder findet. Alle scheinen ihn Hrn. Gesenius (Lehrgeb.
S. 609.) zu verdanken.
Aus allem Gesagten geht hervor, dass wir Hrn. Reyher
nicht aufmuntern können , die am Ende seines Vorwortes ver-
Ilanno : DIo Hebräische Sprache. 15
heissenen ^^Vornbungen zum lieber setzen a. d. Deutschen in's
Hebräische'-' nebst der kurzen Syjitax herauszugeben; wenig-
stens müsste er ihrer Ausarbeitung noch ein inelirjähriges gründ-
liches Studium vorangehen lassen. '
Der Verf. von Nr. 3 ist keiner der gewöhnlichen Nachtre-
tcr , sondern geht seinen eigenen Weg, Er hatte den Zweck,
nach Vorr. S.IV, einem früher schon angekündigten praktischen
Tlieile der Grammatik ^^eineu theoretischen vor anzuschicken^ und
zwar einen ^ tvie er dem Kritiker^ der die Sprache ohne
Puncte sieht ^ gelte?! könnte^ d. i. mit andern Worten^ die
Sprache^ so loie sie loar^ zn nehmen. Sein Glaube war,
eine solche Bearbeitung der Sprache müsse dem Philologen un-
gemein nützen, ja ohne Durchdenkung der Sprache beim Ab-
sehen der Piinctation (d. i. wohl abgesehen von derselben*?) sei
fast gar keine kritische Sprachkenntniss möglich. Ein solches
Verfahren hielt er für eine wesentliche Erleichterung des An-
fängers , und versuchte also , ohne die hergebrachte Puncta-
tion überhaupt zu verwerfen, vielmehr die Regeln, welche den
Punctator leiteten, welche ihn und Hunderte vor ihm lesen
lehrten, theils selbst zu entwickeln, theils auch nur den Gang
der Entwickelung zu zeigen (S. VIII). Zugleich verspricht er
auch, hier manches neue Wort mitzutheilen, und entschuldigt
dadurch , was man ihm sonst allerdings zum Vorwurf machen
könnte, dass er nicht immer die kürzeste Bahn gehe, sowie
dass er oft zuerst die alten Meinungen bekämpfen müsse. (S.
VIII. IX.)
Der Versuch des Verf. ist auch wirklich aller Beachtung
und Anerkennung werth ; er bringt viele neue und eigenthüm-
liche Ansichten zur Sprache, wenn schon darunter auch viel
Unreifes und nicht gehörig Erwogenes sich findet; er berich-
tigt manchen hergebrachten und stillschweigend geduldeten Irr-
thum in den gangbarsten Grammatiken und Wörterbüchern, und
giebt beiläufig den einen und andern nicht zu verachtenden Bei-
trag zur Exegese einzelner Stellen des A. T. Dabei zeigt er eine
rühmliche Belesenheit besonders in rabbinischen Schriften, de-
ren oft ziemlich weitläufige Auseinandersetzung man darum we-
niger tadeln kann, weil er nicht nur Anfänger, sondern auch
Gelehrte als Leser vor Augen hatte.
Sehr richtig sind die Bemerkungen iiber die Mienen - und
Geherdensprache der Hebräer imd anderer Naturmenschen,
nahmentlich auch der Kinder , Vorr. S. X und Einleit. § 7 un-
ten; beistimmen muss Rec.IIrn. II anno auch in der Erklärung
des Bittwortes '»a, dass es nähmlich Pronomen sei, und seine
bittende Bedeutung durch den Ton und die Geberde des Spre-
chenden erhalte, und nicht zusammengezogen aus ■'IJS , Bitte!
Gegen die letztere Erklärung darf wohl besonders auch noch
der Grund geltend gemacht Averdcn, dass, während die Aus-
)6 Hebräische Sprachkunde.
stossung des V nur in spätem Büchern, und hauptsächlich im
Clialdäischen vorkommt, das Bittwort -n nirgends in der ange-
nommenen urspriinglichen und vollständigen Gestalt erscheint,
und doch schon in den ältesten Biichern sich so oft findet; solche
Zusammenziehungen aber pflegen insgemein nur allmählich
herrschend zu werden. Die Einleitung S. 1 — 16 giebt grö-
ssten Theils sehr gute Ansichten iiber die Verwandtschaft aller
Sprachen, iiber den natiirlichen poetischen Charakter der he-
bräischen (wiewohl ihr dieser etwas zu ausschliessend zuge-
schrieben wird), und über die mahlerische Eigenschaft dersel-
ben ; womit zu vergleichen sind die sinnreichen Erklärungen
mehrerer Qiiinquelitera S. HO f. Interessant ist dann S. 4:7
die Zusammenstellung der Buchstaben, die sich nie mit einan-
der vertragen, d. h. die nie weder in einer noch zwei Staram-
sylben unmittelbar auf einander folgen, weil der Mund wegen
ihrer Lautähnliclikeit sieneben einander auszuspreclien vermied,
z. B. N und 1?, die doch im CJialdäischen sich gut mit einander
vertragen. Doch dass auch n und iJ liieher gehören, wird
durch nsj (Jesaj. 9, IX 33, 12. Jerem. 2, 15. 9, 9. 11. II
Könn. 22, 13.) und das oft vorkommende Stammwort yno wi-
derlegt. Auch die Vergleichung der hebräisclien Pronomina
mit denen im Griech. und Lat. , und in neuern Sprachen ist be-
lehrend , so wie mehrere einzelne Bemerkungen über den Un-
terschied der hebr. Verbalformen. Das über vj^y^i S. 71 gegen
Gesenius Erinnerte, die Einwendungen gegen desselben Leh-
re über die Verba •>% {^k) S. '^7 — 79; vgl. 105 unten, über
das Genus von nity S. 125 Anm. **), über S^3 S. 137 Anm. *),
über i; und -»a S. 139, Anm. *), über n^^»v?ö S. 141 Anm. *)
scheinen Rec. alle gegründet, und der Wahrheit näher zu füh-
ren, wenn auch nicht dieselbe allemahl ganz zu treffen. Zu
dem über nJoi.s^ Gesagten fügt Ilec. hinzu, dass es allerdings
auch in einem bejahenden Satze vorkommt, II Könn. 5, 20:
: nc^iNC InN» 'fipjjS'i i^^nt* ''Pi:^"i-dn-"'3 nin*'. >n. Auch in der
Erklärung der Worte rftif-'S'iin -in^ I Sam. 20, 12, dass es über-
morgen bedeute S. 143 Anm. *), und in der Ansicht S. 145 un-
ten, dass S ein Stammlaut, und "Sn daraus verlängert sei, traf
Rec. schon früher unbewusst mit Hrn. H. zusammen.
In der Ilauptansicht jedoch, die der Verf. in diesem Lehr-
buche darzustellen sucht, dass das Hebräische ohne Puncte
gelernt werden müsse, ist Rec. nicht iiberzeugt worden, und
muss sich auch gegen mehrere andere grammatische Ansichten
desselben verwaln*en. Schon das muss gegen jene Grundidee
gerechtes Bedenken erregen, dass der Verf. selbst doch nicht
aller Punctation entbeliren kann, und dadurch mit sich in Wi-
derspruch geräth. Er sagt nähmlich Vorr. S. VI: „Die Pun-
ctation soll also allerdings in hohen Ehren gehalten, und um die
richtige Ausspraclie befragt werden , aber nur insofern , als
Hanno. Dio Hcbrälsclie Sprache. 17
sie einerseits die allj?emcliieii Leseregeln auf bewalirte , ander-
seits dieLeseüblicIikeit der vielen unter keiner Uegel stehenden
Wörter, so gut sie konnte, vererbte." S. V giebt er den Punct
in der Mitte des Consonanten als Pielbezeichnung zn; durch
denselben unterscheidet er S. 21 nr\n dtt -von noN er kam ^ ma
ihr Stier von nis) Af/h; ja S. 22 unten räumt er sogar ein, dass
die Hebräer seit langer Zeit in Nothlallen Zeichea lYir die Vo-
cahinterscbeidung gehabt haben mögen. Aber nenn selbst der
Gelelirte dieser Nachhülle oft bedarf, wenn sogar die lebende
Sprache ihrer nicht ganz entbehren konnte: warum sollte man
sie denn dem Lernenden entzielien, und dadurch seine Erkennt-
uiss alles geregelten Fundamentes berauben, und sie zu einer
schwankenden, unbestimmten und einseitigen machen*? Denn
es fällt in die Augen, wie unzuverlässig die Aussprache werden
müsste, wenn man nach des Verf. Vorschlage sie nur in den
Wörterbüchern beliügen und noch allenfalls in lateinischen
Buchstaben ausdrücken wollte. Wie schwer, ja unmöglich wäre
es, so die langen und kurzen, Jialben und ganzen \ocale genü-
gend zu unterscheiden'? Der Verf. sagt freilich, wenn man
D-'iüpnö finde , so Misse man gleich , dass es CTyjSnö oder auch
D'-Tüpar; gelesen werden könite; aber könnte es nicht auch □"•u/i^3ö
lieissen, wie S. 22 cifSj-r^'? Ferner wenn ich die Buchstaben
n3ti?S finde, wie kann ich sogleich wissen, ob n'^toV oder M^ü^S
oder n3ii?S oderni'^'T gelesen werden mnss*? Wie kann ich ikS?4
(Imp. Kai) von >inSo (Imp. Piel) unterscheiden , was sogar vorf
Gelehrten bei vorhandener Punctation oft nicht richtig erkannt
wird'? Am, verdächtigsten «ird das System des Verf. dadurch,
dass er selbst oft Fehler gegen die ricbtige Aussprache macht;
z. B. S. 82 n'iüSö lies't er mtiimmdah statt mlnmmodah ; vgl.
S. 83 oben, S. 22 in d. M., S. ß9 u. d. M.; m^Ssa St. abs. lies't
>«r bald mlacm/fh^ bald 7nohhaiith u. dgl. Ja eine Anmerkung
S. 134, nach der Abhandlung des Nomcns , lässt vermuthen,'
dass der Verf. noch mit sich selbst niclit ganz einig und im Rei-
nen gewesen sei. Sie lautet so: ,, Hinsichtlich der Vocale hal?
man sich schon mehr zu merken, wenn man sich auch nur arii'ä^
Allgemeine, d.h. was unter Kegel steht, halten mIH. Docl*
werden diese Regeln in der zweiten Abtheilung vorgetragen oritP
mit Tabellen verbunden, die sich dann jeder aufmerksaine L'i^^
ser auch mit Jgnorirung der Vocalpuncte für die freie Aussnya-
che bemerken kann,'" Ree. glaubt, dass diese Regeln vor?!iTg$--
weise eine Stelle in der ersten Abtiieilung verdient hätten. •'^''''
Der Verf. sucht in der Anm. zu S. VII in einer Reihe von
Beispielen zu zeigen, wie schwankend und öftirrig di" überlie»-»
ferte Punctation sei. Allein die meisten jen-er Beispiele hife>Vii{^'
sen vielmehr das Gegenthe<il, >i'ie genau und sorgfalti^g ^i#
Punctation auch im Einzelnen abgev>^ogen woi^den seir. • So islt e^*
keineswegs. Willkühr, dass Jereni.! 22^ SO-in Eifr^m Ve^äe zü^'
Jahrb.f.FMl.u. Vada^ng. Jahrg. lU. Nejt9. 2
JP Hebräische Sprachkunde.
erst '•p.i'^.i dann '•pv^, geschrieben ist; das letztere steht inPausa,
und soll eben darum von der gewöhnlichen Form unterschieden
werden. Vgl. IKön. 13, IT: n'iycii, wo ebenfalls Chatheph-
Kamez vor Schwa simples steht. In in'i,.;^ I Sam. 13, 10 las-
se,n doch nur einige Handschriften das Metlieg weg. Manches
von der Art mag allerdings von Unachtsamkeit der Abschreiber
herrühren , und nahmentlich einige der angeführten Formae da-
gessatae ; aber gewiss nicht alle , und ich glaube in den drei
Stellen Deuteron. 23, 11: rripC, Ps. 89, 45: ^int;ü, Nah. 3,
17: 'ill'^13^. lasse sich das Dag. forte mit guten Gründen verthei-
digen. In der ersten und zweiten Stelle soll ö seq. Dag. ohne
Zweifel Präposition sein, die der Zusammenhang nicht nur
nicht verwirft, sondern beinahe nothwendig fordert. Darum
braucht man aber für Deut. 23, 11 keine besondere Form n^j^
anzunehmen, sondern das Jz von .TipjX) kann des Wohllautes
wegen nach der gleichlautenden Präposition :c ausgefallen sein.
Vgl. ISam. 26, 12: SiN\y ''ntLSN']^: für Sinw inbN'i>3?3. Genes.
27, 28 und 39: V'i.>'^n •'^^^Jq iur y-iNn "»r^iü^r. Man weiss, wie
viel die Euphonie in Sprachen , die noch nicht auf den Punct
vollendeter Ausbildung gelangt sind , selbst ^^^^n die gramma-
tische Richtigkeit vermag. In Ps. 89, 45: lin^JO ns^ln ist die
Setzung von ^r ganz dem hebräischen Sprachgebrauche gemäss,
indem nähmlich nach dem Verbo, das einen negativen Begrilf
enthält, noch die negative Präposition ]?: gebraucht wird. Mau
vgl. die Phrasen n"j''3;Tö Tton, ^V?^. tif^'o und die Stellen Jesaj.
17, 1, Hagg. 1, 10, besonders die letztere, wo im zweiten
Gliede statt ]« der einfache Accusativ steht. In 'n^']J^.^ scheint
J darum dagessirt zu sein, weil es hier auf eine ungewöhnliche
Weise vor dem Zischlaute nicht assimilirt worden ist. Nicht
anders verhält es sich mit den Stellen, in denen der Verf. die
Artikelvocalisation entfernen will; Jesaj. 24, 2 ?nn-i332 erfor-
dert der Parallelismus den Artikel nothwendig; jesaj. 9, 12
inSßn steht er auf eine gar nicht seltene Weise vor dem Parti-
cipio, welches das Suffixum verbi nach sich hat; vgl. Jesaj. 03,
11; Ps. 81, 11; 103, 4; Deuteron. 13, 6. In der dritten Stelle
Prov. 16, 4 ^npyßS ist der Sinn sehr ungewiss, doch lässt sich,
vom Parallelismus abgesehen , auch eine Erklärung denken, bei
der die vorhandene Punctation bestehen kann. So der Chald.
und Andere. Gesetzt aber auch , die Punctation sei unrichtig,
so ist es eben eine falsche Lesart, dergleichen es auch in den
Consonanten genug giebt.
Viel Eigenthümliches hat, wie sich voraussetzen lässt, die
Lehre über die s. g. Vocalbuchstaben •', i, n, »s; aber auch
hier kann Rec. ziun geringsten Theile beistimmen, Ueber
n sagt Hr. H. S. :28'^ es sei hebräischer Grundvocal = a,
o, u, e, i, und könne,, wenn ein Wort mit einem Vocal
anfangen solle, durchaus nicht entbehrt werden, noch je
Hanno : Die Hcbrüische Sprache. 19
entbehrt worden sein. Nach Rec. Ansiclit hat n im Anfang
des Wortes immer einen leisen guttnralen Consonantcnlaut, ei-
nen Stoss aus der Kehle, und ist durchaus nicht blosser Vocal.
Ueberall fängt wohl im Hebräischen kein Wort mit einem rei-
nen Vocale an, auch die Sylbc i nicht ausirenommen , wo im-
mer ein Aveiches /f mitlauten soll. Zwar wäre es sehr natur-
widrig anzunehmen, die semitische Sprache sei durch ihre Buch-
stabenschrift zu dem ausgezeichneten Charakter gekommen,
dass alle ihre Sylben mit einem Consonanten anfangen, denn
die Sprache hat vor der Schrift existirt ; aber die Sache selbst
lässt sich durch keinen Machtspruch ableugnen, und der auf-
merksame Beobachter dürfte überhaupt finden, dass jeder Yo-
cal im Anfange eines Wortes mit einem leisen Cousonantenlaute
begleitet ist. Für uns ist dieser letztere freilicli oft kaum be-
merkbar, aber die Völker, welche zuerst schrieben, deren
Sprach- und Gehörwerkzeuge noch feiner und schärfer waren,
als die unsrigen, müssen diese Laute doch stark genug gefun-
den haben, um sie mit eigenen Consonanten zu bezeichnen.
Auch das übrige über « Bemerkte ist nicht haltbarer, so wie
Rec. auch die Lehre über n nicht vertheidigen möchte. Beson-
dere Mühe giebt sich der Verf., ausführliche Regeln über die
Aussprache von i und i zu geben, und dadurch wieder Diph-
thongen in's Hebräische einzuführen. Hier heisst es unter an-
dern S. 35: ,0 sei am Ende des Wortes Consonant nach •», auch
dann wann das i ausbleibe, wie i^iat, i''Sty (gewöhnlich iSty),
schalev, ruhig." Aber woran kann der Lernende erkennen,
dass '»eigentlich stehen sollte, wenn es ausbleibt*? woran mer-
ken, ob lim der Plural Tinn oder der Singular ii^T sei"? Eben
so dunkel ist die dritte Bestimmung : „wenn es nur als gleicli-
gültige Divergenz von a oder f\ vorkommt; z.B. 13, gev oder
g-ay, Rücken." Wie soll ich ferner das N. pr. "t'-ivv vom Verb,
^lyy unterscheiden? wie den Monathsnahmen IT, der doch ge-
wöhnlich defectiv geschrieben wird, von iT und >\^'i Dagegen sei
n) „T Vocal und zwar unrein, wenn das nn als i abbrevirt ist,
Avelches mit dem vorangehenden a einen Diphthong bilde, wie
lN*ip kraau -=1 ".ni^'^p ^ inaoH '^scq)hthmi ='\7\r^ün^ ^y^:^ bsaraii
= iiT^c/:]." Aber in Aew wenigsten Fällen geht ja wirklich ein
a vorher, wie gerade in -,*iti?3. Mit welchem Rechte könnte
man das Futurum iSüp*' \\kilau lesen, da das Futurum nicht den
Bindevocal «, sondern e hat; und nach S. 112 ^in bausch, hin-
gegen Tü3 öosch? Und wie Hessen sich wieder die Suffixa von
den gleichgeschriebenen Afformativen unterscheiden'? Nach S.
36 muss 1 in der Mitte eines Wortes , und zwar des Verbum,
seine bestimmte Ausspraclie haben, z.B. viin in Hiphil hauda^er
liess wissen (wolier hier der ^/-laut'?), in Hophal liu^iida. Aber
könnte nicht drittens dieselbe Form auch noch Niphal sein,
und dann hivvada gelesen werden raüsseji '? Aehnlich sind die
2
*
20 Hebräische Sprach kundc.
Bestimmungen über ••. Diess soll nach S. 37 als i mit vorlauteu-
dem a gesprochen werden, und mit diesem bei Statt findender
Contraction einen Diphthong bilden: 1) „im Dual (in d. Wortver-
bindung) wie nN^ -'S:!-! raglai isch^ die Füsse eines Mannes, und
vermuthlich so im Plural', 2) in der Wortverbindung der Wör-
ter wie n-'j* n-'n, das Haus eines Mannes; 3) in den Verbis ''s,
wie •'p-'Jrn hainiki^ säuge, NS^n hahe^ Genes. 8, 17 u. s.w."
Aber so verlöre der Status constr. (denn diesen versteht der
Verf. unter Wortverbindung) seine unterscheidende Verkürzung,
die doch auf einer sehr natürlichen und in vielen Sprachen vor-
kommenden Zusammenziehung von cd in e beruht. Woher
kommt aber auch hier wieder der -^-laut in •»p"':-',!? Warum
zieht der Verf. gegen seine sonstige Gewohnheit Genes. 8, IV
das Keri njj'ti (haize) dem Chetliibh n:5ti (Jiavze) vor? Wahr-
scheinlich nur, damit er den geliebten Diphthong «verhalte.
Doch ist auch hierin der Verf. keineswegs überall mit sich ei-
nig. Denn schon S. 40 unten müI er den Plural wie nS "'tüp
gern unentschieden lassen, und S.54 lies't er Snrn •»'nn harei-
hannachal^ dagegen S. 72 D?''Sy "Idichem^ S. 88 p"'J^^ heiJiik^
p"<j''}< einik ^ p-^a-»» meinik. Welche Ungleichförmigkeit , die
doch wahrlich einem Lehrbuche sehr übel lässt! Eben so ist
der Verf. mit sich selbst im Widerspruche in der Bestimmung
über •', wo es Consonant sei: nähmlich „immer zu Anfang einer
Sylbe, wie n-fD bqjith Haus;" denn schon S. 38 in der Anm.
nimmt er diess halb zurück, und giebt zu, dass bäith^ am aus-
gesprochen w Orden sei ; aber S. 49, 2 nennt er solche Sylben,
wie die letzte in C';n;, nur unecht, und S. 54, IV führt er Sn3
mit Recht unter den einsylbigen Wörtern an.
In der Abhandlung des Verbi nimmt Hr. H. sieben ver-
schiedene Formen an, nähmlich Kal^ Piel (mit dem Pass. Pual\
Poel (das er weiterhin auch Panel nennt, mit dem Pass. Poal),
Hiphü (und Hophal), Hilhpael, HithpoeK^IIithpauel) imd JSiphal^
wie iin Arabischen. Ilec. findet diese Anordnung im Hebr.
nicht zulässig, weil dadurch einander mehrere Formen coordi-
nirt werden, von denen offenbar eine der andern subordinirt
ist, und weil im Hebr. bei'm regelmässigen Verbo nicht ein-
mahl alle vorkommen, nahmentlich Panel und Hithpauel. Der
Verf. zwar umfasst gerade diese Formen mit besonderer Voi'-
liebe, und sucht sie allenthalben anzubringen und unterzuschie-
ben , auch wo sie durchaus nicht hinpassen, ja sogar wo er der
Grammatik offenbar Gewalt anthun muss. So Avill er mehrere
Participia act. Kai zu dieser Form stempeln, als Rieht. 14, 4:
HüsW, wo V. 5 natüi einen richtigen Fingerzeig gab,- rinM>
Genes. 16, 11 und Rieht. 13, 5, wo sich doch das Participium
nach 7\'\ri ^an so gut, ja einzig schickt; ''pianN Hos. 10, 11, wo
Reo. doch fragen muss , in welcher Person der Verf. es genom-
men wissen wolle ; nraliy 11 Sara. 13, 20 (S. 95 oben) , wo der
Hanno: Die Hebräische Sprache. 21
Begriff des Participü, von der dauernden Ilandlunff, ganz an-
gemessen ist. Vollends aber begreift Rec. den Verf. nicht,
wenn er diesen §12 S. S7 jnit dem Ausrufe schliesst: „Und wa-
rum soll nicht auch rJii-n Jesaj. 3o, 1 (niclit 23, 1) und 'pn-»
niob 19, 23Fut. III Ü.2 (d.i. Fut. Paual 2pers., was aber
nur fiir die erste Stelle passt) sein können! — Ist es nicht
besser in der Form zu bleiben, als aus grammatischer Analogie-
Macherci eine (Hopb.) dafür zu creiren?" Rec. muss den Verf.
bitten, die genannten Formen etwas näher anzusehen, und dann
sich zu fragen, auf Aven der ausgesprochene Vorwurf zuri'ick-
falle. So viel er einzusehen vermag, so müsste es in der Form
Paual ganz anders heissen, nähmlich Tiitr/n und ^p\:^p^'', oder in
Pausa ipi^rr».
Ueberhaupt wird der Vf. vielleicht schon jetzt durch wei-
tere griindliche und unbefangene F'orschung zur Einsicht ge-
kommen sein , dass er in seiner Neuerungssucht oft zu weit ge-
gangen ist, und Dinge bezweifelt hat, die fiir ausgemacht an-
gesehen werden können. Nur um seine Unabhängigkeit von
fremden Autoritäten zu zeigen, hat er sich oft zu einem ganz
unkritischen, au s Unbesonnene grenzenden Verfahren hinreissen
lassen. — So findet er es S. 60, 1 ^^ ivahr scheinlich ^ dass
^iSni niclit nach der Punctation watteladnah^ sondern watte-
ladti (oder allenfalls wntteldon) ausgesproclien worden sei , be-
sonders da diese Verkürzung nur im verkürzten Fut. (Fut.
apoc), wie p^"»"!, "'nn , vorkomme." Aber die erste Form, die
der Vf. gerade vorzieht, ist eine Unform, die nicht einmahl
ordentlich ausgesprochen werden kann; fürs zweite, wie soll-
ten die Formen I^iPi, Tv'.^'^l, T'":''!"''^! ? ^V?.'!'^! ^- dergl. gele-
sen werden, ohne dass man, nicht bloss die Punctation, son-
dern auch die Consonanten veränderte*? Auch kann Rec. in
diesen ohne n finale geschriebenen Formen kein Fut. apoc. er-
kennen , wenn schon auch andere neuere Grammatiker sie da-
für erklären. — S. (50, 2 vermuthet der Vf., „das 3 in IDO
habe sowohl seiner Natur nach, indem es ''2t< und ^jm ausdrük-
ken könne, als auch nach Beispielen, wie Genes. 1, 2(i; 11,
7", 29, 7; Deuteron. 18, 21, anfänglich auch die erste Person
im Singular bezeichnet." Die allgemeine Analogie ist richtig,
aber die beigebrachten Beispiele sind so unhaltbar als etwas
sein kann. Die Erklärung des Plurals in den beiden ersten
Stellen ist schon längst befriedigend gegeben worden; auch
hätte der Vf. Genes. 1, 26 die Suffixa in ^3ttS^3 und ^an^Jo-jD
ebenfalls berücksichtigen sollen. — Gen. 29, 27 kann nJnj ,
wenn man es nicht als Plural des Fut. Kai nehmen will, sehr
leicht als Praet. Niph. gefasst werden. Endlich Deuteron. 18,
21 ist der Plural l?"i3 n3*'X in der Ordnung, da das Volk redend
eingeführt wird. Einen ganz abentheuerlichen Gedanken äu-
ssert Ilr.H. S. Gl, 4, dass der Praeformativ n in 3 Fem. Fut. aus
22 Hebräische Sprach künde.
PMt abgekürzt sein könne. Welche unerhörte Art zu verkürzen
wärediess! Aehnliclien Gehaltes ist die Etymologie S. (52, 6, «),
dass das Pron. ^^^^ an sich wohl nichts anderes sei als das Ver-
buin no, und die Bemerkung über die Endung n— am Ende
der Wörter. Diese sei nähmlich nicht eigentlich Femininalbil-
dung, sondern nur genauere Bestimmung (also wohl der Arti-
kel'?), oft Absonderung vom Allgemeinen, und so eine Bildungs-
sylbe vieler Hauptwörter: z. B. n-j^f der Zustand eines *^s, Be-
engten, die Enge, n^n^ das Wesen eines Liebenden, Liebe
u. s. w. Aber die Abstracta sind doch wohl allgemeiner als
die Concreta, nicht umgekehrt; und die Sprache bedurfte der
concreten Feminina eher als der Abstracta. Eigentliche Ab-
stracta sind wohl in allen Sprachen eine spätere Bildung , da
sie schon eine selbständigere Reife des Verstandes voraussez-
zen, und darum giebt es auch unter ihnen wenige Stammwör-
ter, sondern sie haben meistens besondere Ableitungssylben.
Weil aber das weibliche Geschlecht , als das schwächere, un-
selbständigere, eine auffallende Analogie mit dem sächlichen,
und das sächliche mit dem Abstracten hat, so ging es ganz na-
türlich zu, dass die Endung der concreten Feminina auch auf
Abstracta übergetragen wurde: wie sich diess leicht in raehrern
Sprachen nachweisen liesse. S. 92 bemüht sich Hr. H., die
Assimilation (nicht Auslassung) des n vor 3 unwahrscheinlich
zu machen, hauptsächlich durch den Grund, weil sie sich nur
auf die Punctatiou gründe , und nimmt dabei zu sehr gesuchten
und gewagten Vermuthungen oder Erklärungen seine Zuflucht.
Eben so S. 93, um die Form Nithpael , die einmahl unzweifel-
haft dasteht, zu beseitigen. Freilich wenn man sich nichts
daraus maclit, drei Stellen, die einander gegenseitig beschützen,
auf eigne Faust hin zu ändern, wie der Verf. beiNithpael thut,
so hält es nicht schwer, eine Lieblingsansicht durchzuführen;
aber die Erklärung, die er von Prov. 27, 15 giebt, muss jeden
besonnenen Kritiker und Exegeten von ähnlichem Verfahren zu-
rückschrecken. Eben so willkührlich geht er S. 100 Anm.*) mit
den Formen um, wo ■' als erster lladical im Fut. Niphal beibe-
halten ist, „weil sich diese Ausnahmen auch wieder nur auf die
Punctation gründen;" aber sind denn wohl diePunctatoren dar-
auf ausgegangen. Unregelmässiges in den Text zu bringen'?
verrathen sie nicht vielmehr oft deutlich das Bestreben, nur zu
Vieles unter Eine Regel zu bringen, und alles davon Abwei-
chende zu entfernen'? Uebrigens irrt der Verf., wenn er be-
hauptet, das Niphal von Sn^ komme ausser Gen. 8, 12 nicht
vor; das Praeter. nSnia findet sich deutlich Ezech. 19, 5, wo
nicht an ein anderes Verbura zu denken ist. Leichtfertig und
unwissenschaftlich sind Aesserungen , wie S. 103 (vgl. S. 114,
d.) : „Das ganze Geheiraniss der imperfecten Classen besteht
darin, dass 3, n, j*,, n, •< einmahl fehlen; und das ist Alles h ;
Hanno : Die Hebräische Sjjrache. 23
S. 105 über SSs^ , Ezech.28, 23, womit vielmehr zu vergleichen
war Ps. 88, 17: •'Jinn^x, in welchem Beispiel der letzte lladi-
cal noch mit dem Flexionsvocal wiederholilt ist; S. 107 über
mi9, S. 108 über u^atpp, Formen, die der Verf. nur ungern
als Quadrilitera will gelten lassen. Auch die Etymologie von
n'^uixn = n'ns niifn, halbeng, d. i. oben e7ig und unten iceit^
will liec. nicht einleuchten, indem er sich nicht vorstellen kann,
dass musikalische Instrumente nach einem so zufälligen Umstän-
de, wie die äussere Form, benannt worden seien *), da viel-
mehr auf das Wesentliche, die Beschattenheit des Tones, Rück-
sicht genommen werden musste. Nicht viel besser ist die
Ewaldische Etymologie S. 242 f. „von "lüfn, sehr dünne,
enge, von der langen, schmalen tuba." Es ist ohne Zweifel
Oaomatopoiie, und ahmt den schmetternden Ton des Instru-
mentes treffend nach. S. 109 hält sich der Verf. darüber auf,
dass man Formen Avie «i^isis gewöhnlich auf einen Stamm "jr oder
VV zurückführe, und sie daher in Wörterbüchern unter ^^ ge-
sucht werden müssen, wo es dann heisse: „nur im Piel "^^a^."
Diess sei eine Art Systemfreigebigkeit, gerade als wenn wir*
unser deutsches Wirrwarr in Wirrer oder Warrer niederlegten.
Aber obgleich die Uebertragung des hebräischen Wovttyptis
auf's Deutsche für den Grammatiker nicht ganz gut lässt, so
widerlegt doch der Verf. gerade durch diese Vergleichung
sich selbst. Denn ganz gewiss würde man nicht sehr irren, wenn
man in einem etymologischen Wörterbuche der deutschen Spra-
che das Wort Wirrwarr unter dem Stamme toirren aufführte,
gerade wie Singsang unter singen, Klingklang unter klingen,
Zickzack unter zicken oder zacken. Vgl. tintinno mit seinen
Ableitungen iintinnabulmn ^ tintinnacidus von tinnio. Nach S.
114 in d.M. soll „^^3 Andachtsbrot sein, von ^ID, Pi. ^o im spä-
tem Hebr. auf etwas zielen, Andacht haben." Aber wer kann
sich unter Andachtsbrot etwas Vernünftiges denken'? und wie
darf man aus dem erweislich nur spätem Sprachgebrauche ei-
nes Verbi ein Nomen des altem Ilebraismus herleiten*? Rec.
hält die Ableitung von no für die richtige, so dass li^o das Ge-
brannte, Gebratene oder Gebackene bezeichnet, wie Tisfxficc
und TioTtavov von tibtcco, tÜööco, und Kuchen von Rochen ; denn
*) Aus demselben Grunde kann Rec. die g-ewöhnliclie Ableitung
des Griechischen cpOQ^iiyi, nicht billigen, dass es von (psQco , cpögifiog
herkomme, „weil die Cither mit einem Band über die Schulter gehängt
und getragen Avurde." Es fällt auf, wie unwesentlich diess an der
Cither ist. Sollte cpögfity^ nicht \ielmehr von cpQifico = ßQ£/ioi , lat.
fremo, herkommen, und das Rauschen xmd Schwirren der Saiten nach-
ahmen? Die Endung ly^ u. ä. finden sich auch bei andern Instrumen-
ten, z. B. i'vy^, cvQiy^; vgl. auch tUtyl.
24 Hebräische Spra oll k und c.
auch die Erklärung das Zubereitete ist viel zu allgemein. In
der Lehre von den Verbis "üi; und ■>!> herrscht eitel Verwirrung
und Willkühr; wir erinnern den Verf. nur, dass er die Analogie
der Verba vv hier ganz vergessen zu haben scheint, wo vor den
mit einem Consonanten anfangenden Afforraativen doch auch 1
und "i — einge!«choben wird , ohne dass diess irgendwie von ei-
nem radicalen i oder ■» hergeleitet werden konnte; jene Laute
sind und bleiben einfache Hülfs- und Bindelaute, dergleichen
sich auch in andern Sprachen linden , ura die Härte piehrerer
zusammentreffenden Consonanten zu mildern.
Rec. übergeht absichtlich mehreres Aehnliche, um noch
zum Schluss ein Wort i'iber die Sprache des Verf. zu sagen. Sie
ist nicht überall so rein, als man sie in einem Lehrbuche wünsch-
te. So ist gleich im Anfang der Vorrede von einer ,,7iächstens
zu erscheinenden'-'' Grammatik die Rede; S. 66, 5 „mit mehren-
theils nachziehender Verdoppelung des folgenden Buchstaben.''
Hr. H. scheint sich in einer selbstgeschaffenen, aber die Klar-
heit nicht befördernden Terminologie zu gefallen, wovon schon
beiläufig das eine und andere Beispiel vorgekommen ist. Das
Dagesch forte nennt er S. 22 u. a. Starkpiwct ; S. 21 spricht er
vom rechtsbepiincteten und linksbepunctetefi d." S. 86 : „Der
Himmel möge aber wissen , wie oft mancher Punct -freigebi-
ger Abschreiber uns durch sein Bepuncten des v diese
Form weggepunctet hat.'' Ungewöhnliche, beinahe halsbre-
chende Zusammensetzungen sind dem Verf. sehr lieb, als S. 33
oben: „für Buchstabenzahl- und Derivationsgleiche Wörter."
S.40: „einen a- haften Kehlhauch." S. 72 heisst 3 der „//«- U7id
An-Bzichstabe.'"'- Zuw eilen streift sein Ausdruck an's Unedle, wie
S.lOSAnm.*): „Daher entsteht auch bei'm Anfänger ^Wq Schwu-
lität beim Beschauen der Tabellen, die aus den Augen wie eine
Rauchtvolke in die Seele zieht." Der Druck des Buches ist
äusserst incorrect , wenn er schon nicht übel in's Auge fällt;
unzählige Citate sind falsch in der Angabe der Bücher oder
Zahlen; aber selbst im deutschen Texte finden sich die auffal-
lendsten und störendsten Fehler, die in den Verbesserungen
und Zusätzen nur zum kleinsten Thcile angegeben sind. Wann
werden doch so viele unserer Schriftsteller und Verleger an-
fangen , ihre Ehre zuerst in Correctheit ihrer beiderseitigen
Producte zu setzen, und zur Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit
früherer Zeiten zurückkehren 7 Es heisst doch den Lesern wahr-
lich viel zugemuthet , wenn sie alle sich bemühen sollen, die
Nachlässigkeit eines Einzigen oder Zweier auf eigne Kosten
gut zu machen! Darum kann auch Rec. sich nicht berufen füh-
len und kein Verdienst darin finden, alle Druckfehler liier nah-
raentlich aufzuzählen; dem Verlangenden stehen sie jedoch zu
Diensten.-
Aller ausgesprochenen Einwendungen und Rügen ungeach-
Böttcher: Hebräische Paradigmen. 25
tet wimscht Rec. aufrichtig, dass Hr. Hanno auch die zweite
Abtheilung seines Lehrbuches ausarbeiten, aber dabei die Klip-
pen alle sorgfältig vermeiden möge, die ihm bisher gefährlich
geworden sind. Sollte sich das liuch auch nicht zur Einfüh-
rung in Schulen eignen, so wird es doch bei denkendeii Sprach-
forschern manches fruchtbare Samenkorn ausstreuen.
In Hrn. liöttcher, dem \ erf. der Paradigmen unter Nr.
4, erkennt man den erfahrenen und geübten Lehrer des He-
bräischen, und einen sorgfältigen Beobachter der grammati-
schen Formen. Die Einrichtung der Tabellen, welche der Verf. in
einer bald naclifolgenden Schulgramniatik und in einer besondern
Abhandlung über hebr. Schulunterricht u. dessen Hülfsmittel zu
rechtfertigen verheisst (Vorerinnerung, datirt vom Sept. 1825), ist
folgende. Taf. I und H auf Einer Quartseite enthalten die Con-
sonanten und Puncte, sowohl Vocalpuncte als Lesezeichen imd
Accente; die folgenden zusammen enthalten die Formenlehre
oder Wort formen^ mit den zwei Abtheiluuffen j4) der Wort-
beuguiig ("Taf. lU — XXllI), B) Aqv Vi oxibüdung (Taf. XXIV
und XXV.). A hat drei Abschnitte, JVo;/M/««/formen , Prono-
jninaliormen und Ferboliormen ; B hat deren zwei , Nomina
verbalia und Numeralid^ (welche letzte Zusammenstellung aber
Rec. nicht richtig finden kann, da den Nominibus verbalibus
vielmehr die Primitiva und Denouiinativa entsprechen müssten;
freilich werden auch die Numeralia grössten Theils als Primi-
tiva zu betrachten sein, aber sie sind doch nicht die einzigen).
Von den Norainalforraen nun giebt Taf. III die Cosz^sbezeich-
nung, d. h. die Praefixa vor gewöhnlichen Nominibus und vor
den besondern Formen ; Taf. IV in zwei einander gegenüber-
stehenden Quartseiten die Declination der Mosmdmiormen^
Taf. V auf Einer Seite die der Feminina; Taf. VI in demsel-
ben Umfange die Nom. anomala (Ileteroclita und Metaplasmi).
Die Pronomiiialformen füllen fünf Tabellen, nähmlich Taf. VII
in 2 Seiten Pronomina peisonulia (separata und suffixa), demon-
strativum^ relativ.^ und interrogativum; Taf. VIII und IX, 1
und 2 die Siifßxa verbi und Hominis , Taf. X die Partikeln mit
Suffixis, Taf. XI die C'ffsz^sbezeichnung am Pronom. personale;
die beiden letzten auf Einer Seite. Taf. XII — XXIII umfas-
sen die Verbalformen, und zwar Taf. XII und XIII auf Einer
Seite die Stanuntafel des gemeinen Verbi und die Personal-
flesion des Kai; Taf. XIV die ^a.nze Flexion des gemeinen Verbi,
Taf. XV die Verbalformen vor Suffixis ; Taf. XVI (zwei Seiten)
die drei yeiT)a gutturalia; Taf. XVII die Verba -(h, Taf. XVIII,
1 Verb. NS, 2 Verb, ^s (beide Taf. an einander hängend,); Taf.
XIX Verb. i?r, Taf. XX, 1 und 2 Verba <v und ^'v\ Taf. XXI,
1 und 2 Verb. i<h und riS; Taf. XXII, 1 (bei welcher so wie
bei Taf. XXIV das störend ist, dass , während man bei den
andern gewöhnt worden ist, von der Linken zur Rechten zu
26 Hebräische Sp raclikunde,
lesen, man hier mit Einem Mahl von der Rechten anfang'en
rauss) in zwei Seiten vergleichende Uebersicht der Ferbalformen ;
Taf. XXII, 2 Formen der besondern Verba vor Suffuvis ; Tat".
XXIII Verba anomcda. Die Wortforraen der Wortbildung enthält
Eine Tabelle in zwei Seiten, aber nur ^om.rerbalia, Taf. XXIV;
denn die Numeralia (Taf. XXV) gehören, wie schon bemerkt^
im Grunde nicht nnter diese Rubrik. Die Zusammenstellung ist
corapendiös, der Druck splendid und grösstentheils sehr cor-
rect; einige Druckfehler werden nocli in den Nacliträgen und
Berichtigungen angegeben. Die Terminologie und Anordnung
enthält einiges Neue und Eigenthüniliche ; doch gesteht Rec,
dass er darin eben nicht viel wesentliche Verbesserungen hat
wahrnehmen können. Unstreitig sind diese Tabellen sehr
brauchbar; aber so weit man wenigstens jetzt, vor Erscheinung
der versprochenen Rechtfertigung, urtheilen kann , so scheint
doch ihre Bekanntmachung kein eigentliches Bediirfniss gewe-
sen zu sein, da das Meiste von dem hier Gegebenen sich auch
in G e s e n i u s Grammatik, wenn schon in verschiedener Folge,
eben so findet. Wenn denn aber einmahl so ausführliche Pa-
radigmen gegeben werden sollten, und da der Verf. neben den
regelmässigen Formen zuweilen auch raindergewÖhnliche aus-
gesetzt hat, wie bei den Verbis vi? das s. g. chaldaisirende Fu-
turum, so wäre es angemessen gewesen, hierin noch etwas wei-
ter zu gehen, und z. B. bei den Verbis "(h neben der Bildungs-
weise ns^jr^ippi, niö-p^n u. s. w., auch die andere nsr'pn, Pjppn
auszusetzen, da diese doch ziemlich oft vorkommt, und dem
Anfänger immer einige Schwierigkeiten verursacht. Von der
vergleichenden Uebersicht der Verbalfomen Taf. XXII sieht
Rec. keinen rechten Nutzen; der Schiller, der die einzelnen
Verba dem Gedächtnisse gut eingeprägt hat, wird ihrer, denke
ich, nicht bediirfen, den andern werden sie auch dadurch nicht
beigebracht werden. Ein Missverhältniss aber scheint es, dass
in dieser vergleichenden Uebersicht, die doch nur die Ilaupt-
formen enthalten soll, wieder alle Futura apoc. angegeben sind,
ja zum Theil noch vollständiger als in den in's Einzelne gehen-
den Hauptparadigmen, wo sie einzig hingehörten. Bei den Ano-
raalis (Taf. XXIll) scheint die tabellarische Form am w enig-
sten zweckmässig gewählt ; denn gerade das Anomalische lässt
sich nicht leicht in Tabellen bringen; auch ist es, als ob hier
viele der schwierigem und sclnvierigsten Formen absichtlich
weggelassen waren.
Für eine der niitzlichsten und verdienstliclisten Tabellen
muss gewiss XXII, 2, enthaltend die besondern Verba vorSuf-
fixis, erklärt werden ; denn hieriiber sind die Grammatiken ins-
gemein zu dürftig, und hier bedurfte es am meisten eigene Be-
obachtung. Das Gegebene ist im Ganzen richtig, wenn schon
mehrere der hier vorkommenden Verbindungen ihrer Härte we-
Böttcher: Hebräische Paradigmen. 27
gen kawra je von den Hebräern selbst gebraucht worden sind.
Bei Einer Form jedoch scheint sich der Vf. zu irren, wenn er
nähmlich von den Verbis "»ä das Futur, mit Suff, •'aj:;*''» , '•J'ipJ'j"«
an2;iebt, mit Schwa unter dem zweiten Kadical, während es
vorher richtig lieisst ■'qrSq"', "•J^'v^.'; "• s. w. Denn nicht
nur die Verba med. und tert. giittur. , sondern alle Verba Fut.
^behalten vor Suffixis den ^i- laut bei; also sollte es heisseu:
•'jpa*'''^, "ü^p^"'";, wie Ilohesl. 1, 2 "'Jp'^'^. ; 8, 1 ^P">yN.; 1 Sam.
lO/l inp^y-'v, Jesaj. 34, 17 vj^^"^')''. u. s. w. Bei diesem Aulass
]<annRec. seinen Zweifel an den Richtigkeit auch einer andern
Form des regulären Verbi mit Suffi.vis nicht zurückhalten, wie-
wohl darin Hr. Böttcher, soviel llec. bekannt ist, alle bishe-
rigen Grammatiker auf seiner Seite hat. Es betrifft nähmlich die
Form ^^nV^p, d. i. 3 pers. sing. fem. praeter, mit dem Suff. 2 p.
raasc. Diese Form scheint Rec. der Analogie zu widerstreiten.
Denn überall erscheint sonst das Suffixum ^ als ein leichtes
und doch betontes, nicht nur an Nominibus, wie ^T^^^, ^jn^rTS,
sondern auch an Verbis , als ^^Kp, !;^\ii'i'(i , ^.inji>f, Genes. 15,
4, Hohesl. 8, 2. Warum sollte es nun in dieser einzigen Verbin-
dung den vorhergehenden Vocal Kamez in Pathach verkiirzen?
Es kommt aber auch wirklich Hohesl. 8, 5 so punctirt ^nSan
vor, und damit übereinstimmend Hiob 22, 21 das Futur, mit
dem n parag. irjriMisn; aber dagegen findet sich auf der andern
Seite Jerera. 22, 26 ^OlV* Andere Beispiele dieser Zusam-
mensetzung kennt Rec. keine; denn Hiob 42, 5 ^hni und Ho-
hesl. 8, 5 ''in'^'jl können wegen der Pausa nicht in Betrach-
tung kommen. Da nun Ein Beispiel gegen Eines steht, die eine
Schreibart aber nothwendig unrichtig sein muss, so ist es doch
wohl vernünftiger diejenige vorzuziehen , welche der Analogie
durchaus gemäss ist, als die ihr widerstreitende. Ewald Gr.
5. 489 Note 6 meint zwar, ^nS^n stehe a. a. O. nur des Gleich-
klanges wegen (vermuthlich mit S^rinS''); aber dagegen ist zu
erinnern, 1) dass =?in^3n nicht araEude des Satzes ist, und also
nicht wohl einen Gleichklang mit ^^IHtV bilden kann; 2) dass
^inVan vorausgeht, und ^^~!h\ nachfolgt, und dass sich also
wohl eher das letztere nach dem erstem gerichtet haben würde,
als umgekehrt.
In der Taf. XXIV, Nomina verbalia, könnte auch 3Iehreres
Zweifel erregen , z. B. dass nn^» als Infinitivform eines Verbi
med. gutt. , n-'nvjö aber als Partie. Hiphil des gemeinen Verbi
aufgeführt wird. Beide Formen scheinen doch nicht wesent-
lich verschieden, sondern nntün nur eine Nebenform von nTiiyn
zusein; auf keinen Fall ist dieÄbweichung von r^ndv eine Folge
des Gutturals. Eben so möchte Rec. nmv auch nicht vermu-
thungsweise unter den lufinitivformen anführen, da es deutlich
Partie. Hiphil ist, welches in dieser wie in mancher andern
Form ein Werkzeug, um die Handlung des Verbi zu verrich-
28' Deutsche Leseljücher,
richten, bezeichnet: also nns^ ein OefFner, wie ya?? der Ilara-
mer, und im Deutscliea Bohier, Drücker u, dgl. Warum auch
hier, wie bei Reylier, den einen Wörtern die deutsche Ue-
bersetzung beigefügt ist, den andern nicht, sehe ich nicht ein;
es sollte bei allen, die nicht schon vorgekommen sind , gesche-
hen sein.
Noch könnte Rec. eine kleine Nachlese von Formen liefern,
die in den Paradigmen der Nomina, Pronomina und Verba feh-
len; doch hat das Meiste davon sclion der Rec. im Päd. philol.
Litb!. 1826 No. 38 beizubringen die Mühe genommen, der, selbst
nicht selbständig, sich natürlich doppelt freuen musste, in Hrn.
Böttcher einem selbständigen Grammatiker zu begegnen.
Johann Ulrich Fast.
Deutsche Lesebücher.
Lesebuch für Mittel- und Ober classen höherer
Bürgerschulen und G ytiinasiefi. \on Br. Theodor
Tetzncr , Director dei- Stadtschulen zu Langensalza. Auch unter
dem Titel: Aus geiü ählle prosaische und poeti-
sche Lesest ücke, in zweckniässige Stufenfolge geordnet
etc. Langensalza, hei F. W. KnolI'(in Commission hei Landgraf,
in Nordhausen). 1827. VIII u. 312 S. 8. 7-^ Gr.
xVn den Hrn. Verf. erging „der Auftrag seiner Vorgesetzten, fiir
dieOberclassen der dortigen Schulen ein Lesebuch anzufertigen,
welches auf das schon eingeführte"- (Rec. nicht weiter bekannte
Lesebuch für Bürgerschulen. Magdeburg , b. Rubach. 1S23.)
„weiter fortbauen, dabei aber dennoch für sich ein Ganzes aus-
machen sollte" (richtiger: welches — fortbaue ., dabei aber —
ausmache ; denn das sollte liegt schon im Auftrage). Erwünscht
war ihm dieser Auftrag, weil es ihm an einem solchen, sowohl
den formellen und materiellen Forderungeu entsprechenden als
auch wohlfeilen Lesebuche noch zu fehlen schien. Aber eben
dieser gefühlte Mangel trotz der Menge der zu diesem Zwecke
geschriebenen Bücher hätte ihn zum Forschen nach der Ursache
dieser Erscheinung auffordern sollen, und wahrscheinlich würde
er dann eine wesentliche Ursache davon darin gefunden haben,
dass die Verfasser entweder den Kreis, für den sie sclirei-
ben wollten, nach den vorauszusetzenden Kenntnissen, Fertig-
keiten etc., nicht scharf genug begrenzten und nicht immer klar
Tetzncr: Lesebach für Bürgerschulen und Gj-mnasicn. 21)
Tor Augen hatten, oder ihre Schriften für einen mehrjährigen
Gebrauch verscJiiedcner SchnlahtJieilungcn, überhaupt für Kin-
der verschiedenen Alters, verschiedener Kenntnisse und Fertig-
keiten bestimmten. Dieses hat aber auch Hr. Tetzner nicht er-
wogen, und also auch jene Klippe nicht vernüeden: denn in
seiner Sammlung findet sich (nach gleichem Verhältnisse)
Leichtes und Schweres (liinsichtlicli des Verständnisses),
dem zelin- bis zwölfjährigen Knaben und dem sechzehnjährigen
Jünglinge Angemessenes. Es kann aber der Hr. Verf. gegen
diesen Tadel sich nicht damit rechtfertigen, dass seine Schrift
eben zu einem mehrjährigen Gebrauche in verschiedenen Schü-
lerabtheihmgen bestimmt sey. Denn dann müsste er wollen,
dass man in einem halben Jalire nur 50 bis 100 Seiten lesen und
immer wieder bis zu Ende dieses halben Jahres wiederholen
lasse; daimGegentheile das ganze Buch bei zwei bis vier wöchent-
lichen Lesestanden in einem halben Jahre sehr gut durchgele-
sen werden kann, ohne darum aucJi nur im Geringsten eilen zu
müssen. Durch ein öfteres unmittelbar auf einander erfolgtes
Lesen solcher JjO bis 100 Seiten aber würde der Schüler das
Gelesene halb auswendig lernen, und so der eigentliche Zweck
des Leseunterrichtes grossen Theils vereitelt werden. Aber wenn
es auch dem Hrn. Verf. wünschlich und uns räthlich schien, für
bestimmte Schüler in einer bestimmten Zeit nur einzele Tlieile
des Buches lesen zu lassen; so wird er doch wohl nicht
verlangen, dass man die einzelen Fabeln, Erzählungen etc., die
der Fähigkeit der Schüler gerade angemessen sind, hier und
dort aufsuchen solle. Dieses aber müsste beim Gebrauche des
vorliegenden Buches geschehen. Denn obgleich es auf dem
zweiten Titel heisst, dass die „Lesestücke in zweckniässige Stu-
fenfolge geordnet" (ein logisch -kölnischer Ausdruck!) seven*
so belehrt uns doch das Buch selbst eines Andern, wenn auch
nicht Bessern. — Beides, dass dem Hrn. Verf. kein genau be-
stimmter und gehörig begrenzter Kreis , für den er schreiben
wollte, vorgeschwebt habe und die Folge der einzelen Stücke
oft nichts weniger als stufenmässig sey , wollen wir nun zuvör-
derst zeigen, indem wir den Inhalt des Buches etwas genauer
angeben und damit zugleich einige allgemeine Bemerkungen ver-
binden. Hierbei versteht es sich aber von selb.it, dass wenn
vom Stufenmässigen, vom Leichtern oder Schwerern die Rede
ist, mehr dasVerständniss des zu Lesenden, als das Lesen, des-
sen mechanische Fertigkeit hier schon vorausgesetzt wird in
Betracht kommt.
Schon der Titel des Buches: firr Mittel- und Oberclassen
höherer Bürgerschulen und Gymnasien zeigt das Unbestimmte
des dem Hrn. Verfasser vorireschwebten Zieles. Nach dem ei-
gentlichen Sinne der Worte wäre also das Buch niciit für Gym-
nasien überhaupt, sondern, wie bei den höhereu ßürgerschu-
30 Deutsche Lesebücher.
len, nur für ihre Mittel- und Oberclassen bestimmt. Das aber
wollte der Hr.Yf. nicht sagen, und hätte schreiben sollen : imd auch
für Gyynnasien^ wie es auch im Vorworte heisst: als auch selbst
für Gymnasien. Durch das auch wäre dann zugleich angedeu-
tet worden, dass er wenigstens die Oberclassen der Gymnasien
nicht berücksichtigt habe. Aber selbst nach dieser Zweckbe-
stimmung würde die Aufgabe immer noch zu verschiedenartig
seyn , als dass man eine glückliche Lösung derselben erwarten
könnte. Denn wir behaupten, dass nicht sowohl die Form, als
besonders das Material ein anderes für Gymnasien, ein anderes
für Bürgerschulen seyn könne und müsse. Jetzt mag es diesem
Doppelzwecke, den der Hr. Verf. sich gesetzt, zugeschrieben
werden, dass seine Sammlung im Ganzen ihres Zweckes ver-
fehlt , imd für Niemanden recht passen will. Im Ganzen (denn
einzele Stücke sind allerdings sehr leicht) eignet sie sich am
wenigsten für jüngere Kinder , auch nicht einmal für höhere
Bürgerschulen, weil zum rechten Verstehen vieler Stücke geüb-
ter Verstand und mannigfaltige Kenntnisse (besonders mytho-
logische, geographische und geschichtliche) erfordert werden.
Auf der andern Seite aber dürfte sie für diejenigen, die diesen
Erfordernissen entsprechen , auch nicht in Allem angemessen
seyn, weil Manches darin nur für den eigentlichen Kinderver-
stand etc. passt. Am meisten möchte sie nocli für un-
tere und mittlere Classen gelehrter Schulen sich eignen. Denn
bei einzelen Lesestücken wird, wenn auch nur geringe, Kennt-
niss der lateinischen (wie in Redensarten: unter dem langen
Gratias — und : ergo zeigt die Logik mir.^ und französischen
Sprache (z. B. S, 206 in der Meise 7iach Aalbe.) vorausgesetzt.
Auch spielen in dem Buche die heidnischen Götter, Göt-
tinnen, Halbgötter etc. eine grosse Rolle, und nichts Selte-
nes sind Ausdrücke, wie folgende: harmonisch ., das friedliche
Asyl^i Sirius^ Athemzephyr ., ein Zodiakallicht^ Elysimn.^ mai'^
lialisch.^ ein Lied der Mäoniden. S. 148 wird sogar der Inge-
nieur Gianibelli der Archimed Antwerpen's genannt. Zu einigen
wenigenWörtern (z. B. S. 38 zu Schißspapiere, S. 150 zu Schuyten)
hat zwar Hr. T. erklärende Bemerkungen gegeben , aber bei
vielen andern sucht man diese vergebens. SoS. 149 bei Playten^
S. 182 bei Lotosblätter , S.183 bei Melodramen u. öfter.
Unser ausgesprochenes Urtheil wird sich nun auch durch
eine genauere Angabe des Lihalts bewähren. Die Sammlung
enthält einen prosaischen (S. 1 — 176) und einen poetischen Theil
(S.177 — 312). Erstercr beginnt A) mit Erzählungen und Fa^
beln (S.3 — 103). Diese Abtheilung dürfte im Ganzen für Kin-
der von 9 bis 14 Jahren geeignet seyn. Aber auch sie ist im
Einzelen höchst ungleich gehalten. So kommen in der im Gan-
zen recht eigentlich für Kinder geeigneten Fabel des Adlers
Ministerwahl Ausdrücke vor, wie zierliche Floskeln. In der
Tetzner: Lesebuch für Bürgerschulen und Gymnasien. 31
Erzälilung der Pudelmüiue sechs und zwa7izigsier Geburtstag
heisstes: dass ich als Uofor^qimt installirt wurde. Dage-
gen scliliesst sie: Amen., rief die ganze Gesellschaft. Vivat
die Pudelmütze! Jlle Mützen in der ganzen JFelt sollen leben!
etc. Gleich darauf folgt nun aber eine Erzählung, welclie die
hochtrabende Ueberschrilt führt: Erster Schattenpnnkt aus
meinem Leben — und doch recht possirlich anfängt: Guter,
ehrlicher Lorenz., Du bist schon lange dahin! Lange schon
i'uht Dein Bügeleisen und Deine kunstfertige Nadel ! etc. Hier
werden auch prachtvolle Mausoläen erwähnt, und der Erzähler
spricht : Hier tvohnte ich einst , als ich zu den Füssen meines
Gatnaliel., des trefflichen Bauer sass. Wird ein gewöhnliches
zwölfjähriges Kind diese Bedeutung des Namens Gamaliel ken-
nen'? Und umgekehrt! wird ein Kind, das sie kennt, an dem
Kindischen der Erzählung Gefallen finden*? — Eben so liest
man in derselben Satansengel — langes Gratias. — Nein., rief ich.,
das (nämlich dass er in Gesellschalt seinen Stiefelabsatz verlo-
ren) ist das Traurigste., was mir begegnen konnte ! Wäre mir
Vater und Mutter gestorben., iväre ich unschuldig in Ketten und
Bande?i gelegt., mit welchem tr agischenE ffe cte könnte ich
nicht nach Dolch zrnd Pistolen greifen; aber nun'} o Him,mel!
auch wenn ich noch so anständig der sch7iöde?i Welt Valet sag-
te., würde man nicht dennoch über den Absatz lachen? O,
wahrhaftig., niemals wurde es ?nir anschaidicher., dass der höch-
ste Punkt des Tragischen der ist., wo man lächerlich tvird etc.
(S.l 00.)— 2CÄ selbst aber (steckte mich) ins Bette., das bald in sei7ien
seligen Wellen den Gram und Kummer dieses Tages be-
grub. Passt so Etwas fiir Bürgerschulen'? Auch die Erzäh-
lung der Krieg fordert mehr Kenntnisse und gereiftem Ver-
stand, als viele andere. Dasselbe gilt von Manchem in der Er-
zählung — Der General Mastron. Ebenso findet sich in der
Erzählung der Gefangene manches ein reiferes Alter und
mancherlei (namentlich geographische) Kenntnisse Erfordern-
des. z.B. während der ivir bei der grossen Fischer bafik
in ztvei Tagen ein und fünfzig Kabeljaue fingen — französische
Capern — orkadischen Inseln — das Vorgebirge Finis terrae.
Auch in der trefflichen Erzählung S. 67 IF. dürfte Folgendes
über dem Horizonte der Kinder seyn: Der älteste war ein
sinnlich - lebhafter ^ tüchtiger Junge ., dessen vorlaut derbe Spä-
sse und getneine HerzeTisergiessungen ankündigten., die Welt
der Geister habe sich von ihm ebe?i nicht viel., desto rnehr
aber die Welt der Äör per zu versprechen. Indem ich diese
Sylben zu einer Charakteristik der Kinder aus ihrem An-
blicke zusammenbuchstabirte etc. Doch wollte ich so fort-
fahren, so würde die Rec. zu einem Buche werden. Darum
sey hier von den Erzählungen so wie von Aew später folgenden
historischen Darstellungen nur noch gerühmt, dass sie im Gan-
32 Deutsche Lesebücher.
zen recht lebendig und veranschaulichend sind, was zum Theil
durch Erwähnung cinzeler, unbedeutend scheinender Neben-
umstände bewirkt wird.
Von S.103 an folgen B) Idyllen und auf S. 111 C) Schil-
derungen und Parabeln. Das erste liier vorkommende Stück,
die Junius- Nacht (von J. P.Fr. Richter), das schon philoso-
phischen Blick erfordert, ist hinsichtüch des Eindringens in
den tiefen Sinn im Verhältnisse zu dem üebrigen zu schwer.
Dagegen ist die JSeujahmyiacht eines U nglilchlichen sehr gut ge-
wählt. Mit S. 124 beginnen D) Historische Darstellungen. Hier
Hesse sich wohl mit Kecht fragen, warum unter Ä) und nicht
in diese Abtheilung die Erzählung Ludwig der eiserne gesetzt
sey? Oder welchen Unterschied Hr. T. zwischen den geschicht-
lichen Erzählungen (wenn man anders so sagen darf), d. h. Er-
zählungen, deren Grund factisch, und den historischen Dar-
stellungen mache'? Sollteer unter den letztern rein- geschicht-
liche., nur in formeller Hinsicht mehr ausgebildete Erzählun-
gen sich denken; so diirfte man wohl zweifeln, dass das unter
dieser Abtheilung vorkommende Stiick die Horatier und Curia-
iier diese Steile in Wahrheit verdiene. — Unter E) folgen
von S. 159 an Reden. Hier setzt z. B. die Rede über die Ge-
schichte von Johannes von Miiller gereiften Verstand und viel-
fache Kenntnisse voraus, und vieles daraus passt nicht einmal
für Gymnacialclassen (für welche doch die meisten übrigen Stük-
ke passen), geschweige denn für Bürgerschulen.
S. 172 ff. steht ein Bruchstück aus Dräseke's Rede, Im
Sturme — Hoffnung ! Da hätte nun, um dieses gleich hier zu
erwähnen, Hr. T. nicht vergessen sollen, diesem aus dem Zu-
sammenhange gerissenen Theile eine nähere Bestimmung, Avas
unter Sturm hier verstanden werde, vorauszuschicken. Denn
wie es dasteht erscheint das Stück unbestimmt, schwankend und
in Einzelen zu falscher Deutung geschickt.
S. 177 folgt der poetische Theil ^ der mit Fabeln und poe-
tischen Erzählungen beginnt. Das Meiste von dieser Abthei-
lung A) scheint für dieselben Kinder, für welche die erste
Abtheiiung des prosaischen Theiles, berechnet zu sejn. Da-
rum drängt sich fast unwillkürlich die Frage auf, in welcher
Ordnung, hinsichtlich des prosaischen Theiles des poetischen
erste Abtheilung gelesen werden solle. Da der Schüler, der
den prosaischen Theil, besonders die letztern Stücke gelesen
hat, doch nicht jünger gemacht werden kann, um für den An-
fang des poetisclien Theiles geeignet zu seyn; ein Stück aus
dem prosaischen Theile und dann eins aus dem poetischen zu
lesen, aber zu störend seyn würde: so bleibt fast keine andere-
Wahl, als mit einzelen Abtheilungen beider Theile zu wech-
seln. Aber auch in jenen Fabeln und poetischen Erzählungen
ist Ungleichheit in Hinsicht auf die (grössere oder geringere)
Tetzner: Lesebuch für Bürgerschulen u. Gymnasien. S3
Schwierigkeit des Versteliens nicht zu verkennen. So erfordert
das Verstand niss der Fabel der relikau mehr als andere. Mau
trifft darin auf Nymphe — Hekatomben — Katakomben — Or-
cus — Hydcrzuhn — Faler Zeus — Arotiide. Unter B) ste-
hen Le/j^enden^ Romanzen und Balladen^ und unter C) Märchen^
Parabeln und Allegorien. Von S. 2.">1 folgen nun D) Idyllen
und Heldengedichte ^ und von S. 270 ii') Lieder., Lehrgedichte.,
Oden u. dergl. Das Ganze beschliessen Dramatische Dichtun-
gen (S. 293 — 312).
Bei der Mehrzahl der einzelenSti'icke ist zu Ende der Verf.
genannt (einige prosaische sind von dem Hrn.llerausgb. selbst).
Warum dieses bei d^ix andern nicht geschehen, ist oft nicht
abzusehen.
Wenn unser hisheriges Urtheil mehr das Ganze der Sclirift
betraf, so wollen wir nun den kritischen Blick auf das Einzele
richten und , indem w ir die besonders durch den höhern Lese-
unterricht zu erstrebenden Zwecke ins Auge fassen, sehen, wie
das vorliegende Buch denselben entspreche.
Der Hauptzweck des Leseunterrichts, wenn dieser anders
Leseunterricht seyn soll, ist ohne Zweifel das Lesenlernen;
in unserm Falle aber nicht sowohl das elemeutai'isch -richtige
Lesen, dessen Fertigkeit vielmehr schon vorausgesetzt wird,
als das fliessende, ästhetische, ausdrucksvolle Lesen, das den
Sinn (richtig verstanden: das Grundtliema) des einzelen Satzes
oder der ganzen Rede (Freude, Trauer, Staunen etc.. — Fra-
gen, Ausrufen etc. — Erzählen, Belehren etc.) schon durch
die Art und 3Ioduiation der Stimme ausdrückt. Hierher ge-
hört auch eiji in allen Beziehungen richtiges Lesen des Poeti-
schen.— Wenn nun auch die Erreichung dieses Zweckes gröss-
tenTheils von dem Lehrer abhängt; sq kann und soll doch auch
das Lesebuch durch mannigfaltige Abwechselung der Form
dazu beitragen. Und dieses thut aucli gegenwärtige Schrift mit
vielen ihrer Schwestern. Gut aber (besonders wegen der Bür-
gerschulen , für die nun einmal unser Verf. mit geschrieben
haben will) dürfte es gewesen seyn, wenn einzele Stücke oder
auch ganze Abschnitte mit deutscher Handschrift und mit la-
teinischen Buchstaben wären gedruckt worden.
Richtige Aussprache gehört zu jenem Lesen wesentlich;
ja! sie ist die Grundbedingung desselben. Hire Erlangung
aber wird durch häufiges LesenunechterReimesehr erschwert.
Freilich sind Gedichte etc. mit nur echten Reimen selten; be-
sonders pflegen ä e und ö, i und ü , ei eu und mi jals gleichlau-
ten4 gebi:aucht zu werden. Nichtsdestoweniger muss in
(namentlich Bürger-) Schulen besonders solcher Gegenden, wo
solche Vocalverwechselungen im Leben gewöhnlich sind, das
Lesjsn unechter Reime vermieden werden. Gleichwohl sind sie
in dem poetischen Theile vorliegenden Buches eben nicht seltei},
Jahrb. f, Phil. u.Pädas. Jahrg. m, lief t9. 3
34 Deutsche Lesebücher.
z. B. reich — euch ; Menschenfreuden — beneiden ; kühn — ihn ;
schickt — bückt ; regen — mögen.
Zu jenem Hauptzwecke des Lesenlernens gesellt sich der
Zweck (formeller) geistiger Bildung Viberhaupt. Darum muss
Alles in einem ganz edlen Tone geschrieben und jedes an s Un-
edle auch imr Grenzende, das sonst wohl ohne Tadel gesagt
werden könnte, vermieden seyn. Da (subjective) Religion die
Basis aller Bildung, gleichsam der sie anfachende, belebende
und befruchtende Hauch seyn soll und muss; so rechnen wir auch
hierher Beförderung nicht sowohl der theoretischen Religion,
als vielmehr der Religiosität (der Frömmigkeit). Darum dünkt
es uns besser, nicht einzele von den Glaubens- und Sittenleh-
ren handelnde Abschnitte in solchen Lesebüchern *) vorzubrin-
gen, sondern sie in die Erzählungen etc. zu verweben und Re-
ligion innig erfasst und im Leben bewährt habende Lidividuen
oder auch solche, von denen dasGegentheil gesagt werden muss
(wo dann aber zugleich eine innige Schilderung der traurigen
Folgen, welche die Irreligiosität hatte, an ihrer Stelle ist), dem
Auge der Jugend recht lebendig vorzuführen. Dieses ist auch
in vorliegender Sammlung meist beifallswürdig geschehen, so
wie sie auch obiger Forderung einer edlen Ausdrucksweise in
den meisten Theilen entspricht. Zuweilen aber auch nicht, wo
es dann einen Vibeln Eindruck macht, neben dem Schönen, Gu-
ten und Trefflichen auch Schiefem, ja! fast Frivolem zu begeg-
nen. So findet man hier: diesen armen Teufel (\on einer Ratze
gesagt), — der Teufel soll mich holen und in Stücken reissen,
— ich hatte niemals ein hundsvöttis eher e s Gesicht ge-
sehen., — -ferV, kr ähete der Herr Vetter herab — seht mir doch
das Lumpenpack! Schert euch in's JVirthshaus etc. —
Schert euch zum Henker^ und Anderes. — Die S. ]98f. aufge-
nommene neue Schulmethode (von Heinroth) ist abgesehen von
der ünangemessenheit für Schiller überhaupt, nicht edel ge-
nug. So heisst es hier : Wie Gott die Regenbogen macht, wird
er wohl Keinem auf die Nase binden. — Auch das Hufeisen
(von Göthe) passt für keine Schule. Unter Anderm wird hier
von Jesu gesagt:
„So schlendert er in Geistesruh —
Er sagte zu Sanct Petern drauf:
„Heb' doch einmal das Hufeisen auf."
Sanct Peter war nicht aufgeräumt,
Hatte eben erst geträumt etc."
Von jenem allgemeinen Bildungszwecke ist aber auch die For-
derung bedingt, dass die Leseübungen (namentlich solche, von
*) Von den für arme Kinder bestimmten Lesebüchern , die Alles
in Allem seyn sollen , ist hier natürlich nicht die Rede.
Tetzner: LeseLuch für Bürgerschulen u. Gymnasien. 35
denen hier zuvörderst gesprochen wird) nicht blos dieKenntnisa
der Orthographie (im gewöhnlichen, obgleicli zu engen, Sinne),
sondern auch Gewandtheit im Ausdrucke und Fertigkeit im rich-
tigen Wort- und Satzverbinden befördern. Darum muss das
Lesebuch ganz besonders logisch- und grammatisch richtig im
Style und consequent in der ScJireibart seyn. Dieses kann aber
von vorliegendem Buche nicht durchweg gerühmt werden, un-
geachtet der Hr. Verf. im Vorworte versicliert, dass er ,,grosse
Sorgfalt auf die grammatische Richtigkeit verwandt" habe und,
,,um hierin keine Verwirrung zu stiften , Ileyse's Lehrbüchern
durch und durch gefolgt" sey. Selbst die grossen Buchstaben
sind nicht consequent gebraucht, indem der Verf. von neuem^
aber von Jf eite?n, Nichts (wo es substantivisch steht) aber bis-
w eilen auch ?iichts^ Euch (in der Anrede) und euch^ Sie , Ih-
nen^ aber z"Ä/e etc. schreibt; gewöhnlich auch /?er/ew?^e, Der^
Jeder ^ sobald kein Substantiv bei diesen Wörtern steht. Die
Wörter auf ie sind bald iee bald ie geschrieben, z. B. Kniee
und Knie^ und der Dativ Singul. wird bald mit bald ohne e ge-
bildet, s. z. B. das Wort Hain S. 109 f. Gleiches Schwanken
findet sich im Gebrauch des', indem z.B. Österreich schen^
aber Luthers^ Muhameds gesetzt ist. Die mit trennbaren Prä-
positionen zusammengesetzten Verba sind von diesen bald
getrennt, bald nicht, z. B. hineinkäme^ zurück kam^ hin-
zukomine7i^ hinein g?ickten^ vorbeitrieb, U7nher sandte etc.
Falsch schreibt auch Ilr. T. Miihamedaner statt Muham-
medaner^ da ja das Wort bekanntlich ein arabisches Passivpar-
ticipium ist. Besonders auffallend ist das Schwanken zwischen
dem Conjunctiv des Präs. und des Imperf. in indirecter Rede
bei übrigens ganz gleicher Beziehung. Z. B.: kam dieser selbst
zu ihm und erzählte , er to ür de seit einiger Zeit oft bestohlen
und tvüsste nicht, wie es zuginge^ da sein Geldkasten
unbeschädigt bliebe, und ausser ih?n Niemand in das Zim-
mer komm e. Der einzige, den er in Verdacht haben könnt e^
wäre der Hund — y aber es scheine ihm unglaublich, dass
ein Hund Geld wegnehmen sollte. Hinsichtlich der Interpun-
ction wollen wir nur auf den schwankenden Gebrauch des Komma
aufmerksam machen. Richtig pflegt der Hr. Verf. in den mit
und verbundenen Sätzen, deren zweiter kein eigenes Subjects-
worthat, dasselbe wegzulassen; allein anderswo wird es auch
in eben denselben Sätzen gebraucht, und zwar nicht blos dann,
wo dieses U7id mehr emphatisch steht, sondern auch ohne alle
Emphase. Sätze, von denen jeder sein eigenes Subjectswort
hat, werden, wenn sie durch und verbunden sind, gewöhnlich
durch Komma getrennt; aber auch diess ohne gehörige Conse-
quenz. — Freilich sind das alles nur Kleinigkeiten, aber doch
in einem Schulbuch viel zu wichtig, als dass man sie nicht ver-
mieden wünschen sollte. Auch werden solche kleine Fehler
3*
36 Deutsche Lesebücher,
leicht bedeutender, wie z. B. S. 44: die Insel Malta ist felsig
und hat ursprünglich (?) gar keinen^ zur Erzeugung der
Gartengeirächse dienlichen^ Boden. Hier erscheint der Satz zur
. . . dienlichen durch die beiden Komma als Zwischensatz, was
er doch nicht seyn darf, da er wesentlich zu der Be?nerkma-
hmg gehört, dass dieser Boden ursprünglich gefehlt haben soll.
\on weit grösserer Bedeutung aber, als jene Inconsequen-
zen und Unrichtigkeiten, und strenge Rüge verdienend ist die
Menge des spi'achlich Falsclien, des Unbestimmten, kurz! des
formell Unrichtigen, selbst in den Stücken, die berühmte Män-
ner zu \erfassern haben. Hr. T. musste entweder diese Stücke
weglassen oder das Falsche darin verbessern; und dieses Letz-
tere konnte er mit demselben, ja! mit noch grösserra Rechte,
als er die Schreibart in seiner Schrift conform zu machen suchte.
Allein er selbst scheint das Unrichtige nicht gefühlt zu haben;
wenigstens fehlt es ihm noch , nach dem von seiner Hand im
Buche Befindlichen zu urtheilen , an philosophischer mit der
aposterioristischen verbundener Sprachkenntniss (oder doch we-
nigstens an der Kunst, sie überall anzuwenden) und an Ge-
wandtheit im Ausdrucke. Dieses unser Urtheil wollen wir jetzt
durch einige Beispiele begründen, und zwar so, dass wir erst
auf das, was von Andern herrührt, und dann auf das, was von
Hrn. T. selbst ist, Rücksicht nehmen. — S. 7: der Betrüger
musste sich schämen zind^ selbst (wozu dieses selbst'/) ohne sein
Beil^ nach Hause icandern. — S. T: oder Fuchs^ de?i die List
nie verla'sst , war für seine Haut und sein Leben besorgt; um
aber auch bei einem schlitmnen Spiele sein Bestes zu wagen.
Welch' ein Unsinn! Sein Bestes wollte der Fuchs ja nicht wa-
gen, sondern retten! Ebend.: aus tvelchein er nicht zu entfliehen
im Stande ivar. Logisch richtiger : aus welchem zu entfliehen
er nicht im Stande m ar. — Selbst Diejenigen., welche den Ver~
rath lieben., hassen den Verräther. Das ist ein offenbarer Wi-
derspruch! Wer den Verräther als solchen hasst, muss auch
den \errath hassen. Der Verf. wollte sagen: Selbst diejenigen,
die den aus dem Verrathe ihnen erwachsenen Vortheil wünschen
oder lieben, hassen den Verräther. Ueberhaupt aber passt diese
Anwendung nicht recht auf die Fabel, in der der Löwe nicht
sowohl aus Rechtsgefühl als vielmehr aus List und Raubgier den
Fuchs zerfleischt zu haben scheint. — S. 8: Der Wolf lag in
den letzten Zügen. Da hier weder von den Wölfen überhaupt,
noch von einem schon erwähnten Wolfe, auf den der bestitn-
me7ide (nicht: der bestimmte! wie viele Grammatiker fälsch-
lich sagen) Artikel zurückwiese, die Rede ist, vielmehr mit je-
nen angeführten Worten dieFabel beginnt; so ist das f/erfalsch
und in ein zu verwandeln. S. 36: l7i dem Jahre 1817, in wel-
chem sich der (dieser Artikel ist ganz unnötliig) Schreiber die-
ses dort (in Schnepfenthal) als Lehrer aufhielt., kam auch ein
Tetzncr: Lesebuch für Bürgerschulen u. Gymnasien. 37
ehemaliger Zögling dorthin. Das mich ist falsch, man lua^ es
aul' kam oder auf ehemaliger Zögling beziehen. Denn vorher
ist weder von eines Andern Gekoininenseyn , nocJi von einem
andern Zösflingc gesprochen worden. S. 30 f.: tvo (in Deutsch-
land) sein (des eliemaligen Zöglinjrs) Vater eine bedeutende
Handlung besass., ohne dadurch (riclitiger: darum, deshalb)
das frühere Geschäft in Cadix aufzugeben (richtiger : aufgege-
ben zu haben). S. 38: Die Räuber hatten nändich ein anderes
Dänisches Schiffe eben so wie uns (besser verbindend : eben so
wie das unsrige) erbeutet. — S. -40 : wo unsere Räuber zu
Hause (!) gehörten. — In dem Stücke der eiserne Arm-
leuchter (von Löhr) liest man S. 51: £^in Mein eh., der einmal
tmdankbar in seiner Habsucht geworden ist , obwohl er jetzt^
statt achtzehn Pfentiige des Tages sonst , einen uner messlichen
Reichthum hatte , kennt keine Grenzen etc. Abgesehen von dem
Unbeholfenen dieses Satzes , so steht der Zwischensatz mit
dem Hauptsätze in keinem rechten Zusammenhange; denn im
letztern w ird eine Erfahrung von dem Menschen überhaupt aus-
gesprochen, im erstem dagegen ein bestimmter Fall von dem hier
besprochenen angegeben. — S. 52 : Dass er von seine7i Sinnen nicht
(besser: nichts) wusste. S. 53: Der Rabe fasste sie also etc.
— und rief die Schildkröte., seine Freundinn. Aber die Schild-
kröte kam hervor aus ihrem Teiche etc. Das aber ist hier sehr
unglücklich gewählt , denn die Schildkröte entsprach ja ganz
dem Wunsche des Raben. — S. 57: Du sollst mir tüchtig
aibeiten müssen (.'). Unklar wird S. 109 gesagt: und spann-
te zwischen den zween längern Saiteti an die kürzern fest, —
S. 115 liest man: und die Schlangenzähne der Reue gruben
darin in den Wunden weiter. Was das darin bedeuten solle,
lässt sich nicht einsehen. — S. 11(> befindet sich die Wortver-
bindung: Einem eine Sache beneiden. — S. 125: Ihrer jeder
— von deren Tapfern ist gegen den Wohllaut. — S. 147 sagt
Herder von Jesu : dass er in seiner Nation viel Anhänger fand.,
aber auch von Denen., die das Volk scheinheilig drückten , bald
aus dem Wege geräumt ward., so dass (! ! welch' eine Logik!)
wir die Zeit., in welcher er sich öffentlich zeigte., kaum bestimmt
angeben können. —
Doch wir müssen hier , obsclion wir noch melir Beispiele
der \vi in Bereitschaft haben, des Raumes wegen abbrechen
und wollen nun unser über Hrn. T. oben ausgesprochenes Urtheil
mit Uebergehung des etwas unbeholfenen und tautologischeu
Vorwortes durch zwei der von ihm selbst herrührenden Stücke
begründen. Wir nehmen die Erzählung Landgraf Ludwig der
eiserne (S. 31 — 36). Hier heisst es nun S. 31: Doch Hess er
(der Landgraf) auf der Stelle alle seine Lehnsleute und Vasal-
len zu sich entbieten., mit dem Bedeuten., sie sollten sich
schleunigst auf machen und in ihrer schönsten Rüstung,
38 Deutsche Lesebücher.
jedoch nur mit wenigen Begleitern , mor gen vor dem Schlosse
erscheinen. Wie viele Worte für einen kurzen Gedanken ! —
zu sich entbieten — vor dem Schlosse erscheinen^ sich schleu-
nigst aufmachen — morgen erscheinen (worin das schleu-
nigst schon heäingt Uegt) \ — S.31: Zur bestimmten Zeit fan-
den sich alle ein^ u?id Ludwig stellte sie etc. Das und erscheint
etwas schleppend. Schwerfällig ist auf derselben Seite der
Satz : Ein jeder hatte zwei reisige Knechte beisich^ deren einer
vor ihm den Schild und das Wappen., der andere aber
den Helm und die übrige?i Aleinodieti hinter ihm halten
musste. — S. 32 f. : Niemand durfte Beschwerde führe?i., denn
alle Zugänge zu dem Fürsten umren besetzt von seinen angeb-
lichen Freunden. Diese Wörterversetzung, der Rec. im rheto-
rischen Style nicht abgeneigt ist, dürfte in einer einfachen, ru-
higen Erzähhing nicht zu billigen seyn. — S, 33: So ging es
wohl eine Stunde lang durch Dich und Dünn., bis die Nacht
gänzlich hereingebrochen tmd auch (was war denn noch ausser
dem Wilde verschwunden^) das Wild verschwunden war. Nun
erst dachte der Landgraf an den Rückweg ; doch (.') er suchte
umso?ist nach einem gebahnten Pfade. — S. 31: Was in mei-
nen Kr äft en steht .^ edler Herr., antwortete der Schmied.,
ist Euch zu Diensten; doch werdet Ihr es (was denn?) wohl
besser gewohtit sei?i^ als ich es geben kann. Mit diesen
Worten führte er den edle7i Gast in die niedere Stube., trug
a uf schwarzes Brod tmd Käse und einen Becher gute7i Bieres.
Hr. T. fürchtete wahrscheinlich , dass das auf., wenn er der
gewöhnlichen Wortstellungsweise folge, von seinem Verbo zu
weit getrennt werde. Aber warum schrieb er denn nicht: —
trug schwarzes Brod auf tind Käse etc. *? — Endlich fielen
diesem (dem Landgrafen) die Augen zu und (vor z^wrf sollte nacli
der vonllrn T. gewöhnlich befolgten Weise ein Komma stehen)
der Schmied bereitete ihm ein Lager von frischem Stroh, auf
welches sich der Ermüdete hinstreckte und bald in einen festen
Schlaf fiel. Auch der Wirth entfernte sich ; doch am andern
Morgen., da der Tag kaum angebrochen war., schlich er sich
unbemerkt aus seinem Kämmerlein etc. — Wenn doch schon
vorher (z. B. S.31 : Auch der Landgraf schwieg ; doch Hess er)
nicht richtig gebraucht war, so ganz besonders in der ange-
führten Stelle, wo auch nicht von Weitem ein Gegensatz sicht-
bar ist. Das doch kann aber nur adversativ gebraucht werden
und vertritt die Stelle von: (^obgleich, obschon — ) so oder so
doch. Das Gesagte gilt von nicht wenigen Stellen gegenwärti-
ger Sammlung. — S. 35: und scho?i nachdem (richtiger: und
nachdem schon) das Liedchen vollendet ivar ., hörte Ludwig
noch immer bei jedem Schlage (da müssten die Schläge sehr
langsam gefallen seyn) das: Landgraf werde hart! hart! —
S. 36: Aber auch die Getreuen Ludwigs sammelten sich hau-
Tetzner : Lesebuch für Bürgerschulen u. Gymnasien, 39
fi^ um ihn. Das hänß^ ist nicht bestimmend genii^ , denn es
kann sowohl auf die Zeit des sich Sammeins, als auf die Menge
der sich Sammelnden bezogen werden. — S. 36: Auch als er
(Ludwig) starb , ?nachle er es ihnen noch zur Pflicht , seinen
Leichnam etc. Wollte Ilr. T. wirklich sagen, dass Ludwig im
Momente des Sterbens \(iiiGn Befehl gegeben*? In der histori-
schen Darstellung der Bauernkrieg in Thüringen (S. 12(J — 135),
die auch von Hrn. T. verfasst ist, finden sich ebenfalls hierher
gehörige Unrichtigkeiten. S. 126: und hier soll durch die un-
gerechte Hinrichtung seines Vaters schon der erste Grund etc.
gelegt worden sein. Das schon bezieht sich auf hier und sollte
darum unmittelbar hinter diesem Wörtchen stehen. — S. 127:
£r tmd Pfeifer setzten den alten Rath und einen neuen , den
eivigeJi^ ein., zu dessen Vorsitzer er (dieses er ist hier höchst
unbestimmt und nicht einmal grammatisch richtig) sich aufwar f.
7iVl allen diesen Zwecken gesellt sich endlich auch noch
ein materieller^ der die grösste Beachtung verdient, nämlich
Erwerbung von Sachkenntnissen (z. B. geschichtliche , geogra-
phische). Hierher gehört auch zum Theil, was Mir oben von
der Religion bemerkten. Zwar können wir es nun nicht billi-
gen, wenn dieser Zweck, wie in den meisten Leseschulbüchern
geschehen ist*), auf Unkosten der andern hervorgehoben und
dadurch das Anziehende in den Erzählungen, das Gemüth-
liche etc. verdrängt wird; aber eben so müssen wir es wie-
der auf der andern Seite misbilligen , wenn man diesen mate-
riellen Zweck ganz vernachlässiget und nur Erzählungen (ohne
factischen Grund), Fabeln, Gedichte etc. vorbringt. Bei Le-
sebüchern von ähnlicher Bestimmung wie das vorliegende dünkt
es uns am besten, besondere nur zur Erwerbung von Sachkennt-
nissen bestimmte Abschnitte (wie z. B. in dem bekannten , frei-
lich für Volksschulen bestimmten, Kinderfreund von Wilmsen)
ganz wegzulassen (auf jeden Fall mit Allem nach sicherm päda-
gogischen Takte abzuwechseln), dafür aber in die Erzählungen
etc. geschichtliche, geographische etc. Notizen zu verweben.
Im Allgemeinen ist diese Weise auch in vorliegender Sammlung
befolgt, obgleich der materielle Zweck noch zu wenig beach-
tet zu seyn scheint. Denn der Fabeln, der eines historischen
Grundes ermangelnden Erzählungen, der Gedichte etc. sind
verhältnissmässi^ zu viele und da, wo belehrende Bemerkungen
an ihrer Stelle gewesen wären, sucht man sie gewöhnlich ver-
gebens (s. oben!). So ist z. B. S. 4 zu den Worten: Ein Arzt
hatte verschiedene Gerippe von todten Metischen in seinem liü-
cherzimmer — gut bemerkt: denn die Aerzte brauchen der-
*) -Sind sie für arme Schüler bestimmt, 6o modificirt sich aller-
dings unser Urtheil.
49- Deutsche Lesebücher. ; ''ii'
gleichen ^ um etc. Nur vermisst man hierin die Cönsequeriz
fast jjfänzlich, denn vieles Unverständliche und eines erklären-
den Zusatzes weit mehr als jene Worte BedVirfende steht ohne
einen solchen, und Kinder, die dieses verstehen, bediirfen
wahrlich nicht jene Bemerkung über die Aerzte und manche
andere im Buche befindliche. Nun noch einige specielleBeweise,
dass der materielle Zweck, von dem wir jetzt sprechen, in der
Sammlung nicht so, wie er sollte, beachtet ist. S. 31 hätte,
von welchem Lande Ludwig der eiserne Landgraf war, be-
merkt und statt nach beendigter Fehde der Ausgang des Strei-
tes mit nicht viel mehr Worten angegeben werden können, —
Die historische Darstellung Die Horatier und Curiatier (von
L. Th. Kosegarten) fängt S. 1 24 also an : Die Albaner wa-
ren die ersten^ die dem Hostilius Gelegenheit gaben ^ seinen
Lieblingshang zu befriedigen. Hier hätte Hr. T. schon des
leichtern und bessern Verständnisses wegen, wer die Albaner
gewesen, wo sie gewohnt, wer Hostilius gewesen, wann er ge-
lebt etc., kurz bemerken und so die Darstellung selbst einlei-
ten sollen. Dieses ist auch in der folgenden (S. 120 ff.) der
Bauernkrieg in Thüringen beifallswürdig geschehen. Dagegen
vermisst man wieder bei dem darauf folgenden Stücke S. 135tf.:
der Ueberfall bei Hochkirch (von Archen holz), eine ge-
schichtliche Einleitung. Die historische Darstellung, die den
nächsten Platz einnimmt (S. 141 ff. : Die Veriirtheilung und Hin-
richtung Conradiris), ist aus Friedrich von Raumer's
Geschichte der Hohenstaufen genommen, aber auch zugleich
ans allem Zusammenhange gerissen. Sie beginnt: Auf unpar-
teiischem, leidenschaftslosem (ganz streng genommen liegt das
Unparteiische schon im Leidenschaftslosen), rechtlichem Wege,
so hiess es, müsse über das Schicksal der Gefangenen entschie-
den werden etc. Hier hätte Hr. T. die Geschichte Carl's von
Anjou und des hingerichteten Conradin's und der beiden Par-
teien kurz erzählen und so, geschichtliche Kenntniss bei den
Lesern befördernd, die nun folgende Darstellung einleiten und
dann mit von Raumer's Worten fortfahren sollen. Aehnllches
gilt von der Scene aus der Belagerung von Antwerpen S. 148 ff.
und von Magdeburgs Zerstörung S. 155 ff. (beide von Friedr.
V. Schiller).
Diesen so eben gerügten Mangel kann jedoch ein gewand-
ter Lehrer dadurch gutmachen, dass er die nöthige Einleitung
entweder selbst (und zwar auf anziehende Weise) giebt oder
von einem der Schüler, wenn sie schon die dazu erforderliche
Kenntniss und Fertigkeit besitzen, vortragen lässt. Eben so
wird er am (wenn für die Schüler möglichen) Verbessern der
im Buche vorkommenden Unrichtigkeiten die Kraft der Schüler
entwickeln, üben und stärken, doch so, dass er den Haupt-
Tetzner: Lesebucb für Bürgerschulen u. Gymnasien, 41
zweck des jedesmaligen Unterrichtes darüber nie aus dem Auge
veriiert.
Wenn es schon diePflicht eines Jeden ist, alles Halb walire.
Falsche etc. wie im Formellen so auch und besonders im Mate-
riellen auf's sorgfältigste zu vermeiden; so ist sie es noch
weit mehr für den Jugcndlehrer, sey er es nun durch mündli-
ches oder geschriebenes Wort oder durch beides zuglcicJi. In
dieser Hinsicht miissen wir des Hrn. T. Sanmilung loben. Denn
nur Weniges findet sich, was im Materiellen einer Berichtigung
bedürfte. So lieisst es , um zum Schlüsse auch davon Einiges
anzuführen, S. 116: Es war der Gott der Abend- und Mor-
gensotine^ der schöne Phöbus. Sollte er nicht auch der Gott
der Mittagssonne, kurz! der Sonne überhaupt seyn'? Doch liegt
dieser kleine Fehler vielleiclit nur ImFormellen. MehresUnricli-
tige findet sich \\\ Jesus Christus (S. 146 ff. von Herder). S.
146 lesen wir: Siebenzig Jahre vor dem Untergange des jüdi-
schen Staats ward in ihm ein Man?i (.Jesus) geboren. Abgese-
hen davon, dass bis auf den heutigen Tag immer nur Kinder
geboren worden sind, noch nie aber ein Ma?in; so ist hier der
chronologische Irrthum, dass Jerusalem HO Jahre nach Jesu Ge-
burt (nach der gewöhnlichen, vonDiojiysiusExiguus herrühren-
den, Jesu Geburtszeit um 3 bis 5 Jahre verspätenden*) Zeitrech-
nung) zerstört worden sey, um so eher zu berichtigen, je ge-
wöhnlicher er ist. Zwar wurde der Tempel zu Jerusalem schon
am 5 Aug. des J. tO von den Römern erobert, die ganze Stadt
aber kam erst im J. %l und zwar im September in ihre Hände.
S. 147 sagt Herder, dass Jesus arm geboren sey. Wie lange
und oft wird man noch diese eines m ahrhaft historischen Fun-
daments ermangelnde Behauptung hören müssen?! Der von ganz
andern Ursachen abzuleitende Umstand, dass Jesus in einer
Felsenhöhle oder doch in einem Stalle geboren und von den
Magiern in einer Krippe liegend gefunden ward, und die Stelle,
dass Jesus nicht gehabt, wo er sein Haupt hinlegen konnte,
scheinen an der schon sehr früh entstandenen Erzählung von
Jesu Armuth nicht geringen Antheil zu haben **). Nach vielen
Umständen zu schliessen gehörten Jesu Aeltern weder zu den
Kelchen noch zu den Armen. Joseph war, nach unserer Weise
zu reden, ein schlichter sich redlich nälirender Hand v/erksmann.
— Jene ganze Erzählung Herd er 's ist wegen des Unbe-
stimmten und wegen der Schwierigkeit des richtigen Verste-
hens und Würdigens für den Zweck des Lesebuchs unpassend.
Ueberhaupt kann ich es nicht unterlassen , den Schulen im Ge-
•) Besonders durch das Evangelium Luc. ward Dionysius in die
Irre geführt.
•*) Joh. 19, 26. 27 beweist Nichts gegen uns.
42 Deutsche Leseliü eher.
brauche Herder 'scher Erzeugnisse grosse Vorsicht zu em-
pfehlen. AVas er an Andern streng zu tadeln sehr wohl ver-
stand, dazu — zu kiilinen und gewagten Behauptungen hat sein
Feuergeist ihn nur zu oft hingerissen. Oft wirft er nur Ge-
danken hin , die zu schiefen Ansichten und Urtheilen die Ju-
gend leicht verleiten können.
Zu diesen materiellen Unrichtigkeiten gehört auch wohl
eine von Hrn. T. gemachte Conjectur, die wir schon an sich in
einem SchuUcsebuche nicht ganz billigen können. Er meint
nämlich S. 132, dass die Benennung einer Anhöhe bei Franken-
hausen Eulengeschrei wohl zu verwandeln sey in Heulen und
Geschrei oder Weibergeschrei. Uns scheint der Name Eulen-
geschrei— wegen des heftigen dem der Eulen ähnlichen Heu-
lens der Weiber jener unglücklichen Theilnehmer am Bauern-
kriege — sehr natiirlich.
Wenn in dieser unserer Recension einzele Puncte nicht in
streng logischer Geschiedenheit erscheinen, so wird dieses hof-
fentlich Niemanden befremden. Denn Manches gehörte zu
mehren der von uns einze'n betrachteten Zwecke. Die Ausführ-
lichkeit aber ward von der Recensentenpflicht gefordert und von
dem Wunsche geleitet, dass docli endlich einmal unter der gro-
ssen Menge von Lesebüchern eins den gerechten Forderungen
der Schulwelt entsprechen möchte. Neben die vielen todten
und noch lebenden Schwestern aber kann gegenwärtige Samm-
lung sich getrost stellen imd Verbreitung auch über Langen-
salza's Mauern hinaus hoffen. Letzteres auch schon wegen des
wohlfeilen Preises und correcten Druckes. Nur wenige höchst
unbedeutende, ganz augenscheinliche und darum nicht des Be-
merkens werthe Fehler fanden wir in dieser Hinsicht. Nur
wäre besseres; Papier zu wünschen. — Da es übrigens jetzt Mode
ist, etwas strengen wenn auch auf der Wage der Gerechtigkeit
genau abgewogenen Urtheilen persönliche und andere nnsäch-
liche (d. h. zur Sache nicht gehörige) Ursachen unterzuschieben,
wie llec. bei einer andern Gelegenheit selbst hat erfahren müs-
sen; so bemerken wir nur noch zum Schlüsse, dass unser Ur-
theil von der Anerkennung der übrigen Leistungen des Hrn. Vf.
ausging. Denn sein anderweitiges Wirken ist uns nicht unbe-
kannt geblieben und sein selbstständiges von der Stimme der
Mode und einer gewissen sich selbst vertrauenden Derbheit sich
nicht bestechen lassendes Urtheil hat uns gefreut. Möge er
segensvoll wirken in dem mühsamen Schulkreise, wo der Leh-
rer mit Unverstand von Oben und Unten, von Alt und Jung
nicht selten zu kämpfen hat.
Carl Friedr. Wilh. Giemen.
43
Geographie.
Sammlung geographischer Gemälde^ oierco7npen-
diöse Bibliothek der alten und neuen physi-
schen^ historischen und politischen Ge ogra-
phie. Herausgegeben vom Obei^sten Bory de Saint- Vincent.
Erster Band. Gemälde der Iberischen Halbinsel.
Aus dem Französischen. Mit Karten. Heidelberg, bei Joseph
Engchnann. 1827. 8. 2 Thlr. (Auch unter dem besondern
Titel: Gemälde der Iberis chen Halbinsel^ oder
Abriss der alten und neuen physischen., histo-
rischen und politischen Geographie von Spa-
nien und Portugal. Zugleich als Handbuch für Reisende
in beiden Ländern. Vom Obersten Bory de Saint - T'incent. Nebst
einer Karte, gezeichnet vom Verfasser. Aus dem Französischen.
Mit einer Vorrede und Bemerkungen von Dr. Franz Joseph Mone,
Professor der Geschichte und Statistik in Heidelberg.
J^i achdem die Iberische Halbinsel so lange uns eine terra inco-
gnita gewesen ist, inuss es jedem Freunde der Erdkunde eine
innige Freude sein, dieselbe endlicli von einem Manne ins
Licht gesetzt zu sehen, der wissenschaftliche Bildung genug
besass , um mehr als eine blosse Reisebeschreibung zu liefern.
Obgleich wir fast nicht im Stande sind , den Verfasser anders,
als nach sich selbst zu beurtheilen — denn dasjenige, was vor
ihm über die Iberische Halbinsel in Deutschland bekannt ge-
worden war, ist so unbedeutend, dass es gegen das vorliegende
Werk gar nicht in Anschlag kommt — so tragen doch seine
Nachrichten und Beschreibungen, vorziiglich in dem geogra-
phischen Theile des Buches, zu sehr den Stempel der Wahr-
heit, als dass man ein gegründetes Misstrauen in dieselben sez-
zen dürfte. Die wenigen Werke demnach, welche schon frü-
her als das vorliegende einiges Licht über die Iberische Halb-
insel verbreiteten , die aber aus mancherlei Gründen dem
Schulmanne fast sämmtlich nicht zugänglich wurden, sind die
Geographie physique et politique de VEspagne et du Portugal
par Don J. Antillon. a Paris 1823. I vol. 8. (Aus dem Spani-
schen übersetzt); ferner ein in demselben Jalire erschienenes
Werk unseres Verfassers , betitelt: Guide du Voyageur en
Espag7ie par M. Bory de Saint-Vincent. Avec deux car-
tes coloriees. ä Paris. I vol. 8. (Von den beiden Karten be-
zieht sich die eine auf die physische und die andere auf die po-
litische Geographie der Halbinsel. Beide sind wohl die besten
Karten fiir den Handgebrauch^ welche bis jetzt von der Halb-
insel erschienen sind.) Ausser jenen beiden Werken, von wel-
chen unser» Wissens nur das erste in einer deutschen Ueber-
44 Geographie.
Setzung (von Reh flies) erscliienen ist, dürften dem Sclml-
manue vielleicht noch P. J. Rehfues: Spanien nach eigener
Ansicht und nach unbekannten Quellen (4 Theiie. 8. 1813 ),
AI. de la Borde: malerische und historische Reise durch
Spanien (3 Thle. mit Kpf. 12), so wie Ramoud's und W. v.
Lüdemann's Werke iibcr die Pyrenäen interessant sein.
Was das vorliegende Werk ganz besonders vor allen übri-
gen , den Guide du Voyageur ausgenommen , auszeichnet , ist
die vortreffliche topographische Beschreibung des Landes.
Doch damit unser Urtheil gehörig motivirt erscheine, so folge
hier gleich eine gediängte Uebersicht dessen, was der Leser
in den drei ersten Kapiteln des Buches, welche die physische
Geographie der Halbinsel behandeln , zu suchen habe. Das
erste Kapitel , welches die allgemeine Uebersicht enthält, er-
klärt, wie der Verf. die Erhabenheiten der Halbinsel betrach-
tet wissen will. Das Vorhandensein einer Ilauptbergkette, von
welcher alle übrigen ausgingen, wird mit Recht geleugnet, da-
gegen werden sieben von einander verschiedene Bergsysteme
angenommen, welche den Bau des Landes begründen. Diese
Systeme nennt der Verfasser: l) das Pyrenäische ; 2) das Ibe-
rische; 3) das Carpetano-Vettonische; 4) das Lusitanische;
5) das Marianische; 6) das Cuneische; 7) das Bätische (der
üebersetzer schreibt beständig „Betische"). Zwischen meh-
reren Theileu dieser Bergsysterae, heisst es weiter, oder ge-
gen ihren Gipfel hin, erheben sich Parameras, d. i. oft sehr
beträchtliche und immer bedeutend hohe Bergebenen. Der
Verf. nimmt ferner vier grosse allgemeine Abfälle an, welche
ihre Richtung nur durch die Abhänge solcher Bergebenen ei*-
halten, und benennt sie folgendermaassen: l) der Cantabrische
oder nördliche; 2) der Lusitanische oder westliche; 3) der
Iberische oder östliche; 4) der Bätische oder südliche. Eine
jede dieser vier physischen Regionen zeigt einen besondern
Charakter; eine jede hat gewisse ihr eigenthümliche Produkte,
und selbst dem 3Ienschen scheint die allgemeine Lage einen
Original -Stempel aufgedrückt zu haben. Man erkennt hier,
sagt der Verfasser, eine Art Repräsentation der vier Weltge-
genden; so dass man diesen vier Haupt- Abfällen noch die Na-
men des Europäischen , Amerikanischen, Asiatischen und Afri-
kanischen beilegen könnte. Hierauf folgt eine kurze Ueber-
sicht der Flüsse ersten Ranges.
Das zweite Kapitel handelt von den Bergen. § 1 behan-
delt das Pyrenäische System. Gewiss wird es hier einen jeden
unbefangenen Leser anfangs sehr befremden zu sehen, wie
weit der Verfasser den Namen Pyrenäen ausdehnt ; er belegt
nehmlich damit nicht allein die gewöhnlich so benannte Ge-
birgskette zwischen Spanien und Frankreich, sondern auch den
von den Quellen des Nive (Nebenttuss des Adour) beginnenden
Bory Ac St. Vincent: Sammlung geographischer Gemälde. 45
und sich gegen W. bis nacli Gallicien und Portugal ausdehnen-
den Gebirgszug. Wenn dieses Ganze, Mie der Verfasser an-
nimmt, und Mie es sich aui" seiner oben erwähnten physischen
Karte der Halbinsel darstellt, wirklich ein Gebirgszug ohne
wesentliche Unterbrechung ist, und wenn diese Kette, wie der
Verf. behauptet, auch in geologischer Hinsicht ein Ganzes aus-
macht, so steht allerdings der Einfuhrung des erweiterten Na-
mens der Pyrenäen in die Geographie nichts im Wege als die
Unbequemlichkeit, dass man, um Irrthümer zu vermeiden,
Pyrenäen im engern, und Pyrenäen im weitern Sinne stets
sorgfältig unterscheiden mVisste, da man bis auf diesen Augen-
blick den Namen Pyrenäen nur in der ersten Bedeutung zu
nehmen gewohnt war.
Dieses Gebirge, heisst es p. 10, besteht von einem Ende
bis zum andern aus Granit. Dies ist allerdings für die Pyre-
näen im engern Sinne durch Ramond und Lüdemann erwiesen,
und wir glauben es dem Verfasser auf's Wort, dass es gleich-
falls von dem westlichen Theile des ganzen Gebirgszuges gelte;
aber es durfte hier, wo von den Gebirgssystemen im Beson-
dern gehandelt wird, wohl nicht ganz verschwiegen werden,
dass sich grosse Massen sekundärer und tertiärer Formation zu
beiden Seiten der Granitkette hinlagern, zumal da gerade mit
die höchsten Gipfel der zweiten ( Vignemale ) und dritten
(Montperdü) Fonnation angehören. S. W. v. Lüdemann's Züge
p. 128 u. ff. Die Eintheilung des ganzen Gebirgszuges scheint
uns etwas willkührlich. Der Verfasser unterscheidet nehralich:
1) die Pyrenäen des Mittelmeeres oder die östlichen; sie wer-
den von der folgenden Abtheilung durch dieCerdagne getrennt,
wo der Tet und die Segre entspringen ; 2) die Aquitanische Ab-
theilung mit den Quellen der Garoune und des Adour. Das
westliche F]nde dieses Theils ist offenbar sehr unbestimmt.
Sollen der Montperdü und Marbore noch dazu gerechnet wer-
den oder nicht? Einen natürlichen und bestimmten Abschnitt
gäbe hier jedenfalls das Thal von Aran an den Quellen der Ga-
roune. 3) folgt die Cantabrische Abtheilung, von der folgen-
den durch die Quellen des Ebro getrennt; 4) die Asturische,
welche wieder durch keinen natürlichen Abschnitt getrennt ist
von der fünften oder der Portugiesischen (westlichen), deren
Verzweigungen sich gegen die Mündung des Duero erstrecken.
Es Avird niemand behaupten wollen, dass die Eintheilung an-
drer Gebirgsketten, wie z.B. der Alpen, nicht minder willkühr-
lich sei; denn erstens erheben sich dort zwischen den einzel-
nen Abtheilungen grosse natürliche Gränzsteine ( z. B. der
Monte Viso zwischen den See- und Cottischen Alpen, der
Mont Cdnis zwischen den Cottischen und Grajischen, der klei-
ne St. Bernhard zwischen diesen u. den Penninischen Alpen u. s.
w;), u. wo zweitens die Gränze eines Zuges nicht von der Natur
46 Geographie.
vorgeschrieben wäre , da ist sie historisch fixirt und der lange
Gebrauch hat die JNanien geheiligt. Wo es aber darauf an-
kömmt, erst Unterscheidungen zu suchen, und den unterschie-
denen Theiien neue Namen zu geben, da muss WillkVihr so
viel wie möglich ausgeschlossen bleiben. Was der Verf. übri-
gens von der fiinften Abtheilung des Gebirges sagt, dass ihre
Verzweigungen sich gegen die 3Iiindung des Duero erstrecken,
kann zwar nicht geleugnet werden, doch darf man nicht ver-
kennen, dass sich die Zweige dieses Gebirgssystenis auch glei-
chermaassen gegen N. zum Cap Ortegal und gegen W. zum Cap
Finisterre ausdehnen, so dass hier auf dem Westende der Py-
renäen eine ähnliche fächerförmige Ausbreitung und zugleich
Verflächung statt findet, wie auf dem Ostende des Alpengebir-
ges. — Der Verfasser geht darauf zu den Strassen iiber, wel-
che die Pyrenäische Kette durchschneiden. Die Zwischenstra-
ssen sind sehr vollständig angegeben (p. 11 ).
§ 2. Das Iberische System. Es beginnt im N. mit den
Sierren von Oca und Moncayo , die sich mit ihren beschneiten
Gipfeln bis in die Wolken erheben; der Duero hat hier seine
Quellen. Der Verf. erklärt sich beiläufig gegen die Meinung
derer , welche die genannten Sierren als ein Widerlager ( Cou-
trefort) der Pyrenäen angesehn wissen wollen, und zeigt das
Ungereimte jener Ansicht. Von jenen nördlichen Iberischen
Bergen senkt sich in südlicher Richtung die Sierra Molina mit
den Gebirgen von Albaracin und Cueiica herab. Der Vereiui-
gungspunkt dieser drei Gebirgsmassen (die Sierra Albaracin)
giebt vier Flüssen ihre Entstehung, dem Tajo, Xucar, Cabiiel
und Guadalaviar. Von dieser Gruppe, einem Kalkgebirge, zie-
hen sich gegen das Mittelmeer mehr oder weniger ansehnliche
Bergketten herab, von Strömen überall zerrissen. Ausserdem
erhebt sich zwischen dem Rio Gabriel und der Tauria*) eine
andere Verzweigung, in welcher man zahlreiche Spuren von
Vulkanen und namentlich sieben Krater entdeckt hat. Die letz-
ten südlichen Widerlagen weichen etwas S^g^n W. von ihrer
bis dahin verfolgten Richtung ab. Die beiden grossen Strassen
von Valencia nach Madrid durchschneiden den Mittelpunkt
dieser Gebirge; der Reisende aber, welcher von Valencia
kommt, bemerkt, wenn er die Höhe der Pässe erreicht hat,
mit Erstaunen, dass er beinahe gar nicht wieder hinabsteigen
darf, indem die westliche Seite des Iberischen Systems sich
unmerklich veiflächt, und in die mehr oder weniger ausge-
dehnten Hochebenen der mittleren Halbinsel übergeht.
§ 3. Das Carpetafio- rettonische System. Es beginnt mit
seinem östlichen Ende auf der ungeheuren Hochebene , welche
*) Soll wohl Turla heissen, welches der jetzige Guadalaviar ist.
Bory de St. Vincent : Sammlung geographischer Gemälde. 47
auf ihrer Ostseite durch das Iberische System begränzt ist.
Von da erstreckt es sich mit mancherlei Krümmungen beinahe
von Nord-Osten nach Siid-Westen. Die Hauptkette ist schmal u.
meistens steil. Aul" einem der Carpetanischen Gebirge des AI-
terthums hatten sich die Vettonen als Kolonisten niedergelas-
sen, und von ihnen hat der Verfasser den Namen entlehnt. Er
theilt ferner dieses Gebirgssystem in drei Hauptgnippen: l) in
die östliche, von der Somo- Sierra und dem Guadarrama ge-
bildet; 2) die Mittelgruppe, die lierge von Gredos genannt;
3) die westliche, welche aus der Sierra de Gata besteht, an
deren Ende sich die Sierra Estrelia erhebt. Diese drei Grup-
pen sind ziemlich sichtbar getrennt ; die erste nehiulich von
der zweiten durch die Parameras (Hochebenen) von Avila, und
die zweite von der dritten durch das Thal des ilio Alagon. Das
Carpet. - Vetton. System besteht aus grobem Granit von grauli-
cher Farbe, und drei grosse königliche Strassen durchschnei-
den dasselbe.
§ 4. Das Lusitanische System (zwischen Tajo und Guadia-
na) ist viel niedriger als die drei vorhergehenden; keiner sei-
ner Gipfel bietet ewigen Schnee. Es gehören dazu im Osten
die Berge von Toledo und westlich von diesen die Sierra Gua-
dalupa (eine der Carpetanischen des Alterthums). Verschiedene
Glieder, die sich ins Portugiesische erstrecken und sich viel-
fältig verzweigen , machen den Beschluss dieses Systems. Eine
einzige königl. Strasse (von Madrid über Truxillo nach Merida)
durchschneidet diese Kette.
§ 5. Das Mariemische System^ so genannt, weil der grösste
Theil desselben im Alterthume unter dem Namen Montes
Mariani bekannt war, hat eben so wenig Eisgipfel, als das vo-
rige System; die erhabensten Punkte erhalten den Schnee nur
höchstens neun Monate im Jahr. Die Gestalt des Gebirges ist
wellenförmig mit sanften Abhängen; sein Ansehn ist kahl. Die
Hauptkette führt den Namen Sierra Morena (schwarzer Berg);
sie zeigt eine völlige Schieferformation, ist reich an Metallen
und von vielen Wasserzügen durchschnitten. Zwei schöne
Strassen führen über ihren Rücken.
§ 0. Das Cuneische System erstreckt sich von den Mün-
dungen der Guadiana, durch welche dasselbe von der Sierra
Morena getrennt wird, bis zum Cap St. Vincent, dem Cuneus
der Alten. Die Richtung desselben geht (parallel mit der Süd-
Küste Portugals) von Osten nach Westen. Sein besonderes
Aussehn und seine physische Zusammensetzung unterscheiden
es von dem vorhergehenden System; es besteht nehmlich aus
Sandstein, zeigt aber Spuren von bedeutenden vulkanischen
Revolutionen, besonders finden sich zahlreiche erloschene Kra-
ter in der Sierra Calderona.
§ 7. Das Bätische System ist das südlichste von allen,
48 Geographie. oli ^iofl
doch trägt es trotz des heissenKlima's ewigen Schnee und Glet-
scher, indem es durch seine Höhe an mehreren Stellen die der
Pyrenäen übertrifl't. Die höchste der Cordiileras, welche es
bilden, läuft von Osten nach Westen. Es beginnt westlich in
der Nähe der Meerenge von Gibraltar mit der Serrania de Ron-
da, und nach des Verf. Meinung ist es nicht zu bezweifeln,
dass das Bätische System zu den grossen Afrikanischen Alpen
gehört habe. Schon auf dem höchsten Punkt der Serrania de
Konda verschwindet der Sclinee nicht jedes Jahr. Diese Ser-
rania de Honda ist auf ihrer Ostseite durch den Guadaljore
begränzt, auf dessen entgegengesetzten Ufern sich eine zweite
Gruppe dieses Systems erhebt, bestehend aus der Sierra Arais,
der Sierra des Torqual, der Sierra Prieta, Alhama und der
Sierra Tejada (auf der physischen Karte unsers Verfassers ist
auch noch die Sierra deLoxa verzeichnet). Oestlich von der
Sierra Tejada erhebt sich endlich die Sierra Nevada drei tau-
send fünfzig und einige Meter Viber die Fläche des Mittelmeers.
Der erhabenste Punkt ist der Mulahacen, der eine Höhe von
3000 bis 3700 31eter erreicht und mit ewigem Schnee bedeckt
ist. Ihm steht am nächsten — denn er ist kaum einige vierzig
Meter niedriger — der Picacho de Veleta (p. 30). Die natür-
liche Beschaffenheit der Sierra Nevada ist Schieferforniation.
In ihren höchsten Gipfeln ist der Grundstoff Glimmerschiefer,
anderswo Gneis; an ihrem Fusse streichen Marmorkalk und
schöner Marmor. In den südlichen Niederungen der Sierra
Nevada, welche reichlich bewässert sind , gedeiht die Baum-
wollenstaude und das Zuckerrohr. Ananas, Cactus, Bananien
zieren selbst den Garten des Armen. Mit der Sierra Nevada
hängen nach S. und 0. hin noch mehrere kleine Sierren zusam-
men, wie die Sierra von Gador und die von Filabres (p. 32).
Indem wir den Verf. im Vorstehenden fast überall mit sei-
nen eignen Worten eingeführt haben, ging unsere Absicht da-
liin, theils zu zeigen, wie sehr der Verf. seinen Stoff be-
herrscht, theils dem Leser eine üebersicht dessen zu geben,
was er im Buche zu suchen hat. Einzelne Kleinigkeiten, die
wir wohl hätten erinnern mögen, haben wir absichtlich an den
Schluss dieser Bemerkungen verwiesen, um den würdigen Verf.
auf dem Pfade seiner Darstellung nicht aus den Augen zu
lassen.
Das dritte Kapitel (p. 33 — 61) handelt von den Abfällen,
grossen physischen Regionen und Klimaten der Halbinsel und
ist unstreitig eins der interessantesten des ganzen Buches. Wir
lassen den Verf., der Kürze und grösserer Anschaulichkeit we-
gen, wieder selbst sprechen:
Es werden, wie schon oben erwähnt, vier Hauptabfälle an-
genommen.
§ 1. Der Cantabnsche.oüer nördliche Abfall hat das Mei-
Bory de St. Vincent: Sammlung geographischer Gemälde. 49
ste vom allgemeinen Europäischen Charakter. Er erstreckt sich
von 9^ bis gegen 17" 0. L. von Teneriffa und ist zwischen dem
43sten und 44sten Parailelkreise eingeschlossen. Er hat etwas
mehr als ISO Meilen (was für welche?) in der Länge, aber
nicht viel über 15 in seiner grössten Breite. Von dem folgen-
den Abfall ist er durcli die westliche Verlängerung des Pyre-
näischen Systems (in des Verfassers Sinne) getrennt; er hat
nur nach den Küsten hin Ebenen und zwar von geringer Aus-
dehnung. Das Klima ist im Allgemeinen feucht und milde. Die
vegetabilischen Erzeugnisse haben die grösste Aehnlichkeit mit
denen der Bretagne, des Ländchens Cornwallis und selbst mit
denen der Provinz Wallis (soll heissen Wales) *). Die Bewoh-
ner dieses Abfalls stammen von den Vasken oder Basken, Can-
tabrern und Asturern ab.
§2. Der Lusäunische Abfall (d. i. der westliche) liegt
zwischen 7*', 17' und 15" Ost- Länge (im Buche steht „west-
licher" Länge) und zwischen 37" und 4S" Br. Der vorherge-
hende Abfall begräiizt ihn nördlich, der Atlantische Ocean
westlich, die zwei folgenden Abfälle östlich und zum Theil
südlich. Seine Oberfläche ist ungefähr der Hälfte der Halb-
insel gleich. Vier grosse Ströme, der Minho, Duero, Tajo
und Guadiana, nebst zahlreichen Nebenflüssen bewässern ihn,
wobei sie dem allgemeinen Abhänge von 0. nach W. folgen.
Auf so weiter Ausdehnung muss natürlich eine grosse Mannich-
faltigkeit von Lokalitäten statt finden. Zu den charakteristi-
schen Eigenheiten dieses Abfalls rechnet der Verf. zuvörderst,
dass hier eine viel wärmere Temperatur statt finde als auf dem
Cantabrischen Abfall, jedoch wieder eine viel gemässigtere als
auf dem folgenden (dem Iberischen, der unter derselben Breite
liegt). Das Erstere niögte jedoch, wegen der meist bedeu-
tenden Erhebung des Landes, grosse Einschränkungen erleiden
und nur von dem westlichen und südlichen Theile dieses Ab-
falls mit Recht gesagt werden dürfen. Der Verfasser spricht
selbst an einer andern Stelle (p. 323) von dem strengen Klima
Castiliens. Darum raögten wir glauben, dass auf diesem Ab-
falle nur die Differenzen von Wärme und Kälte grösser sind,
als auf der durch die Nachbarschaft des Meeres gemässigten
nördlichen Abdachung. — Der Weinstock, heisst es weiter,
gedeiht beinahe überall (beweist niclit viel ; man denke an die
Rheinlande) und der ()li\enbaum fängt an siel» zu zeigen. Nach
den Küsten zu, besonders in dem mittäglichen Theile Portu-
gals (ohne Zweifel ! ), nimmt die Vegetation beinahe ganz den
Charakter der Atlantischen Inseln an. Die Amerikanischen Pflaa-
*) Der Uehersetzer macht hierbei die Bemerkung, dass Cornwal-
lis in Frankreich , Wallis in England liege I
Jahrb. f. Phil. u. Fädag. Jahrg. 111. Heft 9. ±
50 Geographie.
zen gedeihen hier so sichtbar, und vermehren sich mit solcher
Leichtigkeit, dass viele derselben jetzt als einheimisch betrach-
tet werden können (p. 40); ja manche Vlberziehen auf Kosten
einheimischer Pflanzen ausgedehnte Bezirke, als wenn sie sich
in ihrem eigenen \aterlande befänden. — Gravität und Stolz
sind einllauptzug in dem Charakter der Bewohner dieses Abfalls
und finden sich bei den Portugiesen wie bei den Castilianern.
Noch verdankt ganz Spanien der Bevölkerung des Lusitanischen
Abfalls den Ruf der Trägheit, welcher auf die Bewohner der
andern Abfälle nicht bezogen werden darf (p. 41).
§ 3. Der Iberische Abfall ist nördlich durch den Canta-
brischen und den Aquitanischen Abfall, der ganz Französisch
ist, westlich durch den vorhergehenden, so wie durch den Bä-
tischen Abfall, und endlicli nach O. durdi das Mittelmeer be-
gränzt. Er nimmt den ganzen östlichen Theil der Halbinsel ein,
indem er sich von N. nach S., wo er sich in einer Spitze endigt,
von 42° 30' 40" bis 37° Br. erstreckt. Eine Linie, die zwischen
12° und 14° östlicher (im Buche steht wieder westlicher) Länge
von Teneriffa sich hinzieht, begränzt ihn nach Abend. Dieser
Abfall ist vielleicht der wärmste der Halbinsel (dieser Behaup-
tung widerspricht das, was der Vf. p. 46 über den Bätischen
Abfall sagt): der Olivenbaum gedeiht im ganzen Umfange des-
selben; ausserdem der Johannisbrod- und der Mastixbaiira, die
Agave, der Cactus, der Lorbeer, die Feige und der Granaten-
baum. Die Dattelpalme wird kultivirt und an einigen Stellen
findet man schon den kleinern Palmbaura (Chamaerops). Die
gegenwärtige Bevölkerung des Iberischen Abfalls ist aus einem
Geraisch der verschiedensten Völker hervorgegangen.
§ 4. Der Bätische Abfall^ dessen physische BeschaflFenheit,
nach dem Verf. , viele Aehnlichkeit mit der Afrika's haben soll,
liegt zwischen 36° und 39° Br., und ungefähr 9^° bis 14° öst-
lich von Teneriffa. Seine Ebenen sind die brennendsten Euro-
pa'« (vergleiche den vorigen §); es friert nie; in den Thälern
geniesst man aber selbst im Sommer einer angenehmen Tempe-
ratur. Schon auf dem Süd -Abhänge des 3Iarianischen Systems
gedeiht die Kerraes -Eiche, die Myrthe u. s. w. Am Fusse die-
ser Höhen zeigen sich haufenweise Afrikanische Doldengewächse,
Sperlingwurz, Malven und Labien. Bald umzäunen lange Aloe-
hecken die Grundstücke und die Dattelbäurae vermehren sich.
Bei Sevilla findet man in mehreren Gärten Pisang. Exotische
Bäume, z. B. den Peruvianischen Mastix, den Korallenbaum,
die zweihäusige Scharlachbeere und selbst das Drachenblut
trifft man hier häufig auf freiem Felde. Man erreicht endlich
Seeorte, wo die Europäische Vegetation beinahe verschwunden
ist, um exotischen Gewächsen Platz zu machen, oder wenigstens
solchen, welche man bisher der Flora Aegyptens, Arabiens und
der Barbarei (statt Berberei) eigeuthümlich geglaubt hatte. Der
Bory de St. Vincent: Sammlung geographischer Gemälde. 51
Kapernstrauch nimmt ganze Distrikte in Besitz n. s. w. (p.
46 — 50).
Gleich den Bewohnern des Iberischen Abfalls scheinen die
des Bätischen eine Mischung der Nationen zu sein , welclie sich
zu verschiedenen Epoclien an die Ufer des Mittelmeeres bega-
ben. Griechen, Karthaginienser , Römer, Vandalen, Gothen,
vermischten sich liier mit Autochthonen von sichtbar Atlanti-
scher Race. (Der Verf. geht nehmlich iiberall von der Voraus-
setzung aus , dass Afrika frViher nicht durch die Meerenge von
Gibraltar von Spanien getrennt gewesen sei, und dass da-
lier das sVidliche Spanien und das nördliche Afrika eine ge-
meinsame Bevölkerung, Vegetation u. s. w. gehabt habe.) End-
lich drangen im achten Jahrhundert die Mauren und Sara-
zenen in diese Landschaft ein, in welcher (in dem Königreich
Granada und in den Alpujarras) sie sich länger hielten , als in
irgendeinem andern Tlieile der Halbinsel. Der Charakter der
Vertriebenen hat sich aber vollkommen im Lande erhalten,-
auch erinnern mancherlei Sitten, Gewohnheiten, der Sprach-
accent u. s. w. , an die Muhamedanischen Beherrscher (p,
50 — 52).
Werfen wir noch einen RVickblick auf die eben dargelegte
Eintheilung der ganzen Halbinsel, so können wir zwar nicht
leugnen, dass sie zum Tlieil durch die Natur des Landes so
vorgeschrieben ist , machen aber liier wie überall die Bemer-
kung, dass sich die Natur nicht in Linien zwängen lässt, und
dass man ihr Gewalt anthut, sobald man sich bemüht, vollstän-
dige Symmetrie hineinzubringen. Wir wollen nicht wiederlio-
len, was wir schon oben beim Lusitanischen Abfall im Vorbei-
gehn bemerkten, dass man klimatische Einheit, wenigstens auf
dem ebengenannten nicht suchen dürfe, sondern noch einen an-
dern Uebelstand berühren , der aus dem Bestreben des Verf.
hervorgegangen ist, die grosse Verschiedenheit der räumlichen
Ausdehnung dieser vier Abfälle möglichst zu mindern. Da man
nun einmal an nichts anderem, als an dem Laufund der Rich-
tung der Flüsse die Abdachung erkennen kann , so mögten wir
fragen, was den Verf. bewogen habe, zwischen dem Lusitani-
schen und Bätischen Abfall das Marianische System als Gränz-
scheide anzunehmen und das Gebiet des Guadalquivir dem Bä- '
tischen Abfalle zuzurechnen, da do9h der Guadalquivir nicht al-
lein in den Ocean geht, sondern auch seiner Hauptrichtung
nach von O. nach W. fliesst und sich bei weitem nicht so sehr
als der Guadiana gegen S. wendet. Freilich würde, wenn der
Verf. noch das ganze Becken des Guadalquivir zum Lusitani-
schen Abfalle gezogen hätte, für den Bätischen nur ein gar
zu schmaler Küstenstreif übrig geblieben sein, denn es hätte
nun dieSerrania de Ronda und die Sierra Nevada sammt ihren
Fortsetzungen zur Nord-Gränze dieser südlichen Abdachung
4*
52 Geographie.
gemacht werden mVisseu , wodurch allerdings das Missverhält-
niss der vier Abdachungen noch gewachsen wäre. Solche Miss-
verhältnisse in der Gestaltung der Länder kommen aber nicht
in Betracht, oder sind vielmehr keine, und dürfen uns nicht
verleiten, der Natur eine andere Form aufdringen zu wollen.
Auf einer gewiss sehr richtigen Naturanschauung beruht
dagegen die Eintheiiung der Halbinsel (§ 5) nach den Einwir-
kungen , welche die verschiedene Erhöhung des Landes über
die Oberfläche des Meeres auf Klima, Vegetation u. s. w. äu-
ssert. Der Verf. unterscheidet danach auf der Halbinsel zwei
grosse physische Regionen, eine hohe Mittel- und eine niedrige
Ufer -Region. Er zeigt, was freilich von selbst folgt, dass der
Reisende, wenn er die obern Gränzen der Ufer -Region über-
schreitet (z.B. von S. her die Sierra Morena), nicht in dem
Maasse wieder bergab steigt, als er aufwärts gestiegen ist. Die
Temperatur der Ufer- Region ist , wie überall, gieichmässiger
als die der Mitte. Während im Allgemeinen die Ufer -Region
sehr lachend ist, besclireibt der Verf. den Anblick der Mit-
tel-Region als traurig und trostlos; selbst die urbar ge-
machten Striche tragen hier den Charakter ermüdender Eintö-
nigkeit. Das baumlose Land zeigt überall trockene Becken und
Thäler ohne Wasser; die Atmosphäre ist brennend und dunk-
ler Staub erhebt sich beim Hauch des Windes in erstickenden
Wolken. Die der Kultur empfänglichen Theile der Mittel- Re-
gion bringen zwar eine ungeheure Menge Cerealien hervor, aber
leider werden die Felder von den Zügen der Merino's verheert.
— Wenn man die Bewohner der Ufer -Region im Allgemeinen
civilisirt nennen, und als die Verständigen bezeichnen darf, so
sind die Bewohner der Mittel - Region unwissend, ernst, verschlos-
sen und stolz.
§ 6 handelt von den beiden natürlichen Klimaten der
Halbinsel. Man sollte meinen , es gäbe keinen natürlicheren
klimatischen Unterschied als den, welcher durch die Ufer- und
durch die Mittel-Region bedingt ist; der Verf. hat aber eine
andere Ansicht, welche wir hier so kurz wie möglich, doch
ohne etwas Wesentliches zu verschweigen, wiedergeben wollen.
Er theilt die ganze Halbinsel in zwei klimatische Hälften, und
zieht die Linie, welche beide von einander scheiden soll, nörd-
lich vom Ausfluss des Tajo längs dem Carpetano- Vettonischen
System, bis sie das Iberische berührt; von hieraus verlängert
er dieselbe in nordöstlicher *) Richtung, so dass sie nördlich
an Saragossa vorbeigeht, da wo die Quellen der Ariege und der
Segre liegen. Der nördlich von dieser Linie liegenden Hälfte
*) Nicht „nordwestlicher", wie es im Buche p.58 heisst.
Bory de St. Vincent: Sammlung; geographischer Gemälde. 53
giebt erden Namen der fremässig^ten , Oceanischen oder Euro-
päischen Region; die südliche benennt er die heisse, Afrikani-
sche oder die Ke^non des 3Iiltehneers. Die Verscliicdenlieit
des Klima's beider Regionen weist er endlicli an der Vegetation
und an mehreren Thierarten nach, welclie diese Linie gegen N.
oder S. hin nicht iiberschreiten.
Dass man es mit dieser Trennnngslinie der Klimate, na-
mentlich im östlichen Theile der Halbinsel, wo sie das Thal
des Ebro quer durchschneidet, niclit allzu genau nehmen dürfe,
sieht wohl jeder ein. Die hohe Mittel -Region ist zerschnit-
ten, und die Hälften derselben sind eine jede mit der zunäclist
liegenden Ufer -Region zu einem klimatischen Ganzen verbun-
den ; es ist aber ganz unbezweifelt, dass die beiden Theile der
Mittel - Region ihrem Klima nach mit einander verwandter
sind, als mit der ilmen zunächst liegenden Ufer- Region, deren
Extreme von Wärme und Kälte der mildernden Nähe des Mee-
res wegen geringer sein müssen.
Das vierte Kapitel handelt von den Gewässern und ihren
Becken. Sehr richtig und beherzigensw erth ist die Benwerknng,
welclie der Verf. seiner Darstellung der einzelnen Flüsse voraus-
schickt. Wir sehen darin (in den Becken), sagt er S.62, keine
Landausdehnung von hohen Mauern, von ununterbrochenen
Wällen umschlossen, die sich stolz in die Wolken erheben, als
wenn sie jede Gemeinschaft mit entgegengesetzten Abhängen
unmöglich machen wollten. Nirgends, fährt er fort, ist diese
erste Regel der Topographen und Kartenraacher mehr widerlegt
als in Spanien, wo oft die Quellen der Ströme oder der Flüsse,
welche sich in jene ergiessen, vorzugsweise ihre erste Nahrung
durch Ketten und Bergsysteme in irgend einem angränzenden Bek-
kensuclien,von dem ohne hinreichenden Grund angenommen wird,
dass es von jenen umschlossen werde. Es folgt hierauf in den
ersten sechs §§ desKap. die Darstellung der sechs Haupt -P'luss-
gebiete, nehnilich des Ebro, Guadalqui\ir , Guadiana, Tajo,
Duero undMinho, und endlich im siebenten § werden die Strö-
me der zweiten Klasse abgehandelt. Die Bestätigung der vor-
ausgeschickten allgemeinen Bemerkimg wird oftmals nachge-
wiesen, z. B. beim Flussgebiet des Guadiana (p.73), beimGua-
daljore, welcher die Serrania de Ronda und die von Abdalazis
trennt (p, 88) u. s. w. Einen sehr merkwürdigen Beleg dazu giebt
der Rio Fresneda, welcher in dem Becken des Guadiana seinen
Ursprung nimmt, sich aber in einer diesem Fluss entgegenge-
setzten Richtung der Sierra Morena zuwendet, diese im Des-
peiia-Perros durchbricht, und sich dann in den Gnadalquivir
ergiesst (p. 70). Ausserdem finden sich in diesem Kapitel in-
teressante und schätzbare Notizen über die Natur und Beschaf-
fenheit des Landes, welches jene Flüsse durchströmen, z.B.
über die Hochebenen am Guadiana, und über die hier befindli-
54 Geographie.
chen erloschenen Vulkane (p-TS), so wie über die Bergebenen,
durch welche der Duero sich seinen Weg bahnt (p. 8-1). Möge
diese gedrängte Uebersicht dem Leser zeigen, Avie viel mehr
gründlichere und umfassendere Untersuchungen über die phy-
sische Geographie der Halbinsel er in diesem Buche suchen
darf, als in jedem andern geographischen Werke. Zugleich
tritt Alles lebendig und klar vor die Augen des Lesers , da der
Verf. nicht nach fremden Berichten , sondern nach eigener An-
schauung schildert.
Die zweite Abtheilung oder der historische Theil beginnt
mit p.91. Das erste Kapitel handelt von den ürbewohnern der
Halbinsel , und da es dem Verf. darauf ankömmt, die Afrikani-
sche Abstammung der Bewohner Süd -Spaniens zu beweisen, so
erläutert er zuerst die Möglichkeit oder vielmehr die Wahr-
scheinlichkeit eines Durchbruchs des Mittelmeeres bei Gibral-
tar, indem er auf ein ähnliches Verhältniss mehrerer Flüsse
der Halbinsel selbst, z.B. des Minho, des Duero, des Guadiana,
aufmerksam macht. Ehe sich nehmlich diese Flüsse ihren Weg
zum Meere öffneten , bildeten sie Seen und zwar Seen mit sal-
zigem Wasser, wie der noch jetzt mit Salz geschwängerte Bo-
den und an manchen Stellen, welche sich in weiter Entfernung
vom Ocean befinden, sogar eine sonst nur den Meeresgestadeii
eigenthümliche Vegetation beweisen. Der Verf. berührt hier-
auf (p. 100) die geologische Aehnlichkeit der gegenüber ste-
henden Küsten von Gibraltar und von Ceuta und macht zuletzt
aufmerksam auf die ähnliche Vegetation und auf gewisse beiden
Küsten gemeinsame Thierarten, unter denen er besonders das
Cliamäleon hervorhebt. Wenn sich aber Pflanzen und Thiere
von Afrika nach der Halbinsel verbreiteten, so musste dies
(schliesst der Verf. weiter) auch den Menschen nicht unmög-
lich sein. Diese Fremdlinge (der Verf. nennt sie Hesperische
Atlanten) wurden die Iberierder spätem Zeit (p. 102); sie blie-
ben in der südlichen Klimahälfte des Landes ; die nördliche
Seite der Halbinsel war zu kalt für die Afrikaner. Daher (fährt
der Verf. p, 103 fort) dieser Afrikanische Typus, der sich so
bestimmt jenseits der Pyrenäen findet und um so auffallender
wird , je mehr man sich dem ehemaligen Berührungspunkt nä-
hert: der Boden theilt ihn (den Afrikanischen Typus) immer
den Bewohnern mit. Was des Verf.'s Ansicht eigentlich sei,
geht aus diesem Satze in der That nicht klar hervor; denn wenn
der Afrikanische Typus deshalb vorhanden ist, weil die Be-
wohner des südlichen Spaniens aus Afrika herstammen, wozu
braucht ihnen dann derselbe erst durch den Boden raitgetheilt
zu werden*? Als Gegensatz zu dieser letztern Behauptung (dass
den Bewohnern des Südens der Halbinsel ein gewisser Afrika-
nischer Typus durch den Boden mitgetheilt werde) führt der
Verf. an, dass in keinem Lande Europa's unter gleicher Breite
Bory de St. Vincent ; Sammlung geographischer Gemälde. 55
eine Verschmelzung eingewanderter Völker mit den Urbewoh-
nern statt gefunden habe, wobei er vorziiglicli auf Griechen-
land und Italien hindeutet. Diese Behauptung scheint uns aber
durchaus unhaltbar; die Gescbichte und der heutige Zustand
jener Völker lehren im Gegentheil, dass sie in der angedeute-
ten Beziehung demselben Schicksale, wie die Spanier unterwor-
fen waren ; alle Reste barbarischer Völker und ganze Horden,
welche Italien und Griechenland heimsuchten, und in einem
oder dem andern von beiden Ländern zurückblieben, sind durch
Vermischung mit den frühern Bewohnern und durch Einfluss
von Boden und Klima eben so gut zu Italienern und Neugriechen
geworden , wie sich Vandalen und Gothen durch Vermischung
mit den Ureinwohnern und Römern auf der Iberischen Halbin-
sel in Spanier verwandelten. Wir geben es sehr gerne zu, dass
Boden und Klima von grossem Einfluss auf die Bevölkerung Spa-
niens waren, diesen Einfluss aber bei Italien und Griechenland
leugnen zu wollen, scheint uns unmöglich. Auch im Folgenden
bemerkt man, dass der Verf. die historischen Thatsachen sei-
ner Hypothese anzupassen sucht. Die Römer (heisst es p. 105),
nachdem sie nach langen Anstrengungen Herren des Landes ge-
blieben waren, verschmolzen dergestalt ihre Gebräuche und
Sitten mit denen, welche sie vorfanden, dass sie sich bald in
Spanier verwandelt hatten. Wo ist aber ein Beispiel in der Ge-
schichte, dass das siej:ende und kultivirtere Volk dem besiegten
und bei weitem unkultivirteren gleich geworden sei *? Oder ist
etwa das Klima der Iberischen Halbinsel so excentrisch , dass
es für die Kultur durchaus hemmend wäre? Dies kann des
Verf.'s Meinung nicht sein; denn die für ihre Zeit hochgebil-
deten Araber würden den besten Gegenbeweis liefern. Ziem-
lich ungenügend muss man auch dasjenige nennen, was der
Verf. über die Besitznahme des nördlichen Theiles der Halb-
insel durch die Celten und über den Ursprung der Celtiberier
sagt (p. 105 ff.).
Da der Verf. sich im Folgenden, bis er zur politischen Geo-
graphie der Halbinsel kommt, einer grössern Kürze befleissigt,
so möge es uns vergönnt sein , nur durchaus übersichtlich dem
Gange seiner Darstellung zu folgen, um so mehr, als wir
schon oben bemerkt haben, dass der rein geographische Theil
des Buches der bei weitem interessantere sei. Das zweite Ka-
pitel „von den Phöniziern und Karthaginiensern,'' nimmt nur,
zwei Seiten ein, und ist deshalb höchst dürftig und unvoll-
ständig. Das dritte Kapitel handelt von den Römern und den
Völkern des Nordens. Auch hier wagt der Verf. nicht eher
auf eine Untersuchung der ethnologischen Verhältnisse und hi-
storischen Fakta eiiizugehn, als bis mit dem Augustus der ru-
hige Besitz des Landes durch die Römer beginnt, und auf
diese Weise ein helleres Licht über die Halbinsel verbreitet
56 Geographie.
wird. Augustus theilt ganz Hispanien in drei gros-se Provinzen.
Gegen das vierte Jahrhundert nach Chr. Geb., lieisst es ferner,
wurde Tarragonien, als zu ausgedehnt, in die Gallecische und
Karthagiuensische Provinz getheilt. Abgesehen von der ün-
deutlichkeit des Ausdrucks, welcher zu der Meinung verleiten
könnte, als habe dieProvincia Tarraconensis seit dieser Zeit auf-
gehört zu existiren; so geschähe ja diese zweite Eintheilung nicht
gegen das vierte Jahrhundert, sondern im vierten Jahrhundert
selbst, nehmlich im Jahre 324 nach Chr. Geb. Hierauf werden
die verschiedenen Völkerschaften genannt, welche in einer je-
den der fünf Römischen Provinzen des Spanischen Festlandes
wohnten (p. 114 — 110). Spanien, von verschiedenen nordi-
schen Völkerschaften überschwemmt, bleibt endlich im Besitz
der Gothen (p. 116—119). Im vierten Kapitel (p. 120 — 127)
erscheint die Halbinsel unter Muselmännischer Herrschaft. Auch
hier muss der Leser keine historischen Forschungen erwarten;
alles ist nur in sehr allgemeinen Umrissen gehalten, und über
die statistischen Verhältnisse ist wenig gesagt. Der Verf. lobt
die gegen die Christen bewiesene Duldung der Araber, und
rühmt die Bildung derselben; sie waren, behauptet er, ohne
Zweifel viel weiter in der Civilisation vorgerückt , als die Spa-
nier es gegenwärtig sind. (Mögte sich in mancher Hinsicht be-
weisen lassen, ist aber so, ohne alle Einschränkung ausgespro-
chen , offenbar unrichtig.)
Die dritte Abtheilung des Buches umfasst die politische Ge-
ographie; das erste Kapitel ist dem Äo/i?^re/cÄ Por/Mg^a/ gewid-
met. § 1 enthält allgemeine Bemerkungen. Fast unglaublich
klingt es , wenn man hier erfährt, auf welcher niedrigen Stufe
die meisten Künste bis diesen Augenblick in Portugal standen,
ungeachtet des wohltliätigen Einflusses, den die Anwesenheit
zahlreicher Engländer auf die Civilisation ausübte. So wird
man, heisst es p. 135, in ganz Poi'tugal keinen Maler oder Bild-
hauer, noch weniger einen Kupferstecher vom geringsten Ta-
lent finden ; die Verfertigung der Münzen selbst ist hier so un-
vollkommen, dass es nirgends leichter ist, ihr grobes und veraltetes
Gepräge nachzumachen; die Uhrmacherkunst ist gänzlich ver-
nachlässigt, so wie das Papiermachen; die Buchdruckerkunst
selbst ist so sehr zurück, dass man nicht eine einzige erträgli-
che Ausgabe, welche die Pressen des Landes geliefert hätten,
aufweisen kann. Um das Gemälde des Portugiesischen Volkes
zu vollenden, spricht der Verf. nacheinander vom Unterneh-
mungsgeist, von den Schifffahrten und Entdeckungen der Por-
tugiesen; darauf vom Nationalruhm, von der Portugiesischen
Geistlichkeit, den Orden, dem Heere, wie es war und wie es
ist, und von der Marine; endlich von dem Nationalhass zwischen
Portugiesen und Spaniern, von der Portugiesischen Sprache und
den Werken über Portugal. Dies Alles ist, so unerfreulich
Bory de St. Vincent : Sammlung geographischer Gemälde. 57
oft das Einzelne erscheint, zu einem interessanten Gemälde zu-
sammengestellt. In den folgenden sechs §§ findet sich nun
die Darstellung der einzelnenProvinzen, ihrer physischen Natur,
ihrer Produkte, Bewohner, und besonders ihrer wichtigsten
Städte. Einzelne Notizen hier hervorheben und bekritteln zu
wollen, kann unser Zweck nicht sein^ auch muss wohl in einem
Falle, wie der vorliegende ist, jeder Recensent mit seinen Zwei-
feln um so behutsamer und bescheidener auftreten, als der Verf.
überall selbst gesehn und selbst gehört liat. Was über die Städte
gesagt ist, ist im Allgemeinen nicht zu weitläuftig, aber genü-
gend. Nur bisweilen ist etwas nicht hierher gehöriges einge-
mischt, wiez.B. p 172, wo bei Torres Vedras von den Feh-
lern und Erfolgen LordWellington's geredet wird. Etwas Aehn-
liches findet sich p. 175 beiEvora und an mehreren andern Stel-
len. Man erkennt deutlich des Verf.'s Bestreben, durch der-
gleichen eingestreute historische Bemerkungen die Darstellung
interessant zu machen. Rec. hält es aber immer für einen Miss-
griff, die Erdkunde durch die Geschichte würzen zu Avollen ;
denn einmal enthält die erstere des Interessanten so viel, dass
sie ihre eigenen Schätze nicht einmal zu erschöpfen braucht, ura
dem Geiste hinreichende Nahrung zu geben, und zweitens sind
gerade historische Bemerkungen, in eine Darstellung der wich-
tigsten Orte eines Landes eingestreut, ohne allen Zusammen-
hang, und ohne alle Bedeutung. Eher könnte man dieselben in
die topographische Beschreibung des Landes verflechten, indem
sie hier dazu dienen würden, den Einfluss der Lokalitäten auf
den Gang der Geschichte in's Licht zu setzen.
Zweites Kapitel. Von Spanien. Den ersten, aber verhält-
nissmässig sehr langen Paragraphen (p. 182 — 291) füllen wie-
der allgemeine Bemerkungen. Der Verf. wirft zuerst einen
flüchtigen Blic!. auf die Geschichte der Halbinsel , seit den
Zeiten des Pelagius , fertigt sie aber zum Theil sehr kurz ab,
mit der Behauptung, es sei hinreichend erwiesen, dass die Ver-
gangenheit der Gegenwart nicht zur Lehre diene. Wäre hier
der Ort, auf philosophische Untersuchungen einzugehn, so wür-
den wir die allgemeine Gültigkeit eines Satzes , wie der ange-
führte ist, bestreiten müssen; man kann, meinen wir, mit dem-
selben Rechte das Gegentheil behaupten, und dieses Gegen-
theil hat man sogar lange als ein Hauptmotiv zum Studium der
Geschichte angesehen, worin sich wenigstens dies ausspricht,
dass die Wahrheit erst aus der Vermittelung beider Sätze hervor-
gehen werde. Von der Geschichte wird der Uebergang ge-
macht zum Volkscharakter der Spanier, der, nach der Darstel-
lung des Verf.'s, nicht im besten Lichte erscheint. Wollen wir
auch zugeben, dass der Verf. die Schattenseite desselben nicht
mit zu schwarzen Farben gemalt habe, denn die Belege, wel-
che er anführt, wie z. B. die unmenschliche Freude an Stier-
S8 Geographie.
gefechteu und Autos-da-fe, lassen sich allerdings nicht weg-
leugnen; so mögten wir dem Verf. docli den Vorwurf machen,
dass er die Liclitseite des Spanischen Charakters zu wenig habe
hervortreten lassen, und dass eine solche überhaupt vorhanden
sei, wird gewiss niemand bestreiten. Interessant ist jedenfalls
die Beschreibung der Stiergefechte p. 18S — 203 und der Au-
tos-da-fe p. 204 — 211. Es folgt eine Uebersicht der Bevöl-
kerung des ganzen Landes und der einzehien Provinzen; An-
gabe der Ursachen, warum sich seit der Vertreibung der Mau-
ren und Juden die Bevölkerung der Halbinsel immer mehr ver-
mindert habe. Chausseen, Verbindungswege und Kanäle p.
217 — 221 ; ihre geringe Zahl ohne Zweifel ein Hinderniss der
Civilisation der Halbinsel. Nicht minder unerfreuliche, ob-
gleich für die Geschichte der Menschheit interessante Züge
dieses Gemäldes bilden die beiden folgenden der Staatsver-
waltung und der Religion gewidmeten Absclinitte (p. 221 — •
228). Bei dieser Gelegenheit spricht er auch von der Vertrei-
bung der Mauren, welche wir zwar, wenn Avir vom Stand-
punkte unsrer Zeit aus urtheilen, mit ilim für grausam und un-
politisch *) halten (da man nicht einsieht, warum die gewerb-
fleissigen Mauren, wenn gleich ein fremdartiger Bestandtheil
der Bevölkerung, nicht eben so gut unter den Spaniern hätten
leben können, wie unter andern Völkern die Juden), welche
aber dem Geiste der Zeit und dem Spanischen Volkscharakter
ganz gemäss war. Sie ging nicht, wie der Vf. sagt, aus einem
wahren Geiste der Polizei, sondern aus einer nothwendigen Re-
aktion der von den Mauren fi'üher bedrohten christlichen Kir-
che selbst liervor. Den Beschluss dieser das Staatswesen be-
treffenden Betrachtungen macht ein Blick auf die Land- und
Seemacht (p. 2-10 — 240). Der Span. Lit. ist ein nicht unbedeuten-
der Abschnitt (p.249 — 282) gewidmet; aber eine gewisse Einsei-
tigkeit und Befangenheit des Verfassers ist hier nicht zu ver-
kennen. Dass die Keime der Spanischen Literatur bei den
Künste und Wissenschaft liebenden 3Iauren gesucht werden
müssen, lässt sich allerdings historisch beweisen, eben so, dass
der Rittergeist einen v/esentlichen Einfluss auf die Richtung
dieser Literatur ausgeübt habe; dass aber die Spanier diese
ritterlichen Ideen erst von ihren Feinden, den Mauren, an§^e-
nommen hätten, ist offenbar zu viel gesagt. Diese ritterli-
chen Ideen und die durch sie bedingte Literatur sind in dem
Geiste des ganzen Zeitalters begründet und fanden sich da-
mals auch I bei allen übrigen Romanischen und Germanischen
Völkern , welche nicht in so unmittelbare Berührung mit den
*) Einen Beleg giebt Andalusien, wo man die riätze von drei
and fünfzig bedeutenden Orten zeigt, welche blos seit Vertreibung der
Mauren verfalleu uod nicht wieder aufgebaut worden sind , p. 369.
Bory de St. Vincent: Saramlungf geograpluäclier Gemälde. 59
Arabern kamen wie die Spanier. Den Vorwurf der Einseitig-
keit aber müssen wir dem Verfasser besonders machen
in Bezug auf seine Ueberscliälzung der Französischen Dichter,
namentlich Molii-re's, welcher der griindlicliste der Pliiioso-
phen und der vollkommenste Sittennialer genannt wird (p. 2(55),
und von dem es an einer andern Stelle (p. 2(M>) heisst, dass
der grosse Cervantes unter allen altern und neuern Genies al-
lein würdig sei , ihm gleich gestellt zu werden. Ueberhaupt
spricht sich jene Befangenheit des Verfassers in einer allzu-
grossen Herabwürdigung der Spanischen Literatur, beson-
ders der dramatischen , aus (p. 271 und if.). Mit mehr Aner-
kennung spricht der Vf. von der Malerei und Baukunst p. 282
und ff. Es folgen nun die bis jetzt vorhandenen Werke über
Spanien und die Karten. Was die letzteren betrifft, so durfte
der Leser offenbar mehr erwarten; hätte der Verf. auchlland-
karten, wie die von La Pie und Piquet, welche keine besonde-
ren Vorzüge besitzen, übergehen wollen, so verdiente doch ge-
wiss die vortreffliche Englische Karte vonNantiat und die Fran-
zösische von Donnet genannt zu werden, anderer minder lo-
benswerther Karten nicht zu gedenken.
In den folgenden fünfzehn §§ werden alsdann die einzel-
nen Provinzen Spaniens mit ihren wichtigsten Städten beson-
ders durchgegangen , und es gilt von diesem Theil der Darstel-
lung dasselbe, was wir schon oben über denselben Abschnitt
der Geographie Portugals geäussert haben.
Nachdem wir so dem Gange der ganzen Darstellung bis
an's Ende gefolgt sind, haben wir vergessen auf diese und jene
Kleinigkeit einen Seitenblick zu werfen, was wir aber hier
nachholen wollen. Ueber einzelne excentrische Ausdrücke mit
dem Verf. zu rechten, ist nicht unsere Absicht, nur was die
Sache selbst angeht , soll kurz berührt werden. Pag. 27 heisst
es vom Bätischen System : „Unter einem schon brennenden
Klima bedeckt es sich mit Schnee , der nie schmilzt und sich
endlich in Gletscher aufhäuft." Sollte dem Verf. die Natur u.
Entstehungsart der Gletscher unbekannt sein? Da dies nicht
denkbar ist, so müssen wir diesen Ausdruck , selbst wenn er
nur bildlich gebraucht sein sollte , als unstatthaft tadeln, in-
dem die Gletscher ja nicht die kulminirenden Punkte der
Schneefelder, sondern im Gegentheil die Ausflüsse derselben
sind und daher tiefer liegen als jene. Etwas, worüber wir uns
keine Auskunft geben konnten, ist, dass der Verf. an mehreren
Stellen (p. 144, 227, 204 u. s. w.) auf den 9ten Band von Mal-
te-Brun's Geographie verweist und sogar die Seitenzahl ci-
tirt; ja p. 14!) wird ein langer dem 9ten Bande entlehnter Satz
Malte -Brun nach erzählt. Unseres Wissens sind aber von M.
Br.'s Geographie nur sechs Bände erschienen , mehr wenigstens
in Deutschland nicht bekannt geworden , und in diesen ffndet
60 Geographie.
sich nichts üher die Iberische Halbinsel; es scheinen daher die-
se Citate aus einer handschriftlichen IMittheiluns: herziirüliren,
welche dem Yerf. von dem nun verstorbenen Malte -Brun ge-
macht worden ist.
Die absolute Höhe der Lage Madrid's ist (p. 337) niedriger
angegeben, als man sie sonst gewöhnlich angiebt; der Verf.
setzt nehmlich fiir die Plaza major zu 3Iadrid 6U0 (ungefähr
18(^0 Fuss) 3Ieter an, während iiacli der gewöhnlichen Annah-
me Madrid über 2000 Par. Fuss hoch liegt; Antillen *) giebt
ihm sogar 2412 Par. Fuss. — Stellenweise ist dieses Gemälde
der Iberischen Halbinsel, was wir Vibrigens nicht tadeln wollen,
nur als ein Auszug aus dem Guide du Voyageur unsers Verf's.
zu betrachten und mitunter stimmen fast ganze Seiten beider
Werke beinahe wörtlich iiberein , wie z. B. p. 4() mit p. 202 u.
203 des Guide du Yoyag., p. 41 u. 42 mit p. 204 u. 205 jenes
Buches. Was die Uebersetzung betrifft, so lässt sie manches
zu wünschen übrig; hier und da haben sich Härten eingeschli-
chen, und an mehreren Stellen ist sie offenbar fehlerhaft, wo-
bei wir noch bemerken müssen, dass uns mancher Fehler ent-
gangen sein mag, da wir das Französische Original nicht zur
Hand hatten. Solche harte oder undeutsche Wendungen fin-
den sich z. B. p. 4ß: „wenn nicht etwa die strengen Winter des
nördlichen Europa's, ihren Einfluss hier auf diese Klimate aus-
dehnend, ihren Eiswind, seiner Bahn entirrt , herübersen-
den." Desgl. p. 81: „die Ilauptzuflüsse des Tajo, welche bei-
nahe überall bis nach Alcantara durchwadet werden können,
und deren Becken vom Lusitanischen Systeme, so wie von dem
Carpetano-Yettonischen umgränzt ist, erhält er auf seinem
rechten Ufer durch die Gewässer der mittäglichen Abhänge
der zweiten dieser Ketten." Eben so heisst es p. 88 vom
Guadaljore: „aber anstatt hinein (in den Genil) zu fallen, wie
man bei Untersuchung des Landes voraussetzen könnte, dass
er sollte, durchschneidet er u. s. w." Pag. 119 wird die Ent-
ehrung der Tochter des Grafen Julian durch den König Rodri-
go eine blutige Beschimpfung genannt. Geradezu fehlerhafte
Ausdrücke sind z.B. p. 136: „— wenn gleich ihre weitläufti-
gen Besitzungen des mittäglichen Amerika's mehr vortrelfiiche
Ochsenhäute zu niedrigeren Preisen liefern, als vielleicht alle
übrigen Theile der Erde zusammen nicht ^ u. s. w." Eben so
p. 200 und p. 207 der Ausdruck „sich knien.'' Desgl. p. 388:
„da das Königreich Granada das südlichste und am besten be-
wässertste (sie) ist u. s. w>' Endlich müssen wir noch auf ei-
nen Fehler aufmerksam machen, der wahrscheinlich auch aus
•) Antillen, Geographie de l'Espagne et du Portugal ect. Paris,
1823 p. XV.
Bory de St. Vincent : Sammlung geographischer Gemälde. 61
einem Irrtliiim des Uebersetzers hervorg^e^angen ist, indem es
nicht glaublich ist, dass sich ein Druckfehler so oft hätte wie-
derholen können. Die Länge der Oerter ist nehmlich nach dem
Meridian von Teneriffa bestimmt, und ungeachtet auf diese
"Weise die Iberische Halbinsel nur östliche Länge Iiaben kann,
so ist doch an sehr vielen Stellen von westlicher Länge, meist
mit dem Beisatze „von Teneriffa" die Rede. S. p. 9, 22, 39,
43, 4(», 58 (zwei Mal), (f3 (zwei Mal), 'J3 und 80. Höchst
wahrscJieinlich hat die Verwechslung der Wörter oriental und
Occidental zu diesem Feliler Veranlassung gegeben.
Druckfehler sind zwar nicht augezeigt, finden sich aber
im Buche nicht selten; doch sind sie meistens von der Art, dass
sie der aufmerksame Leser selbst entdecken und verbessern
wird. So steht p. 10 Ardour statt Adour; p. 41 Z. 4 von unten
Lusitanischen statt Cantabrischen; p. 80 Abaracin statt Albarai-
cin; ebend. 70*^ statt 7*^ und ausserdem, wie schon vorher be-
merkt, „westlicher Länge" statt östlicher Länge; p. 113 Gal-
lecinische statt Galläcische oder Gallicische Proviuz; ebend.
Carthaginensche statt Carthaginiensische; p. 3S9 Madrid, un-
ter dem 47" 25' N. Br. statt unter dem 40" 25' N. Br ; p. 411
Murviedo statt Murviedro ; und mehrere andere unbedeutende.
Zum Beschluss sei uns erlaubt, noch wenige Worte über
die dem Buche beigegebene Karte hinzuzufügen. Sie ist nach
den obenerwähnten beiden Karten unsers Verfassers in verklei-
nertem Maassstabe gezeichnet ; da aber hierdurch Berge und
Schrift etwas in einander gedrängt worden sind, das Ganze fer-
ner ein Steindruck und noch dazu nicht der beste ist, so ist
die Karte dadurch undeutlich geworden und macht auf das Auge
einen unangenehmen Eindruck: besonders schwach sind die
Gebirge ausgedruckt, so dass die Pyrenäen um nichts dunkler
(d.h. Iiöher) erscheinen, als die Bei'ge von Toledo oder die
Sierra Morena. Glücklicher Weise sind die Abdachungen, die
Scheidungslinie der Klimate und die Provinzen mit farbigen
Rändern umzogen, sonst würde man nichts herausfinden kön-
nen. Einen Uebelstand haben wir ferner darin gefunden, dass
auf der Karte als erster Meridian der von Paris angenommen
ist, während im Buche überall die Länge nach dem Meridian
von Teneriffa gereclinet wird. Dass sich auf der Karte bei ih-
rem kleinen Maassstabe ausserdem viel Mängel und UnvoU-
kommenheiten finden müssen, ist nicht anders zu erwarten; so
sind z. B. mehrere Strassen nicht eingetragen und fehlen häufig
die Namen der ^lüsse, von welchen im Buche die Rede ist,
wie z. B. des Jarama, Guadarrama, Arberche, Tietar, Ala-
gon, Zezere, Zatas , derEsla, des Rio Coa, der Tamega u.
8. w. Der beschränkte Raum entschuldigt dies indessen und
wer sich genauer über die Iberische Halbinsel unterrichten
62 Programme.
will , wird ohnedies eine grössere und bessere Karte znr Hand
nehmen.
Wir schliessen unsere Bemerkungen mit dem Wunsche,
dass niemand in unsern Ansstelhingen die Absicht finden möge,
als hätten wir die Verdienste des Verfasssrs verkleinern wollen ;
sondern wir haben imGegentheil dieUeberzeugung, dass durch
dieses Buch die Kenntniss der Iberischen Halbinsel bedeutend
gefördert worden ist , und dass wir in dieser Beziehung selbst
dem Verf. sehr Vieles verdanken. Das Buch ist deshalb auch
allen Lehrern der Erdkunde mit Recht zu empfehlen.
Walter.
Programme,
Domitius Marsus.
Mßie löbliche Sitte , die wohl auf den meisten Gymnasien und
gelehrten Schulen Deutschlands nun allgemein eingeführt wor-
den, oder, wo sie es noch nicht ist, eingeführt zu werden
verdient, die Feier eines öffentlichen Aktus durch ein Programm
wissenschaftlichen Inhalts zu verherrlichen u. derselben durch
das grössere oder mindere Interesse des behandelten Gegen-
stands zugleich ihre Stelle in der Geschichte der Deutschen
Litteratur zu sichern, hat bereits durch glückliche Wahl oft
von den ausgezeichnetsten Männern bearbeiteter Gegenstände
so erspriessliche Folgen für die Wissenschaft gezeigt, dass es
ein überfliissiges Geschäft sein würde, jener Sitte, die nie ver-
alten möge , eine Lobrede zu halten. Wir müssen aber die ge-
lehrten Erzeugnisse, die diesem Institut ihr Leben verdanken,
um so willkommner dann nennen, wenn wir finden, dass der
Verfasser seinen Gegenstand nicht nur nach Möglichkeit er-
schöpft, sondern auch einen solchen Gegenstand gewälilt habe,
dem nicht nur nicht Bedeutendheit abgeht, sondern welcher
auch seines Urafangs nach geeignet ist, in einer kleinen Schrift
von engen, vorgesteckten Gränzen bis zur Befriedigung bear-
beitet zu werden. Nicht Alle, denen die Verfassung von der-
gleichen sogenannten Gelegenheitsschriften obliegt, treffen
hierin eine richtige Wahl, indem sie nur zu oft Gegenstände
behandeln, welche die Bearbeitung innerhalb eines durch äu-
ssere Umstände beschränkten llaums nur auf Kosten der Gründ-
lichkeit gestatten. Demolingeachtet bietet gerade die Philolo-
gie ihrem Wesen nach mehr als irgend eine andere Wissen-
schaft Stoff zu wissenschaftlichen Erörterungen dar, welcher
Weichcrt : De Domitio Marso poeta commcntatio. 63
eine ziemlich abgesonderte Behandlnn^ erlaubt und selbst oft
bei der geringsten räumlicben Ausdehnung in seiner Behand-
lung als ein für sich bestehendes und geschlossenes Ganze er-
scheint. Vor allen Gegenständen, die in diesen Kreis philolo-
gischer Studien gehören, rechnen wir hieher vorzüglich das
Sammeln und Bearbeiten der Fragmente verloren gegangener
Schriftsteller, und wenn nach dieser Seite hin in neuerer Zeit
für Griechische Litteratur Erfreuliches und Ehrenwerthes ge-
schehen, so muss jedoch ötfentlich bekannt werden, dass die-
ses weniger der Fall gewesen in Bezug auf Römische Schrift-
steller, wovon die Gründe hier nicht aufgesucht zu werden
brauchen. Um so anerkennungswerther ist daher das Ver-
dienst des Hrn. llector Weichert in Grimma, der seine
Müsse bei vorkommenden Gelegenheiten gerade für diese Art
gelehrter Beschäftigung benutzt und durch eine Reihe von nun
bereits vorliegenden Monographieen über dergleichen Gegen-
stände aus der Römischen Litteraturgeschichte die grösste An-
erkennung sich erworben hat, die auch wir hier aus wahrer
Ueberzeugung dankbar aussprechen. Die Zahl dieser Mono-
graphieen, Römische Litteraturgeschichte betreffend, hat Hr.
Weichert in diesem Jahre durch eine neue vergrössert, die
ebenso wie die früheren , die ausgebreitete Gelehrsamkeit des
Hrn. Verfassers wie dessen Scharfsinn in glücklichen Combi-
nationen beurkundet. Es handelt diese zu Grimma erschienene
Gelegenheitsschrift de Domitio Marso poeta , und wir glauben
kein fruchtloses Geschäft zu übernehmen, die Resultate dieser
gründlichen Abhandlung unsern Lesern um so mehr hier ira
Auszuge mitzutheilen, als diese Schrift ihrer Natur nach nicht
für eine allgemeine Verbreitung durch den Buchhandel bestimmt
ist und daher nur ein kleines Publicum finden wird.
Domitius Marsus , dessen Vorname uns unbekannt ge-
blieben, war ein Zeitgenosse und Freund des Horatius und
Virgilius, welchen letzteren er noch überlebte, ja, wie Hora-
tius, selbst auch in der Schule des bekannten Orbilius erzogen.
Näher lässt sich aus Mangel an Nachrichten nichts über die
Lebenszeit des Domitius bestimmen. Ebenso ungewiss muss es
auch bleiben, ob er von dem Volk der Marser abstammte, was
Hr. Weichert aus seinem Beinamen Marsus vernnithete. Da-
gegen wissen wir gewiss , dass sein Ruhm vorzüglich als Ver-
fasser von stark gewürzten Epigrommen nicht nur zu seiner
Zeit, sondern auch noch später allgemein verbreitet war, so
dass des Domitius Epigramme eine Schule der Nachahmung und
Nacheiferung des Martialis wurden, der seiner an raehrern
Stellen auch in dieser Hinsicht gedenkt; welcher Umstand
Hrn. Weichert die Veranlassung giebt viele Stellen dieses,
leider viel zu sehr noch vernachlässigten Dichters treffend zu
erläutern, zuweilen auch kritisch zu verbessern. Ausser den
64 Programme.
Epigrammen, in deren Verfertigung sich des Doraitius Geist
am meisten gefallen zu haben scheint und darum auch am mei-
sten geleistet hat, sclirieb er epische Gedichte, von welchen
wir eine Amazonis dem Namen nach kennen, welclie laut Mar-
tialis' Erwähnung ein Gedicht von sehr grossem Umfange ge-
wesen zu sein scheint. In dieser Gattung der Poesie erreichte
zwar Domitius keineswegs den lluhm eines Maro, reihete sich
aber dennoch den ausgezeichnetsten Dichtern des historischen
Epos an. Ferner ist er der Vei'fasser eines wie es scheint ele-
gischen Gedichts, das den Namen Melaenis führte, also nach
dem Namen eines von ihm geliebten Mädchens genannt, wie
auch schon zum Apuleins de Orthogr. S. 18 vermuthet wurde.
Ob dieses ein einzelnes Gedicht, oder ein Complex mehrerer
Elegieen gewesen, nach Art der Leontion desHermesianax und
anderer Sammlungen elegischer Gedichte, wie Hr. Weichert
vermuthet, nuiss als ungewiss dahin gestellt bleiben.
Zu dieser Gattung der Poesie müssen endlich auch Fabellae
gerechnet werden, die dem Domitius Marsus zugeschrieben
werden, und welche, einem daraus erhaltenen Fragmente nach,
augenscheinlich in elegischer Form verfasst waren. Zu diesen
poetischen Versuchen gesellen sich nun noch auch einige pro-
saisclie Schriften des Domitius , von welchem wir namentlich
ein Buch de urbanilate kennen.
Den Beschluss dieser gelehrten Monographie macht die
Sammlung der poetischen Bruchstücke dieses Diihters, die lei-
der die Zahl von sieben nicht überschreiten, und wir sind auch
ausser Stande noch ein achtes Iiinzuzufügen. Bemerkt muss da-
bei werden, dass dieselben schon von II. Stephanus und
Broukhuäius zusammengestellt worden, jetzt nun aber erst
ihre gebührende kritische Behandlung erfahren haben. Das
erste ist das schöne, bekannte Epitaphiiun Tibulli^ welches
nicht eigentlich den Namen eines Bruchstücks verdient. Zum
siebenten Fragmente wollen wir beiläufig bemerken, dass
in der Anführung der Stelle aus Priscianus S. 23 wohl durch
ein typothetisches Versehen der Name Marsus vor dessen
Worten Adipis pondo viginti velustae ausgefallen ist. In Bezug
auf die Behandlung der einzelnen Gegenstände haben wir nichts
zu erinnern gefunden und stimmen im Allgemeinen Hrn. Wei-
chert vollkommen bei. Es muss zugleich auch noch bemerkt
werden, dass gelegentlich mit Gründlichkeit über einige andere,
gleichfalls wenig bekannte Römische Schriftsteller und Perso-
nen gesprochen wird , m ie über L. Tüliics Ciinber S. 4 , Domi-
tius Af er ^ Redner, S. 7, Gaetulicus , Epigramm -Dichter, S.
10, Sexlus^ Dichter, welcher bisher verkannt wurde, S. 11,
Pudens^ S. 13. lieber letzteren erlauben wir uns einen Zu-
satz, um doch auch nicht ganz äöv^ßüXas von Hrn. Wei-
chert zu scheiden. Hr. Weichert nennt diesen Pudens einen
Welcliert: De Domitio Marso poeta coramcntatio. Cf5
nescio quis, und allerdings sind wir über ihn schlecht berich-
tet. An ihn ist ein Epigramm des Martialis (IV, 29) gerich-
tet, welclies Ilr. Weich er t gut erklärt. Wir sehen daraus,
dass sich Pudens mit der Leetüre von poetischen Werken be-
schäftigte, und es wäre niclits dagegen, ihn selbst uns als ei-
nen Dichter zu denken. Ferner findet sich nach Hrn. W ei-
che rt seiner noch Erwähnung in einem andern Epigramm des
Martialis IV, 13, welches von der Vermählung dieses Pudens
mit einer uns sonst unbekannten Claudia Peregrina liandelt.
Daselbst heisst es im Anfange :
Claudia , Rufe , meo nubit Peregrina Fudentl :
niacte esto tasdis , o Hyraenaee , tuis.
Tarn bene rara suo niisccntur cinnama nardo ,
Masäica Theseis tarn bene vhia favis.
Der Sinn des letzteren Distichons ist klar und leicht verständ-
lich: selten verbinden sich so gut Cinnamum und Narde, sel-
ten so gut Massiker mit Attischem Honig (wozu zu vgl. Aitfi-
dius forti miscebat mella Falerno bei Horaz Sat. 1,4), wie
Pudens mit Claudia durch die Ehe. Nichts desto weniger be-
haupten wir, die Stelle sei ihrer Vollständigkeit nach noch
nicht verstanden, indem hier eine witzige, ganz im Charakter
des Martialis liegende, Zweideutigkeit im Hintergründe liegt,
die den Erklärern bis jetzt verborgen geblieben und iiber jenen
Pudens selbst ein unerwartetes Licht verbreitet. Wie? wenn
es wirklich einen Dichter Pudens gegeben hätte, welcher den
Beinamen Nardus gefiihrt habe? Bekäme dann nicht das gan-
ze Bild miscentur cinnama nardo seine wahre Beziehung
durch einen launigen Scherz , der von dem Namen des glückli-
chen Bräutigams hergenommen wäre? Und so ist es in der
That. Diese gewiss willkommene Erklärung verdanken wir
folgender, in einem Pentameter bestehenden , Grabschrift bei
Gruter S. 1118, 6:
NARDV
POETA
PVDENS
HOC
TEGITVR
TVMVLO
Wir meinen , wo die Umstände sich so wie von selbst zu einer
Combination darbieten, kann kein Zweifel statt finden, dass
der hier genannte Pudens Nardus der Pudens des Martialis sei,
wodurch dessen Erwähnung beim Martialis nun ein ganz neues
Verständniss erhält. Wir haben nun einen Dichter Pudens aus
dem Zeitalter des Martialis gewonnen: ja, wir glauben unsere
Jahrb. f. Phil. u. Pädag. Jahrg. III. Heft ü. g
66 Programme.
Combination über denselben noch weiter führen und von ihm
Dinge berichten zu dürfen, von denen mau noch keine Ahndung
hatte. Denn wir getrauen uns mit Wahrscheinlichkeit niclit nur
seinen ganzen Namen, sondern auch sogar sein Vaterland ange-
ben zu können. Zuerst werde bemerkt, dass der Name Pudens
als Cognomen zu nehmen sei, wie dieses auch sonst vorkommt.
So wird ein Coelius Pudens erwähnt auf der Tabula alimentaria
ed. Wolf S. 37, ein M. Taminius Pudens, Grut. S. 128, 1, ein
L. Helvius Pudens , das. S. 240, col. 3, ein Titus Statins Pu-
dens, das. S. 250 col. 3. Es könnten nocli viele Beispiele nam-
haft gemaclit werden. Demnach erscheint der Name Nardus
als Agnomen. Nun findet sich aber allerdings noch ein Dichter /*z^
rfews auf einer Inschrift erwähnt, mildern Vor- u. Familiennamen
L. Valerius, welchen wir keinen Anstand nehmen für identisch zu
halten mit dem obigen Pudens Nardus. Dass daselbst das Agnomen
weggelassen ist, giebt nicht den mindesten Anstoss , da dieses
aus verschiedenen Gründen wegbleiben konnte. Der Stein selbst,
auf welchem sich diese Inschrift befindet, scheint nicIit mehr
vorhanden zu sein: wir verdanken ihre Aufbewahrung einem
Schriftsteller des fünfzehnten Jahrhunderts, Tortellius, auf
dessen Wichtigkeit für Philologie wir neulich aufmerksam ge-
macht haben. Unter dem Worte heder a Fol. 96 b (die Ausga-
be, die uns zur Hand liegt, ermangelt der Paginirung) in sei-
nem Buch de orthographia erzählt Tortellius : sane coronaban-
tur hedera poetae: cum in certamitiibus ex iudicum sententia
approbati fuissent : ut inventum epigramma apud histoniumfren-
tanorum oppidum saxo insculptum his verbis indicat (nun folgt
die Inschrift) : L. Valerio pudenti. L, F. hie cum esset anno-
rum. JLIII. Romae certamine sacro Jovis capitolini lustro. VII.
claritate ingenii coronatus est inter poetas latijios omnibus sen-
tentiis iudicmn. hiiic plaebs universa municipium (wohl ver-
druckt st. municipum) histoniensium stattiam aere collato decrevit.
An der Aechtheit dieser Inschrift im Allgemeinen zu zweifeln,
ist um so weniger Grund vorhanden, als uns ja sogar der Ort
angegeben worden, wo sie gefunden sein soll, und wenn sie
jetzt nicht mehr im Original vorhanden ist, so theilt sie das
Schicksal mit vielen andern Monumenten dieser Art, die auf
unsere Zeit nur durch das Mittel schriftlicher Ueberlieferung
gekommen sind. Jedoch ist es keineswegs glaublich, dass je-
nes Epigramm in der von Tortellius angegebenen Form im Ori-
ginal wirklich abgefasst gewesen sei, vielmehr scheint uns Tor-
tellius nur den auf seine Weise anfgelössten Siim der Aufschrift,
nicht eine Copie der Inschrift selbst raitgetheilt zu haben. Be-
trachten wir aber nun den Inhalt der Inschrift etwas näher.
„Die Rede ist von L. Valerius Pudens (dem wir dem Obigen zu
Folge nun wohl auch das Agnomen Nardus hinzusetzen dür-
fen) , Sohn des Lucius , welcher schon in seinem dreizehnten
Weichert: De Doraitio Marso poeta coraiuentatlo. 67
Jahre *) zu Rom bei den Festspielen des Juppiter Capi-
tolinus sicli den Preis als Dichter erwarb." üekannt ist,
dass bei diesen ludis Capilolinis , welche vom Domitian ein-
gerichtet und nacli den Capitolinischen Fasten zuerst im
Jahr 839 ü. C. gefeiert wurden (siehe Lindenbr. ad Censorin.
18), Wettkämpfe von Dichtern, lllietoren und sonstigen Schrift-
stellern statt fanden. Vgl. Scaligeri Lect. Auson. 10. Ferner
dass diese Spiele alle 5 Jahre gefeiert wurden , und dass sie
demnach nach Lustren berechnet wurden, wie auch Censorinus
18 andeutet. In der Inschrift heisst es nun dass Pudens im sie-
benten Lustrum als Dichter aufgetreten sei, d. i. im Jahr 8ti(i.
Diese Zeitbestimmung passt vollkommen, um mit Sicherheit
annehmen zu dürfen, dass dieser Pudens der vom Martialis
geraeinte sei. Nehmen wir nun an, und warum nicht'? dass
Pudens sich im zwanzigsten Lebensjahre verheirathet lialie, so
fällt dieses Ereigniss in die ersten Jahre der Regierung Hadri-
ans, und bis dahin dürfen wir getrost die Lebenszeit der Mar-
tialis ausdehnen , von welchem wir weder das Jahr seiner Ge-
burt noch das seines Todes kennen. Endlich der Umstand,
dass Aiewiiversa plebs mu?iicipum Histoniensimn*^) dem Pudens,
eine eherne Statue zu errichten beschlossen habe, lässt mit
Sicherheit annehmen, dass Pudens aus diesem Municipium ge-
bürtig war, nämlich aus der Stadt Ilistonium (zuweilen fälsch-
lich Istonium geschrieben) in Samnium.
So viel über einen Dichter, dessen Namen schon der Merk-
würdigkeit wegen, dass er in seinem dreizehnten Lebensjahre
den Ruhm öli'entlich gekrönt zu werden errang, verdient in
der Geschichte der Römischen Litteratur genannt zu wer-
den. Es ist augenscheinlich , dass unsere Combination zwar
auf einigen nur wahrscheinlichen Annahmen beruht; wir mei-
nen aber, wo alle Umstände sich so wie von selbst aneinander
reihen, kann nur ein Skeptiker an dem Innern Zusammenhang
derselben zweifeln. Auf jeden Fall wäre es uns lieb, Hrn.
Weichert's Urtheil über diesen Gegenstand zu vernehmen und
wir wollen liiermit die freundliche Aufforderung dazu zugleich
mit der Bitte ergehen lassen, seine schon früher gethane Ver-
heissung, welche auch nun S. 23 wiederholt wird, uns näm-
lich mit einer Monographie über den Dichter L. Varius zu be-
schenken , recht bald in Erfüllung gehen zu lassen.
*) Nach der Vita Virgilii schrieb \ irgilius auch schon in seinem
fünfzehnten Jahre Gedichte.
'*) Diese Formel ist gewiss aus der Inschrift selbst entnommen :
"plebs ist der eigentliche Name des Volks in den Municipien. So ylchs
urbana Pisaurensium bei Grut. S. 322, 8. Auch JtA^d'os wird auf eine
ähnliche Art gebraucht: siehe Syllog. inscr. fasc. VIII S. 386.
Friedrich Osann.
68 Programme.
Zur Feier des Andenkens zweier Stipendienstifter hat Hr.
Prof. L o b eck auf den 22 u. 23 Juni d. J. mit einem Programme
eingeladen: De Graecorum placentis sacris. Dissert.
I. Ausser der Einleitung enthält dasselbe ein Anecdoton des
Goropius Becanus „e codice Troghemensi tro7isscriptum.'^
Obschon die Tragheimer Bibliothek durch Andr. Dunk er be-
kannt geworden, der Emendationen Virgils aus einer Hand-
schrift iV/o/2ßc/«7 IZVog^Äe/^ews/s herausgegeben hat, so wird es
doch manchem Leser lieb sein zu erfahren, dass der Tragheim
ein Bezirk der Haupt- und Residenzstadt Königsberg in Preu-
ssenist. Das Werk Job. Gor p's ist iiberschrieben: Thaiimato-
scopion symboliciim sive Mijthologine Gr. et Rom. ehicidatio etc.
Die Handschrift, sagt der Herausgeber, sei selir liickenhaft, und
der grösste Theil derselben verloren gegangen: aus dem noch
üebrigen werden höchst interessante Ansichten des sonderba-
ren Mannes mitgetheilt. Er nennt seine Behandlung der Mytho-
logie die spirituale und zieht gegen die littercde der Philologen
gewaltig los, besonders, weil sie zu historisch verfahren und
aller unmittelbaren Anschauung ermangeln. Sein Hauptge-
danke ist: ,,//2 Graecorum fabvlis et religioiiibus contineri ....
artem coquinariam.'-'- Da die Schrift keines gedrängten Auszu-
ges fähig ist , mögen hier nur einige Proben aus ihr Plaz fin-
den, — denen ich aus späteren Excerpten und Zusäzen des
Gorpschen Buches Einiges einschalten werde. Auch diese be-
finden sich handschriftlich in der Traglieimer Bibliothek. J7o-
jrot, sagt Gorp, die älteste Benennung der Götter, bezeichne
Köche, von tÜtcco., öal^ovsg aber eptdones, von dalg ; Zsvg
sei von ^eIv, sieden. (Hier schalte ich ein: Z>^'v sei t,rjv^ wel-
ches das Consequens von t,Biv sei, indem erst gesotten, dann
gegessen werde. An dalg schliesse sich das Aeolische zJsvgy
und odovg mit vorgeschlagenem o. Unser Deutsches Zah7i stellt
er mit dem Dorischen Zdv zusammen.) — "/Igre^igi von agtog^
also Bäckerin., welche mit der Köchin dieselbe war. KccßsiQOL,
exempta littera Aeolica, KaBLQOi^ focarii. IJäv proprie Ilcicjv,
gustator, a %cco^ai. (Einschalt.: \ on Iläv \»t anch. panis pa-
nicum., Bnchweizen^ und der Name der Stadt Pana bei Strabo.)
'Eg^^g., Tie^narog elöog ap. Hesych, (Einschalt.: Ops ist einer
der reichhaltigsten Artikel; daher hier uur das Bedeutendste
daraus, Ops ist die Göttin des gesammtcn Tafelreichthums und
daher mit Recht die Gemalin des Gottes der Sättigung, Satur-
nus. Ihre Kinder sind Pesta., die Göttin des Küchenfeuers,
Ceres, die Göttin des vegetabilischen Theiles der Mahlzeit,
luno alyocpdyog ^ Jupiter HlaTUvaGxiqg., Neptunus , \on ViTCra,
der FJrfinder des bei den Alten vor der Malzeit gebräuchlichen
liändeivaschens ^ wälirend ihn die Griechen vom Darreichen
des Getränkes ^ tioölv ÖLÖövaL, UoöEiötov nannten; endlich
Pluto. Diesen lässt Gorp erst bei der späteren Vertheilung der
Lobeck : De Graccorum placcntls eacrii?. 69
Weltherrschaft Gott der Unterwelt werden, zuvor war er ihm
Gott des in der Erde verborgenen Ileichthumes, Dis^ d. i. di-
res, jiXovTog^ also der zu Küchengeräthen erforderlichen Me-
talle, besonders aber des Sahes^ oline das keine Kochkunst
denkbar. Hier folgen 27 Hexameter zum Lobe des Salzes, die
icli übergehe. Den cns^en Zusammenhang Plulos mit Speise und
Trank sucht Gorp auch dadurch zu beweisen, dass er nur des-
halb im Besiz der Proserpina, der Toclitcr der Frucht- und
Kiicliengöttin Ceres, blieb, weil diese an seiner Tafel von
einem Granatapfel gekostet hatte. Von der Ops heissen auch
Jupiter und Diana Opis, leztere vorzugsweise, weil sie die Ta-
fel mit einem Hauptartikel, dem Wildpret, versorgte. Rhea
nannte man die Ops von ytco, weil durch sie den Menschen der
Seegen der Tafel reichlich zufloss. Und in so fern die Freu-
den der Tafel allen übrigen wegen ihrer Realität vorgezogen
werden (Hom. Od. IX, 5 — 11.), dürfe man sich nicht wundern,
wenn der Römer das Fette opimum^ d. i. opiimiim^ und jedes
Beste optiimwi st. opitimum^ nannte, und sein Verlangen da-
nach durch o/;i«/-e, AA.opüare^ ausdrückte. Ojwe« sein Kriegs-
macht und Truppen , weil sie viel verzehren und am tapfersten
fechten , wenn sie zuvor eine tüchtige Mahlzeit gehalten Iiaben.
Arbeit heisse Opus^ weil die erste Arbeit der Menschen auf
Nahrung gericlitet sei, und weil sie vor allem nöthig sei, hei-
sse auch nöthig^ noth opus. Im Griechischen sei von Ops ail^a,
tipia, re/gnügen^ nämlicli eigentlich Vergnügen der Tafel,
6^01' und ojpaviov, desgleichen oVog, Snß^ wovon sapor^ und
(Joqpog, indem die älteste Weisheit im Gebrauche des Feuers
zum Kochen bestanden. Wider seine Gewohnheit bedenklich
stellt Gorp den Saz auf, dass, da Ops die Göttermutter sei,
stÖTioi ursprünglich, ohne das vorgesezte tc, otcol geheissen
habe.) — DerEinfluss der Kochkunst auf die Frömmigkeit wird
mit einer Dichterstelle bei Athenaeus (XIV, 6ß0, E) erwiesen.
Die Popen heissen ihm so von popatia. Schol. Pers. VI, 76.
MdyoL sei (.idystgoL. Dann folgen 2li6vv6og ravQoq)d'yog, 'AnoK-
Awv oj^oqpayog etc., dann Feste IIvavBxpLa, Xvzqol, f^ay^öia
cet. ; dann Städte, Coptus von Copta (ß.hyA. de menss. p. CO),
PLacentia^ Pistorium. (Einsclialt. Conf. Plaut. Captivi, I, 2,
58 sqq.) — Auch die Mysterien enthielten nach Gorp zum Ge-
genstande nichts anderes als eine sublimere Rochkunst ^ wel-
ches noch die aus ihnen entsprungene Miisoneria^ oder Frei-
maurerei, beweise.
Von den späteren Excerpten kann ich nicht umhin hier
folgendes aus der vor mir liegenden Handschrift in gedrängter
Kürze mitzutheilen. Es betrift die Mythe des Prometheus. Die-
ser habe die Menschen nicht wirklich aus Wasser , Erde und
Feuer geschaffen, sondern nur in sofern, als er sie die Berei-
tung der Lebensmittel, welche Land und Wasser darbieten,
W Programme.
durch Anwendung des Feuers gelehrt hahe, wodurch sie denn
erst aus Q'rJQsg dfiocpRyoL Menschen und ihnen eine vita vitalis
zu Theii geworden. ^^Jtipiter cum factum rescisset ^^'' schreibt
Hygin Astron. II, 15, ^,ammo permoto mortaUbus eripuU igjiem,
ne carnis usus utüis homimbus inderelur , cjim coqui non pos-
set.'-'- Und wer sieht nicht ein, fährt Gorp fort, dass Jupiter
den Adler auch nur sandte, damit er dem vom Vulcan und Mer-
cur angeschmiedeten Prometheus, d. h. dem in der Kiiche am
Feuer (Vulcanus) mit Mercurialischer List und Verstecktheit
unablässig Kochenden, die besten Gerichte, Hecht- und Gän-
selebern, wegfrässe*? Auch Pandora bezeichne nichts als die
zu grosse Uepj)igkeit der Tafel , wodurch der beleidigte Jupi-
ter, um sich an Prometheus und den Menschen zu rächen, diese
lezteren in Schwelgerei, Laster, Krankheit und Elend versin-
ken liess.
Nachschrift. So eben wird mir Hrn. Prof. Lob eck s Pro-
gramm gebracht, worin er zur Feier des Geburtstages unseres
allergnäd. Königs einladet, und worin die zweite Dissertation
„rie placentis sacris'-'' enthalten ist. ^^Q^uanta fuerit artis
pistoriae et coquinariae cum vetere Theologia necessitudo ^'' be-
ginnt das Schriftlein, .^^superiore Becani disputatione pate-
factum est; idque nunc propius argumentis confirmabimus a
placentarum sacrarum usu vario repetüis.'''' Demnach wird der
Leser zu Athenaeus , PoUux und Flesychius reichbesezten Ku-
chentischen gefiihrt und bei jeder Kuchenart von ihrem beson-
dern usus sacrißculus unterrichtet, wobei sich abermals ergiebt,
wie so mancher uralte Gebrauch sich bis auf unsere Zeiten fort-
gepflanzt hat. Denn wer hätte geglaubt , dass wir unsere mit
brennenden Kerzen geschmückten Geburtstags-Kuchender heid-
nischen Diana verdanken*? Unddoch ist dem so: dennihr wurde
am Zehnten des Munychion der dficpicpav xaofieva ökölcc ev
xuxA« £;i^a3v dargebracht, ein Gebrauch, der nach Goetz de
Pistrm. f^ett. p. 317 in die Griechische Kirche überging. Ein
anderes Beispiel. Wie 31ancher wird sich am nächsten St.
Martinstage die Martinshörner oder Hornaffen wohlschmecken
lassen, ohne zu wissen, dass er dies Vergnügen den grauen
Pelasgern verdankt, welche den sogenannten ßovg^ d. i. eine
gewisse gehörnte Kuchenart, dem Apoll, der Diana, der He-
kate und der Luna darbrachten*?
Ferner wird nachgewiesen, dass die Formen der alten
Opferkuchen alle symbolisch waren; und so fällt denn wohl in
die Augen, dass auch unsere spirae^ circuli^ rottdae^ laterculi
und wie sie weiter gedolmetscht sind, nicht zufällig diese oder
jene Gestalt haben. Junge Symboliker mögen daher die Ku-
Werdermann : ob Gymnasien höh. Bürgerschulen seyn können, ^l
cheiiläden vielmehr aus Antrieb der Symbolik besuchen, als
um einen blossen Appetit auf Backwerk zu befriedigen. Ja ich
bin nach Lesung dieser Dissertation zweifelhaft geworden, wie
ich es anzusehn iiabe, dass sich täglich beim Schlüsse der Lehr-
stunden einige Kuchenweiber vor unserm Gymnasium einfinden,
und dass dies gestattet wird. Sonst glaubte ich, man habe
vielleicht kein Recht die Weiblein dort fortzujagen , jezt aber
komme ich auf die Vermuthung , dass man auch die Horazi-
schen Crustula in den Körben unserer modernen Kanephoren für
ein zweckmässiges Förderungsmittel der Alterthumsstudien
ansehe.
Dies Pröbchen wird hinreichen unsere philologisch -päda-
gogischen Gourmands auf diese Dissertationen aufmerksam zu
machen. Am Schlüsse der zweiten werden die neuen Preisauf-
gaben und die Namen der Studirenden bekannt gemacht, wel-
che sich durch Lösung der vorjährigen Aufgaben den Preis er-
worben haben. .
Friedrich August Gotthold.
Zu geneigter Anhörung der jugendlichen Redeübungen am Namens-
feste Sr. Königl. Majestät Friedrich Wilhelm's des III. ladet —
ein Johann Carl Gotihelf JFerdermann , Rector. Liegnitz , 1826.
16 S. 8.
Der Vf. vorliegenden Programmes sucht die Frage zu be-
antworten : ob und in wiefern Gymnasien höhere Bürgerschu-
len seyn können ? Hr. Rector Werdermann trägt über sein
Thema das Bekannte vor. Er bemerkt, dass man in dem Falle,
wenn man die Gymnasien von den höheren Bürgerschulen tren-
ne, mehrere Lateinische Stunden anzuordnen im Staude sey.
Die Stunden stehen vielleicht im Verhältnisse der Quadratzah-
len, so dass die Wirkung von 6 gegen 3 Stunden wie 36 gegen
ö oder viermal so gross sey. Indessen sey in den unteren Klas-
sen die Verbindung weniger schädlich, übler in den oberen
Klassen. Hier auf gleiche Weise für die Studierenden und
Nichtstudiereuden zu sorgen, sey eine schwierige Aufgabe.
Diese Aufgabe zu lösen, habe der geschickte Schulmann man-
che Mittel. Bei der Masse des in unseren Zeiten so gehäuften
Reichthumes an Kenntnissen aller Art sey wohl zu überlegen,
ob es rathsam werde, die höheren Bürgerschulen von den
Gymnasien zu trennen, oder ob es gut sey, bei den Gymnasien
neben den beiden obersten Klassen der Studierenden eine Real-
klasse zu bilden, in welche die Nichtstudiereuden eintreten.
Insofern der Vf. über den fraglichen Gegenstand nur von
der pädagogischeu Seite spricht, ist die Sache damit lauge
nicht erschöpft. Die pekuniäre Seite und andere Umstände
72 Kürzere Anzeigen.
hätte er nicht übersehen sollen. In kleineren Provinziaistädten
wird eine solche Absonderung wegen bedeutender Kostenerhö-
hung immer grosse Schwierigkeiten verursachen. Niclit allein
dass in Beziehung auf die neue höliere Bürgerschule neue Leh-
rer angestellt werden müssten , sondern auch dass den Lehrern
an manchen Gymnasien ein beträclitlicher Antheil am Schul-
gelde durch die bedeutend verminderte Frequenz entgehen
würde, der ihnen durch anderweitige Zuschüsse zu ersetzen
Märe. Doch wenn sich diess aucli aus Liebe zur Sache überall
beseitigen liesse, so möchte es bei manchen Gymnasien kaum
der Mühe werth seyn, wegen der allzukleinen Anzahl solcher
Zöglinge, die wirklich studieren, ein reines Gymnasium zu er-
richten. Rec. sind mehrere Gymnasien bekannt, die nicht ein-
mal 100 Schüler zählen, und von denen in der Regel die we-
nigsten sich dem gelehrten Stande widmen.
J. A. G. Steuber.
Kürzere Anzeigen.
Formenlehre der Griechischen Spr ache, besonders
des Attischen und allgemeinen Dialects. Von Dr. Gustau Pinzger.
Breslau, Verlag von J. F. Korn's des alt. Buchhandlung. 1828,
XIV «nd 281 S. gr. 8.
Auch unter dem Titel:
Elementarwerk der Griechischen Sprache. Erster
Cursus u. s. w.
"urch Amtsverhältnisse und an ihn ergangene Aufforderung
bewogen, wie Hr. P. in der Vorrede bemerkt, entschloss sich
derselbe zu der Ausarbeitung dieses mehr Mühe kostenden als
Ruhm bringenden Elementarwerkes. Im Elisabethauischen
Gymnasium zu Breslau, an welchem der Vf. Lehrer ist, wird
nämlich das Griechische, obwohl in vier Klassen gelehrt, doch
erst in Tertia angefangen, das mithin einen anderen ersten
Kursus als die vierte Klasse erfordert. Ueber die Zweckmä-
ssigkeit desselben werden Männer, die unter gleichen Umstän-
den das Griechische lehren, die vollgültigsten Richter sein.
Ausserdem sezt eine entscheidende Beurtheilung auch genaue
Kenntniss der noch nicht erschienenen Kurse voraus. Nichts
desto weniger lässt sich auch so über den bereits erschienenen
nicht bloss ein Bericht, sondern sogar ein ziemlich vollständi-
ges Urtheil abgeben.
Von vorn herein muss einem Missverständnisse begegnet
werden , das der Titel leicht veranlassen könnte durch die
Worte: ^^besonders des Attischen und gemeinen Dialects'"'",
Pinzger : Formenlehre der Griechischen Sprache. 73
denn der erste Kursus behandelt in der That nur den Attischen
und gemeinen Dialekt ^^mit strenger Aussonderu7ig aller übri-
gen^'' wie es in der Vorrede heisst.
Der Vf. nennt diese Formenlehre vollständig , und das ist
sie, wenn keine absolute, sondern nur eine das Wesentliche
umfassende Vollständigkeit gemeint ist, also eine relative, bei
der unentschieden bleibt, ob die, wie Anderes, hier iibergan-
gene Lehre von der dvaßißaöLS rovov in der Anastrophe we-
sentlich oder unwesentlich sei. AuchAärze^ Bestinmitheit u.
Deutlichkeit mit Ausschliessung „alles Rüsonneinents über
Sprucherscheinungen'-'- muss an diesem Buche im Allgemeinen
gelobt werden. Nach jedem Abschnitte folgen Griechische
Säze zur Uebertragung ins Deutsche , und dann Deutsche Säze
zur Uebertragung ins Griechische, beide in Einer fortlaufen-
den Zählung, die mit Nr. 834 schliesst. Die Griechischen bil-
den die grössere, die Deutschen die kleinere Hälfte. Deide
gleichen den Säzen im ersten Kursus des Jacobsischjeu Elemen-
tarbuches der Griechischen Sprache, aus Mclchem, wie aus
ähnlichen Büchern , der Verf. auch Manches entlehnt zu haben
aufrichtig bekennt. Ich glaube jedoch bemerkt zu haben, dass
sich des Entlehnten mehr im Deutschen als im Griechischen,
unter anderen Rubriken und zum Theil etwas abgeändert be-
finde, eine Vorsicht, welche unsere so gern mit fremdem Kal-
be pflügende Jugend durchaus uöthig macht. Das Wortregi-
ster am Ende des Buches ist nicht alphabetisch , sondern nach
der Folge der Säze eingerichtet. Dass zahlreiche Substantiva,
Adjectiva und Verba zur Uebung im Dekliniren und Konjugi-
ren den Paradigmen folgen, versteht sich fast von selbst.
So urafasst dieses Buch Formenlehre , Lesebuch und An-
leitung zum Uebersezen ins Griechische, und zwar nicht ge-
trennt, sondern in einer organischen Verbindung. Diese Ein-
riclitung finde ich überaus zweckmässig und kann mich nicht
genug wundern, wie sie nicht längst auch von Andern ange-
wandt ist. Ich selber liabe sie vor einigen Jahren dem Heraus-
geber eines Lateinischen Lesebuches , der mich um mein Gut-
achten befragte, auf das dringendste angerathen.
Gegen die innere Anordnung dürfte sich im Ganzen nichts
Wesentliches einwenden lassen ; allein die äussere Bezeichnung
der verschiedenen Ober - und Unterabtheilungen sollte aller-
dings bequemer sein. Es ist nämlich der vorliegende Kursus in
43 §§ getheilt, welche 250 Seiten umfassen, so dass einige
dieser Paragraphen zwei Bogen und darüber einnehmen. Zur
Veranschaulichung der Anordnung der Paragraphen stelle ich
hier einen einzelnen auf: § 29. 1. 2. 3. Ausnaraen. a. An-
merkung 1. 2. b. c. Anmerkung 3. d. 4. a. Ausname I. An-
merkung 4. Ausname II. Anmerk. 5. b. c. d. u. s. w. Fer-
ner befinden sicli neben den fortlaufenden Anmerkungen noch
74 Kürzere Anzeigen.
andere unter dem Text, welche bald den Schüler belehren,
bald den Lehrer selbst angehn, wie die Verweisungen auf
Buttmann, 3Iatthiä, Mehlhorn, Poppo, Phrynichus, Eusta-
thius u. s. w. Ausser den Paragraphen endlich läuft auch noch
eine andere Eintheilung nach denRedetheilen unter Römischen
Zahlen durch das Buch mit ünterabtheilungen A. B. und einer
Bezeichnung der Paradigmen abermals durch Römische Zah-
len I. II. III. Wäre es nun gleich unbillig, bei einer ziemlich
Terwickelten Sache eine durchaus einfache Eintheilung zu for-
dern, so bietet sich doch hier, wie in allen ähnlichen Fällen
Eine Erleichterung dar, die von aller Logik unabhängige Be-
zeichnung der einzelnen Absäze durch fortlaufende Randpara-
graphen, wie ich mich ihrer in meinem Hephästion bedient
habe. Da wird nicht citirt : §9,3, Anmerkung 3 oder noch
weitläufiger , sondern bloss § J). Diese Kürze beugt den zahl-
reichen Irrungen der Meitläuligen.Citate vor, zumal bei dem
Schüler, Weim er, seine Exercitia' schriftlich verbessernd, das
Einzelne, Avie sich gebürt, mit den dahin gehörigen Regeln
seiner Grammatik belegen soll.
So viel muss man von dem ersten Kursus wissen, wenn
man sich eine vorläufige Vorstellung von dem ganzen Werke
des Vfs. machen will. Diese geben wir nunmehr dem Leser in
Hrn. P.'s eigenen Worten. i^Der ziceite Cursus^'''- heisst es S.
VIII, ^^wird die Formenlehre des epischen und Ionischen Di-
alects^ der dritte die Syntax ebenfalls mit griechischen und
deutschen Uebersezmigsstücken enthalteji. Beide sind für die
dritte griechische Classe bestimmt^ und sollen . . . ?ioch in die-
sein Jahre erscheinen. Die drei Cursus zusammen werden eine
j)r actische Schulgrammatik bilden .^ welche auch für die zweite
Classe noch ausreiche?id sein tvird imd erst in Prima mit den
ausfilhrlichen Sprachlehren von Buttmann ujid Matthiä ver-
tauscht werden mag. "
Hier zeigen sich bedeutende Schwierigkeiten. Sezt man
den Schulbesuch der drei oberen Gyranasialclassen, also der
vier Griechischen Klassen des Hrn. P. auf sechs Jahre — und
das wird wahrscheinlich das höchste sein — und rechnet bei
gleicher TJieilung andeithalb Jahre auf jede der vier Klassen,
so muss der erste vorliegende Kursus in anderthalb Jahren be-
endet werden, und der Vf. fordert, dass ^^dann die Schüler
Alles, was darin steht, gehörig tvisseii.'''' Nach einem Pro-
gramme des Elisabethanischen Gymnasiums vom J. 1827 sind
dort dem Unterrichte der vierten Griechischen Klasse nur vier
Stunden wöchentlich gewidmet. Aber selbst bei sechs Stun-
den würde sich das gesteckte Ziel nicht erreichen lassen. Die
erste Uebung im Lesen und Schreiben raubt bedeutende Zeit,
dann das Uebersezen und die mündliche Verbesserung, vor Al-
lem das Abfragen der aufgegebeneu hier so umfassenden Pensa.
Pinzger: Formenlehre der Griechischen Sprache. 75
Bei sechs Stunden in der Woche, und hei hegahten und in den
unteren Klassen auf das sorgfältigste vorbereiteten ScliVilern ei-
ner nicht zahlreichen Tertia — etwa von 20 bis 30 Knaben —
mag es möglich sein, dass ein saclikundiger Lehrer von beson-
derer Lelirgcschicklichkeit und gleich grossem Eifer, ein Leh-
rer, der keine Minute frei- oder unfreiwillig versäumt, und
den die Vibrigen Lehrer und Lehrgegenstände nicht verhindern
so viele und so grosse Pensa aufzugeben als er will, — nur un-
ter solchen Voraussezungen mag es mögiicli sein, dass der
Lehrer wirklich erreicht, was der Vf. fordert und erwartet.
Allein wo findet sich das alles vereint'? In der Hegel wird kei-
ner der obigen Voraussezungen vollkommen geniigt , und einer
und der anderen wohl gar in liöchst geringem Grade. In bei-
den Fällen — das ist meine feste Ueberzeugung — bleiben Hrn.
P.'s Forderungen unerreicht; denn den Ausdruck ^^Alles gehö-
rig wissefi'"' irgend wie zu beschränken, verbieten die Natur
der Sache und die dem Vf. gebiihrende Achtung.
Auch die Beendung des zweiten und dritten Kursus diirfte
Schwierigkeiten finden, wiewohl in geringerem Grade. Beide
zusammen muss die dritte Klasse in anderthalb Jahren abtliun,
also den zweiten etwa in sechs Monathen, den dritten in einem
Jahr; denn die Ionische und epische Formenlehre kann der
Schüler allerdings in sechs Monathen erlernen, vorausgesezt,
dass er mit der Attischen bereits so vertraut ist , als es Hr. F.
verlangt. Uebrigens wird man Uebersezungen aus dem Deut-
schen in den Ionischen (und vielleicht auch in den epischen)
Dialekt schwerlich billigen. So wenig Ernesti recht that die
Griechischen Exercitia ganz zu verwerfen , so wenig darf uns
dieser Missgriff auf der andern Seite zu übertriebenen Forde-
rungen verleiten. Auch das kann ich nicht gut finden, dass
die Erlernung der Syntax bis ins dritte Jahr verschoben wird.
Bei Tertianern und Sekundanern, denen ja die Lateinische Syn-
tax bereits bekannt ist, findet das Bedürfniss strenger Sonde-
rung nicht statt, wie bei Sextanern und Quintanern. Wenn
endlich in Prima die ausführlichen Grammatiken von Buttmann
und Matthiä eintreten sollen oder mögen — die Buttmannische
ohne Syntax bedarf allerdings der Vervollständigung durch die
Matthiäsche — so sezt das bemittelte und sehr studirlustige
Jünglinge voraus ; denn beide Werke zusammen dürften leicht
sieben Thaler und darüber kosten und umfassen ohne die Regi-
ster 2330 Seiten.
So viel über den Plan des ganzen Werkes. Was den er-
sten Kursus insbesondere anlaugt, so halte ich ihn für ein Lehr-
buch, das sich nicht nur neben die besseren der mir bekannten
stellen darf, sondern sie auch in Manchem übertriff't, nament-
lich in sofern es Grammatik , Lesebuch und Exercitienbuch or-
ganisch verbindet. Seine Ausführlichkeit wird der Einführung
70 Kürzere Anzeigen.
auch da nicht geradezu entgegenstehn, wo schon die Quartaner
und vielleicht nur in vier bis fiinf Stunden wöchentlich im Grie-
chischen unterriclitet werden, indem man nur weglassen darf,
was zuviel ist, z.B. das Meiste iiber den Accent und eine Men-
ge der selten vorkommenden Verba irregulmia. Nur Einen Ue-
belstand darf ich hiebei nicht ^ erschweigen. Sowohl der Grie-
chischen als der Deutschen Säze sind nur so viel als erfordert
werden, so dass man immer zu denselben zuriickkehren muss,
so oft man diesen Kursus von vorn anfängt. Nun ist aber bekannt,
welcher Unfug mit Uebersezungen und Arbeiten der erwach-
senern Schiller getrieben wird, wann die jiingercn in jener Stel-
len einrücken. Dazu kommt, dass die nicht versezten Schüler
die schon gelesenen Stücke abermals lesen müssen. Soll das
vermieden werden, so bedarf es einer Beilage, welche Lesestoff
für eine zweite und dritte Lesung darbietet.
Von dem, was ich beim Durchlaufen des ersten Kursus im
Einzelnen angemerkt habe, möge Folgendes hier Plaz finden.
S. 5 erklärt der \f. den Buchstaben ^ durch r/s, welche
Aussprache nicht ausgemacht, ja nicht einmal wahrscheinlich
ist. Ausserdem wird das ^ jezt nicht so ausgesprochen. Will
der Vf. Neues einführen, so wird er des lläsonnements nicht
entbehren können. Besser wäre daher ^= Z gewesen. — S.6.
Die Erläuterung £v= eu, ^i; = äu enthält einen unbegründe-
ten Unterschied; denn dass 7; wie ä, oder nur wie ä ge-
klungen habe, ist nicht erweislich ; überdies ist unser ä sowohl
kurz als lang, z.B. in Schwäche und schämen. Soll ein Untei--
schied bezeichnet werden, so würd' ich ihn lieber so bezeich-
nen: £i> = ee/, (d.h. aber nach wirklicher Ausspraclie der Deut-
schen«//); rjv=eti (cTii). Der Grieche dürfte wohl jenes ew,
dieses eü gesprochen haben. — Ebenda lieisst es, in «, 7;undcj
diene das Jota subscriptnm dazu dieAbleit. kenntlich zumachen.
Richtiger hiesse es, dass die späteren Griechen es nicht mehr
aussprachen, aber als etwas Ilerköramliches beibehielten. —
S. 7 ist die Entstehung der Doppelkonsonanten zu eng angege-
ben: I z. B. entsteht nicht bloss aus xg, sondern auch aus yg
und 1?. — S. 8 wird die bei den Attikern übliche Quantität
der Position rniita cum liquida gelehrt; allein der Schüler liest
vor den Attischen Dichtern den Homer, auf den sie keine An-
wendung leidet, Avie, genau genommen, nicht einmal auf die
Tragiker; den Aristophanes aber pflegt man auf Schulen nicht
zu lesen. — Was S. 8 u. i) über das Orthotoniren der Oxytona
gesagt wird, kann insofern nicht getadelt werden, als es das
bisherige Verfahren angiebt. Indessen scheint mir, die Sache
müsse so dargestellt werden: wo das Komma als wirkliche
Pause das Vorhergehende vom Nachfolgenden trennt, da findet
die Orthotonirung der Oxytona statt, wo aber das Komma nur
logisch, nur eine Art von Diastole ist und keine Pause bezeich-
Pinzgcr : Formenlehre der Griechischen Sprache. 77
net, da trit der Gravis ein. Die Inkonsequenz der Editoren
rührt daher, dass sie die zweifache IJedeiitunj:^ des Komma un-
beachtet lassen, — Was ebenda über die Properispomena ge-
sagt wird, ist unvollständig, weil Wörter, wie xaiavQOil^ und
Xotvi^ {i)-, dabei nicht beachtet sind. — S. 10 vermisse ich
unter den aufgestellten Wörtern, die der Schüler accentuiren
soll, mehrsylbige, bei welchen er selber über die Betonung
der vor- oder drittlezten Sylbe entscheiden muss ; doch wird
diesem Mangel in den folgenden Uebungsbeispielcn eini^erma-
ssen abgeholfen. — S. 12: Bei der Kegel über die Inklination
von Tcäc,^ no&iv u. s. w. w äre der Zusaz : Indefmila nicht über-
flüssig gewesen. Dass sie der Accent von näg und jroO'CV un-
terscheidet, genügt nicht; und selbst dieser Unterschied konn-
te ausdrückiich bemerkt werden. — S. 21 wird, wider das
Herkommen und alle Wahrscheinlichkeit, vvv angesehn als aus
vv durch Anhängung eines v entstanden. Die Folge der Ver-
änderungen ist vielmehr diese: vvv ^ vvv, vv ^ wie bei uns
w^7;^, 7iün^ nü^ nur dass Avir auch nü haben, während der
Grieche kein w kennt , Avie er doch avoIiI müsste, Avenn des
Verfassers Voraussezung gegründet wäre. Auch das Lateini-
sche nunc spricht gegen ihn. — Die Ausname S. 22: „^//e
Dimimitiva sind ohne B erücksichtigiüig ihres natürlichen Ge-
schlechts Neutra'-''^ ist falsch: nur die auf tov sind Neutra, nicht
die auf löxog, iöxt], vkXog-, vlXig^ ixvri. — S. 25 sagt eine
Anmerkung: ^^Anstatt des Vocativs des Artikels dient in allen
ISumeris die Interjection co." Obschon Ilr. P. q nicht zum Ar-
tikel macht , Avie früher hin oft geschah , so ist doch auch jenes
falsch; a3 und der Artikel haben eine durchaus veischiedene
Bestimmung. — S. 32 heisst es: „^e? den Attischen Dichtern
findet sich auch dvoLa mit langer Endsylbe.'-'' Wird aber das
bemerkt, so muss es auch bei ua von bvco erinnert werden.
Uebrigens ist das keine Dichterfreiheit , sondern älte-
rer Atticismus. — S. 83 mussten die unkontrahirten For-
men von T^iü und aldcog als ungebräuchlich bezeichnet werden.
— Was S. 96 und J)7 über den Unterschied zwischen jiaxQO-
nxövog (aktiv) und natgoKtovog (passiv) und ähnlicher
Zusaramensezungen gesagt wird, leidet so viele Ausnamen,
dass die Regel, wie sie aufgestellt ist, keine Gültigkeit hat.
Ich erinnere nur an alyloxog, yai^oxog u. s. w. , an olvoxoog,
fpvlX6%oog u. s. Av. Bei den Compositis von (piQo wird zwar die
aktive Bedeutung durch q)6Qogi aber die passive durch rpögri-
rog ausgedrückt. Vielleicht thut man am besten, sich auf die
Notiz zu beschränken , dass, avo beide Betonungen neben ein-
ander bestehn, die eine aktive, die andere passive Bedeutung
habe. Ueberhaupt sollte man dem ersten Anfänger Avohl nur
Avenige Hauptregeln über den Accent einschärfen, mit einer
ausführlichen Lehre aber selbst die Primaner verschonen. Die
18 Kürzere Anzeigen.
Lesung der Autoren und das Lexikon müssen liier das beste
thun ; der künftige Philologe mag das Felilende auf der Uni-
versität und aus Büchern ergänzen. — Wenn S. 101 gelelirt
wird, dass naxriQ in aTtäroQ übergehe, so konnte dasselbe auch
von ^rixriQ und avriQ gesagt werden. — S. 107 hätte bei der
Kontraktion der Participia in i.cov der Ausname TCvsav^ q8(ov
u. s. w. gedacht werden sollen, obschon sie in einem späteren
Abschnitte S. 174 nicht fehlt. — S. 109 bemerkt der Vf. zu
toknt]B6rarog : ,,Dock möchte dies wohl das einzige Beispiel
eines Vergleichungsgrades von einem solchen Adjectivum sein.'-''
Ihm fiel also das Homerische ri^iTjeöteQog und tL^Tjeötarog nicht
bei. — S. 117 fehlt bei ^vqlol das Femininum und Neutrum.
Auch fivQioi (paroxytonon) konnte hier bequem unterschieden
werden. — S. 125 werden oöog, olog und rjUxog im Para-
digma bloss durch n'ie übersezt statt wie gross u. s. w. Dass
der Deutsche wie statt ivie gross u. s. w. zu sagen pflegt, geht
die Grammatik nichts an. — S. 136, wo von dem Augment des
Verbi X^yca in der Bedeutung sanuneln die Rede ist, war auch
des andern Augments ausdrücklich zu gedenken — S. 142
Anm. 1 fehlt die Bedeutung auch bei den Verbis, welche nach-
her im Verzeichniss nicht aufgeführt sind. Gewöhnlich, aber
nicht immer, fügt der Vf. zu den als Beispiel gebrauchten Grie-
chischen Wörtern auch die Uebersezung. — Als Paradigma S.
156 ist Tvmco gegeben. Thiersch liat A£t;rö, welches mir
zweckmässiger scheint. — Von S. 176 folgt ein Verzeichniss
von Verbis in co , das 451 Nummern enthält. Wo es nöthig
war, ist das Futurum und was der Lernende sonst wissen muss,
beigefügt. — Nach den Verbis in y.L folgt S. 222 das Verzeich-
niss der unregelniässigen und mangelhaften Verba , und zwar
nicht, wie bei Buttmann, alphabetisch, sondern, wie bei ei-
nigen Vorgängern , in Klassen getheilt. In jeder Klasse aber
hätten die Verba auch jezt nach dem Alphabet stehn können.
— S. 248 werden ynyalaöri und navötj^Si zu den „ursprüng-
lichen (^flicht abgeleiteten) Adverbien'-'- gezählt. Hier irrt der
Vf. augenscheinlich , oder ich verstehe ihn nicht. — Die Prä-
positionen, Conjunktionen und Interjektionen nehmen nur den
Raum einer einzigen Seite ein.
Einen Anhang bildet Lucians Dialog Charon., ohne Erläu-
terungen und Wortregister. Nach der üeberschrift fehlt die
Angabe der Personen 'EQfirjg. Xccqov.
Noch muss ich, bevor ich schliesse, eine Stelle aus des
Vfs. Vorrede hersezen: „Uebrigens bot sich zur Berichtigung
und bessern Begründung granmiatischer Einzelheiten hier und
da Gelegenheit dar , was ich zwar von gelehrten Sprachkennern
nicht übersehn wi'msche ^ bei dem Zwecke dieses Buches je-
doch nur als Nebensache betrachten mussJ-'- Ich bekenne dem-
nach allerdings auf einiges mir Neue gestossea zu sein; da aber
Müller : Lehre der Deutschen Sprache, 79
«cÄ wenigstens mir mit grosser Mühe bestimmen könnte, was
dem Vf. angehört, oder was er aus Schriften entleliiit liat , die
ich bis jezt nocli nicht gelesen, so begniige ich micli mit die-
ser kurzen Anzeige.
Consequenz in der Orthograplüe gränzt an das Unmögli-
che; nacli dem Möglichen aber muss wenigstens in Scliulbü-
chern gestrebt werden. Der Vf. wolle daher folgende Uemer-
kung nicht übel deuten. S. 145 wird geschrieben: „33ciba
lUluida^'- dann „23erbi^," dann ^^Verbis Uqiddis^'- dann wieder
„25erba liqidda^'-'' dann „iion foUten 23crbcn/' Ebenso findet
sich „^erf. Hqx. ^aff./' und ,,Perf. Aor. Pass,'' ,,Adj. Verb.''
und „ibjecttüa SSerballa," ..^Futuriun ylUicum'-'- und „^'. att.^"-
„2(ttifd)" und „attifd)/' ,,T Laut, P Laut., K Lauf-' statt
T- Laut u. s. w.
Druckfehler sind nicht angezeigt, und viele sind mir auch
nicht aufgestossen , meistens in den Accenten der Griechischen
Wörter. Ohne Accent stehn S. 11 Z. 1 öwfiaTog, Z. 18 av^gca-
ncov. — S. 26 Z. IT yvcopLri. — S. 93 Z. 9 Hv. — S. 155 lezte
Z. önaQtog. — S. 106 vorlezte Z. 6a6g st. eäog. — S. 119 Z.
21 rj fiövag st. ij ^ovdg. — S. 142 Z. 22 v st. y. — S. 12 Z. 8
V. unten verlieht st. verliert. — S. 40 Z. 13 Fällst. Fell. —
S. 93 Z. 11 V. unt. Schilden st. Schilde. — S. 98 Z. 18 Vorrgen
st. Vorigeii.
Der Druck ist gut, und — nach meinem Exemplare zu
schliessen — auch das Papier.
Friedrich August Gotthold.
Lehre der teutschen Sprache gründlich und neu gefasst
saramt ausübender Ton - und Sylbenraaasslehrc von Dr. Jos. Mül-
ler, Director am königl. kathol. Gymnasinra zu Conitz in West-
preussen. Selbstverlag, im Verschleiss bei A. Hirschwald. Ber-
lin, 1826. 8. 445 S. nebst LVI Vorrede. 1 Thlr. 8 Gr.
Was zunächst die auf dem Aushängeschild angepriessene
Gründlichkeit betrifft, so bedauern wir den Verfasser dieses
Buches unter diejenigen rechnen zu müssen, welche durch eig-
nes Lob auf ihre Fehler eben erst desto aufmerksamer machen.
Streben nach Gründlichkeit ist die schönste Eigenschaft jedes
Gelehrten: dass aber Jemand gerade heraussagt, etwas von
ihm bereits Ausgearbeitetes , das eben dem Publicum zur Prü-
fung vorgelegt werden soll, sei auch gründlich, grenzt jeden-
falls an Anraassung. Will aber Jemand seine Forschungen in
der Deutschen Sprache gründlich anstellen , so muss er vor al-
len Dingen so weit zurückgehen, als ihn schriftliche Denkmale
auf seiner Fahrt begleiten, d. h. er muss das Studium der Spra-
che historisch betreiben u. sich nie auf Vermutliungen a priori
80 Kürzere Anzeigen.
einlassen, die ohne ein historisches Substrat in jeglicher
Sprachforscliung vom Uebel sind , und nur leerer Griilenfänge-
rei desto freiem Spielraum gewähren. Herr Müller bekennt
aber selbst Vorrede S. V, dass umständliche eigne Forschung
im Gebiete des Altdeutschen (er versteht wohl darunter haupt-
sächlich das Gothische, Alt- und Älittelhochdeutsche) seine
gegenwärtige Lage nicht erlaube. Wie ist es also möglich, bei
einer solchen Behandlungs weise auf sichern Fiissen zu stehen*?
Daher kommt es denn freilich auch , dass der Verf. jeden Au-
genblick ausgleitet und ohne genommenen Schaden nicht wie-
der aufzustehen vermag. Trotz diesem Geständniss entblödet
sich Ilr. M. dennoch S. VI Viber die Meinung derer keck abzu-
urtheilen , welche dem Althochdeutschen einen grössern , ge-
diegnen lieichthum an wahrhafter Wortbeugung und eine stär-
kere Quelle des Wohllautes beilegen. Wer die Richtigkeit die-
ser Ansicht mit Bezug auf Formen und Flexionen noch nicht
einsehen sollte, der darf nur einen flüchtigen Blick in Grimms
Deutsche Grammatik werfen, um sich jedes weitern Zweifels
zu überheben; hinsichtlich des Wohllautes verweisen wir nur
auf das einzige Ludwigslied , das FIr. M. erst lesen und verste-
hen lernen muss, ehe er fade und luftige Uitheile in die Welt
schickt. Um seinen Satz zu beweisen, vergleicht Hr. M. alt-
hochdeutsche Wörter mit neuhochdeutschen, als ob damit der
Schlüssel in das Leben und den Geist der Sprache gefunden
werden könnte. Der eigentliche Geist der Sprache offenbart
sich nie in todten Worten, sondern in ihrem lebendigen Orga-
nismus. Um aber diesen gehörig zu erfassen, bedarf es mehr,
als einer oberflächlichen Kenntniss einzelner Wörter ; Hr. M.
versteht aber nicht mehr davon: also ist er auch nicht befugt
zu urtheilen. Das Allerlächerlichste ist noch dieses , dass Hr.
M. den organischen Bau des Althochdeutschen nach den be-
kannten Interlinearversionen und exegetischen Commentaren
biblischer Bücher, in denen oft Deutsche und Lateinische Wör-
ter promiscue gebraucht werden, zu bestimmen sich abmüht.
Gerade so , wenn man die Bildungsstufe der heutigen Sprache
nach schlechten Uebersetzungen aus Griechischen und Lateini-
sclien Auetoren in jeglicher Beziehung beurtheilen wollte. Es
gibt freilich der liülfsmittel ausserordentlich wenige, die uns
einen ganz sichern Blick in den innern Organismus der althoch-
deutschen Sprache verstatten; aber selbst diese wenigen vermö-
gen Hrn. M.'s Ansicht leicht ad absurdum zu führen. Ein eben-
so voreiliges Urtheil findet sich S. XLII, wo über Grimms
Deutsche Grammatik ins Gelag hinein gesprochen, über Man-
gel einer sichern , leitenden Einheit und über den Unrauth ge-
klagt wird, welchen das Studium dieses über jedes Urtheil
des Hrn. M, erhabenen Riesenwerks ( es wäre besser gewesen,
wenn er mit der vom Göttinger Anzeiger so genannten lieimli-
Müller: Lehre der Deutschen Sprache, 81
eben Anf!;st an das Buch gci^angen wäre , das allerdings in viel-
fältiger Bezieliung zu gut ist lur diese Welt) ihm verursacht
Iiabe: „Ausserdeui", heisst es, „schien mir bei der Auffassung
der Laute zu viel Bestimmtheit und Absichtlichkeit den ersten
unbewussten (!!) Sprachbildnern beigelegt zu sein. Der rohe
Sprachgeist (!!) rang wol damals noch vergeblich nach Ein-
heit , wie eben die bunte unstete 3Ianchfaltigkeit zur Geniige
bekundet, dalier aueh das öftre missliche „vielleicht'' des Ver-
fassers." Freilich Hr. M. ist mit seinen Hirngespinsten nicht
s« be?c]!eiden, als der anspruchlose, mit ruhiger und kaltblü-
tiger Besonnenheit auf dem Pfade der Geschichte einherschrei-
tende Spvachforsclier: er modelt und zwingt die Sprache mit
Gewalt in seinen Leisten, und scheint sich gar die Unver-
schämtheit zuzutrauen, der ganzen Deutschen Welt eine Ortho-
graphie und eine Terminologie aufbiirden zu wollen, die gröss-
tentheils aus seinem ( des Individuums ) Gehirn hervorgegan-
gen auch nicht den Schatten Aon objectiver Erfassung des
Sprachgeistes an der Stirne trägt. Solch ein Grammatiker
luuss entweder über Grimm ganz schweigen, oder sich höch-
stens dazu bequemen, ihm die Schuhriemen aufzulösen. Hätte
Hr. M. die Grimm'schen Forschungen Viber die Elementarlehre
etwas besser studirt, so wiirde er auf dem Titel sein Buch
nicht eine teutsche , sondern eine Deutsche Sprachlehre ge-
nannt haben. Er würde den folgerecht durch die ganze Spra-
che durchgreifenden Gesetzen der Lautverschiebung gemäss
sich bald und leicht überzeugt haben (insofern die Vorurtheile
noch nicht zu fest eingerostet sind), dass, sowie im Althoch-
deutschen, also auch im Neuhochdeutschen da ein D stehen
inuss, wo im Griechischen oder Lateinischen T und im Gothi-
schen TH; also Ttiisco (Tacit. Germ. c. 2), Gothisch thiuda
(gens), Althochdeutsch r//o^, im Latein des Mittelalters Tlie-
otisciis^ Mittelhochdeutsch Tiusch oder Twtsch , Neuhoch-
deutsch Deutsch. Ueber die Veränderung des Mittelhoch-
deutschen iu in das Neuhochdeutsche eu s. Grimm I S. 523.
Für den ersten Fall vergleiche man Lat. tu^ Goth. thu, Ahd.
dti , Nhd. du; tSLVSLV^ t ender e., ihaujan^ denen ^ dehnen '^
TQSig, tres^i threis^ drt , drei \\. s. w. S. Grimm I S. 586.
Göttiug. Anzeiger 1820 S. KiOO. ,i .r'/ ü'/n-,.,
Von der Vorrede und der ihr folgenden Programmabhand-
lung (solche monströse Wörter gehen aus der Fabrik des Hrn.
M. hervor, obgleich nach allgemeiner Anerkennung in dem ein-
fachen P/o«^/-«7«m schon der Begriff einer Abhandlung enthal-
ten ist) über den teutschen Sprachunterricht im weitern Sinne
catf teutschen gelehrten Schulen wollen wir nicht umständlicher
sprechen, weil Mir zur Widerlegung einer Unzahl grillenhafter,
flüchtig hingeworfener Aeusserungcn weder Zeit noch Lust ha-
ben. Die Grammatik selbst zerfällt nach der allgemein angCT
Jahrb. f. Phil. u.Pädag. Jahrg. m. Heß9. Q
82 K ü r z e r e A n z e i g e n.
noraraenen Eiiitheilung in Elementarlehre, Formenlehre und
Syntaxis, von Hrn. M. genannt JVortbildung ^ Beugung der
Wörter (warum nicht kürzer nach Analogie des vorigen und
folgenden JFortbeugung?) ^ Wort- und Satzfugung. Die von
Hrn. M. befolgten Unterabtheilungen hier durchzugehen und
näher zu beleuchten würde viel zu weit fülireu, da es sowohl
den Grundsätzen dieser Jahrbücher als der Neigung des Rec.
zuwider ist, ein seiner ganzen Anlage und Grundbeschaifenheit
nach ziemlich zweckloses Buch einer weitläuftigen Beurtheilung
zu unterziehen. Es genüge daher, die erste beste Seite aufzu-
schlagen und in ihr gehöriges Licht zu stellen.
Zuvörderst wollen wir einige Proben von Hrn. M.'s Ter-
minologie geben. Snbject nennt er Satzgrundloge oder Grund-
ding ^ Prädlcat — Aussage^ Copula — Bindling^ alle drei zu-
sammen Urredestände ; Substantivum — Hauptnamuwrt (war-
um nicht nach längst anerkannter Deutscher Umbildung Haupt-
tüortl Das verträgt sich nun einmal nicht mit der pedantischen
Wortstempelei des Hrn. M. , die überall das Gepräge der Ori-
ginalität an sich tragen soll), Artikel — Deuteivörtchen^ Ad-
jectivum — Beinajutvort etc. Praefixa — Vorlinge , Siiffixa —
Endüjige , Quantität — Zeitverhalt , Prosodie — Tonverhalt u.
s. w. Was jeder andre anspruchlose Grammatiker Anmerkun-
gen nennt, das stempelt Hr. M. in Bemerke um in keiner Sache
mit den Ungeweiheten etwas geraein zu haben. Von ähnlichen
Wörtern, wornach der Verf. ordentlich hascht, strotzt das
ganze Buch, die es , je mehr man es ansieht, desto unleidlicher
machen.
Ganz unlogisch ist die Eintheilung der Buchstaben gefasst,
indem die Consonanten {Grundlaute ^ wie sie Hr. M. nach ei-
ner willkührlichen , aus keiner tiefern Sprachforschung hervor-
gegangenen Definition zu nennen beliebt) den Vocalen {Selb-
laute statt des gewöhnlichen Selbstlaute^ vorangestellt sind;
denn sowie der Geist vorzüglicher ist, als der Körper, und die-
ser ohne jenen nichts auszurichten vermag, ebenso müssen die
Vocale, der belebende Hauch des Wortes, den Consonanten,
als den materiellen Bestandtheilen, erst Leben einflössen, ehe
sie sich frei bewegen können. Huldigt aber etwa Hr. M. (was
wir nicht hoffen wollen) auch in der Philosophie dem Ma-
terialismus, dann halten wir es unter unserer Würde, länger
mit ihm zu rechten. Mit der allgemein angenommenen, in
dem Geiste und in der Natur der Sprachen begründeten Ein-
theilung der Consonanten ist Hr. 31. abermals nicht zufrieden :
er rechnet das m zu den Lippenlauten, während es doch als
Vcrmittlungslaut zwischen Vocalen und Consonanten zu den Li-
quidis zu "rechnen ist; warum er die Liquidas (ohne Grund wer-
den sie milde oder Leiter genannt) unter die mutas gemengt
und sogar den Labialen nachgestellt hat, mag er ebenfalls hiit
Müller: Lehre der Deutlichen Sprache. 83
seiner Logik alimaclien. Der gesunde Menschenverstand lehrt,
dass in allen Dingen eine gewisse Stufenleiter sichtbar ist, die
gleichwie in einer unermesslichen Kette den Organismus des
geistigen und physisclien Lebens zusammenhält. Demzufolge
ist in den Elementen der Sprache keineswegs ein schroffer Ue-
bergang von Vocalen zu Consonanten , sondern eine Mittelstufe
in den Liquidis erkennbar. — Bei den abgeleiteten Wörtern
unterscheidet Ilr, M. ganz richtig den Stamm des Wortes von
der Form oder von andern zufälligen Zuthaten am Anfange und
am Ende des Stammes, z.B. Of-en^ Bod-en^ Vat-er^ Somm-
er^ Ge-lisp-el^ Kr-Jind-ung^ Bürg -er -schuft u. s. w., aber
eine solche Abtheilung in die lebendige Sprache liineinzwängen
zu wollen, ist doch wieder ein grenzenloses Wagstück. Gleich-
wie der menschliche Körper, wenn er todt ist, ganz andre
Zwecke fiir den Anatomiker hat, als der in Verein mit der
Seele gemeinschaftlich wirkende , wenn er noch in kraftvoller
Blüthe lebt, für den Künstler und Bewunderer der Schönheit
der Natur; ebenso ist die Sprache etwas anderes für den Gram-
matiker, so oft er nach den einzelnen Bestandtheilen eines je-
den Wortes zu forschen hat, um den Organismus des Ganzen
bis in seine feinsten Verzweigungen kennen zu lernen , und et-
was anderes für denjenigen, welcher die einzelnen Glieder der
Sprache nur so betrachtet, wie sie in einem lebendigen Körper
vereinigt sind. Will aber Jemand ein Glied aus seinen Fugen
reissen, so thut er dem Ganzen Gewalt an, und das Leben
wird nothwendigcr Weise gestört. Das Seciren des Stammes
der Wörter von den Flexionen führt also unfehlbar zu einer
Verunstaltung und Verstümmelung der Sprachorgane, wobei
gleichsam die Nerven und Sehnen der Sprache vom Fleisch
und von den Knochen gewaltsam losgerissen worden, während
doch die Aussprache ganz wie in einem lebendigen Leibe eine
Art von Gelenken wie von selbst darbietet, welche die Beweg-
liclikeit aller Tlieile möglich machen und bestimmen. Das
Wort als todtes Gerippe (d. h. die radix) ist wohl zu unter-
scheiden von dem mit warmem Blut und lebendigen Sehnen
(d. h. mit Flexionen) ausgerüsteten. Die Beweglichkeit der
Sprachgelenke wird durch das Leben des Volkes , d. h. durch
die äusserliche Aussprache bedingt: kein Mensch aber spriclit
aus: Of-en^ Bod-en, Er-fmd-ung^ sondern 0-fen^ Bo-den^
Kr-fin - düng u. s. w. Verlange also Hr. M. nicht, dass seine Secir-
raethode auch ins Leben übergehn soll; sonst wäre gar zu be-
fürchten, dass unsre gute Muttersprache, zuletzt in tausend
Stücke zerschnitten und schmählich verstümmelt, wie ein We-
sen da stünde, in dem Leib und Seele grässlich vow einander
gerisseil wären. Seine anatomischen Sprachforschungen treibe
er hinfort in seinem stillen Kämmerlein , und lasse die llesulta-
te derselben nur insoweit ins Leben treten, als dadurcli der
6*
84 KürzereAnzelgeii.
Wissenschaft ein erspriessliches Heil erwächst; die Operation
selbst aber übe er nicht au einem gesunden Gliede, so lange
es nicht verrenkt ist. Darnach beurtheile mau Hrn. M.'s Be-
merkung S. 128: „Die bisherige Abtheilung der Sylben nach
dem Gehör reisst die Worttheile widersinnig auseinander, und
verstösst im Sprechen selbst gegen das Grundgesetz der Aus-
sprache." —
S. 81 f. ist ein Register von kerndeutsclien Eigennamen
gegeben, deren Erklärung zum Tlieil zu grosser Willkühr aus-
gesetzt ist. So ist es z. 13. unbegreiflich , wie ein Unterschied
zwischen Bernard und Bernhard statuirt werden kann: jenes
wird erklärt, znm Beschützer geboren; dieses, das kraftvolle
Kind. Die Endsylbe ard oder art findet sich in vielen Deut-
schen Eigennamen, aus deren Vergleichung sich für selbige
der Begritt" des tapfern., starke?!., muthigen ergiebt. Nun aber
scheint es uns bei weitem am wahrscheinlichsten, dass der
Stamm des Wortes Bern auf die im Mittelalter so berühmte
Stadt Bern {J erona: wir dürfen nur an Dietrich von Bern
erinnern, Mibelungennoth 1656, 2. 1659, 3.) zu beziehen ist ;
Bernard würde also heissen der tapfere Berner (in der Nibe-
lungennoth 2241) der Bernaere^., sowie Gothard der tapfere
Gothe^ Burkar d der tapfere Vertheidiger der Burgen u. s. w.
Dass aber Bernahard mit eingeschobenem h etwas anderes be-
deuten sollte , widerspricht allen Gesetzen der Sprache. Noch
im Mittelhochdeutschen trat zur Vermeidung des Hiatus, wie
im Griechischen das Digarama, ein m> ein, das im Neuhoch-
deutschen grösstentheils h geworden ist. Nach Eckewart ( ta-
pfer mit der Schäl fe^ ecke, des Schwertes) in der Nibelungen-
notli y, 3 und andern Hesse sicli eine frühere Form Bernewari^
Gothoivart festsetzen. Da nun in späterer Zeit das e oder je-
der andre Vocai vor art ausgestossen ist, so lässt sich auch
kein vernünftiger Grund denken, warum eine Spirans zur Aus-
füllung des nicht mehr vorhandenen Hiatus eintreten sollte.
Richtiger also und den Entwickelungsgesetzen der Sprache ge-
mässer ist die Schreibweise Bernard (wie auch im Lateinischen
und in den Romanischen Sprachen), Burkard., Eckard ., Goth-
ard statt Bernhard., Burkhard., Eckhard, Gotthard^ wel-
ches letztere seiner Zusammensetzung nach eine weniger rich-
tige Schieibung zu sein scheint: auf jeden Fall würde, selbst
wenn wir auf den Stamm Got (deus) nicht Gothe zurückgehen
müssten, die Gemination des t auf eine neuliochdeutsche üm-
raodelung führen, die sonst bei Zusammensetzungen der Art
nicht statt findet, z. B. Godesberg (^Godes Gen. von goi^ d statt
t, wie es der T-Laut erlieischt), nicht Gottesberg.
S. 128 wird mit Recht bemerkt, die einzig richtige und
sichre RechtscJireibung der Worte gründe sich auf die Einsicht
der Deutschen Wurzelsilben, und nur wer diese gehörig kenne
Müller: Lehre der Deiitäclien Sprache. 85
vermöge auch mit Sicherheit rieht!;? zu schreiben. Um aber
zu dieser Kenntiiiss zu ffelaiiireii, Ut doch tiefes Iiistorische
US
Sprachstudium ein unbedingtes Erlorderniss, weiches Ilrn. M,
ganz und gar abgeht. Dass die lieutigc Orthograpliie im Ar-
gen liegt, ist eine Bemcrivung Grimms I Yorr. S. XVIII, de-
ren lliclitigkeit Jedermann bald anerkennen wird, wenn er nur
einen fluchtigen Blick auf die in gedruckten Biichern gemeinhin
eingeführte Schreibung wirft. Grimm beraubt uns der Iloifnung
gerade nicht, dass ihr noch in mancliem Stück zu helfen sei,
lindet es aber bedenklich zur Ausführung zu schreiten , da
verjährte Missgriffc nunmehr schon auf den Reim der Dichter
und selbst die wirkliche Aussprache übel eingeflossen hätten.
Seinen Abweichungen steht aber immer ein geschichtlicher
Grund zur Seite, ohne welchen jedwede Aenderung als Frevel
erscheinen muss. Weniger gewissenhaft und bescheiden ist
Hr. 31. Nach seinem Ermessen wäre durch die von ihm gege-
benen Lehren alles Orthographische ein für allemal beseitigt.
Wer mit so anraaassenden Redensarten um sich wirft, muss
schon desswegen auf Erweckung eines günstigen Vorurtheils
Verzicht leisten; denn man wird bald inne, dass der Verf.
seine Schwächen hinter ein leeres Renommiren verstecken will
Die Begründung der Deutschen Declination S. 130 ff. ist so
verworren und willkührlich ausgeführt, dass Einem Alles zum
wahren Ekel wird: denn anstatt der von Grimm historisch
nachgewiesenen, durch alle Deutschen Sprachstämme durch-
greifenden Unterscheidung starker und schwacher Form zu fol-
gen, finden wir hier einen unlogischen Wirrwarr, aus dem ein
Schüler sehen mag, wie er sich heraushelfe. Man kann ohne
alles Bedenken den Satz aufstellen: Jede Deutsche Formen-
lehre, die nicht von Unterscheidung starker und schwacher
Form ausgeht, muss in sich selbst zerfallen, wie ein Haus,
das auf Sand gebaut ist. Besser steht es mit der Conjugation,
wo Hr. M. die starke und schwache Form zum Grunde gelegt
hat, die er nacli seiner pedantischen Terminologie Sjrrachähn-
lichkeiten nennt.
Nun noch zwei Pröbchen aus der Syntaxis. S. 178 heisst
es: „Satzgrundlage [Snbject] ist entweder das Hauptnamvvort
oder jeder hauptnamwörtlich gebrauchte Redetheil." Diese
Definition ist nicht erschöpfend; denn wenn wir sagen: „Zu
gehorchen ist Pflicht," so ist das Subject zu gehorchen weder
selbst ein Substantivum, noch auch substantivisch gebraucht,
wie etwa, wenn wir sagten das Gehorchen. S. 184: Jehren
hat die Person im Zvveckfall [Dativus] und den Gegenstand
des Lehrens im Gegenstandsfall [Accusativus]. — Man findet
CS aber auch nach Art der alten Sprachen mit zwei Gegenstf."
Hier haben gewiss nicht die alten Sprachen zur Richtschnur ge-
dient , da die ältesten Deutschen Sprachdenkmale die Constru-
86 Kürzere Anzeig;en.
ction mit doppeltem Accusativus darbieten , und somit die Be-
griindung dieser Constructiou in den Gesetzen der Sprache
selbst erweisen. Beispiele finden sich in Adelungs Wörterbuch
in Menge, dessen Bemerkung Hr. M. melir hätte beriicksichti-
gen sollen , die Construction mit doppeltem Acc. sei schon so
alt und in Schriften nunmehr so allgemein, dass sie für Schrift-
steller beinahe zu einer verbindlichen Regel geworden ist.
Göthe und seinesgleichen beobachten unsers Wissens stets
diese echt Deutsche Construction , und lassen sich nicht irre
machen durch englierzige, mit Haaren herbeigezogene Schul-
regeln pedantischer Grammatiker, deren es trotz der längst
erfolgten Hinscheidung Gottscheds und trotz der Abschaf-
fung der Alongeii-Periicken (in der Deutschen Grammatik haupt-
sächlich durch Grimm) noch immer zu viele giebt. Trefflich
sagt ein geistreicher Dichter *) , ein wahrer Aristophanes fiir
uns Deutsche, der vielleicht noch zu wenig gekannt und richtig
beurtheilt ist:
A) Zwar Gottsched starb, man bewahrt nur noch iu Ger-
manien seine Perücke,
Doch geht sie allda von Kopfe zu Kopf, ihr dürfen wir
bringen ein Vivatl
B) Wer trägt sie denn jetzt?
A) Das hält man geheim ; doch
wie es dem Midas ergangen,
So ergeht's auch hier, und ich fürchte beinah, dass
irgend ein Badergeselle
In ein Binsengebüsch an der Elster und Spree sanft li-
spele: Diesem und Jenem
Umtrottelt das Haupt, bis fast an's Knie, die Alon-
genperücke von Gottsched.
In dem Anhange zur Ton- und Sylbenmaasslehre S. 325 ff.
sind Proben für die verschiedenen Versarten aus mustergültigen
Dichtern gegeben, und im Schlusswort ein Grundriss über die
Geschichte des Metrums der Alten bei den Deutschen entwor-
fen. Unter den angeführten Quellen vermissen wir ungern die
Verweisung auf A. W. von Schlegels geistreiche, in der
Indischen Bibliothek niedergelegte Ansichten.
Oppeln, 1828. Dr- Bach.
Te uts che S Ha ndbuch für mittlere Classen der Gymnasien.
Eine Vorschule der Leetüre ganzer Ciassiker mit steten Winken
zum Nachdenken über Sprache , Styl und Geschmack , und mit
Zusammenstellung älterer und neuerer Schriftsteller, von Christ.
H. Hänle, Prof. am Gymn. zu Weilburg. Zweite, mit umgear-
') A. Graf v. P 1 a t e n Hallermünde , die verhängnissvolle Ga-
bel. Eia Lustspiel. Stuttgart und Tübingen. 1826.
Ilünle: Deutsches Ilanilbucb. 87
beitetcr prosaischer Abtheihtn«^, verbesserte Ausgabe. Frankfurt
a. M., in der Andreäischeii Hiichhiindhinf,'^ 182(» 4C<»S. gr. H. 1 Tlilr.
lieber die INothweiuli^keit, der Ausbildung und Uebunji? in
der Muttersprache in allen Gyinnasialclassen eine angemessene
Anzahl von Lehrstunden zu Midnien, ist man wohl jetzt im All-
gemeinen einverstanden. Die Methoden aber sind auch hier sehr
verschiedenartig. In der IlauplsacJie diirfte es jedoch nicht
schwer sein, sich bald zu einigen. Nach vieljährigen Eriali-
rungen billigt Ref. folgenden einfachen Entwurf fiir den Gang
dieses Unterrichtes: In der sechsten und fVinften Classe sind
nur orthographische Uebungen rathsam, wöchentlich wenig-
stens in drei Stunden. Daneben sorge der Lehrer für verstän-
diges Lesen und fiir Fertigkeit in der Bildung der Sätze. Das
Lese- und Sprachbuch von Diesterweg (Essen 1820) Avird,
geschickt benutzt, vorzVigliche Dienste thun. In der vierten
Classe reichen Anleitung und Uebung im Briefschreibeii voll-
kommen aus. Für die Lesestunden, welche schon hier für Er-
klärung und Besprechung des Gelesenen vielseitig benutzt wer-
den müssen, wird der sechste und siebente Abschnitt im Die-
sterweg Stoff genug darbieten. In der dritten Classe keine
schriftlichen Aufsätze , oder doch nur selten einen als Dokima-
stikon. Dagegen in wenigstens drei Stunden Lesen eines Deut-
schen Handbuchs, welches im Ganzen gerade so eingerichtet
sein muss, wie das obige. In der ziveiten Classe einCursus der
Deutschen Grammatik. Daneben Correctur von Aufsätzen in den
leichteren Gattungen prosaischer Schreibart, und Leitung der
Privatlectüre Deutscher Classiker. In der ersten Classe um-
ständliche Erklärung prosaischer und poetischer Musterstellen
aus allen Gattungen, Uebungen im freien Vortrage, Correctur
metrischer und prosaischer Arbeit -n aller Art. Daneben ein
kurzer Abriss des Wichtigsten aus u.r Deutschen Literaturge-
schichte, und sorgfältige Leitung des Privatstudiums Deutscher
Classiker. —
Was den Gebrauch des obigen Handbuchs anlangt, so gilt
im Allgemeinen, was S. 4 der Einleitung gesagt ist, dass die
musterhaften Stücke nicht blos gelesen und erklärt, sondern
auch laut vorgetragen und auswendig gelernt werden sollen.
Die beigefügten Anmerkungen enthalten theils ausführlichere
Andeutungen, theils nur einzelne Worte als treffliche Winke
für den Lehrer und zur Erweckung des Nachdenkens der Schü-
ler. Damit es nicht nothwendig sei, noch ein besonderes Lehr-
buch der Deutschen Schreibart nebenbei den Schülern in die
Hände zu geben, hat der Verfasser sehr zweckmässig bei allen
schicklichen Gelegenheiten die Grundsätze des edleren Styles
und der verschiedenen Redegattungen bündig und lichtvoll an-
gegeben. Weil edle Muster erst dann recht bilden , wenn sie
mit schlechten Beispielen in Vergleichung kommen , sind auch
von dieser Art überall mehrere aufgenommen und jenen entge-
88 Kürzere Anzeigen.
gengestellt. Der Einrichtung des Ganzen geben wir also un-
sern Beifall. Folgende Ausstellungen gegen Einzelnes wird der
Hr. Verf. vielleicht bei einer neuen Auflage berücksichtigen:
Die Beziehungen auf Horaz, Ovid und Cäsar, welche z. B. S.
17, 25''5, 365 vorkommen, sind wohl auf dieser Bildungsstufe
niclit passend angebracht. Wiederholungen sind uiclit immer
vermieden, z. B, „Trotft schaftt" S. 182 und 221. Dass die Grie-
chischen Wörter, welche hier und da verglichen sind (z. B. S.
331) ohne Accente gedruckt worden sind , ist nicht zu billigen.
Wenn S. 25 unter den Aufgaben als Uebungen in einfachen Er-
zählungen auch folgende stehen: Geschichte Hamiibals ; Napo-
leons jRückzTtjs; aus Russland ; seine Flucht von Elbai so weiss
Ref. diese Wahl nicht zu rechtfertigen. Ebenso unpassend
sclieint ihm in einem Handbuche für mittlere Classen die Wahl
der Gedichte: der Wanderer^ von Göthe, S. 223; und: die
Frühlingsfeier ^ von Klopstock, S. 255. Nur in den ober-
sten Classen dürfte es dem Lehrer möglich sein, zu bewirken,
dass seine Schüler die Schönheit und Erhabenheit dieser Pro-
ductc fassen und verstehen lernen.
An folgender Ueberschrift auf der247sten S.: „Ein Stück aus
dem, von Einigen so hochgepriesenen übrigens meistens leeren,
matten, unpoetischen Lied der Nibelungen, dessen Werth mehr
im Alter besteht;" nimmt Ref. keinen Anstoss; aber es konnte
das ganze Bruchstück wegbleiben ; zumal da der Verf. mit den
fehlerhaften Stellen beinahe zu freigebig ist. Zuweilen dürfte
auch der Ausdruck in den Noten nicht ganz richtig und der
Bildungsstufe dieser Schüler angemessen sein, z. B. S. 259 wo
es heisst: Er (der Dichter) ist gleichsam ausser sich, und rasst
mit Vernunft , d. i. erdenkt sich den Begeisterten, und stellt
ihn dar nach den Gesetzen und Zügeln der Verimnft, des Ge-
schmacks, der Poesie. Ln Vollgefühl ist der Mensch in seinen
Gedanken kurz, u. s. w. Doch diese Einzelheiten thun der
Brauchbarkeit des Ganzen keinen wesentlichen Abbruch.
Cöslin, Müller.
1) Chronologischer Abriss der Weltgeschichte
zunächst für den Jug'cnd - Unterricht. Von Friedr. Kohlrausch.
Siebente verbesserte und mit einer synchronistischen Tabelle der
europäischen Staatengescliicbte vermehrte Auflage. Elberfeld,
Büscblinsche Verlags -Buchhandlung und Buchdruckerey. 1828. IV
u. 51 S. gr. 4. 8 Gr.
2) Kleiner historischer Schul- Atlas zur allgemeinen
Weltgeschichte für den Schulgcbraucb , zunächst zu dem chrono-
logischen Abriss der Weltgeschichte von Fr. Kohlrausch , nach des-
sen Angaben entworfen von A. W. Möller. (Zweyter Abdruck.)
Elberfeld, in derselben Buchhandlung. 1826. Queer-Folio. 10 Blät-
ter. 18 Gr. netto.
Kohlrausch : Chronol. Abriss d.Wcltgcsch. ii. Möller*« hist.Schul-Atlas. 8ü
Der um den Jujrend-Unterriclit in der Welt^^cschicTite so
hochverdiente Verf. fährt mit rülimiichem Eifer fort, seinen so
lobenswerthen Zweck mit sicherni Schritt immer weiter zn ver-
loifjen und seine diesem Zwe(;k iiewidnieten Schriften dem Be-
dürfnisse der Zeit immer mehr anzupassen. Und dass dessen
BemiihunfTen auch vom Publikum dankbar anerkannt werden
müssen, liegt klar am Ta2,e. Denn von dessen clironoloiriscliem
Abriss der Weltgeschichte ist schon die siebe?Ue Auflage er-
schienen, welche hier anzuzeigen TIez. die angenehme Pllicht hat.
Die zur 6ten Auflage geschriebene Vorrede ist auch dieser,
ohne weitern Zusatz, vorgedruckt worden, was vielleicht als
ein Zeichen anzusehen seyn möchte, dass die vorliegende Aufl.
keine wesentlichen Abänderungen und Zusätze darbiete.
Die in der erwähnten Vorrede niedergelegten Bemerkungen
über den Vortrag der Gescliichte von Seiten der Lehrer, so wie
über das Studium derselben von Seiten der Schüler sind gewiss
Jedem, dem der Unterricht in diesem Fache zu Theil geworden
ist, aus der Seele geschrieben; aber auch bereits ohne Zwei-
fel so bekannt, dass Rez. solche hier nicht zu wiederliohlen
braucht. Eben so wird Allen, welche die frühern Aufl kennen,
noch im Andenken seyn, dass darin der Verf. schon den — aller-
dings sehr empfehlenswert!! scheinenden Vorschlag macht, den
Tollständigen Geschichts-Unterricht auf Gymnasien in 3 Kursus
abzutheilen, in deren jedem das ganze Feld der Geschichte zu
durchmessen wäre.
Die vorliegende Aufl. theilt bereits mit der vorhergehen-
den den grossen Vorzug vor den frühern , dass ihr eine syn-
chronistische Tabelle der Europäischen Staatengeschichte als
Anhang beygegeben worden ist, durch welche die praktische
Brauchbarkeit dieses Hülfsbuchs allerdings wesentlich gewonnen
hat. Diese Zugabe warumsonöthiger, als in dem Abrisse seihst,
zumahl in der neuern Geschichte nur in den Daten , insofern
sie Deutschland betreffen, grosse Vollständigkeit herrscht, letz-
tere dagegen bey den übrigen Staaten , sobald die Ereignisse
auf das Ganze keine grossen Folgen haben und nicht bedeu-
tenden Einfluss auf die Kulturgeschichte äussern, mehr, hin
und wieder vielleicht zu sehr, in den Hintergrund tritt. Diesem
Mangel oder richtiger dieser Ungleichheit in der Behandlungs-
weise ist nun in der synchronistischen Tabelle mit preiswürdi-
gem Fleisse abgeholfen worden, indem in derselben von Deutsch-
land weiter nichts als die Nahmen der Römischen Kaiser und
die Dauer ihrer Regierung angemerkt, bey den übrigen Rei-
chen hingegen — nur die Schweiz ausgenommen, welche in-
dess schon im Abrisse näher ins Auge gefasst worden, — jedes
bemerkenswerthe Ereigniss kurz angedeutet worden ist. Und
so erscheinen beyde Abschnitte gewissermaassen streng zu einem
Ganzen verbunden, Avelches nicht füglich getrennt werden kann.
Da nun eudiich zugleich der kleine hiiätonsche Schul-
90 Kürzere Anzeigen.
Atlas Ton Möller ganz vorzüglich zum Gebrauche mit vorlie-
gendem Abriss bestimmt ist, so sind gewiss alle Anforderungen,
die man an ein Ilülfsbuch in diesem Fache billiger Weise ma-
chen darf, mit strenger Sorgfalt berücksichtigt worden, und
um so mehr, da dem Lehrer in diesem Zweige der Wissenschaft
im Werke selbst freyer Spielraum gelassen ist, die ausgehobe-
nen Data je nach dem Kurs , in welchem die Geschichte vorge-
tragen w erden soll , weiter auszumahlen.
Dem Abriss geht eine kurze, nur auf 1 Seite zusammenge-
drängte Einleitung voraus , in welcher vorzüglich die -i Kultur-
stufen der Menschheit berücksichtigt werden. Der Abriss selbst
(S. 2 — 38) ist, wie gewöhnlich, in Tabellenform behan-
delt und nach 3 Gesichtspunkten, welche die Ueberschriften:
Jahr (vor oder nach Chr.) ; Hauptrnornente aus der Völker- und
Staatengeschichte ^ und Kulturgeschichte führen, dargestellt.
Er zertheilt sich in die alte (S. 2 — 11), in die mittlere (S.12 —
23) und in die neuere Geschichte (S. 23 — 38). Die alte Gesch.
zerfällt wiederum in 4 Zeiträume, von welchen der Iste die
älteste Geschichte bis auf Cyrus, der 2te von Cyrus bis auf
Alexander, der dritte von Alexander bis Augustus, und der 4te
von Augustus bis zum Untergange des abendländischen Kaiser-
thums reicht. Die mittlere Gesch. begreift ebenfalls 4 Perio-
den, von welchen die erste von Odoaker bis Karl den Grossen,
die 2te von Karl bis zu Gregor VII , die 3te von Gregor bis zu
Rudolph von Habsburg und die 4te von Rudolph bis Karl V geht.
Die neuere Gesch. besteht dagegen nur aus 2 Zeitabschnitten,
zwischen denen die Französische Revolution die Scheidelinie
zieht. Diese 10 Zeiträume haben aber im W^erke selbst fort-
laufende Nummern, so dass der zweite Zeitraum der neuern
Gesch. (der von der Französ. Revolution an bis auf unsere Zei-
ten [J. 1826] reicht), hier der lOte heisst.
In diesem mit rühmlicher Sorgfalt und ausgezeichneten!
Fleisse entworfnen Abriss sind nun alle bemerkenswerthen Mo-
mente in gedrängter Kürze, bey welclier es selbst nicht an Ab-
breviaturen fehlt, niedergelegt worden. Sollte man ja hin und
wieder darin wichtige Ereignisse vermissen , wie z.B. die Hin-
richtung der Maria Stuart, die Vereinigung Englands mit Schott-
land , den Fall des Grafen von Bernstorf , Hollands Besetzung
durch die Preussen in J. 1787 etc., so darf jnan nur die beyge-
fügte synchronistische Tabelle nachsehen, und man wird gewiss
dann über alles dort Fehlende hinlängliclfe Auskunft erhalten.
Um aber nach Rez.-Art doch etwas zu tadeln, bemerkt
Rez., dass S. 35 der Schweiz im J. 181(5 st. 22 nur 19 Kantone
gegeben worden sind, und dass S. 38, wo es heisst: ,,Die letz-
ten von fcV/op. besetzten Oerter in Süd- Amerika, Ulloa, Cal-
lao und Chiloe fallen," das Wort Kurop. genauer in Spanier
umgewandelt werden sollte, weil Britten, Niederländer und
Kohlrausch: Chronol.Abrissd.Weltgesch.u.Müllcr's hist. S(:hul-Atlas.9l
Franzosen noch immer Besitzungen in Süd - Amerika haben.
Ebenso ist bey der übrigens sehr umfassend dargestellten Kul-
turgeschichte noch zu erinnern, dass darin zwar das Erdbeben
in Quito vom J. 1797, aber niclit die für uns noch wichtigern
Erdbeben, welche Lissabon, Messina und einen grossen Thcil
von Kalabrien verwüsteten, erwähnt worden sind.
Der noch auf der letzten Seite übrige Platz ist zu einem klei-
nen Aufsatz verwendet worden, welcher die Ueberschrift führt:
Zur Hülfe für Gedächtiiissäbtingen. In diesem sind jedem Fin-
ger beyder Hände 4 (dem Daumen jedoch nur 3) in der Geschichte
berühmte Nahmen ausgezeichneter Männer zugetheilt worden,
die in chronologischer Ordnung auf einander folgen. So hat
der Daumen der linken Hand, der den Anfang macht, Abraham
2000 J. V. Chr. Mose 1500 und Priamos 1200, und der der
rechten Hand , mit welchem sich der Aufsatz schliesst , Peter
den Grossen 1700, Friedrich den Gr. 1740 und Napoleon 1804
oder die Leipziger Völkerschlacht 1813 zu merken.
Die synchronistische Tabelle zur neuern Staatengeschichte
nimmt den Rest des Werks ein , und reicht folglich von S. 39
— 51. Jede Seite derselben ist anfangs in 7, weiterhin in 8
Spalten zerlegt, welche die üeberschriften führen: Jahre n.
Chr.^ Deutschland^ Italien, Franheich, England (warum nicht
lieber Gross-Britannien?), Nordische Reiche; Spanien und Por-
tugal und Niederlande. Sie beginnt mit dem J. 843 und endigt
sich ebenfalls mit 1826- In der Rubrik Deutschland sind über-
all nur die Nahmen der Kaiser genannt, weil dasselbe, wie schon
oben bemerkt, im Abrisse selbst vollständig abgehandelt wor-
den ist. Bey allen übrigen sind dagegen alle interessante Be-
gebenheiten herausgehoben, so dass kein Lehrer der Geschichte
über UnVollständigkeit Klage erheben wird. Auch in dieser
Tabelle sind endlich Abbreviaturen nicht gespart worden.
Schliesslich erwähnt Rez. noch, dass dieser Abriss, wie
auch der Verf. in der Vorrede meint , auch schon bey der all-
gemeinen Uebersicht der Geschichte zum Grunde gelegt wer-
den könne , indem die dazu grossgedruckten Zahlen dabey als
Leitfaden zu dienen bestimmt sind.
Druck und Papier sind übrigens vortref lieh und lassen nichts
zu wünschen übrig. Auch der Druckfehler sind nur wenige.
Und so darf die geachtete Verlagshandlung nicht allein wegen
dieser eleganten Ausstattung , sondern auch wegen des sehr bil-
ligen Preisses dieses so empfehlenswerthen Werkchens auf den
vollen Dank des Publikums gerechten Anspruch begründen.
2) Auch über diesen historischen Atlas muss ein sehr rühm-
liches Urtheil gefällt werden, da die einzelnen Charten dem
beabsiclitigten Entzweck vollkommen entsprechen, und durch-
gängig frey von groben Irrungen gehalten sind , unbedeutende
dagegen bey der Bestimmung dieses Atlasses nicht in Anschlag
92 Kürzere Anzeigen.
gebracht werden dürfen. Rez. hat demnach im Ganzen nichts
dagegen zu erinnern, als dass auf allen Blättern die Längen -
und Breitengrade ganz vergessen worden sind, und dass hin
und M'ieder die Schrift etwas ausdrucksvoller ausgefallen seyn
könnte, und geht daher sofort zur Anzeige der einzelnen Blät-
ter selbst über.
Jedes der 7 Blätter, die nur Eine Charte enthalten, ist
16 Z. breit und lOj hoch. Die 6 kleinern Chärtchen, welche die
3 übrigen Blätter in sich schliessen , haben dagegen eine Höhe
von 10| , und eine Breite von 71 Z.
]No. 1. Karte zur ältesten Geschichte bis zu Trojas Fall
um 11 14 V. Chr. Sie stellt Meit mehr dar, als zu jener Zeit
bekannt war, nähnilich grosse Theile von Europa, Asien und
Afrika. Doch sind nur diejenigen Länder mit Farbe begränzt
von welchen man näliere Kenntniss hatte. Schon erblickt man
auf derselben den Seeweg der Phönizier nach der Küste Tar-
tessus auf der Iberischen Halbinsel, ingleichen den Karawanen-
zug derselben ostwärts nach Bactra. Schon findet man in Klein-
Asien die Nahmen der Landsch. Cilicien, Lycien, Carien, Mäo-
nien, Lydien, Mysien, Troas, Bithynien, Bebrycien, Paphla-
gonien und Phrygien. Den leeren Raum von Afrika füllt sehr
zweckmässig ein Chärtchen von Griechenland bis zur Zerstö-
rung von Troja aus.
Nr. 2. Weltkarte für die Geschichte von Troja s Fall bis
nach Cynis (J. 1174 bis gegen 500 /. v. Chr.). Sie stellt diesel-
ben Länderraassen wie die vorige dar. Man übersieht das ganze
grosse Persische Reich bis zum Indus, Griechenland, Phönizien,
Karthago mit ihren Kolonien u. s. w. Auch ist auf derselben
bereits die vom König Necho von Aegypten veranstaltete Um-
schiffung Afrikas um d. J. 610 angedeutet.
Nr. 3. Karte der Länder am Mittelmeere nnd Pontiis fiir
die Zeit der Griechisch- Persischeii Kriege. Dieses Blatt liat
viel engere Gränzen, daher auch einen grössern Maassstab, wes-
halb die Krümmungen der Küsten, die kleinen Inseln etc. schon
deutlicher hervortreten. Die Italische Halbinsel ist hier schon
in Gallia cisalpina, Italia propria, und Gross - Griechenland,
die Hämus-IIalbinsel in Griechenland, Makedonien, Thrakien
und lUyrien, und die Nordküste von Afrika in Aegypten, Mar-
marica, Cyrenaica, Syrtenland, und Nimiidien unterschieden.
Phönizien hat zwar noch besondere Gränzen erhalten, ist aber
schon in die Illumination von Syrien gezogen.
Nr. 4. ist der Länge nach gespalten. Die eine Hälfte bie-
tet eine Karte von Thracien^ Macedonien., lUijrien und Grie-
chenland., die andere eine Karte vom alten Itcdien dar. Auf
der ersten liaben in Hellas und im Peloponnesus die Unterab-
theilungen illuminirte Gränzen. Auch sind die Inseln Scyros,
Lesbos, Chios , Samos, Icaria , Cos, Thera, Melos und andere
Kohlrautjch : Clu'onol. Abrlss d.Wültgescli. u.MöUer's hist.Schul-Atlas, 93
mit der Farbe von Makedonicii bezeichnet. Auf der andern
ist Italien nach der auf der vorij^en Cliarte an^ef^ebenen Eiiir
tlieilung beliandeit. Ausserdem sind auch die Clräazen der Pro-
vinzen iiluniinirt.
Nr. 5. Das Römische Reich in seinem grössten Umjange.
Der liier aufgenommene Tlicil Europas ist so weit nach N. vorr
gerückt worden, dass noch Jütland und die Südspitze Skandi-
jjaviens sichtbar sind. Die Ilauptbestandthcile sind mit beson-
dern Farben und die Provinzen derselben mit den nähmlichen
Farben umgränzt. Nur Italien und Klein-Asien machen davon
sonderbarer Weise eine Ausnahme. Im letztern sind nur Kap-
padocien und Pontus besonders genannt und begränzt. Unter
den Bestandtheilen des llömerreichs hat ßez. aber das s. g.
Zehendland verjnisst.
Nr. 6 ist wiederum der Länge nach gespalten. Die eine
Charte enthält: Europa um das J. 511 nach Chr., und die an-
dere: Europa utn das J. 814. Auf der ersten fehlt der Nähme
des Ost -Römischen Reichs , und auf der andern ist das Reich
Karls des Grossen in N. bis jenseits der Elbe vorgerückt.
Nr. T. Karte von Europa.^ Asien und Afrika um d. J. 1100
nach Chr. Auf dieser Charte sind die Reiche und Länder sehr
Zweckmässig nach den Religionen iiluniinirt worden. Die christ-
liclien Länder sind nähmlich roth, die muhamedanischen grün,
die heidnischen gelb, und diejenigen, wo das Christenthum
im Kampf mit dem Ileidenthum war, blau bezeichnet.
Nr. 8. JFeltkarte zu den Entdeckungen im \bten undlGten
Jahrhundert. Auf dieser sehr instruktiven Charte sind die Ent-
deckungen und Besitzungen der Europäischen Seemächte durch
verschiedene Farben unterschieden worden.
Nr. 9 ist abermahls gespalten. Die eine Hälfte gewährt
eine Ansicht von Europa um d. J. 1520, und die andere von:
Europa um das J. 1812. Auf der letzten sind ausser den Haupt-
städten auch mehrere durch Schlachten und Verträge berühm-
te Orte verzeichnet. Alle Staaten liaben hier ihre besondere
farbige Uragränzung empfangen, nur Gross -Britannien ist völ-
lig farbenlos geblieben, vielleicht um anzudeuten, dass dieses
Reich das einzige w ar , welches sich ganz frey vom Französi-
schen Einfluss zu erhalten wusste.
Nr. 10. Karte der Europäischen Besitzungen in den frem-
den Erdtheilen. Diese Weltcharte ist eine schätzbare Zugabe
des Atlasses. Auch liier sind die Besitzungen der Europäer
durch besondere Farben angedeutet worden. Schade ist es
aber, dass bey Amerika auf die neuern Veränderungen noch
gar keine Rücksicht genommen worden ist. Auch sind hier noch
Benkulen (auf Sumatra) und die Nordspitze von Borneo als Britti-
8ch0y,Cochiu nnd Malakka hingegen als Niederländische Kolo-
04 Kürzere Anzeigen.
iiien bezeichnet. Endlich hat auch die Ostkiiste Madagaskars
unter dem Nahmen Pametari eine Brittische Kolonie erhalten.
Die 3 Seiten des farbigen Umschlags sind zu einem passen-
den Vorworte benutzt worden , welches sich jedoch nur auf
^ine kurze , w iewohl sehr sachgemässe Erläuterung der einzel-
nen Charten beschränkt.
Rec. schliesst diese Anzeige mit der Versicherung, dass
das Papier zu diesen Blättern von gehöriger Stärke und der
Preis des Atlasses äusserst billig gestellt sey, und mit dem lierz-
lichen Wunsche , dass dieser so brauchbare Atlas recht viele
Abnehmer finden möge.
Dr. Weise.
Andeutungen aus der Geschichte alter Völker.
Ein Leitfaden für den Unterricht in Mittelklassen, zunächst für
die höhere Bürgerschule zu Langensalza, von ür. Theodor Tetzner,
Director derselben. Mühlhausen. Verlegt hei Fr. Heinrichshofen.
1S25. 3 Bgn. 8.
Hr. Director Dr.Tetzner versichert in der kurzen Vorrede
vor seinem aus 3 fast löschpapieren Druckbogen bestehenden
Geschichtsbüchlein , dass ihm von 2 Vorgesetzten und dem ihm
untergeordneten Lehrer -CoUcgium der Auftrag geworden sey,
eine Reihe von historischen und anderweitigen Lehrbüchern für
die von ihm dirigirte Bürgerschule zu Langensalza abzufassen.
So wenig wir die Wahrheit dieser — wenn gleich mehr pre-
cär als präliminar klingenden Versicherung in Abrede zu stellen
geneigt sind — denn wir kennen den Hrn. Dr. Tetzner aus
seinen übrigen amtlichen und litterarischen Thätigkeiien und
Leistungen als einen wohl denkenden und redlich strebenden
Mann — so sehr fühlen wir uns zu der Zw cifelsfrage veran-
lasst und berechtigt, ob der Hr. Vorredner auch, wie das Eh-
renvolle, so auch das Schwierige des ihm zu Theil gewordenen
Auftrages schuldiger Maassen erwogen, und pflichtinässiger
Weise Alles aufgeboten liabe, um dem von zwei würdigen Be-
hörden in ihn gesetzten Vertrauen ein Genüge zu leisten. Ohne
ihm als dem Verfasser der uns vorliegenden sogenannten Andeu-
tungen Unrecht thun zu wollen und zu können — weil wir es
aus Liebe zur Wahrheit und zu der gerechten Sache der Kritik
nicht düi'fen — so müssen wir die ventilirte Frage mit Nein !
beantworten , und gegentheils dem Leser der Jahrbiicher versi-
chern, dass Ilr. Tetzner zur Ausführungeines so wichtigen^
die Personalität der Committenten sowohl als des Commissarius,
und die von beiden vertretene Lehranstalt betreffenden und be-
theiligenden Auftrages weder die erforderliche schriftstelleri-
Tctzner : Andctitiingen aus der Gcsclilchte alter Völker. 1)5
seile Thätig;keit bewiesen IiaLe, noch auch im All?:enieinen die
nöthige Tüchtigkeit zu besit/eu scheine. Schon der Titel des
Biichleins,^;/f/e?//z/;/^e;/, liat etwas Sclüelendes und Schillern-
des , und ist mein- ein lockendes Aushängeschild als eine ehrli-
che und solide Firma. Es gab eine Zeit, wo alles „andeutete,"
"was schrieb und schriftstellcrte ; eine andere, wo jeder sinnig
■und gemiithlich scyn wollte; jetzt stclin wir in der Periode des
Humors und der göttliclien Ironie. Wozu dieses Halb- und
Hell -Dunkel, zumabl in wissenschaftlicben Dingen und in Ju-
gendscliriften'? Schrieben und überschrieben und betitelten denn
in dieser burlesken Manier auch die grossen Alten, diese ewigen
Muster des Naturwahren, PJinfachen, Klaren und Hellen in
Schrift und Sprache*? Und Hr. Tetzner ist doch wohl durch
die Schule derselben gegangen!
Dazu kommt, dass , wie der Name Viberhaupt nicht etwa
wejiig^ sondern >iel zur Sache thtit^ so insonderheit der Name
feines Buches von nicht zu verkennender Bedeutsamkeit und Wich-
tigkeit ist, denn er gilt auf dem litterarischen Markt für ein un-
trügliches Waarenzeichen und im Foro der Kritik für die Auf-
gabe, die sich der Schriftsteller gesetzt hat und mit welcher
und deren kunstgerechter Lösung der Kritiker sein Geschäft be-
ginnt. Wenn nun Hr. Dr. Tetzner sein Feder-Product unter
dem HaupttiteL^7?rfe?</'w7/^e?z ausgibt, und der Leser dasselbe
bona fide undinder Absicht nimmt, historische Züge und Umrisse
mit hervorstechender Cliarakteristik zu bekojnm«<i,so ist, wenn
nicht der Wille, doch der Act der Täuschung augenfällig, und
die Kritik ais Vermittlerin der Walirheit tritt in ihr Recht und
in ihre Pflicht. Und somit erklären wir denn unumwunden,
dass die fraglichen Andeutungen eben so wenig andeutend als
bedeutend, ja! theilweise nicht einmalil zu deuten und deut-
lich , also in Anlage und Ausführung verfehlt sind. Sie sind es
nicht, und hönnen es nicht seyn; erstlich^ weil der Verf. von
einem mit dem Titel „Andeutungen" auszustattenden Werke
keinen deutlichen Begriff gehabt (auch nicht von Böttigers
bekannten arrhaeologischen Andeutungen abstrahirt ) hat —
denn sonstwürdeereher jedes Andere, nur nicht ein chronologi-
sches Breviarium der älternVölkergeschichte,wie das vorliegende,
geschrieben haben; ziveitens^ weil der Verf. zw at einen Begriff
von einer Bürgerschule in concreto, aber keinen 'vo^llständigeU
nnd erschöpfenden Begriff" von Methode des historischen Unter-
richts auf einer Bürgerschule gehabt hat, was uiti so auffallen-
der erscheint, da das Läiigensalzaer Bürgerschulwesen, laut
Vorwortes des Verf., diirch den Herrn Schiilrath Hahn vor-
trefflich orgaiiisirt worden ist. — Beiläufig fragen wir: oh Hf ,
Schlrth. Hahn w«vhl die Arbeit des Verf. mit seinem Beifall
Beehrt und ihn zu ähnlichen ermuntert hat? Wir zweifeln, da
wir deiliselhen als einen eben so denkenden Schul-, wie thätig^en
96 Kürzere Anzeigen.
und verdienten Gescliäfts-Mann kennen! — Drittens^ weil
der Verf. seine Arbeit für so unbedeutend a priori gehalten
hat, dass er sich fast zur Aufgabe gemaclit zu haben sclieint,
weder selbst zu denken noch selbst zu reden, sondern andere
für sich denken und reden zu lassen. — Daher ist sein Buch ein
höchst flüchtiger und zusammengestöppelter Auszug aus den vul-
gären liist. Lehrbüchern und Leitfäden von Dolz, Pölitz,
Böttiger u.a., die — seltsamer Weise — neben der Real-
Encyclopädie fast bei jedem Paragraphen citirt werden. Am
meisten jedoch citirt der Verf. sich selber als Gewährsmann in
seinen röm. und hellenischen Geschichten — deren Werth wir
auf sich beruhen lassen und als unbekannte Grössen setzen. —
Warum nicht diese oder andere Hilfsmittel den Schülern ein
für alle Mahl passenden Orts genannt und zum Nachlesen em-
pfohlen 1 W ozu eine so zerstreute und zerstreuende Citaten - Zie-
rerei in einem Elementar- Buche? l iertens q\\A\\c\\^ weil der
Verf. von einer populären historischen Form des Ausdrucks eben
so wenig einen deutlichen Begriff als eine Einsicht in die Wahl
des historischen Stoffs für Volksschul-Zwecke gehabt hat, wess-
lialb denn auch in dem ganzen Büchlein fast keine Spur von
selbstständiger und freier Verarbeitung des gegebenen Stoffs
aufzufinden ist, wie sich dergleichen in dem bekannten Bre-
dowschen Büchlein auf jeder Seite zeigt. — Zum Belege die-
ses Urtheils genüge ein und die andere Probe von der Darstel-
lung des Verf. — § 1 erklärt Geschichte im engern Sinne für
eine Darstellung der wichtigsten Schicksale der Krde (!) und
des Menschengeschlechts — und doch sind Erd- und Men-
schen-Geschichte Begriffe, von denen jener diesem untergeord-
net ist — wenigstens in einer Klassification der historischen Fä-
cher und Gebiete. — Eben so seicht und oberflächlich ist der
in § 2 gegebene Begriff von Geographie, deren Eintheilung in
alte, mittlere und neue übrigens wohl in ein Gymnasial-, aber
nicht Elementar- Lehrbuch der Geschichte einschlägt. Nicht
minder lehr- und zweckwidrig erscheint in demselben § die
Angabe des Jahres 1792 als einer französischen Aera. (?) Wie
unlogisch der Verf. eintheilt, lehrt der folgende dritte §, wo
die Geschichte in Hinsicht auf den Ort in eine Staaten- und
Qrts- Geschichte, in eine Universal- und lleligions -Geschichte
(welche Begrifflosigkeit!) zerlegt wird; so wie eben daselbs|;
vpn einer Urgeschichte gesprochen und hinterher versichert
wird, es gäbe dergleichen nicht. Dass der Verf. auch histori-
sche Resultate nicht logisch darzulegen vermag, beweist § 5 S. 6,
der, wörtlich also lautet: „Im Anfang schuf Gott Himmel und
Erde. Asien war die Wiege der Menschheit. Der Ort des Pa-
radieses ist so wenig jauszumitteln, wie die specielle Urgeschichte.
Wahrscheinlich vermehrten sich die ersten 3Ienschen sehr
schnell, so dass sie sich bald weiter ausbreiten mu^gteu. Das
Tetzner : Andeutungen aus der Geschichte alter Völker. 97
Bediirfiiiss und der Zufall lehrte ihnen wohl zuerst die Künste
dcriXoth, daiui die der Uequenilichkeit. So entstand die Sprache,
so wurden sie Jäger, dann Nomaden und zuletzt Ackerbauer. —
Aus mehreren Familien wurden Horden und Völker, too der
Tapferste oder Weiseste das höchste Ansehn erhielt. Nun erst
entstanden Dörfer und Städte und aus diesen Reiche. — Um
das Jahr 2000 entstanden schon mächtige Reiche z. B. Assyrieij
und Babylonien — u. s. w." Wenn in dieses Compot von Sätzen
der Lehrer nicht Sinn und Znsammenhang einträgt, so möchten
sie fiir den Elementar - Schüler ein stygisches Dunkel bleiben.
Li wie weit aber der Verf. Viber das l'iir eine Diirgerschule noth-
wemlige und brauchbare Material nachgedacht, und die erfor-
derliche Lehrweisheit sich angeeignet liaben mag, zeigt S. 47
— 41) § 29 U.30 zur geniiglichen Probe; denn in diesen beiden
§§ sind fast sämmtliche römische Kaiser (einige Dutzend) und
alle Massacres derselben aufgeführt. Wenn ein solches Detail
aus der Blut- und Gräuel- Geschichte der Menschheit für das
kindliche Gemüth ausgehoben wird : wo bleibt da Zweck und
Maass des historischen Unterrichts ! Wo soll, wenn die Bür-
gerschule so täppisch in das Dorncnfeld der Historie hinein-
fährt, die Gelehrtenschule ihre Aehrenlese halten? Dieser Mau-
gel an Urtheil, Geschmack, Wahl und Oeconomie in der Ma-
terie, so wie an angemessner , fasslicher wenn auch rhapsodi-
scher Form des Vortrags zieht sich durch das Buch und ist der wun-
de und nur durch Eisen zu curirende Fleck desselben. — Wenn
nun diese überall sichtbare Blossen an sicherni und vestem pä-
dagogisch-litterarischen Urtheil iiberdiess durch keine andere
schriftstellerische Tugend, weder durch Anordnung, Eintheilnng,
Ausführung, noch durch Styl und Ausdruck, am wenigsten
durch Fleiss und Sorgfalt verdeckt wird : so können wir nicht
anders als unsere Ansicht von dem Buche unverdeckt und unver-
schleiert eröffnen, und, dasselbe — wiederliolend — für eine
wenn auch gut gemeinte, doch durch und durch verfehlte und
raisslungene, und seihst als ein Noth - und Ililfs- Buch gegen
das Dictiren unbrauchbare Compilation erklären. Oder zeugi
es von Einsicht, Fleiss und Sorgfalt, nenn der Verf. hier geo-
graphische Nomenklaturen (wie :-^ „iuTJiess^lien floss derl^eneus,
da war der Olymp und das reizendeTqmpe — Epir mitDodona— ")
gibt, dort (wie bei der Gesch. derBabyl.,Assyr.,IIebr.) Tuit kei-
ner Sylbe des Schauplatzes der Begebenheiten gedenkt! Wenn
er in einemliistor. Lehrbuch sich in pomphaften Phrasen gefällt^
wie: ,,Agesilaus hätte sicher den Persischen Koloss gestürzt"
(wie einfach Xenophäu in seinen Hellen, ü ber diesen Gegenstand !) 5
„Constantins Regenten -Despotismus gründete sich auf Begüjisti-
gung der Hierarchie!"' (so darf etwa in l*rima eines Gymnasii
gesprochen und geschrieben werden.) ,,Daruis stieg durch ein
Pferdeorakel auf den- Thron !" (welche unfruchtbare Notizj die
Jahrb. f. Phil. u. Pädag. Jalirs. lii. Heft 9. '^
^ Abhandlung.
schon aus Ilerodot sich berichtigt , der den D. als den würdig-
sten Kronprätendenten bezeichnet.) „Die Geistesbildung der
Griechen ist mit Riesenschritten vorwärts gedrungen. " — Da-
gegen wieder von den Römern: „Kunst und Wissenschaft
sind im Abnehmen," u. nun wie zum Beweise: T^acitus^ Sueton
u. s. w. „Dem M. Agrippa musste man Voikstribunen mit dem
höchsten Yeto zugestelien" (!). — Hegemonie, Principat , Phi-
lippiker, Universal- Monarchie, acta Caesaris, Familien - Aristo-
kratie u. dgl.ra. sind Ausdrücke, die in kein Lehrbuch für Volks-
schulen gehören. —
Eine Fortsetzung dieser Andeutungen sind die Andeutun-
gen aus der Geschichte des Mittelcdters^ die in IJ Druckbogen (*?)
die Begebenheiten von Christus bis Karl d. Gr. enthalten, aber
in Materie und Form so gehaltlos sich ergeben (als eine dürf-
tige Compilation aus Bredows bekannten bist. Schulbüchern),
dass wir uns nicht verpflichtet glauben, sie durch irgend eine
Kritik zu ehren, dagegen den Hrn. Verf. auffordern, zur Ehre
seines wichtigen Berufes und Amtes seine schriftstellerischen
Versuche nicht übereilen, sondern zeitigen lassen zu wollen,
und den Schriftsteller bei dem Schulmann in die Lehre zu
schicken !
ReuscTier.
Abhandlung.
lieber die unter schiednen Sat s-Verhältnisse, welche durch
die lat. Partikel ut ausgedrückt werden. [Mit Bezug auf eine
in dieser Zeitschrift Bd. V S. 153 ff. aufgestellte neue Ansicht.]
Uie unterschiednen Functionen des ut lassen sich füglich auf folgende
Hauptbegriffe zurückführen :
A. Das ut ist eine Frag- (und Exclamations - ) Partikel der Art
und fVeise oder des Grades: ut valet? ut meminit nostri? ( Ilor. ep.
1, 3, 12) — quanta (puerorum) certaniina ! ut illi efferuntur laetitia,
cum vicerint! ut pudet victos! ut se accusari nolunt! quam cupiunt
laudari! etc. (Cic. Fin. 5, 22, 61.)
B. Diese directen Frag- Atisdrücke mit ut werden leicht zu in-
dlrecten Fragsätzen , indem sie sich als Objecte an ein Rectionsverh
des Denkens und Redens anknüpfen , und dann den Conjunctiv anneh-
men. So wie man sagen kann : ut illi efferuntur laetitia! so auch
vide ut efferantui-. Z. B. videtisne ut eos agitcnt furiae? (Cic. Rose.
A. 24) — res declarat, ut cupierint (C. Verr. 2, C5, 157) — mirum
lieber die untersckicdnen Satz -Verhältnisse der Partikel ut. 09
est, ut aniraus agitatiune motuque corporis excitetur(Plin. ep. 1, 0)' ')
Diese Redforra scheint aber auf der äussersten Grenze der indirecten
Fragsätze zu stehen , und bildet den Uebergang zur indirecten Aussage,
welche im Lat. den Acc. c. Inf. verlangt. Obgleich beides auch im
Deutschen leicht verschmilzt, indem das Geschehen selbst als eine Art
und Weise des Geschehens dargestellt wird („ihr seht, wie Alles wieder
ins alte Gleis zurückkehrt," für dass Alles zurückkehrt): so darf es
doch nicht befremden, auch auf Abweichendes zu stossen, z. B. auf
Ausdrucksarten wie: in isla sum sententia , nihil ut fuerit melius (C.
leg. 3, 15); oder: potest illud esse falsum , ut circumligatus fuerit;
eed ut in cunis fuerit anguis, non tani est niirum etc. (Cic. div. 2, 31);
wo im Deutschen das wie kaum noch anwendbar ist.
C Häufiger kommt dieses ut gleich andern interrogativen Ad-
verbien u. Pronomen, unde, ubi, quo, quorsura, quot, qualis, quantua
etc., in Relativsätzen in Gebrauch: ut sementem feceris , ita metes.
Mancherlei besondere Anwendungen , wie z. B. das ut — ita in der Be-
deutung von zwar — aber; oder Redformen, wie utut est, utcunque
fuit, im Sinne einer Sumtion (u'i'e es auch seyn mag^j oder Bestim-
mungssätze, wie ut rediit, wo der Begriff der Art und Weise ganz ver-
schwindet und in eine Zeitbestimmung übergeht ( wie auch andre Spra-
chen diese Begrifts- Uebei-tragungen zeigen) — und Anderes der Art,
kann hier nicht weiter verfolgt werden.
D. Wir betrachten ferner Sätze wie: faclam ut intelligas, quid
hi de te sentiant (C. Cat. 1, 8, 20) — obtinuit , ut daretur conci-
lium (Liv. 35, 33) — agitur enim nihil aliud in hac causa, quam ut
nuUum sit posthac in rep. publicum consilium (C p. Rab. 2, 4) —
coactus est, ut vita se ipse privaret (C. or. 3, 3) • — praetori scripsit
ut arraaret juventutem (Liv. 35, 39) — ut veniretis, vix
optandum videbatur ( C. or. 1 , 21 , 1)6 ) — id est proprium civitatis
atque urbis, ut sit libera etc. (Cic. off. 2, 22) — jus esse belli, ut,
qui vicissent, iis, quos vicissent, imperarent (Caes. b. g. 1 , 36). Wie
unterscheidet sich nun diese Function des ut von den vorigen? Der
Bestimmungssatz enthält hier wieder einen Gegenstand , Avie unter B ;
jedoch von sehr unterschiedner Art. Die lat. Sprache macht in Ab-
sicht der Gegenstandsbestiramungen (es sey ein Subject oder Object)
einen Unterschied, den wir durch die Ausdrücke Nominal- und Rcal-
Gegenstand festhalten wollen. So wie nehmlich auch schon in einem
einfachen Satze unter den mannigfaltigen Verhältnissen, in welchen
*) Es ist nicht ausser Acht zu lassen , dass dieses ut der indirecten
60 wie der directen Frage mit vielen andern Wörtern zu theilen hat , die
ebenfalls ein luie ausdrücken oder enthalten , und dass es verbä'.iuissmä-
esig seltner in Gebrauch kommt, als ähnliche Frag- Ausdrücke mit qui,
quam, quomodo etc. : hunc hominem numerari qui decet? ( C. leg. 2, 7,
16) — incredibiie est, quam ille me in omni generc delectarit (C. Att.
16, 5) — quaerimus quonam modo Aitam agere possimus, si etc. (Cic. Fin.
4, 25, 69) — quantopcre vos crmtcronerent, videor animadver-
tisse (Liv. 4,3); und Aehnlichee überall.
7*
100 Abhandlung. .<• 'T
das Subject und Object zum Prädicat stehen kann, das ein Haupt- Un-
terschied ist, ob dabei mehr eine blosse äussere Verbindung-, ein Auf-
nehmen in Vorstellung und Rede, oder ein innerer Causai- Nexus, ein
Thun und Erleiden , zu Tage kommt : so ist auch das Aerhältniss ei-
nes Satzes, er gebe dem Prädicat ein Subject oder Object, von dop-
pelter Art. Entweder ist es ein Denk- und Red-, also ]>"omJ7iai- Ge-
genstand; da denn im Lat. für den Fall der aussagenden Rede der Acc.
c. Inf. , für die fragende das Tempus finitum mit dem Fragworte ein-
tritt. Oder die Beziehung ist von der Art, dass ein Einwirken, Her-
vorbringen, Verändern, ein Real -^exns zum Grunde liegt. Wir-
kend kann nur das Subject seyn; und sofern ein Satz mit solchem Be-
griffe, als Thatsatz , als wirkendes Siihject auftritt, ist das quod mit
dem Indicative im Gebrauch, Das Gewirkte aber, es stehe im Object
oder Subject, Avird durch ut mit dem Conjunct. ausgedrückt. So bil-
den sich also viererlei Ausdrücke für den Bestimmungssatz des Gegen-
standes, die wir uns, da das Object durch grammatische Mittel immer
auch als Subject aufgestellt werden kann, alle gleichmässig in sub-
jectivischer Stellung auf folgende Weise zur Uebersicht bringen:
1) rem ita agi, convenit, inde intelligitur etc. — Nominal- Gegen-
stand der Aussage.
2) res quemadmodum acta sit, quaeritur, interest etc. — Nominal -
Gegenstand der Frage.
3) quod res ita acta est, spera nobis affert, indignationem movet
etc. — activischer Real - Gegenstand , das Wirkende, Thatsatz.
4) ut res ita ageretur, pervictum, institutum est etc. — passivi-
scher Real- Gegenstand , das Gewirkte, Wirkungssatz.
In weitere Erörterung aller dieser Verhältnisse können wir hier
nicht eingehen. Wir haben es auch zunächst nur mit dem letzten
Falle zu thun , der eben die vorhin unter D aufgestellten Redweisen
betrifft. Es ist also in dieser Analogie durch das ut mit seinem Con-
junctive das Leidende, das aus der Rection Hervorgehende, Bewirkte,
ausgedrückt. Das Walunehmeu , Erkennen, Denken, Aussprechen
ist zwar auch Thätigkeit, und kann sich auf ein Object beziehen; al-
lein dieses wird dadurch nicht erzeugt oder verändert, es ist kein rea-
ler Einfluss darauf vorhanden; und wenn sich solches als ein Satz ge-
stalten will {ich erkenne, dass die Sache sich so verhäW) , so ist der
Acc. C.Inf, als der Ausdruck des Nominal- oder Red- Gegenstandes
dafür anpassend. Sobald aber irgend ein Begriff des Entstehens, Ge-
schehens, Erleidens, dazukommt, so tritt der Bestinimungssatz , als
Wirkungs - Gegenstand , aus der Sphäre des Infinitivs heraus , und ver-
langt ein Tempus flnitum des Conjunctivs mit ut. Bei Rections- Ver-
ben mit activischem und passivischem Sinne ist das Verhältniss freilicli
am deutlichsten zu ersehen. Indessen auch Ausdrücke Avie temporis
est , aequum, rectum est , haben ein solches ut effecti bei sich , sofern
der Satz des letztern doch immer als etwas aus der Rection Entsprin-
gendes, von ihr Ausgehendes, zu ihr Gehöriges vorzustellen ist. Temporis
est heisst soviel als tempus postulat. Ja selbst Ausdrücke wie accidit, acce-
lieber die untcrsclüedncn Salz - Verhältnisse der Partikel ut. 101
dit, fit, futurum est, reliqmim est, gehören hielicr; das Schicksal, die
Zeit, die Folge, briiigts so mit sich, dasa u. s. >v. AVenn zwischen die-
sen Redweisen mit ut, quod, und dem Inlhiitive, eine Menjj^e unmerk-
barer Uebcrgänge , auch wohl Unbestimmtheiten und Willkührlirlikei-
ten im Gebrauche zum Vorschein kummen , so liegt das in der Natur
der Sache.
Doch wir schreiten in den Functionen des ut weiter fort. Es
zeigt sich nehmlich noch in zm ei abhängigen Satzarten , welclie nicht
zu den Gegenstands-, sondern zu den t/?jis<a«(/s- Bestimmungen gehö-
ren. Das eine ist:
E. Der F««aisa<c mit seinem Conjunctivo consilii: idcirco amici-
tiae comparantur, tit commune commodum mutuis officiis gubernetur
(C. Kose. Am. 6, 38^ — inde cibo corpora lirmare jussi, ut, si lon-
gior e«set pugna, viribus sufTicerent (Liv. 27, 13). Das andre ist:
F. Der Folgesats mit seinem Conj. eventus : tanta vis probitatis
est, ut eam in hoste etiam diligamus (C. Lael. 29) —
non possunt una in civitate multi rem atque fortunas amitterc , ut non
plures secura in eandem cahimitatera trahant (Cic. Man. 19) — ubi po-
tentius jam id mahim esse apparuit, quam ut minores per magistratus
sedaretur (Liv. 25, 1) — magistratuum injurias ita tule-
runt, iit nunquam ante hoc terapus ad aram legum confuge-
rint (C. Verr. 2, 8).
Endlich sind auch noch die Ausdrucksarten mit ut zu beachten,
die ohne eine bestimmte Rection aufzutreten pflegen. Manches der
Art L'isst sich allerdings unter eine der bisher betrachteten Analogien
ordnen. Z. B. ut taceam, ut omittam, ut ita dicara , ist offenbar
nichts anders denn ein Finalsatz. Ausdrücke, Avie tu ut illa diutius ca-
rere possis (C. Cat. 1, 9 extr.) , gehören zu den Gegenstandssätzen
(des Thuns, eftecti) oder auch zu den Folgesätzen (D, F.); man denkt
sich leicht eine Rection hinzu , wie etwa : wäre es möglich , du wärst
der Mann dazu, dergl. Eine besondere Aufstellung vei-dienen jedoch:
G. Die surativen Redformen mit ut: quum dictator, ut vera
omnia essent, secunda se magis quam adversa timere diceret (Liv, 22,
25), „er äusserte, dass, sollle auch Alles wahr seyn^ er mehr die gün-
stigen Erfolge fürchte" u. s. w. — Snspecta ei gens erat, quum ob
iflßda nnilta facinora, tum, ut alia vetustate obsolevissent, ob recen •
tem Bojorum perfidiam (Liv. 21, 52), „er traute dieser Nation nicht,
schon wegen früherer Treulosigkeiten, aber auch, wenn Anderes in
f ergesscnhcit gerathen wäre, wegen des neulichen Abfalls der Bojer."
H. Die optativischen Ausdrücke mit utinam: utinam virorum co-
piam haberetis (C. ^Lan. 10) — utinam ut culpam sie etifira suspicio-
nem vitai-e potnissem ( C. Phil, 1, 13). Es sind liier wie bei G haupt-
sächlich die dabei so häufig vorkommenden Plusquamperfecte , welche
das Ergänzen einer befriedigenden und passenden Rection schwer ma-
chen.
Das wären denn also die wichtigsten und bemerkbarsten Unter-
schiede ira Gebrauch des ut, wie sie im Ganzen genommen auch in
102 Abhandlung.
den Wörterbüchern aufgestellt zu werden pflegen. Von dem ut inter-
rogativum und relativum (A — C), dem das deutsche wie entspricht,
unterscheidet sich wesentlich das ut effecti, dass (D), das ut eventus, so
dass (E), das ut finale, damit (F), das ut sumtionis, auszudrücken
durch wenn (G), und das Optative ut, wenn doch (il).
Hievon weicht nun eine neuerdings in diesen Jahrbüchern aufge-
stellte Ansicht gänzlich ab. Herr Prof. Wunder hat nehiulich in sei-
ner Recension der Müllers eben Ausgabe der CIc. Rede p. Sextio
(im 2ten Heft des 5ten Bandes derJbb.) von einer Stelle imSßsten Capi-
tel , wo die Construction des verisimile nt anstössig gewesen ist , An-
lass genommen, nicht nur mehrere Vorkomnienheiten dieser Art zur
Untersuchung zu ziehen, sondern überhaupt die Sätze mit ut einer
Durchmusterung zu unterwerfen (S. 151 — 103), Er findet, dass
überall das ut keine andre Bedeutung habe als wie, und dass, wenn
man diesen Begriflf zum Grunde lege , und die Bedeutungen , welche
der Conjunctiv für sich hat, berücksichtige, alle Anwendungen des ut
erklärlich werden. *) Es seyen nehmlich — um die vom verehrlichen
Recenscnten hier beigebrachte Anordnung in der Kürze darzulegen —
folgende Fälle zu unterscheiden, in denen ut (allemahl in der Bedeu-
tung wie) vorkomme:
1) mit dem Indicative , factisch.
2) mit dem Conjunctive , und zwar wieder factisch a) in orat. ob-
liqua,
S) b) in urat. indirecta;
4) cogitativ , im unabhängigen Satze , a) als Wunsch ,
5) b) als Frage,
6) c) als Einräumen , concessiv ;
7) cogitativ , im abhängigen Satze , a) als Können ,
8) b) als Sollen.
Das sind also auch achterlei Functionen des ut , aber , wie man
sieht, ganz verschieden von den oben aufgestellten A — H. Ich er-
laube mir folgende Einwendungen und Bedenklichkeiten aufzustellen.
Unter 1 ist das ut interrog. und relativum zusammengefasst ; also
obige Analogien A und C. Da doch nachher die abhängigen und un-
abhängigen Sätze unterschieden werden, so sieht man nicht, warum
das hier nicht auch geschieht. Ueberhaupt hat der geehrte Hr. Rec. den
interrogativen (immer mit dem exclamativen vereinigt zu denken) und
relativen Charakter des ut nirgends berührt, wodurch viele Dunkel-
heit in seine Darstellung gekommen ist.
Nr. 2 gehört hieher eigentlich gar nicht; weil dadurch keine be-
sondre Function des ut angedeutet wird. Wie alle Sätze , von wel-
*) Hr. Prof. Grotefend hat in seinen Grundzügen einer neuen
Satztheorie (Hannover, 1827) S. 64 Aehnliches angedeutet. Da indessen
die gedachte Recension den vorliegenden Gegenstand am ausführlichsten
behandelt, so halte ich mich bei der vorzunehmenden Prüfung zunächst
an den Rcceneenten.
Ueber die uiiterächicdnen Satz - V'erliüUnIgse der Partikel ut. 103
eher Art sie seyn mögen, sind auch die mit ut den Gesetzen der or.
obl. unterworfen.
Mit 3 sind unstreitig die indirecten Fragen gemeint (B). Ich
sage unstreitig; denn der llcc. lässt sich dariibcr nicht weiter aus, und
man kann es nur aus den angeführten Beispielen abnehmen. Der Aus-
druck or. indirecta könnte auch vom Accus, c. Inf. gebraucht werden.
Doch Rec. hat, wie schon vorhin erwähnt worden, das interrog. und
relat. ut von einander abzusondern nicbt nötbig befunden.
Unter 4 sind die Ausdrucksai'ten mit utinam angedeutet, also die
obige Analogie G. Wenn Rec. dergleichen Sätze als unabhängige be-
trachtet, und die Ansicht derer für irrig hält, welche das ut in dieser
Bedeutung sich als von einem ausgelassenen volo oder opto abhängig
gedenken: so kann man das allenfalls zugestehen; obgleich ursprüng-
lich doch wohl eine , wenn auch nur dunkel empfundene Rection zum
Grunde gelegen haben mag, und ein Zusammenhang mit velim (scri-
bas), vellem (tacuisses) etc. nicht zu verkennen ist; wogegen die hier
parallelisirten Conjunctive ohne ut (vermuthlich ist der imperatorische
Conjunct. damit gemeint, roges, secernatur, memineris etc.) einen merk-
lich unterschiedenen Charakter haben. Wie übrigens in diesem utinam
der Begriff des wie zu finden sey, hat Becens. ganz unberührt gelassen.
Eben so wenig erklärt er sich darüber bei Nr, 5 in Bezug auf
Ausdrucksarten, wie te ut uUa res frangat ! Soll dieses das Frage- we
seyn? etwa in dem Sinne: wie könnte irgend Etwas dich rühren?
Das ist schon darum ganz unannehmbar, weil alsdann die oft
vorkommende Zufügung eines ne interr. ganz unerklärlich wäre: utne
tegam spurco Damae latus? (Hör. Sat. 2, 5, 18) — illine ut im-
pune primo discordias serentes concitent finitinia bella, deinde adver-
sus ea, quae concitaverint , armari civitatem defendique prohibeant?
(Liv, 4, 2_) — victamne ut quisquam victrici patriae praeferret? si-
neretque, majorem fortunam captis esse Vejis, quam incolumibus fu-
crit? (Liv. 5, 24). Wenn ut das Fragwort wäre, so bedürfte esji
keiner weitern Frag - Andeutung. Es lässt sich nicht sagen: illudne
quis ferat? Es ist vielmehr eine elliptische Ausdrucksart, und zu er-
gänzen : das sollten wir uns gefallen lassen ; oder wie Döring in der
letzten Stelle thut : fierine potest , ut praeferat etc. ; da denn der Satz
zu den Effects - Sätzen gehört, und keinesweges unter die unabhängi-
gen zu rechnen ist. Wenn Pontius beim Livius (9, 11) sagt: ut tu
quidem, quod petisti , per pactionem habcas, tot cives incolumes;
ego pacem, quam hosti tibi remittendo pactus sum, non habeam: hoc
tu, A. Corneli, hoc vos , feciales , juris gentibus dicitis? so ist die
Gedanken- Verbindung vollständig dargelegt: „Das ist also euer Recht,
dass ihr den Vortheil habt , wir die Bevortheilten seyn sollen !" Man
würde indessen auch ohne das hinzugefügte hoc vos juris dicitis den
Ausdruck ut tu habeas etc. für sich schon eben so verstehn , und auf
ähnliche Weise ergänzen. An ein wie ist dabei nicht zu denken.
Das gilt Alles auch von Nr. 6 in Absicht der Ausdrucksart ut hoc
sit io sumtivem Sinne ( U ). Wie kann das ein unabhängiger Satz gc-
104 .Abhandlung.
nannt werden? und was ist das für ein Jfle ^ was da hinehilfoinrat ?
Der liecens. sagt : e» bedeute so ein Satz nichts anders als : ivie es
auch seyn mag, seyn möge. Allein das Iieisst nicht ut sit , sondern ut-
ut est, utciinque est; und ut dixisset heisst wenn er gesagt hätte, nielit :
wie er auch gesagt haben möge. Der iinperatorrsche Conjunctiv , der
dem Sinne nach ebenfalls eine Suuition vorstellen kann , hat mit
jener Redart nichts gemein.
Als der 7te Fall ist derjenige aufgestellt, da der Conjunctiv
des abhängigen Satzes ein Können , und als der 8te , da er ein Sollen
bezeichnet. Bevor ich jedoch diese beiden Nummern näher betrach-
te, muss ich eine Bemerkung einschalten, für die ich nachher viel-
leicht keine schickliche Stelle mehr finde.
Man sieht sich nehmlich in dieser Anordnung vergeblich nach den
obigen Ut- Functionen D, E, F, also den Effects-, Absichts -, Folgesäz-
zen um. Recens. will diese Unterschiede nicht anerkennen. Er sagt,
die Sätze, welche man Finalsätze zu nennen pflege, und wofür das
deutsche damit im Gebrauch sey, eben so wie die Folgesätze mit so
dass , seyen mit denjenigen Sätzen, worin der Gegenstand der Rection
als solcher unmittelbar dargestellt wird , von einerlei Art und Bedeu-
tung. „Die Sonne bewirkt , dass die Luft erwärmt wird — sie wirkt
60, dass die Luft wärmer wird — sie erscheint wieder, damit sie die
Luft erwärme ," das sey Alles einerlei Gedanke , nur in etwas ver-
schiedner Stellung. Durch solche Trennungen werde das Erlernen der
Sprache den Anfängern nur erschwert u. s. w. Wenn nun aber der
Schüler einen Ausdruck, wie mortem, ut nunquam timeas, semper co-
gita (Sen. ep. 30), falsch übersetzt, etwa: bedenke dass du oder wie du
den Tod nicht fürchten dürfest; da werde ich ihn doch auf solche Un-
terschiede aufmerksam machen müssen , ihm sagen : du nimmst das ut
timeas für den Gegenstand des cogita; es könnte ja aber auch ein Ab-
sichtssatz seyn : um den Tod nie zu fürchten , denke fleissig an ihn. Oder
wenn (in umgekehrter Irrung) bei Livius 21, 63 die von fugisse ab-
hängigen Sätze ne adiret, ne videret, ne indiceret etc. mit
damit nicht, um nicht, übersetzt werden (wie es selbst Heusinger thut) :
so wird erinnert werden müssen , es sey in diesen Sätzen nicht die Ab-
sicht, sondern der Gegenstand ausgedrückt; das heisst aber doch wohl
nichts anders als , es sey nicht die eine , sondern die andre Satzart ;
und es wird gut seyn, solche Unterscheidungen auch durch die Be-
nennung zu fixiren und geläufig zu erhalten. Wie wird man dem
Schüler Fälle erklären , wo zweierlei Bestimmungssätze zusammen-
treten, wie: quod a caeteris forsitan ita petitum sit, utdicerent, ut
utruravis salvo officio sc facere posse arbitrarentur (C. Rose. 1,2);
wo das ut dicerent den Gegenstand, ut arbitrarentur als Folgesatz die
Art und Weise bezeichnet? Wie wird man so mancherlei Eigenthüm-
lichkeiten der 3 Arten von Satz -Bestimmungen in Bezug auf ihre Con-
etruction , auf den Gebrauch des ut non und ne , auf den Gebrauch
des Tempus, auf die Anwendbarkeit in Relativsätzen, und so vieles
andre mit der besondern Natur jeder Satziirt Zusammenhängende, über-
Uebcr die unterschledncn Satz - Verhältnisse der Partikel ut. 105
gehen können ? Es wäre ein grosser Rückschritt la der Granimiitik,
wenn wir die Scheidungen , welche man kaum noch angefan<;;^en hat
mit grösserer Sorgfalt vorzunehmen, wieder ganz aufgehen wollten.
Die Unterschiede zwischen coordinirten und suhordinirten Sätzen , lle-
lativsätzen , Gegenstands- und Umstandssätzen, hei den letztern wie-
der zwischen kausal-, Final -,Folg« -, Bedingungssätzen u. s. w. sind für
genauere Erörterung der syntactischen Kegeln durchaus wesentlich und
unerlasslich. Mau sehe nur zu , wodurch die Naturforschung so be-
stimmte Fortschritte macht. Nicht durch Analysen allgemeiner Be-
grifl'e ; was sie fördert , ist das genauere Betrachten der specialen Er-
scheinungen, und ihrer besondern Analogien.
Doch ich kehre zu dem Punkt zurück , von dem ich abgeschweift
bin, zu den conjunctivischen Functionen des huniicns und Sollcns, wel-
che unter 7 und 8 aufgestellt sind. Der Herr Verf. hat uns das Ein-
gehn in seine eigentliche Vorstellung dadurch sehr erschwert, dass er
sich auf die Uebertragungsweise des Conj. mit Küimcn und Sollen be-
schränkt, ohne die Begriffe dieser conjunctivischen Functionen nä-
her festzusetzen. Der lat. Conj. soll in gewissen Fällen ein MögUch-
seyn, ein Können, bezeichnen. Es liesse sich entgegensetzen, der
Conj. enthalte immer eine Möglichkeit; und auch wieder, es sei nie-
mahls ein blosses reines Können dadurch ausgedrückt; wozu liätte denn
die Sprache ihr posse , Menn der Conj. für sich schon die Möglichkeit
hinreichend bezeichnete ; potest concedi ist etwas anders als conceda-
tur etc. Kurz , es ist kein besondi-er Act des Conj. dadurch charakte-
risirt. Und das deutsche Sollen , wie vieldeutig ist das ! Welche Be-
deutung ist denn hier gemeint? Es wird das Können und Sollen ei-
ner Eintheilung der conjunctivischen Begriffe zum Grunde gelegt:
aber die vom Rec. angeführten Beispiele des Könnens sind alle von der
Art, dass dafür auch ein Sollen gebraucht werden kann (tiraeo ut foe-
dus ratum sit heisse nichts anders als „ich bin in Angst, wie das Bünd-
niss bestehen kann ," warum nicht wie es bestehen soll oder sollte ? ).
Und wo bleibt unser Mögen? was eben so oft den lat. Conj. um-
schreibt als Können und Sollen. Allein man sieht wohl, Rec. hat den
Potentialen Conj. vor Augen, der ins Deutsche freilich oft nicht wohl
anders als mit Hülfe der Verben mögen, können, sollen, dürfen, wol-
len u. s. w. zu übertragen ist, ohne dass jedoch diese sogenannten
Hülfs- Verben irgend eine wesentliche Scheidung begründen können.
Ich muss aber noch hinzufügen, dass die Potentialität überhaupt
hier so wenig als die Obliquität irgend ein Entscheidungs - Moment ab-
giebt. Die Frage ist, ob, wie Rec. behauptet, das ut immer als
Adverb der Art und JVeise betrachtet werden könne ; oder ob es , wie
bisher geglaubt worden, auch zu anderweitigen Satz- Verknüpfungen
dient, wobei an eine Art und Weise nicht zu denken ist, z. B. Be-
stimmungssätze des AVirkungs - Objects , der Absicht, der Folge, Be-
dingung, wie oben dargelegt ist. Wozu soll uns hier die Betrach-
tung der Potentialität helfen? Jede Satzart kann mehr oder weniger
einen potentialcn Begriff aufnehmen, es sey, dass solcher durch Mo-
106 Abhandlung.
du9 und Tempus fürmlicli ausgedrückt witd (ego timeam? ich sollte
mich für(;hteu ? timerein, hätte mich gefürchtet?), oder, wofern die
Satzart für sicli schon nach ihrer besondern Natur einen Conj. in An-
spruch nimmt, aus dem Rectionsverb und mehr noch aus dem Sinne
und Gedanken -Zusammenhange entnommen wird ( cur alium eligant
nescio kann heissen warum sie wühlen oder auch warum sie wühlen soll-
ten'). Für das ut und die Andeutung seiner Functionen ist dadurch
nicht das Mindeste gewonnen. Ein Ausdruck, wie tanta vis est eloquen-
tiae, ut audientes irrctiat , wird übersetzt werden dass sie bestrickt;
dagegen non est tanta etc. dass sie bestricken sollte oder könnte ; man
sieht aber in dem einen Ausdruck so wenig wie in dem andern, wie das ut
ein wie enthalte. Rec. selbst macht vergebliche Versuche, uns in Sätzen,
die nicht von relativer oder interrogativer Art sind, ein wie bemerklich zu
machen. Es stehe, sagt er, das ut bei V erben, wie conari, operam dare etc.^
weil diese ein Bestreben ausdrücken, wie etivas möglich zu machen sey,
excogitatum est, ut aerarium constitueretur heisse : „es wurde
ein Plan ausgedacht wie man könnte" u. s. w.; admonuit me, ut quam
primura Capuam liberarem, „er ermahnte mich, ivie ich befreien soll-
le." Allein das sind doch Alles niclits als undeutsche, unpassende,
unrichtige Ausdrücke , die eben dadurch hinlänglich zu erkennen ge-
hen, dass der Begriff des wie gewaltsam herbeigezogen sey. Ueberle-
gen, an die Hand geben, vorschreiben, wie etwas zu machen sey, ist et-
was ganz Anderes , als sich bestreben etwas zu bewerkstelligen , oder be-
wirken, dass etwas geschehe, Auftrag geben, dass etwas geschehen
solle u. s. w. Rec. sagt : „wenn Avir nicht in jedem Falle ut mit wie
übersetzen können, so ist der Grund davon nicht darin zu suchen, dasa
die lat. Partikel verschiedne Bedeutungen habe, sondern dass wir ge-
wisse Gedanken anders als die Römer aufzufassen pflegen." Wie ist
das zu verstehen? .worin liegt diese andre Auffassung? Die Sache
ist ja rein logisch. So wesentliche Unterschiede in der Bestimmungs-
weise können auch dem lateinisch redenden nicht entgangen seyn. Und
wenn er oft einerlei Wort dafür gebrauclit, so liaben wir das Recht
damit zu thun, was wir mit tausend andern Wörtern thun , und was
wir in unsrer eignen Sprache thun müssen , nehmlich die nnterschied-
nen , wenn auch immer mit einem Grundbegriff zusammenhängenden
Bedeutungen eines Worts gehörig zu sondern , und die Eigenthümlich-
keiten ihres Gebrauchs bemerklich zu machen.
Und könnten wir uns auch mit der beabsl<;htigten Verallgemeine-
rung so weit befreunden , dass wir in dem ut überall nichts als ein wie
fänden (womit doch gewisslich auch in methodischer Absicht keine
Erleichterung zu gewinnen Märe): was werden wir mit der negativen
Redform anfangen: hortatus est ne id facerem, remittimus tibi ne id
facias? Soll in dem ne auch ein ivic gedacht werden, damit es der
positiven Redform ut facerem entspreche?
Der Rec. scheint hauptsäclilich durch die Betrachtung der un-
merklichen Uebergänge von einer RedMeise zur andern auf einen be-
fangnen und einseitigen Standpunkt geführt worden zu seyn. Es ist
Uebcr die untersclüednen Satz - Verliältnisse der Partikel ut. WH
nicht zu Ifiugnen , die Analop;ien vcrscliinelzen an ihren Endpunkten so
in einander, dass über Einzelheiten Zweifel und Streit entstehen kann,
unter welchen Begriff sie zu bringen seyen. Es geht auf unserra
grammatischen Felde niclit anders als in der Naturforschung. Wo ist
eine Art oder Gattung, bei welcher niclit ein unmerklicher Uebergang
zu andern nachzuweisen wäre'^ Dadurch lässt sich die Wissen-
schaft nicht abhalten, Species und Genera festzusetzen. Manches hie-
her Gehörige ist schon oben gelegentlich erw ahnt worden. Hier wol-
len wir jedoch eine dieser Grenz- Vermischungen noch etwas näher be-
trachten , weil sie zu vorliegender Erörterung Anlass gegeben hat.
Das ist der Uebergang von der Analogie C zu D , von den ( indire-
cten) Fragsätzen zu den Wirkungssätzen (wt interrogationis und ut ef-
fecti). Im Deutschen, wo der Wirkungssatz immer eine andre Ver-
bindungs - Partikel (dass) hat als der Fragsatz, kann wenigstens dar-
über nie Streit entstehen, was der Redende für ein Satz-Verhältniss
in Gedanken gehabt habe. Im Lat. aber, wo dieselbe Partikel ut,
die einen Effectssatz bezeichnet , auch für eine Art Fragsatz im Ge-
brauch ist, niuss zu solcher Beurtheilung die Natur und Bedeutung
des Ausdrucks zu Hülfe genommen werden. Und da zeigt sich denn
allerdings , dass Fragsatz und Wirkungssatz so weit nicht von einan-
der abstehen , als man beim ersten Anblick glauben möchte. An der
Stelle C. p. Sext. 36, 78, an verisimile est, ut is in fo-
rum descenderit etc., so wie der ähnlichen p. Rose. Am. 41, 121, non
est verisimile , ut Chrysogonus Iiorum literas adamarit aut humanita-
tem , haben Lambinus, Ernesti, u. a. Anstoss genommen ; und
Stallbaum (zum Rudim. II S. 234) nebst Gernhard (zu Lael. 4,
14) sind geneigt in diesen Ausdrücken das ut ejfecti*') zu suchen, in-
dem letzterer noch die Vergleichung mit verum est, ut bonos boni di-
ligant , zufügt , wo doch nichts anders als ein Effectssatz zu suchen
ist (die Natur der Sache bringt es mit sich, dass u. s. w. ). Wenn nun
Rec. dagegen das ut hier in der Bedeutung u'ie genommen wissen will,
so kann ich ihm darin nicht anders als vollkommen beistimmen, indem
ich es nehmlich als das ut interrog. betrachte (worüber Recens. sich
nicht erklärt). Das verisimile non est heisst in diesen Sätzen soviel
als : es ist nicht denkbar , nicht begreiflich. Und da scheint ein Nomi-
nalausdruck des Gegenstandes natürlicher zu seyn als ein realer. Dem
Begreifen, Vorstellen, Denken, kann ein objectiver Aussagesatz (Acc.
c. Inf.) oder Fragsatz zugefügt werden, aber nicht wohl ein Gegen-
') Der Ausdruck eventus , dessen sich beide bedienen , kann irre füh-
ren. Er scheint besser für den Folgesatz zu passen , den ich auch oben
damit bezeichnet habe. Bei einem Ausdrucke wie: sed tantus consensüö
senatus fuit, ut mature proficisceremur, parendum ut fuerit. (Cic. äd
div. 3, 31) wird auf die Frage quo eventu nicht geantwortet werden
ut proficisceremur, sondern ut parendum fuerit. Das ut proficisceremur ist
der Gegenstand , das effectum ; ut fuerit ein daraus erfolgender Umstand,
ein eventus. Ueberhaupt ist es zweifelhaft, ob die beiden Grammatiker
den Effectssatz von dem Folgesatz unterscheiden. Wenigstens erwähnen
sie bei dieser Gelegenheit des Unterschiedes nicht.
108 Abhandlung.
stand als ans demselben entstehend, als JFirhmgs - Satz aufgestellt wer-
den. Dazu kommt, dass die Construction uns hier allcrding^s nicht
wohl ein ut effecti denken lässt. Der Wirkungssatz verlangt seiner
Natur nach ein Tempus, welches mit dem seiner Rection congrnirt.
Die Wirkung (als Gegenstand, Avohl zu unterscheiden von der Folge)
kann nicht früher gedaclit werden als das Wirkende, Also rectum est
ut sit, rectum erat (fuit, fuisset etc.) ut esset; aber nicht rectum est
ut esset oder fuerit. Fragt man nun Aveiter , warum das Nominal -
Object hier in der Fragforra ausgedrückt ist, und nicht als Acc. c. Inf.,
wie doch sonst gewöhnlich *) : so ist darauf sciiweilich anders zu ant-
worten, als dass es dem Redenden freistand, eine dem Acc. c. Inf. so
nahe verwandte und darein so leicht übergehende IJestimmungsAveise
zu wählen, und dass der Gedanke durch diese Frag- (oder Ausrufs-)
Form, „wie hätte er das thun können oder sollen, in der That eine
fühlbare Verstärkung erhält.
Da der potentiale Begriff, welcher auf solche Weise ins Verb
kommt, in Bezug auf Vergangenheit bestimmter und gewöhnlicher in
der Form des Imperfects ausgedrückt wird: (ego putarem, ich hätte
geglaubt? hätte glauben können? quid facerentmiseri, was hätten die
Unglückliclien thun sollen?) so entsteht die Frage, ob es in obigen
Stellen nicht auch hcissen könnte: verisimile non est, ut ille .....
. . . descenderet, ut adamaret. So findet sichs auch wirk-
lich C. Verr. 4, 6, II: verisimile non est, ut ille religioni
suae pecuniam anteponcret; und p. Sulla 20, 57: veri-
simile non est, ut, quem in secuntlis rebus secuni semper habuisset,
liunc in adversis ab se dimitteret ; an welchen Stellen man
ebenfalls Anstoss genommen hat. Diese Imperfecte sind , wie gesagt,
für sich betrachtet nichts anders als Potential -Formen der Vergangen-
heit**). Ille anteponeret heisst: er hätte vorgezogen? hätte können
*) Z. B. : Jam vero illud quam incredibile, quam absurdum, qui
Romae caedem facere, qui baue urbcm indammare vellct, cum familia-
lissimimi suum dimitterc ab se et mandare in ultimas terras ! (C. p.
Sylla 20, 57) — Ipse autem Cincius i« homo e-t , aut ea fa-
milia ac disciplina, ut hoc credi possit, cum bellum reipubl. facere vo-
luissc? (ib. 20, 58) — Quid enim est tani verisimile (ironisch, also
non est verisimile etc.), quam cariorem huic sororis maritimi, quam
sororis filium fuisse.'' atque ita cariorem ut etc. (C. p. Rab. 3, 7) —
Quod niilii minn-s simüc veri visum est, annum integrum Scipionera ni-
hil gcrundo in liispania consumsisse (Liv. 27, 7).
**) Eine Redweise, die, hauptsächlich wegen vernachlässigter Unter-
scheidung der TempusbegrifTe des deutschen luid lat. Conjunctivs von nn-
sern Grammatikern und Frklärcrn so sehr verkannt wird ; (Ausführliche-
res enthalten meine Sprach- Krnrterun gen im \ Fl! und IX. Abschnitt,^
wie sich hier Avieder recht aufl'allend zeigt. Scbellcr (im Lex. unter
verisimile) sagt, verisimile non est ut anteponeret stehe /ür anteponat.
Wenn anteponat das Richtigere ist, und das ausdrückt, was der Redner
sagen will , warum -wählte er eine andre Form ? Recensent erklärt es
anders, aber uro nichts befriedigender. Fr sagt, das Imperf. beziehe
sich auf einen ausgelassenen Bedingungssatz: „es ist nicht denkbar wie
lieber die unterschiednen Satz -Verhältnisse der Partikel ut. 109
vorziclm? liunc ille diinitteret? diesen hätte er wcffsohickcn solhsn?
si(li dazu entscliliessen können? («gerade so wie ein paar Zeilen vor-
her: hunc ille dimittcndnni esse arbitraretur?) : mit verisiuiUe non est
also zuaaiiiiucn: man begreift nicht, wie er das hätte thun können oder
sollen.
Inzwischen Ut nicht zu liingnen , dass, sowie das Iniperf. als po-
tentialer Ausdruck der A cr<;<uif^enlieit dem (»edanken seihst vollkom-
men anpasst, doch wieder die Constriietion selbst, die Veibindunfj; ei-
nes Re<-tions- Präsens mit dem Iniperi'eet im Fragesatz, etwas Fremdar-
tififes hat, und ungewöhnlich ist*). Man möchte das „anteponeret
ille, dimitteret ille?" allein sehn und mit Lambin das verisimile non
est wegthun; oder ein Ilectionsverb wie aceidisse, factum esse, fieri
potuisse, adduetum esse, einschalten dürfen; wodurch das ut zur ef-
fectiven Partikel würde. Und am Ende, warum dürften wir das nicht?
warum sollte der Sprechende im lebendigen Erguss der Rede dem Hö-
renden solche Ergänzungen nicht zumuthen ? Es wäre also in der
Verr. Stelle das verisimile non est ut anteponeret ein elliptischer
er Geld vorziehen würdc^^ Cnehmlich wenn ihm jemand welches gäbe)^
,,wie Sulla ihn von sich entfernen ii'itjrfc" (^wenn er ihn fortschicken
wollte). Allein ein bedinglicher Ausdruck der Gegenwart ist dem Sinne
dieser Stelle ja ganz entgegen. Was hier als unglaublich dargestellt
wird , mnss schlechterdings der Vergangenheit angehören. Und das drückt
das Potentiale Imperfect (wesentlich verschieden vom conditionalen) al-
lerdings aus.
*) Da Recens. der Meinung ist, dass alle die hier zur Erörterung
kommenden Stellen nicht das geringste Unregelmässige haben, wenn man
dem ut nur die Bedeutung des unc lasse: so würde es die richtigen Be-
griffe von der Sache sehr fördern , wenn er zu diesen zwei berüchtigten
Stellen eine Anzahl Parailelstellen beibrächte, wo zu einem Präsens der
Rection ein indirecter Fragsatz (ich wünsche, dass das nicht übersehen
werde) mit dem Imperfect des Conj. zugefügt ist. Ausdrücke wie: quo-
rnm licentiae nisi Carneades restitisset, haud scio an soli jara philosophi
judicarentur (C. div. 2, 72, 1^0), oder eloquentia quidera nescio an
habitisset parem neminem ( C. Br. 32, 126), sind hier nicht wohl gel-
tend zu machen , m eil sich das nescio an schon zu einer Art Adverb,
vielleicht, verschmolzen und eingerichtet hat. Dagegen ist (was sich sehr
wohl erklären lässt) in Folgesätzen eine solche Vereinigung Aerschiedcn-
artiger Temiiusfnrnien eher zulässig, besonders wenn im Bestimmungs-
gatz ein bedinglichcr Begriff hervorgehoben werden soll: honestum tale
est, ut, vel si ignorarent id homines, vel si obmntuissent, sua tarnen
pulchritudine esset specieqne laudabile (C. fin. 2, 15, 49) — qnae lex
hanc sententiam continct, ut omnes leges tolleret, quae postea latae
sunt ( C. leg. 3 , 17 , es Avürde alle später gegebnen Gesetze unnöthig
machen) — ullnm esse tantum periculum , tantnm laborem, tantam
contentionem, quam ego pro salute tua defugercm? (C. p. PI.
32, 78; keine Anstrengung, deren ich mich Aveigern würde) — non is
hnmo est, ut bellum contra patriam susc.ipiendum pntaret
(C. p. Sulla 20, dass er Lust gehabt hätte gegen sein Vaterland die
Waffen zu ergreifen). Die hesondcrn Fälle, welche die or, obl. darbie-
tet, können hier nicht zur Betrachtung gezogen werden.
110 Abhandlung.
Ausdruck für v. n. e. eum adductum esse, ut anteponeret; so wie bald
darauf im folgenden Capitel vollständiger gesagt ist : video igitur He-
juni .... neque magnitudine pecuniae adductum esse ut Iiaec signa
venderet. Ja es scheint sich aus dem Zusammenhange noch eine un-
mittelbarere Ergänzung zu ergeben. Es heisst nehmlich; quid si ma-
gnitudine pecuniae persuasum est ei? (die Statuen zu verkaufen.)
Darauf folgt das veris. non est etc. Der Redner knüpfte also das ut
anteponeret in Gedanken mehr an persuasum est, als an das wenn
gleich näher stehende veris. non est: „es ist nicht denkbar, dass er
sich sollte haben bewegen lassen (ei persuasum esse), das Geld vor-
zuziehen." So auch in der Sulla'schen Stelle: veris. non est (Cincium
in animum induxisse) ut etc., oder man kann auch das veris. n. e. ge-
radehin in dem Sinne nehmen, wie gleich nachher vorkommt : is homo
non est, ut . . . . nefarium bellum contra patriam suscipiendum putaret,
„er ist nicht der Mann dazu, (eben soviel als es ist nicht denkbar') dass
er Lust gehabt hätte gegen sein Vaterland die Waffen zu ergreifen ;"
ein Ausdruck , der wieder nichts anders ist, als eine Abkürzung des
voranstehenden: is homo non est, ut hoc credi possit, eum bellum
reipubl. facere voluisse. Letzteres ist die deutlichste und vollständig-
ste Darstellung des Gedankens, aus welcher die andern abgekürzt sind;
eine Abkürzung, die doch immer nur als seltne Vorkommenbeit, als
eine Art von Coarctation , als eine aus dem Zusammenhange sich er-
klärende Licenz zu betrachten ist. Auf alle Fälle ist doch in diesen
Anwendungen des Imperfects immer eine starke Hinneigung zum ef-
fectiven Begriffe nicht zu verlcennen. Wenn es Verr. 2, G5, 158 lieisst:
de quo homine .... auditum est unquam, ut ejus statuae dejiceren-
tur, so klingt das in der That etwas seltsam, auditum est ut dcjice-
rcntur. Allein vollständig heisst es: de quo homine hoc auditum est un-
quam, quod tibi accidit, ut etc. Und dieses accidit hat unstreitig auf die
Fortbildung des Satzes Einfluss ; wir dürfen ergänzen: num unquam
auditum est accidisse ut etc. In der Rede p. lege Man. c. 21 kommt
eine lange Reihe von Ausrufungen vor: quid tarn novum — tam prae-
ter consuetudinem — tam inauditum — tam inusitatura — singulare
— incredibile; und der Gegenstand ist erst einigemahl durch den Acc.
c. Inf. ausgedrückt, adolescentulum rem gerere , exercitui praeesse
etc. Sodann tritt, wo die Umstände bestimmter hervortreten sollen,
die Construction mit utein: quid tam inusitatum, quam ut
eques Romanus ad bellum formidolosissimum pro consule mitteretur.
Was ist das nun für ein ut? Der Begriff wie scheint nicht passlich zu
seyn. Es liegt aber in dem inusitatum i. e. usu non receptum eine
Vergangenheit , so wie dem Sinne nach in der ganzen Darstellung
(wie denn auch nirgends ein est zugefügt ist, um den Gedanken an
die Vergangenheit nicht zu verdunkeln); und der Begriff des Wortes
ist von der Art, dass es sehr wohl einen Wirkungssatz regieren kann:
was bringt das Herkommen weniger mit sich als dass u. s. w. ; im Grunde
so viel als quid tam raro accidit, factum est, quam ut etc. Liv. 31, 20
steht: cxemplum a majoribus non accepisse, ut, qui neque dictator
Ueber die unterscillednen Satz -Verhältnisse der Partikel ut. 111
neqiie praetor res gessisset, triunipharet; es sey kein Beispiel vorhanden
(so gut wie nunquam factum esse , evenissc) , dass einer triumphirt hätte.
Wenn Reo. von Schellcrn rühmt, dass er die richtige Ansicht ge-
fasst , und in dem ut das wie erkiinnt habe , so ist das wolil dahin zu
beschriinken , dass dieser verständige Grammatiker doch nur sehr be-
hutsam und zweifelnd von der Sache spricht, und nicht auf die ent-
fernteste Weise daran denkt, diese Function des ut für die einzige und
überall zu suchende anzusehen. Er macht (im Lexikon) zwei grosse
Abtheilungen, worin er das ut als Adverb wie von dem ut als Con-
junction dass absondert. In der letztern Abtheilung führt er unter an-
dern auch das verisimile an , doch mit dem Zusätze , dass man das ut
hier auch mit ivie übersetzen könne. Und mehr lässt sich wirklich von
den meisten hieher bezogenen oder zu ziehenden Ausdrücken nicht, sa-
gen. Es wii'd sich indessen immer ein Moment für die eine oder andre
Auffassung auffinden lassen. In Caes. b. g. 1 , 43: docebat etiana . .
. . . . , ut omni tempore totius Galliae principatum Aedui tenuissent,
werde ich kein Bedenken tragen, den interrogativen Charakter des ut
anzuerkennen; die vorhergehenden Ausdrücke: quam veteres queunque
justae causae necessitudinis ipsis cum Aeduis intercederent , quae: sena-
tus consulta , quoties, quamque honorifica in eos facta essent , steigen,
dass durch die (indirecte) Fragform eine gewisse rhetorische Liebhaf-
tigkeit in den Ausdruck kommen soll: „er machte dem Ariovist be-
merklich, in wie engem Verhältniss die Aeduer mit den Römern ste-
hen, wie jene immer im Besitz des Principats gewesen sejen u. s. w."
Allein in philosophia .... nos docuit, ut nosmet ipsos nosceremus
(C. leg. 1, 22, 58) erscheint mir das Satzverhältniss ganz anders.
Der objective Bestimmungssatz ut nosceremus hat durchaus nichts
Fragartiges, man mag an declaraatorische Fragen denken (w/e hat er
sich getäuscht! d. h. wie sehr'), oder an potentiale (^wie sollte ich das
ivissen? wobei immer das Entgegengesetzte hervorgehoben Aviid, ich
kann es nicht wissen), oder an die reinen einfachen Erkundija^ungs-
Fragen. Nicht etwa wie wirs anstellen sollen, zur Selbstkenntniss zu
gelangen, hat die Phil, gezeigt, sondern dieses sich kennen lernen hat
sie uns zur Aufgabe, zur Pflicht gemacht, es soll aus ihren Beleh-
rungen hervorgehen , dadurch bewirkt werden , Avir sollen uns ffennen
lernen. Es ist also ein deutliches Wirkungs- Verhältniss: das ut ge-
hört zur Analogie D. So finde ich denn auch unter den in derRecen-
sion erwähnten Stellen mehrere , wo man dem ut die Bedeutung wie,
d. h. den interrogativen Charakter (den sich Rec. immer als mit dem
relativen zusammenfallend zu gedenken scheint, weil er keines Un-
terschiedes erwähnt) nicht abstreiten kann. Dahin gehören C. prov.
cons. 16, 39: ut C. Julius provinciam tradat ei etc
. . . adduci ad suspicandum nullo modo possum ; C. nat. d. 1, 23, 63:
de divis neque ut sint, neque ut non sint, habco dicere; C. Fin. 2,
33, 108: qui probari potest , ut is , qui propter me aliquid, plus quam
ego ipse gaudeat; C. Lael. 4, 14: sin autem illa veriora, ut idem in-
teritus sit animorum et corporuin etc. ; und Aehnliches. Auch das ut
112 Abhandlung.
bei vereor, timeo etc. mag allenfalls zu dieser Analogie zu rechnen
eeyn. Dagegen kann ich in C. Lael. 16, 5ß : ties video sententias fer-
ri, quarum niillam probo; unain, ut eodeni modo erga ainicum af-
fecti siiuiis, quo erga nosmet ipsos; altcram, ut etc, nur ein ut effecti
anerkennen. Es ist von einer Vorschrift und Regel die Rede, also
von jNötliigung zu einem Tluin , nicht von einer Art und Weise. Das-
selbe gilt von C. ad Qu. 2, 1, 2: sententiam dixit, ut ipse judices per
praetorem urbanum sortiretur; C. ad Att. 10, 4: nihil esse ceitius, quam
nt omnes restituerentur; oder C. c. Rull. 2, 10, 2ö: jam hoc
inaudituui , et plane novo raore, (fit oder fertur, es wird vorgeschla-
gen u. s. w. ) uti curiata lege magistratus detur, qui etc. So ist auch
in der Stelle C. tusc. 5, 21: ei ne integrum quidem erat, ut
reniigraret (mo Ernesti Bedenklichkeiten findet, und einen blossen
Infinitiv verlangt), schwerlich an ein wie zu. denken; dem integrum ei
non erat, es stund nicht in seiner Gewalt , kann allerdings ein Gegen-
stand als Wirkungs -Bestimmung zugefügt werden, also ein ut effecti
stattfinden. Und nichts anders ist es auch in: est, ut dicis , ut pleri-
que philosophi nulla tradant praecepta, et taraea etc. ( Cic. de or. 2,
36 , 152 ) ; es geschieht so , es ist so bei ihnen hergebracht u. s. w.
Das Ergebniss aus diesen Verhandlungen wäre also etwa Folgen-
des. Wenn Rec. sagt, die Grundbedeutung des ut sey wie, der ad-
verbiale Begriff einer Art urfd Weise , so kann man ihm solches unbe-
denklich zugestehen. W enn er darauf hat aufmerksam machen wol-
len , dass insbesondre die interrogative Function des ut einen weitern
Spielraum hat , als man sich gewöhnlich vorzustellen scheint, so ver-
dient das alle Anerkennung. Indem er aber gesteuert hat, dass man
nicht überall in dem ut ein dass suche (des Gegenstandes , der Folge,
der Absicht^, Ist er, wie es zu geschehen pflegt, auf das andre Ex-
trem gerathen , überall in dem ut ein wie zu finden. Scharfe Gren-
zen muss man in diesen Dingen nicht setzen wollen. Die Red - Analo-
gien verlaufen sich in einander auf die mannigfaltigste Weise. Die
Sprache sucht sich überall Communications- Wege, Uebergänge, Ver-
schmelzungen , Verallgemeinerungen und Uebertragungen, Dadurch
erhält sie leichtere Bewegung. Das kann aber den Grammatiker
niclit abhalten oder der Verpflichtung überheben sorgfältig darauf zu
achten, wo in Form und Begriff sich wesentliche Unterschiede zu
Tage geben, und besonders bei Zusammenstellungen zweier so ab-
weichenden Sprachen , wie die lateinische und deutsche , bemerklich
werden. Etzler.
An Freunde der Patristtk nml KircheingescMchte.
. Diese macht der Unterzeichnete darauf, aufmerksam, d8ss:der im Novbr.
dieses Jahres erscheinende Katalog des hiesigen Antiquars Hrn. W.lScubron-
ner, neben vielen bedeutenden Werken aus allen Literaturzweigen, beson-
ders mehrere grössere und seltene ans den oben genannten Fächern enthal-
ten wird, flie als Doubletteu aus der Ulmischen Gymnasiums - Bibliothek
verkauft werden. Ulm, im August 1828.
,. Rector U.Prof. Dr. Moser,
Inhalt
von des dritten Bandes erstem Hefte.
Böckel : Anfangsgründe der Hebräischen Sprache.
Rcyher: Foriueiilehre der Hebräiechen Sprache.
f Vom Professor J. U.
Hanno : Die Hebr. Sprache für den Anfanff auf >
l Fäsi in Zürich. S, 3—28
Schulen und Gymnasien .
Böttcher: Hebräische Paradigmen. .
Tetzncr: Lesebuch für Mittel- und Oberelassen höherer Bürgerschulen
und Gymnasien. — Vom M. Clemen iu Leipzig. . . .28 — 42
Bory de St. Vincent: Sammlung geograph. Gemälde. Aus dem Franz.
übers, von Mone. — Vom Oberlehrer Walter in Berlin. . . 43—62
IFeicJiert: De Domitio Marso poeta coramentatio. — Vom Prof. Osann
ia Giessen.. . . . . . , . . . . . 62 ^-^ 67
Lobeclc: De Graecorum placentis sacris. — Vom Director Gotthold in
Königsberg. . . . . . . . . . .68 — 71
IVerdermann: Ob und in Tvie fern Gymnasien höh. Bürgerschulen eeya
können. — Vom Prorector Dr. Steuber in Dortmund. . . 71 — 72
Pinzger: Formenlehre der Griech, Sprache, — Vom Director Gotthold
in Königsberg. . . . . . . . . .72 — 79
Müller : Lehre der Deutschen Sprache gründlich und neu gefagst. — Vom
Oberlehrer Dr. Bach in Breslau 79 — 86
Hänle: Deutsches Handbuch für mittl. Classen der Gymnasien. — Vom
Director Müller in Cöslin. 86 — 88
Kohlraiisch: Chronologischer Abriss der \ .
I A'^om Dr. fVeise in Orla-
Weltgeschichte. ... ^^^^ ^ . . 88 - 94
Möller: Kleiner historischer Schnl-Atlas. /
Tetzner: Andeutungen aus der Geschichte alter Völker. •— Vom Director
Dr. Reuscker in Cottbus .91 — 98
Ueber die unterschiednen Satz-Verhältnisse, welche durch die Lat. Par-
tikel ut ausgedrückt werden. — Vom Professor Etzler in Breslau. 98 — 112
'liMiiiJiMÄÄjiiiiÄi
lip^pflSt^PliW'iiWtip
JAHRBUCHER
FÜR
PHILOLOGIE UND PÄDAGOGIK.
Eine kritische Zeitschrift
in Verbindung mit einem Verein von Gelehrten
herausgegeben
von
M. Joh, Christ, Jahn.
Dritter Jahrgang,
Dritter Band. Zweites Heft.
Oder der ganzen Folge
AchterBand. Zweites Heft.
Leipzig,
Druck und Verlag von B. G. Teubner.
18 2 8.
Si quid no\isti rectius istis,
Candidus imperti; si non, his utere mecum.
V
Griechische Litteratur.
Piatons Lehren aus dem Gebtete der NaturfoT'
SchllJlg und Je r // e e7Ä'M ;/f/e. Nach den Quellenbearbeitet
Ton Dr. J. H. Lichtenstüdt , Professor der Medirin an der Univer-
eität und an der chirurgisclien Lehranstalt /u Breslau, praktischem
Arzte etc. Leipzig, bei C. H. F. Hartiuann. 182«. XVI u. 180 S. 8,
Juis ist eine erfreuliche Erscheiniing in einer Zeit, wo die Natur-
wissenschaften, vermöge des grossen Materials, auf welches sie
Anspruch machen, fast immer weiter von den geistigern Wissen-
scliaften zurücktreten, und sicli gleiclisam ein eigeiiüiiuiiliches
Gebiet sichern wollen, Männer zu sehen, welclie von derUeber-
zeugung durchdrungen, dass die walireWissenschaftiiircinGruiid-
wesennach nur eine sey, wieder das gemeinsaraeUand aufr-i^iolien,
welches sie alle umschlingt, und in diesem Sinne dieDarstellu»^
einzehier Theile beginnen. Aus dieser Ansicht ist das gegen-
wärtigeWerk hervorgegangen ; so dass, abgesefien von allem an-
dern, schon das Streben den Verfasser ehrt. Dieser, Lehrer eines
ganz praktischen Zweiges der Naturwissenschaft und iiberdem die
Heilkunde ausVibend, hat sich durch diese liiclitung nicht von der
Bewundrung des hellenisclien Weisen abzieiien lassen, der mit
Recht das Urbild aller Wissenschaftlichkeit genannt wird. Er
hat bewiesen , dass ebenderselbe, wiewoJil ganz dem höliern
•wissenscliaftiichenLeb.n zugewandt, dennoch aucii im Gebiete
der Heilkunde eine Menge tiefer Blicke gethanhat, welche eine
Menge sogenannter neuer Ansichten schon dem Altertluim si-
chern. Doch wir gehen zur Betrachtung des Einzelnen über.
Recens., weder Arzt noch Naturforscher, glaubt sich durch viel-
jähriges Studium des Piaton in den Stand gesetzt, dem Gange
des Verfassers zu folgen, und sein Streben zu würdigen.
In einer wohlgeschriebenen Vorrede verbreitet sich der
Verf. theils über den Einfluss des Piaton auf die wissenschaft-
liche Heilkunde überhaupt, theils über die frühern Darstellun-
gen derselben und sein Verhältniss zu denselben. Allerdings
wird, um des Piaton Einwirkung auf irgend einen Zweig der
116 Griechische Litteratur.
Wissenscliafteii zu bcirroifcn, etwas niclir erfordert, als histo-
rische Keiiiitiiiss der W isseiischal't selber und eiuiire Bekauut-
gchaft mit der griecliischeu Sprache. Vor allern uiuss ein sol-
cher Bearbeiter in den Geist platonischer Lehren eingedrungen
seyn , und die freien Ansichten in ihrer hohen Bedeutung be-
griffen Ilaben, wenn er unternehmen will, auch nur einen
kleinen Theil des kunst\oll geordneten Ganzen ina eigenthiunli-
chen Lichte darzu>tc'llen. In dieser Beziclning inussten die mei-
sten frühem Darstelhmgen wenig gelungen erscheinen, weil eben
die Gegenstände nicht im Lichte platonischen Geistes, sondern
nielir nach ihrer Aussenseite aufget'asst wurden. Wenn hier
schon der scharfsinnige Aristoteles geirrt und die Grundansich-
ten des Meisters schief gedeutet, wie viel mehr rausste diess
spätem bi'gegnen, die vom heutigen Standpunkte der Naturwis-
senschaft aus und zwar sehr häiiiig nach den Grundsätzen der
gemeinsten Empirie die Genialität der grossen Weisen meistern
Mollten. Der \ erfasser hat die .Missdeutung platonisclier Leh-
ren durch Ari-toteles erst später geriigt, vorn aber nachgewie-
sen, wie Galen und die >enplatoniker \iel dazu beigetragen, dass
Piaton miss\ erstanden und seiner eigenthiimlichen Bedeutung
nach nicht anerkannt wurde. Die Art, wieder \ erf. über seine eig-
nen Forschungen in diesem Gebiete berichtet, muss schon ira
Voraus ein günstiges Vorurtheil für das Buch erregen, und der
Erfolg hat bewiesen, dass wir uns nicht getäuscht haben.
S. 1 — Ifi hat der V erfasser mit grosser Klarheit und selbst-
ständigem Urtheil das geistige Verhältniss Piatons theils zu der
frühern, theils zu seiner Zeit dargestellt, wo man mit \ ergnü-
gen den richtigen Blick desVerf. anerkennt. Die Unbefangenheit
scinesLTrtheils, so wie die geistvolle Art derBehandlung, deren rein
cntwickelnderCliarakterder platonischen nachstrebt. sind auf glei-
che Weise zu rühmen. Bcy der Darstellung des Besondern setzt
der Hr. Verfasser folgende Einthcilung fest : 1) Allgemeine Na-
turlehre. 2) Besondere Xaturlehre, 3) Biologie, 4) Allgemein
Pathologi-ches, 5) Allgemein Therapeutisches, 6) Speciell The-
rapeutisches.
Den ersten Absclinitt beginnt der Verfasser mit der Aufstel-
lung des vielfach bestrittenen Satzes: ,,dass es nach Piaton keine
ursprüngliche und für sich bestehende Materie gebe, dass viel-
mehr die Quelle und dasVorbild alles Stoffes in Gott gesetzt wird.''
Wenn man Jiior einen scheinbaren Widerspruch ^eg(in einzelne
Stellen des Piaton linden mitgte, so ist zu erwägen, dass die
mythische Vorstelhin-r ihre ."Macht auch auf die Sprache ausübte,
und dass die Darstellung der Gottheit als eines schaffenden
Künstlers ebenfalls der alten Vor^tellungsweise entgegen-
kam. Ja es ist geradezu unmöglich, die Weltschöpfung, wel-
clie an sich schlechtliin unerfasslich und unaussprechlich ist,
als ein in der Zeit gewordenes darzustellen, ohne Ausdrücke zu
l'Iutonä Lehren v. d. NaliirrurKcIiunjr u. Ilcilkiiiidc, v. Liclitenstüdt. 117
a:cl)raiicli(Mi, wciclie aul' eine mehr iiiii(eiiellc Vorstollniipfsweisc
lulireii ini'isseii. Dalier (leiiii üik li iMatoii selNcr alle ^eiiaiiereii
Darstetliiiiseii die^el• (i!ei:i'iisliiii(le mir ein ^ivxfokoyfiv iicmil,
weil >\alirliat'(e Krkeiinlniss nniiio^lirli is(. W «iiii sich dalier auch
Piaton nirgends lu>>tiiiiint aiisires|)r()eiien hat iiher das V erhiiit-
iiiss der noch nicht j^chiUleteii Welt, des ('iiaos, zu dem Seh«>-
pt'er, so kann doch auf der andern >Seite unni('>glich eine Zwei-
heit als iirspriin^lieli gesetzt werden, als welches der Ideciilvhrc
geradezu entjrep;en A>iire. Denn die ^an/e äussere sieht hare
Welt Jiat nnr eine Wesenheil , in soTern in ihr die ^oKlieheu
Urbilder aus^epriiirt sind ; nnnio^lich kann sie also nnch s<rhon
vor der Ivosnio^onie ein t'iir sich Si'll)>(standiifes nnd alsoWe-
senhaltes se^n. Die Tiinschnn^ \\ ar aher hier um so leichter,
weil die Meisten, nur in dem fie^öhnlichen (jlef^ensatz \on (ieist
und Materie belangen, nicht erkannten, wie diese beyni Pia-
ton nur bey der niedern lletrachlun^' der Ge^ienstände ffelten,
liini;ep:en bey »ler hohem \* issenschiilt liehen \ersch» inden. \ ^1.
unten S.ölJ. Diess vird nun auch durch iliejeniiren Stellen be-
stütis;t, welche der \ erf. selber S.'2!> l'ol.r^r. auireiiihrt hat; wo-
bey er das \> esen der durch neuern iMisshrauch ol't Sihiet' dar-
gestellten y^/rr// sehr richtii; utid ganz im platonischen Sinne be-
stimmt. Auch die Deutung der wichtigen Stelle Tim. p. iit)
ist durchaus gelungen zu nennen ; wie denn der llr.Verfasserüber-
hauptsieh in richtiger Erklärung der scheinbar widersprechenden
Stellen \ov allen mir bi-kannteuCJeschichtschreibern der Philoso-
phie auszeichnet, weil er \on einer richtigen (irundansicht ausgeht
und jede IJehanptung nach ihrem\ erhältnisse beurtheilt. Selbst
in der Worterklärung macht iler llr. Verl", sehr gli'ickliche Ver-
suche, und die IJegrill'sbestiinmung aou voV'^ und ^/•I';^^j wird
die Kenner des IMaton befriedigen ; auch die iieslimmung des
Wortes t^äov ist im allgemeinen richtig: der Ilr. Verf. hätte noch
anfiihren klninen , wie das lateinische animal diesem ganz ent-
sprechend ist. INicht ganz geni'igen musste «lie Erklärung der
Stelle ov 6'iöTi TCiXia t,djci x. r. A., namentlich wenn der Verf.
diesem Satze die Auslegung giebt, ,, Mies was vermöge «ler Ver-
nunft ein DascNU haben könne, sey aucli; und wiederum sey
als nicht seyeiid zu betrachten, was durch die Vernunft nicht
begriindet werden kann.'-' Was offenbar nicht darinne liegt ; denn
der ganze Satz will nur sagen, dass der xoo/toi; nicht mit einem
Einzel- Wesen, sondern mit der Alles durchdringenden und Al-
les belebenden Kraft verglichen werden könne. Welches auch
in dem folgenden liegt: wie der \erf. richtig bemerkt, „die
Ansicht des Platon gehe dahin, dass es ein gemeinsames liand
Alles KrschalVenen geben müsse, und dass dieses innerhalb kei-
ner bestimmten Zahl und Masse beschränkt seyn könne.'' Die
Lehre \on den l*ilementen , die Piaton ebenfalls angenommen
hat, wird richtig dahin gedeutet, dass Platon weit entfernt »ey,
118 Griechische Litteratur.
hier, sich selbst inconsequent, die Lehre der Atomistiker anzu-
nehmen, sondern, eben gemäss der natürlichenAnscliauung derDin-
ge, dieselben als Grundformen alles Stoffs betrachte; wiewohl er
auch auf dieseAnsicht, alsblos zumReiche der 3Ieinung gehörig,
gar keinen besojidern Werth legt. Eben so ist die Vierzahl als
Grundgesetz für die ganze Körperwelt oftenbar nur ein geistrei-
cher Versuch, die überlieferten 4 Elemente nach pythagoräi-
schen Principien als unumgänglich nothwendig zu rechtfertigen.
Und so bei weitem das Meiste von dem Uebrigen. Hier ist nichts
mit wissenschaftlicher Strenge erwiesen, noch auch als solches
hingestellt, sondern es sind geistvolle Ansichten in halb mythi-
schem Gewände, die aber das Wesen der platonischen Lehre
keinesweges berühren. Doch ist auch hier überall das Verdienst
dem Verf., welcher mit feinem und richtigen Sinne die ('onse-
quenzraacher zurückweist, und S. 42 richtig bemerkt, „das
Weltall ist also einerseits ein ewig bleibendes und andrerseits
ein unaufhörlich bewegtes und verändertes. Beides ist auf eine
nothwendige Weise verbunden ; ein ewiges Seyn ohne Bewegung
und eine Einheit ohne Vielheit erkennt Piaton als nirgends in
der Natur bestehend an." Li dieser Beziehung hat der Verf.
die sehr wichtige Stelle Politicus S. 269 angeführt , welche
vollkommenen Aufschluss über die platonische Ansicht von der
Lehre des ewigen Seyns und der unaufhörlichen Bewegung giebt.
Hier muss auch bemerkt werden, wie sich der Verfasser beson-
ders darinne als einen umsichtigen und verständigen Ausleger
platonischer Lehren zeigt, dass er überall die das Ganze um-
fassenden Lehren von einzelnen Lehrsätzen scheidet. Piaton
konnte vermöge der ganzen Richtung seines Geistes einer in die
einzelnen Theile eingehenden Naturforschung nicht befreundet
seyn. Hierin übertraf ihn Aristoteles weit; aber wohl konnte Pia-
ton vermöge der Genialität seines Geistes tiefe Blicke in das
Leben der Natur werfen, und diese hervorgehoben und vor
Missdeutung bewahrt zu haben, ist das Verdienst des Ver-
fassers. So vergleiche man, was er in Beziehung auf die Iiarmo-
nischen Verhältnisse des Weltgebäudes gesagt S. 47, über die
Zeit S. 49, über die Bewegung der Weltkörper S. 50 und 51, S.
55 und 56 über den Raum. Wobey überall der Verf. nach dem
Grundsatz verfährt, dass Piaton, allen einseitigen xAnsichten,
welche die frühere Zeit gebohren, entgegenstrebend, nur
den Kreis zu bestimmen sucht, innerhalb welchem sie mit Wahr-
heit angewendet werden können; während seine Grundansicht
über jenen Gegensätzen steht, die nur in dem Gebiet der Sinnen-
welt ihre Anwendung finden. Namentlich geschieht diess mit
dem heraklitischen Satze vom ewigen Werden , der eben nur
als im Gebiet des Körperlichen gültig von Piaton angenommen
wird.
Wie tief und umfassend überhaupt bey aller Mannigfaltig-
Plutons Lehren v. d. Naturfoi'ächiiiig: u. Heilkunde, v. Lichtenstädt. 119
kcit im Einzelnen Piatons Ansiclit über das Natnrleben ist, geht
auch aus seiner Ansicht des leeren Raumes hervor, welche, wie
der Vf. richtig bejuerkt, ganz itn lOinklaui^ mit der v. Kant aul's
neue begri'indeten ist. — Die Behauptung Piatons von gewissen
geometrischen Grundgestalten der Elemente scheint mir nicht
ganz richtig von dem Vf. erklärt worden zuseyn. Ort'enbar schweb-
ten hier dem Piaton gewisse pythagoräische Lehrsätze vor, nach
welchen sowohl arithmetische als geometrische (irundverhält-
nisse auch in den materiellen Grundlagen der Schöpfung aus-
geprägt seyen. Dass auch hierinne einige Wahrheit enthalten sey,
wird Niemand läugnen , aber folgerecht durchgeführt würde
diese Behauptung allerdings zu einer durchaus mechanischen
Ansicht der Natur führen, welche nun nicht blos dem innersten
Sinn platonischer Lehre, sondern aucli namentlich der früher
ausgesprochenen Behauptung von der Bedeutung der herakliti-
schen Lehre entgegen seyn würde. Uebrigens streng genom-
men und abgesehen von der äussern Erscheinung konnte auch
Piaton ein eigentliches Anderswerdcn der Materie nicht anneh-
men, sondern das Werden musste nach ihm aus einer veränderten
Mischung der Grundbestandtheile, welche an gewisse Formen
geknüpft ist , hervorgehen. Denn die Materie bleibt unter al-
len Gestalten dennoch immer die gleiche und ihrem innern We-
sen nach unveränderliche Grundsubstanz der Dinge. Auf diese
Weise musste Piaton dahin geführt werden, auch scheinbar
atomistische Lehrsätze in seine Darstellung aufzunehmen, weil
auch ihnen eine partielle Wahrheit zukömmt.
In der besondern Naturlehre mnss nun natürlich desEigen-
thümlichen weniger sich finden, wiewohl auch hier manche
geistvolle Blicke uns überraschen. So die Behauptung einer mehr-
fachen Zerstörung der Erde und der Menschenwelt, welche
Piaton nicht blos als Muthmaassung gelten Hess; dann die von
dem Verf. sehr richtig gedeutete und entwickelte Ansicht von
der Anziehung und Abstossung in der Natur, und ihrem gegen-
seitigen Verhältniss; wobey besonders die Ausdehnung, die er
diesen Gesetzen giebt, Bemerkung verdient.
Die Lehre vom organischen Leben nennt der Y er f. Biologie^
und sagt richtig, Piatons Lebensaiisicht ist die lebendigste unter
allen , indem sie recht eigentlich von dem vollen Leben aus-
geht und dieses geradezu als Selbstthätigkeit charakteri-iirt.
Hieran reihet sich die Behauptung, dass alles Geistige das Ur-
sprüngliche, das Körperliche das Nachfolgende und später
Entstandene sey; welches im Allgemeinen und im Besondern
als herrschendes Gesetz nachgewiesen, ja überhaupt die voll-
kommenste Harmonie und Gleichförmigkeit aller Naturerschei-
nungen nachgewiesen wird. In allen diesen wird man den fei-
nen und richtigen Sinn des Verf. anerkennen, welcher auch
bey scheinbaren Widersprüchen überall die Lösung im platoni-
120 Griechische Litte vatur.
sehen Geiste findet. Uebrigens verstellt sich von selbst, dass
die eigentlichen physiologischen Sätze sich vorzugsweise auf den
Menschen beziehen, welcher dem Piaton nach seiner Ansicht
der Menschennatur am bedeutendsten scheinen musste. Ver-
missen wir hier die Resultate der tiefer gehenden Forschung
neuerer Zeit, so begegnen wir dagegen iiberall einer unbefan-
genen, geistvollen und folgerecht- durchgeführten Ansicht des
Gesamrat-Lebens und seiner mannigfaltigen Erscheinungen. Diess
Alles hat der Verf. mit eben so viel Gelehrsamkeit als ürtheil
nachgewiesen, und überall auf die Eigenthümlichkeit des pla-
tonischen Geistes aufmerksam gemacht. Vgl. S. 1)0 u. Ol, was
über das Sehen und die Bedeutung des Gesichts, S. 92 über
das Gehör, S. 91 über die Empfindungsfähigkeit des Körpers
überhaupt verständig bemerkt wird. Ueberali wird man hier
die platonische Ansicht sinnvoll erläutert und im gehörigen
Lichte aufgefasst finden.
Der in das ganze Wesen platonischer Lehre so tief ein-
greifende Satz von dem richtigen Verhältniss der Weissagung
zur Erkenntniss ist S. 99 flgg. durchaus richtig dargestellt, und
der Verf. ist weit entfernt von der Alles bezweifelnden Nüch-
ternheit neuerer Kritiker, welche, was sie ihrem eigenen We-
sen als fremd anerkennen , auch dem hellenischen Alterthum
streitig machen , und den allgemeinen Glauben an Weissagun-
gen und Seherkunst mit dem elenden Gemeinplatz von Gaukelei
und Priesterbetrug erklären wollen. Dass übrigens Piaton in
der Betrachtung des physischen Lebens und seines Verhältnis-
ses zu dem geistigen nicht ganz frey vonirrthum bleiben konnte,
versteht sich von selbst , weil das Bestehen alles Lebens auf
einen gemeinsamen Quell zurückzuführen bey der Mangelhaf-
tigkeit von Betrachtungen nothwendig hier und da sich in will-
kührlichen Aussprüchen kund tluin musste. Auch hat diess der
Verf. keineswegs verkannt, und sich durchaus frey erhalten
von einem blinden Hingeben an die grossartige geistige Indivi-
dualität des Mannes. Aber er bleibt nicht blos bey der Anzeige
des Irrthums stehen, sondern erklärt ihn und weist seinen
Grund nach in der subjectiven Anschauungsweise des Platon.
Vgl. S. 117, 129 u. 100. Doch es würde viel zu weit führen, wenn
wir auf alles das Treffliche, welches in diesem Buche enthalten
ist, aufmerksam machen wollten; und wir dürfen nach mehrmals
wiederhohltem Durchlesen dieses Buches mit dem ürtheil schlie-
ssen, dass dasselbe in jeder Beziehung vorzüglich genannt wer-
den dürfe, und das grosse Verdienst habe, eine bisher fast ganz
vernachlässigte Seite des platonischen Systems in das hellste
Licht gesetzt zu haben. Es wäre zu wünschen, dass andere
Theile, z.B. die Dialektik, auf gleiche Weise behandelt würden,
und wir dürften hoffen , endlich zu einer richtigen Ansicht des
Rdmiäche Litteratiir. .121
grössten liellenisclieii Weisen zu gelangen, der in neuern Zei-
ten mehr bewundert als verstanden worden ist.
Basel. Fr. Vor. Ger lach.
Römische Litteratur.
Tacitus über Lage., Sitten tind Völkerschaften
Germaitiens. Uebersetzt und mit Anmerltungen versehen von
Dr. H. }V. Fr. Klein, Prof. am Gymn. zu Hildburgliausen. Mün-
chen 1826. Druck und Verlag von F. A. Fleischmann. 203 S. 8.
br. 12 Gr.
-cIlIs Ref., ein Brandenburgisch - Preussischer Unterthan, in
den für sein Vaterland und dessen glorwürdiges Königshaus so
erschütternden und niederbeugenden Schicksalsjahren 1807 —
1809 die von dem Argwohn und der Furcht des Französischen
Kaisers einstweilen aufgelöste Fridericiana mit der Herzog!.
Braunschweigischen Carls - Universität zu vertauschen nebst
vielen seiner Commilitonen gezwungen worden war, hatte er das
Glück , den kurz zuvor von Eutin nach Helmstedt als Professor
historiarum berufenen Bredow Vorträge, wie über andere
Werke des grossen Römers und Geschichtschreibers Tacitus, so
namentlich über dessen Germania zu hören. Wenn von dem
Augenblick an, wo derselbe dieses zu früh für die Welt und
Litteratur, noch früher für sich und seine Freunde aus dorn
Leben geschiedenen Edlen Stimme und Ton hörte, seine
Worte ernster historischer Mahnung und Erinnerung vernahm,
und in seines Auges verhaltenem Feuer den stillen und trüben
Ernst seines Gemüthes las, wenn von diesem Augenblicke an,
die von der Schule her durch die Vita Agricolae ihm angereg-
te Liebe und Sehnsucht zu dem unsterblichen Menschen- und
Tyrannen - Mahler Tacitus zum vollen Leben erwachte, so
war die nur erkennbare Ursache davon theils die anziehende,
belebende und beseelende Kraft des damahis noch jugendlich
feurigen Interpreten und Docenten, derein Semester später selbst
für einen Dionysius Periegetes ein gedrängtes Auditorium zu
versammeln vermochte, theils aber auch die unwiderstehliche
Gewalt des alten und ewig neuen und jugendlichem Historikers,
mit welcher er denjenigen ergreift und in seine Mitte zieht, der
sich einmahl mit Liebe und Andacht den Schwellen seines heh-
ren Heiligthums genähert hat. Denn was Quintiliau vom Ennius
122 Römische Litterat ur.
sagt, dürfte in anderer Beziehung von Tacitus und dessen Deut-
schen Volks- und Landes- Gemähide, der Germania, gelten:
Ennium, sicut sacros vetustate lucos, adoremus, in quibus gran-
dia et antiqna robora jani non tantara habeiit speciem, quan-
tam religionem. Qiiint. X, ], 88. Kec. kniipft an diese akade-
mische Lebenserfahrung, die viele seiner Berufsgenossen mit
und vor ihm gemacht haben, und nach ihm machen werden,
zwei zum vorliegenden Zweck, wie zum Inhalte und Geist einer
pädagogischen und philologischen Zeitschrift nicht ungehörige
Bemerkungen. — Erstlich: Da Tacitus erfahrungsmässig ein
vonGelialt entweder so vollendeter oder eigenthümlich beschaf-
fener Schriftsteller ist, dass die Liebe zu ihm erst der reifern
und gelehrigem Jugend aufgeht, das volle Verständniss des-
selben vielleicht aber nur dem gereiften und gelehrten Welt-
undStaatsmanne sich erschliesst: so ist derselbe aus dem Kreise
der Schulautoren auszuschliessen, und von den Lehrplänen der
Gymnasien , wo er noch als stehender Autor verzeichnet ist,
zu streichen, und entweder gänzlich den Universitäten zurück-
zugeben und zu überlassen , oder nur für eine classis selecta
von Gymnasien - Scliülern oder für eigentliche philologische
Zöglinge aufzusparen. Soll derselbe indess als Autor für die
statarische Leetüre der Iten lat. Sprachklasse heibehalteu
werden, so möge er als Uebergangs- Autor für die höhere phi-
lologische Bildung und als Anknüpfungs- und Verbindungs-
Punct der Schul- und akademischen Alterthums -Studien be-
nutzt, ausserdem aber mit den wissenschaftlichen und spracli-
lichen Lehrohjecten eines Gymnasii in eine fruchtbare Bezie-
hung gesetzt werden. Hierzu bietet der Römische Historiker in
den zwei kleinern Stücken seiner köstlichen Hinterlassenschaft
selber die Hand. Denn wie die Vita Agricolae theils als ein
Meisterstück der biographischen Kunst selbstständig und unüber-
trefflich dasteht, und fiir die auf Gymnasien anzuregende histo-
rische Forschung und Darstellung höchst fruchtbare Momente
darbietet, theils aber als ein vollendeteres Gegenbild zu Sue-
tons Kaisergeschichten und Plutarchs I*arallelen zu lehi-reichen
Vergleichungen einladet: so ist die Germania eine zu alte ehr-
iind glaubwürdige, und dal-.er zu wichtige Urkunde über die
Wiege und Kindheit des Deutschen Volksthums , als dass der
gründlicheGymnasial-Lehrer bei seinen Vorträgen über die va-
terländische Geschichte nicht unbedenklich von derselben aus-
gehen, oder auf dieselbe zurückkommen sollte, was auch über
und gegen diese Urkunde die historische Zweifel- und Parado-
xen-Sucht der neuesten Zeit ausgesprochen und eingewandt
haben mag. Ausserdem — und das ist die Benutzung des Ta-
citus für allgemeine sprachliche Lehrzwecke — ist in Sprache
und Ausdruck die gehcimnissvolle Kürze und Tiefe, gleichsam
die contorta vis des Tacitus von der lactea ubertas des Livius
Des TacUus Germania, übersetzt von Klein. 123
und der Breite und copiösen Manier des Cicero so specifisch
verschieden, dass zwischen jenem nnd diesen ein Zeitalter der
Latinität und Elocution zu liegen scheint, zn dessen Anschau-
ung und Erkenntniss der Sprachzögiing auf Gymnasien in dem
letzten Stadio seiner Bildung wenigstens vorbereitet werden muss,
um theils für die Schriftwerke aus der argentea aetas einen
aufgeschlossenen Sinn auf die Univ. mitzubringen , theils um
frühzeitig vor dem Walme bewahrt zu bleiben, als sey mit Ci-
cero die Latinität abgeschlossen, und als gränzte die Verfall-
zeit des Römischen Uepublicanismus mit der Periode des Spi-ach-
Barbarismus nahe und unmittelbar zusammen. —
Die zweite Bemerkung aber ist die, dass mit Tacitus zwar
spät aber desto dauernder der Bund treuer Anhänglichkeit und
Freundschaft geschlossen wird ; dass Tacitus, wie er kein Jüng-
lings- sondern Mannes- Autor, so auch kein Historiker, kein
Annalist oder Novellist aus der Zeit und für die Zeit, sondern
für die Welt und das Leben ist; dass derselbe zwar seinem
Stoffe und seiner Sprache nach , und als ein durch Raum und
Zeit, in und für die er lebte, bedingtes Individuum, seinem
Jahrhunderte und dem Römerthum anheim fällt, seiner Dar-
stellung nach aber allen Jahrhundertem und demMenschenthum
angehört. — Denn wenn schon die Aufgabe, die sich Tacitus
zu lösen genommen, nämlich das allmähliche Versinken und
Ausarten der alten Römer -Tugend und republikanischen Herr-
lichkeit in Lasterhaftigkeit und Knechtschaft , oder den üeber-
gang des antimonarchischen Geistes im Volksleben und in der
Staatsverfassung nach seinen nächstfolgenden Wirkungen prag-
matisch zu beschreiben und zu schildern, — wenn schon diese
Aufgabe ein tragisches Element einschliesst und eine Katastro-
phe ankündigt, die um so anziehender wirkt, je mehr Analo-
gien sie in dem allgemeinen Staats- und Völker -Leben hat,
und je mehr sie zu der grossen, hellen und glänzenden geschicht-
lichen Exposition des Livius gleiclisam den dunkeln Hintergrund
bildet: wie sollte nicht erst die Art und Weise, wie diese
Aufgabe gelöst erscheint, die historische Art und Kunst des
Tacitus die denkenden Köpfe und die fühlenden Herzen aller
Zeiten und Jahrhunderte ergreifen und anziehen! Der Grund
ist dieser. Tacitus gehört nicht zu den epischen und plastischen
oder zu denjenigen Historikern, die, wie Herodot , sich ihrer
Individualität bei der historischen Arbeit und Coraposition ganz
oder grösstentheils entäussern und dieausgemitteltenund glaub-
würdig befundenen Facta rein-objectiv, ohne subjective Bei-
mischung, ohne Urtheil und Reflexion hinstellen, sondern viel-
mehr zu denjenigen, die, wie nach ihm Johannes v. Müller,
Luden und andere, die Thatsachen unter einen idealen, poli-
tischen und moralischen Maassstaab bringen, und Überdieseiben
von dem Standpunct des Politikers oder Moralisten absprechen
124 Römische Litte ratur.
und aburtheilen ; Tacitus gehört also zu den sogenannten ethi-
schen oder gemüthlichen Historikern, oder zu denjenigen, die
mit einer vorherrschenden Richtung und Stimmung des Gemü-
thes die Ereignisse darstellen. Insofern nun diese Individuali-
tät des Tacitus auch in seinen historischen Styl übergegangen
ist, und in demselben sich analog ausgeprägt hat, gehört die
Geschichtsdarstellung desselben zu den raanierirten im edlern
und künstlerischen Sinne des Worts, und da nun die Manier ei-
nes Coniponisten und Künstlers etwas Augenialliges und Anzie-
hendes, die des Tacitus aber, in so fern sie auf einer moralischen
Unterlage beruhet, etwas Stärkendes, Erliebendes und Trö-
stendes hat, so erklärt sich hieraus, wie aus andern liistori-
schen und litterarischen Ursachen, die Verehrung, die demsel-
ben zu allen Zeiten und unter allen politisch -mündigen Völkern
durch Studium, Uebersetzung und Nachahmung seiner Werke
und Darstellung zu Theil geworden ist.
Ob vorliegende Verdeutscliung der Germania oder des von
Tacitus Hand zu historisch - ethisclien Zwecken entworfenen
kleinen llundgemähldes des alten Teutoniens, auf welches der
in republicanischen Erinnerungen lebende Historiker herabblickt,
wie Zeus vom Schlachlfelde 11. XIII, 1 seqq. — denn er lässt
die „Römer'-'-
— — in Arbelt ring-en und Elend
Rastlos fort ; und er wendet zurück die „weinenden Augen,'''-
Seitwärts liinab auf das Land „der edlen Germanier^' schauend,
Welche hei Alilcli arm leben , ein Volk der gerechtesten 3Iän-
ner. —
(Vgl. Bernhardi's Sprachwissensch, S. 328) — ob diese neue
Verdeutschung der Taciteischen Germania aus einer gleichen
Neigung und Liebe, aus innerm Bedürfniss für die Urschrift und
deren Erklärung und Verbreitung, wie frühere Arbeiten der
Art, hervorgegangen, oder durch andere Antriebe u. Beweggründe
veranlast worden sey, ist eine Frage, die, so wichtig sie auch
für den präsumtiven Werth der Arbeit seyn mag, Bec. nicht
entscheiden, sondern nur bemerken will, dass der Verf. der-
selben Hr. Dr. Klein sich dem unter den Anspielen des Hrn.
Prof. Oertel zu Anspach gebildeten Gelehrtenvereine ange-
schlossen hat, welcher eine Verdeutschung der Ilömisclien Klassi-
ker — im Druck und Verlage von Fleischmaiin in München —
beabsicht, und zum Theil bereits ausgeführt hat. Daher auch
der beigefügte Generaltitel des Buchs: Sanwütmg der röm.
Klassiker in einer neuen deutschen Uebersetzung^ u. mit kurzen
Anmerkungen. Von einem deutschen Gelchrtenverein. In jedem
Falle arbeitete der Hr. Verf. also im Auftrage, was weder einen
unedlen Beweggrund einschliesst, noch freie Liebe und innern
Trieb und Beruf zur Arbeit ausschliesst , um so weniger , da
Des Tacitus Germania , übersetzt von Klein, 125
sich derselbe in der Vorrede als Verf. der Uebersctzimg des
Agricola bekennt, ein Umstand , der Vorliebe fiir seinen Au-
tor und Vertrautheit mit dessen Werken voraussetzt. Daher
verweist auch Ilr. Klein in dem Vorwort auf r/fls, was er in
der Vorrede zu seinem Agricola gesagt habe, und meint, „dass
die Verdeutschung der Germania keiner Vorrede bediirfe, es
sey denn des Bittwortes an die Reccnscnten: es nicht beim Ta-
del bewenden zu lassen , sondern selber zu bessern und weiter
zu bauen." —
Kec, kennt die Agricola-Bearbeitung des Hrn. Klein nicht,
würde aber, auch wenn sie zu seiner Kenntniss gekommen wäre,
dennoch denselben von der Pflicht einer weitern Bevorwortung
und einer nähern Verständigung zwischen sich und demPublico
in Bezug auf seine Arbeit und deren öffentliche Ausstellung und
Preisbewerbung nicht wohl entbinden können, imi so weniger,
da bekanntlich wenigstens ein Dutzend Uebersetzungen und
Erklärungen der Germania — in unserm Vaterlande erschienen
sind, in welchem leider! das üebersetzungswesen zu einem
litterarischen Fabrik wesen herabgesunken ist, wie denn zur
Zeit 3 Institute der Art in München, Stuttgart und Prenzlau
im wetteifernden Gange sind, Pflicht und Schuldigkeit wäre
es demnach für den Vorredner gewesen, wenn auch nur das
eine und andere zur Einführung und Werthbestimmung seiner
Arbeit anzudeuten, z. B. welche Vorarbeiten der üebersetzer
benutzt, wodurch er dieselben zu übertreff'en gesucht, nach
welchen Grundsätzen und Ideen er gearbeitet, in wie weit
er sein Ideal erreicht, und sonach eine vollendetere Arbeit als
seine Vorgänger geliefert und einem litterarischen Mangel und
Bedürfniss abgeholfen zu haben glaube u. s. w. —
Insonderheit aber hätte der neue üebersetzer der Germa-
nia, um jeden Schein, eine Arbeit auf buchhändlerische Be-
stellung übernommen und zunftgemäss ausgeführt zu haben,
von sich entfernt zu halten, bevorworten sollen, in wiefern ihm
die Bredowsche üebersetzung, die wir im Ganzen für ge-
lungen erklären , unzulänglich und unbrauchbar für den Zweck
erschienen sey, den, wie jede, so auch eine Verdeutschung
der fraglichen Schrift des Tacitus einzig und allein haben kann
und soll, nämlich den: von ihr, wie von einer klassischen Ur-
schrift ein möglich vollkommnes Nachbild zu liefern , entweder
aus rein künstlerischem und ästhetischen Triebe und Zwecke,
oder zur Förderung irgend einer litterarisch- wichtigen Neben-
absicht. Da indess weder das Eine nocli das Andere gesche-
hen ist, so nehmen wir des Verf. Werk als eine aus Liebe zur
Sache und aus dem Streben nach dem Bessern und Besten ent-
standene und den Namen einer Original - Arbeit ansprechen-
de Üebersetzung. Ob und in wie weit sich unsere Annahme
rechtfertige, und die in Frage stehende Verdeutschung den Na-
126 Römische Litteratur.
raen einer wahren , kräftigen und schönen Original- Uebersez-
zung nicht iNacMibersetzuni^ einer Yoriibersetzung verdiene,
wird sich aus einer Nebeneinanderstellung dieser und der
Bredow sehen ergeben , die wir ungeachtet ihrer mehrsei-
tigen Gezwungenheit, Steifheit, Ueberbietung des Textes
und harter Annäherung an die bekannte und belobte Vossi-
sche Manier dennoch für eine der besten unter ihren jüngsten
Rivalen erachten, weil sie die Grundfarbe ihres Originals mit
einer gewissen Selbstständigkeit, Kraft und Wärme wieder-
gibt.
Wir wählen zur Vergleichprobe und um desto unpartei-
ischer zu erscheinen, den Anfang.
I. Bredoiv.
„Ganz Germanien wird von den Galliern, den Rhätiern
und Pannoniern durch Flüsse, den Rhein und die Donau; von
den Sarinaten und Dakern durch gegenseitige Furcht und Berg-
höhen geschieden. Das Uebrige urafliesst der Oceanus , der
weite Busen umfasst und unerraessne Räume von Inseln, wie
denn in neuern Zeiten einige Völker und Könige, die der Krieg
entdecket hat, uns hier bekannt geworden sind. Der Rhein auf
der rhätischen Alpen unerstiegenem und steilem Gipfel ent-
sprungen , mit einer geringen Beugung gegen Abend gewandt,
ergiesst sich in den nördlichen Oceanus. Die Donau einem sanf-
ten und gemach aufsteigenden Rücken des Berges Abnoba ent-
flossen, gehet durch mehrere Völker, bis sie ins pontischeMeer
auf sechs Wegen ausströmt; die siebente 31ündung wird von
Sümpfen erschöpft." —
II. Klein.
„Ganz Germanien wird von den Galliern, Rliätiern und
Pannoniern durch Flüsse, den Rhenus und Danubius, von den
Sarmaten und Daciern durch gegenseitige Furcht oder Gebirge
geschieden. Das Uebrige umfliosst der Ocean, weite Busen
und ungemessne Inselräume umfassend, wo neuerlich einige
Völkerschaiten und Könige bekannt worden. Der Rhenus auf
einem unzugänglichen und steilen Gipfel der Rhätischen Alpen
entsprungen, vermischt sich, in massiger Biegung gegen Abend
gewandt, mit dem nördlichen Ocean. Der Danubius einem sanf-
ten und massig erhobenen Rücken des Berges Abnoba entströmt,
geht zu mehreren Völkern, bis er durch sechs Gänge ins Ponti-
«che Meer stürzt, denn die siebente Mündung wird von Süm-
pfen verschlungen."
Die Familienähnlichkeit beider Uebersetzungen sowohl in
der Wort- als Satz-Dollmetschung ist eben so auffallend als
unverkennbar, und wenn Nr. II von Nr. I dem genau prüfenden
und vergleichenden Leser nur als ein verbesserter Abdruck er-
scheinen dürfte , so möchte dem strengern Kritiker ein und die
andere der versuchten Besserungen mehr scheinbar als wahr und
Des Tacitu8 Germania, übersetzt von Klein. I2'5f
treffend däuchtcn. Wahre Verbesserungen möchten seyn:
Gebirge fiir Berghöhen (montes) ; unzugänglich für unerstiegen
(inaccessus) ; sti/rzt iüv ausströmt (crurapit); verschlungen für
erschöpft (exliauritur). Dagegen mochten nur sclieinbarc Ver-
besserungen scyn: die Beibehaltung der Römischen Nominal-
Formeiiiii den Propras, wie Dauubius (oline zureichenden Grund
und Consequenz), massige Biegung und massig erhoben (modico
flexu — molli et clementer edito jugo), anstatt des weit sorg-
fältigem und angcmessneren Bredowschen — siehe oben) der
Krieg hat offenbart^ aperuit — wider den Redegebrauch!
Richtiger verdeutscht Bredow: entdeckt^ wortgemässer aber:
eröjfnet. Gerade in der Copirung solcher Begriffs- und Wort-
Schattirungen zeigt sich die Virtuosität des Uebersetzers! Hie-
rin sind Voss und F r. A. Wolf und wenige andere unüber-
troffene Meister! Durchs Gänge — sex meatibus erumpit —
sprachungewöhnlich, wortgenauer Bredow — auf (> Wegen;
passender als beides : in sechs Jf indungen. Flüsse (fluraina)
ungenau bei beiden, anstatt Ströme, welcher Ausdruck auch
der Sache angemessner erscheint. Warum endlich schreibt Hr.
Klein r omanhir cnd Bhe7ius, und nicht auch Oceanus wie Bre-
dow, da Ocean und der Oceanus schon wissenschaftlich ge-
schieden sind und selbst zu Tacitus Zeiten die mythische Idee
von einem erdumkreisenden Gewässer noch nicht völlig ver-
wischt war. — Eine andere durch Aehnliclikeit mit der Bre-
dowschen Vorarbeit hervorstechende Stelle heben wir aus den
Schluss-Capiteln aus, Cap. 44seq., überlassen jedoch, aus bil-
liger Schonung des Raums , die Vergleichung dem unpartei-
ischen Leser, und bescbränken uns auf einige Ausstellungen:
classlhus valeut , sie sind durch Flotten stark {^^Q^eix die Pro-
prietät des Ausdrucks); est apud illos et opibus bonos, auch hat
beiihfien der Reichthum Ehre — (warum nicht das völlig ent-
sprechende — auch steht oder ist bei inEhreJi). Arma-
tortmi manus facile lasciviunt — leicht MutMvillen üben — im
Wortausdruck zu schwach^ im Gedanken einen kleinlichen Ne-
benbegriff eiuschliessend (^sie schuwifen in Uebermuth aus^.
Cap. 45: persuasio adjicit — ßigl ^'^ Ueberreduiig hinzti (per-
suasio ist die Selbstüberredung ^ der herrschende Glaube^ ßdes
vulgo recepta); insigne superstitionis, als Abzeichen der Religion
(im Begriff zu weit gefasst anstatt als Sinnbild des Aberglau-
bens); exundant in littora, an s Gestade schwimynen (vielmehr
anwogen, undisferri et ejici). — Cap. 4ß: sordes omnium ac tor-
por procernm , Schmutz bei alleti und Starrheit bei den Vor-
nehmen!!; in Sarmatarum habitum foedantur , sie tperden ge-
wissermaassen nach Art der S. verdorben — in Ausdruck und
Sinn verwässert und verfehlt! — Wir schlagen die 3Iitte des
Buchs auf, und finden dieselbe Erscheinung wieder: mehr
ängstliches Anschmiegen an das Bredowsche Vorbild , als freie
jL28 RömischeLitteratiir.
iind kräftige Nachzeiclinung des Urbildes in seiner grossartig
skizzirenden, wortkargen und gedankenreiclien Manier. So
ist Cap. 22 ut apud quos plurimum hiems occupat in ein Ge-
schlepp von 11 Worten ausgedehnt: da bei ihnen die ?neiste
Zeit der U inter in Besitz nimmt — {^da bei ihnen meist Winter
herrscht). Lauti ciburn capiunt, ^e?^ffscÄe/^ weÄme/« s/e Speise
(jiach dem Bade nehmen sie das Mahl ein oder speisen sie); diem
noctemque continuare potando nulü probrnra, Tag und Nacht
im Zechen anhalten — (lateinisch - deutsch ! anstatt: nnunter-
brochen fortzutrinken oder fortziizechen — ist keine Scharide).
Sirnplices cogitationes , einfache Gedanken — (?) deutliclier:
aufrichtige G. (im Gegensatz des folg. gens non astuta , nee
callida.) Bei dem Allen ist in vielen andern Stellen das Streben
den (od. die) Vorgänger durcli Wortwahl, Begriff- und Satz-
stellung zu übertretfen nicht anders als gelungen zn nennen,
und die mitunter latinisirende, gekiinstelte und geschraubte Ma-
nier Bredows , die den Tacitus nicht selten zu einem in kurzen
und spitzen Antithesen sich gefällig spiegelnden Illietor ver-
rückt, glücklicli vereinfacht u. durch eine urkräftige Deut. Rede-
weise wieder veredelt worden. Dahin gehören vornehmlich solche
Stellen, denen seit Bredows Zeiten durch eine Textes -Berichti-
gung oder richtigere Erklärung aufgeholfen worden ist (vgl. die
Passowsclie Ausg. der Germ, mit den friihern). Wo also der
neue Uebersetzer einen richtigem und bessern Text vorfand,
da übersetzt er auch richtiger und besser, und in so fern ist
seine Arbeit allerdings zeitgemässer und brauchbarer, als die
Bredowsche. Dass aber dessenungeachtet Hr. Dr. Klein nicht
alle Schwierigkeiten gelöst und nicht alle Dunkelheiten aufge-
hellt habe, beweist unter andern seine Verdeutschung der be-
kannten und so häufig kritisch und exegetisch beregten Stelle
vom Ursprung des Wortes Germanen Cap.2, die also verdeutscht
aber dennoch weder Deutsch noch deutlich geworden ist: „So
habe Einer Nation, nicht des Volkes Name allmählich gegolten,
dass alle zuerst nach dem Sieger aus Furcht, bald von sich selbst
mit dem erfundenen Namen Germanen genannt wurden." — Das
darauf folgende Capitel stimmt steilenweis mit Bredow wörtlich
überein. Wenn nun eine solche Uebereinstimmung zweier In-
terpretations-Werke nicht bloss, wie bewiesen, einzelne Worte
und Wendungen, also den äussern Hede- und Grundbau, son-
dern auch, wie erweislich, das innere Gefüge lyid Gelenke
der Redesätze, oder dasjenige betrifft, was man das Colorit
des Ausdrucks nennen könnte; so werden wir auf unser obiges
Urtheil zurückkommen und unparteiisch erklären müssen, dass
die Kleinsche Uebersetzung ohne die vorgängige Bredow-
sche entweder gar nicht entstanden, oder wenigstens nicht so,
wie sie geht und steht, gestaltet und gehalten wäre, dass sie
demnach mit Verzichtieistung auf den Nameu und Werth einer
Des Tacitus Germania, übersetzt von Klein. 129
Original -Arbeit auch der frisclien und kräftigen Liebeswärme
und Naturfrisclie crmangele, weiche die Bredowsche bevor-
zugt; dass sie aber dennoch bei aller erkennbaren Mangelhaf-
tigkeit für eine kritische Revision und berichtigte Auflage der
Bredowsclien Uebersetzung gelten könne, und in dieser Bezie-
hung für die gebildete Lesewelt den Werth einer brauch-
baren Dolnietschung habe, wiewohl die Kunst die alten Schrift-
werke meister- und muster- würdig zu dolmetschen durch die-
selbe um keinen Schritt weiter gebracht worden sey. — Die
angebängten Spracli- und Sach- Erläuterungen nebst Register
nehmen 152 Druckseiten ein, und zeugen von einsichtiger Wahl,
fleissiger Benutzung der neuern Hilfsmittel und von eigener
schätzbarer Belesenheit , machen aber die von Bredow seiner
Verdeutschung beigegebenen Erläuterungen weder überflüssig
noch entbelirlich ; vielmehr wäre zu wünschen gewesen , dass
Ilr. Klein dieselben ebenfalls und auszugsweise benutzt, inson-
derheit aber seine Leser (philologische Dilettanten oder studi-
rende Jünglinge) mit einer Abhandlung über die Quellen,
Glaubwürdigkeit , den Zweck und Werth der Taciteischen
Denkschrift, so wie mit einer Karte der Taciteischen Germa-
nia beschenkt u. dadurch sein im Ganzen verdienstliches Werk
noch gemeinnützlicher und für die Kenntniss der Urgeschichte
des Vaterlandes fruchtbarer und förderlicher gemacht hätte.
Reuscher.
Anleitung zum Lateinischschreiben in Regeln
und Beispielen zur UehuJlg. Zum Gebrauche der
Jugend von Joh. Phil. Krebs, Doctor der Philosophie und Profes-
sor der alten Literatur am Herzogl. Nassauisclien Gjinnasium zu
Weilburg. 5te vermehrte und verbesserte Ausgabe. Frankfurt
a. M. , bey Brönner. 1828. VIII und 664 S. 8. 1 Thlr. 5 Gr.
An sich betrachtet kann allerdings eine neue Ausgabe noch
nicht den vollständigen Maassstab für den Unwerth oder Werth
eines Buches abgeben ; indessen lässt sich doch in den meisten
Fällen, solche freylich ausgenommen, wo nur ein neuer Titel
dem Buche gegeben wird oder eine sehr schwache Auflage ge-
macht ist, annehmen, dass das Buch nicht zu den ganz schlech-
ten gehöre. Dagegen dürften ////// Auflagen eines Buches wohl
schon an sich ein günstiges Vorurtheil für dasselbe erwecken;
ein noch günstigeres aber erweckt der Name eines Mannes,
der bereits seit einer Reihe von Jahren unter denjenigen Gelehr-
ten genannt wird, welche sich um den Gymnasialunterricht
durch Lehre und Schriften bedeutende Verdienste erworben
Jahrb.f.Fhil.u. Pädagog, Jahrg. lU. Heft 10 . q
130 Römische Litteratur.
haben. Darüber viele Zeugnisse beyzubringen würde ganz über-
flüssig seyn. *)
Wir haben nun nicht Gelegenheit gehabt, die vierte im
Jahre 1825 erschienene Ausg. dieser Anleitung mit der vorlie-
genden fünften zu vergleichen, es ist diess jedoch mehr als ein-
mahl bey der dritten, welche Hr. Krebs im Jahre 1822 her-
ausgab, geschehen, und wir haben hierbey die rastlos nach-
bessernde Hand des Hrn. Verf. zu erkennen mehrfache Veran-
lassung gehabt. Nach seiner eignen Versicherung in der Vor-
rede S. VI ist nach § 274 der Anhang zu der Lehre von den
Zeiten der Verba , sowie in § 427 und 428 die Erörterungen
über die üebersetzung der Conjunction dass neu hinzugekom-
men. Auch ist in § 187 das Verzeichniss der Verba, die in ei-
nerley Bedeutung den Dativus und noch einen andern Casus bey
sich haben, von 31 bis auf 40 vermehrt worden u. dgl. m. Als
einen Hauptvorzug der vorliegenden Schrift haben wir immer
die Deutlichkeit und Fasslichkeit derselben anerkannt, sowie
die Methode des Hrn. Krebs von der deutschen Sprache aus-
zugehen und auf eine eben so gründliche als lichtvolle Art zu
zeigen, wie die derselben eigenthümlichen Redeweisen in das
Lateinische zu übersetzen sind. Nach diesen Grundsätzen ha-
ben wir auch die neue Ausgabe bearbeitet gefunden. Die Re-
geln sind kurz und bestimmt ausgedrückt, hier und da (wie S.
344 und 401) ist eine tabellarische Uebersicht einzelner Rede-
weisen gegeben, die Beyspiele.sind passend und — soviel wir
bemei-kt haben — überall aus den Classikern entlehnt und so
ausgewählt , dass der Selbstthätigkeit des Schülers noch im-
mer Raum genug übrig bleibt. Endlich dürfen wir auch nicht
übergehen, dass in allen diesen Beyspielen nur der nachzuah-
mende Sprachgebrauch aufgeführt ist , des seitnern aber fast
gar nicht gedacht wird. Aus diesem Grunde konnte auch auf
keine Grammatik verwiesen werden, da diese auch den seitnern
Sprachgebrauch berücksichtigt, welchen der Lateinischschrei-
bende nicht zu kennen braucht und auch nicht nachahmen darf.
Das Letztere können wir nicht missbiliigen. Die Hinneigung
mancher jungen Leute zum Besondern und Gesiuchten, die den
meisten Jünglingen so natürliche Liebe zu dichterischer Farbe
ihres Ausdruckes, verursacht hier so manche Fehlgriffe, dass der
Lehrer nicht genug dagegen auf seiner Hut seyn und auf alle
Weise diese Verirrungen zu verhüten bemüht seyn kann. 3Iag
auch immerhin ein und der andre Ausdruck gut und dem phi-
*) Herr KR. Mattliiä z. B. nennt in seiner Abhandlung- über
das Futurum Exactum (hinter der zweyten Ausgabe der von ihm
erläuterten Ciceronianischen Reden) p. 241 die vorliegende Schrift ein
Über utilissimus.
Krebs: Anleitung zum Lateinlschschreiben. 131
losopliischen Spracligesetze angemessen seyn (wie etwa ein po-
tius nach tantiim übest), so sind wir doch nicht befugt da den
alten Sprachgebrauch nach solchen Gesetzen zu ändern oder zu
verbessern. Ausführlicher haben wir uns hierüber in diesen
Jahrbüchern 1821, III, 1 S. 101 geäussert.
Ganz besonders erweitert ist nun in dieser neuen Ausgabe
der letzte AbscJinitt, welcher ein Verzeichniss ujiclassischer
Wörter tmd Redensarten enthält. Wir werden auf denselben
gleich zurückkommen, da wir ihn in unsrer Anzeige vorzugs-
weise zu behandeln gedenken. Könnten Mir nun aucli in eini-
gen der frühern Abschnitte hier und da Einzelnes anmerken,
hier und da wohl ein Wort oder einen Satz anders gestellt
wünschen, oder die Anordnung der einzelnen Bestimmungen vei-
ändei't wissen wollen; so ist diess doch im Vergleich zu dem
vielen Guten, was das vorliegende Buch enthält, bey weitem
nicht bedeutend genug, um Gegenstand vieler Anmerkungen zu
seyn. So würde Rec. z. B. bey der Lehre vom Conjunctiv (§
298 — 303) die in § 303 a. E. gegebene Bestimmung eher ge-
setzt haben, als es vom Verf. geschehen ist. Denn wir glau-
ben, dass die von ihm übrigens ganz richtig hervorgehobene
Bedeutung dieses Modus, dass er überhaupt gesetzt werde, um
eine von einem Andern gedachte Sache auszudrücken, mag sie
nun zweifelhaft seyn oder nicht, die ganze Abhandlung hätte
eröffnen müssen. Jlieran würde sich nun gleich ganz gut schlie-
ssen, Avas ilr. Krebs in § ö03 sagt, dass die Mittelsätze in ei-
ner abhängigen Rede von der Meynung des Sprechenden ab-
hängig gemacht werden müssten, nicht aber von der Constru-
ction, so dass diese sowolil im Indicativ als im Conjunctiv aus-
gedrückt werden könnten, je nachdem sie aus der Persoji des
Sprechenden oder aus der eines dritten herkommend gedacht
würden. Passende Beyspiele dazu geben Gernliard zu Cic.
de Ofßc. /, 26, 90; zu Cic. de senect. 6, 18 und in seiner
Comment. Grammat. IFp. 6/.; M atthiä zu Cic. pro leg. Ma-
nil. 17, üO und in der Abhandlung de anacol. upud Cic. in
Wolfs liter. Analect. III .^ S. 6 ; Walch in den Emendat. Liv.
p. 191—195, und Eilend t zu Cic. Brut. 49, 185.
Ueber das Verhältniss der Conjunctionen quando., quia
und quoniam spricht Hr. Krebs von § 306 — 312 deutlich und
bestimmt. In einer neuen Ausgabe dürfte sich vielleicht Man-
ches nach Wunder's Beobachtungen in seinen Variis Lection.
libror. aliq. Cicer. p. LXXF s. und p. XCTI- CXI anders ge-
stalten, da man bis dahin auch vielleicht die Lesarten andrer
Ciceronianischer Handschriften genauer erforscht haben wird.
Bevor die Untersuchung freylicli bis zu einem gewissen Grade
von Wahrscheinlichkeit geführt worden ist, dürfte es nicht
rathsam seyn, neue und nicht allseitig genug erwogene Sätze
an die Stelle der bisherigen treten zu lassen. — Bey si § 313
9*
132 Römische Litteratur.
wäre vielleicht für Schiller die Bemerkung nicht ganz überflü-
ssig gewesen, dass .9/ nicht für quum gebrauclit werden dürfte.
Nur in der Verbindung mit einem Futurum scheint si den blo-
ssen Zeitbegriff auszudrücken , der aber doch immer mehr im
Futurum liegt, wie hey Horat. Epp. /, 7, 10: qiiod si bruma
nives Albanis illinet agris^ oder auch wohl eine mehrfach wie-
derholte Handlung anzeigt, wie Cic. de Offic. /, 15, 47: sin
erunt merita — maior qnaedam ciira adhibenda est. Vgl. J. Fr.
H e u s i n g e r zu // , 20 , 10. Wird jedoch eine wirkliche That-
Sache oder eine ausgemachte Wahrheit zur Bedingung aufge-
stellt, so passt oft in der Uebersetzung unser da besser, weil
es Zeit und Grund zugleich angiebt, Avie Cic. in Catil. /, 1, C:
etenim quid est iam., Caliiina., qnod ioni a?jipliiis exspecles.^ si
iieqne nox tenebris obscurare coetus nefarios , nee prioata do-
rnus parietibiis continere voces tiiae coniurationis potest ? Vgl.
Günther in JVachsjuutJis Athenäum /, 2, 2ö6. — Ueber
quum (§323 — 328) wird die Auseinandersetzung des Hrn.
Krebs ebenfalls befriedigen. Nur hätte wohl der Zusammen-
hang beyder Constructionen noch deutlicher, als es in § 327
geschehen ist, angedeutet werden können. Rec. hat diesen
Unterschied seinen Schülern gewöhnlich so erläutert, dass
quum mit dem Indicativ die bestimmte Zeit bedeute, da wo., da
wenn., in welcher Bedeutung quum einen Satz dem vorigen an-
schliesst. 3Iit dem Conjunctive aber giebt quum den Zusam-
menhang mit dem Nachsatze an, wirkend oder bezweckend,
sowohl die blosse Anzeige des Gedankens einer dritten als ei-
ner öfters wiederholten Handlung. Demnach bezeichnet also
quum nicht die Zeit allein , sondern auch die Ursache und Fol-
ge einer Handlung. Was nun aber den Gebrauch betrifft, so
ist derselbe danach zu bestimmen, ob der Erzähler bald mehr
das in der Zeit Geschehene, oder die Absicht des Handelnden
berücksichtigt. Bey spiele zu dieser Regel geben ausser Wop-
kens in den Lect. Tullian. II., 12 p. 303; Garatoni zu
Cic. pro Milon.'^b, m p. 318, Orell. z. Philipp. IF, 6 T. II
p. 81) 1f ernsdorf, und zu X, 1 T. II p. 312; Görenz zu Cic.
deßnib. II, 16, 54; Ellen dt zu Cic Brut. 36, 138, vgl. mit
Wunderlich zu Tibiill. /, 2, 14.
Ueber den historischen Infinitiv (§ 385) ist der Hr. Verf.
zu kurz hinweggegangen. Die Construction hat anfänglich für
Schüler manche Schwierigkeit, hernach aber brauchen sie die-
selbe gern und, wie es wohl in solchen Fällen geschieht, zu
viel. Eine etwas längere Auseinandersetzung wäre also hier
wohl an ihrem Orte gewesen , wie wir uns erinnern eine recht
genügende Darstellung von einem Gelehrten in der Leipzig.
Literat. Zeit. 1824 Nr. 118 bey Gelegenheit der Recension von
Mohr's Schrift über diesen Gegenstand (Meiuingen, 1822.)
gelesen zu haben.
Krel)s : Anleitung zum Lateinischsclirclbcn. 133
Bey der Erläuterung der Construction von tantum abest (§
456), wo Hr. Krebs ganz riclitig das potius verwirft, haben
wir die Angabe der berüclitigten Stelle bey dem Verf. des Buchs
de hello Alexandr. cop. 22 vermisst, auf welche die Vertlieidi-
ger dieser Redeweise ihre Ansicht zumeist begrVinden, Am
ausfiihrlichsten hat liardili in der Hüdesh. krit. Bibl. 1822,
IV S. 412 f. über diese Streitfrage geliandeit, womit etwa ver-
glichen werden kann, was wir gegen Hrn. Gräfenhan in der
Allgem. Literat. Zeit. 18.5 Nr. 117 bemerkt haben.
Zu der Auseinandersetzung Viber dieParticiiiialconstruction
(§ 493 — 518) würde liec. gar nichts hinzuzusetzen haben,
wenn er nicht eine Berücksichtigung derjenigen Fälle vermisste,
wo kein Participium nach dem Sprachgebrauche guter Lateiner
stehen darf. Einige solche Fälle liat bereits Rani s hörn in
seiner lat. Gramynat. § 172, g, S. 482 f. angeführt, doch Hesse
sich ausser diesen wohl noch bemerken, dass l) ein Participium
nicht gesetzt werden dürfte, wenn es nicht einen Eigenschafts-
begriff oder einen Zustand ausdrückt, in welchem sich das
Substantivum befindet; 2) wenn der Satz, welcher die Partikel
enthält, oder das Relativum irgend eine Folgerung angiebt,
die hervorgehoben werden soll; 3) wenn ein besondrer Nach-
druck auf der Partikel ruht , wie etwa bey Cicero Tuscul.
Quaesi. F, 27, 78.* mulier es in India., qmim est cuius earum
vir mortuus^ in certamen iudiciumqiie veniunt^ quam "pliirimiim
nie dilexerit: quae est victris, ea laeta, prosequentibus suis^
una cum viro in rogum imponitur,
Ueber den Gebrauch der Präpositionen bemerkt Hr. Krebs
§ 594 sehr richtig, dass viele unsrer Präpositionen da ge-
braucht würden, wo im Lateinischen ein Genitiv gesetzt werden
müsste. Vielleicht wäre hier die Warnung nicht überflüssig
gewesen, dass man im Lateinischen vermeiden solle, Präposi-
tionen von Hauptwörtern abhängig zu machen. Bey guten Clas-
sikern kommen solche Beyspiele selten vor. Cicero schreibt
O/"«^. 69, 230: Anlipater in prooemio belli Punici und gleich
darauf: nobis — in scribendo atque in dicendo necessitatis es-
cusaiio non probatur. Verrin. II I^ 80, 1 87 : quae porro prae-
fatio tuae donationis fuit? Oder in längerer Umschreibung Cor-
nelius Nepos Attic. 9,1: Secutum est bellum gestum opud
Mutinam. Dahin gehören auch die castra nautica in Alcibiad.
8, 3, die Heusinger und Bremi ganz richtig erklärten.
Man vgl. Schirlitz in den Unterhalt, aus dem griech. Alterth.
S. 179 und Rosenheyn in diesen Jahrbüchern I, 2 S. 354 f.
Mögen diese Bemerkungen Hrn. Krebs beweisen, dass
wir sein nützliches Buch nicht ohne Aufmerksamkeit durchge-
lesen haben. Wir wenden uns nun zu dem letzten Theile des-
selben, der das Verzeichniss unclassischer Wörter und Redens-
arten enthält (S. 581 — 644). Dieser Abschnitt fand bereits
134 Römische Litteratur.
in der dritten Ausgabe allgemeinen Beyfall, und es wurde oft
auf ihn verwiesen. „Er hatte zur Absicht," sagt der Hr. Verf.
in der Vorrede S. VI, „die immer noch bey uns sehr unreine
und uncIassischeLatiuität von den rohen Scliiacken derMönclis-
iatinität zu reinigen. Diese Latinität saugen wir meistens schon
mit dem ersten Elementarunterrichte ein, und der junge Latei-
ner hegt auch nicht den geringsten Argwohn gegen ein von sei-
nem Lehrer oder andern Gelehrten geliörtes oder in Schriften
oft gelesenes Wort." — „Die Auctorität solcher Männer," fährt
er fort, „verführt, unbedenklich nehmen wir es als gute, ächte,
Münze an, brauchen es und pflanzen es so von Jahrhundert zu
Jahrhundert fort. Der Schulmänner erste Pflicht ist es, sowie
in der Muttersprache vor dem Wortgemengsel aus allen Jahr-
hunderten zu warnen, so bey'm Lateinischschreiben vor dem
Gebrauclie unclassischer Wörter und Redensarten. Ein voll-
ständiger Antibarbarus, wenn ich so sagen darf, thut höchst
nöthig, damit endlich überall das barbarische Mönchslatein
ganz verbannt und nur das classische Latein gelesen werde.
Ihr Schulmänner, thut das Eurige und hört auf die nicht, wel-
che , weil sie Gut und Schlecht nicht zu unterscheiden wissen,
aus Unwissenheit und Bequemlichkeit das Gegentheil predigen
und um der angenehmen Predigt willen gern gehört werden.
Unsre Rede sey gut und rein, der ganze Ausdruck classisch
und gewählt, ohne poetische Kunst und gezierten Schmuck!
Vor Allem aber sey sie in Formen und Fügungen grammatisch
richtig und treu der Sprache der besten Zeit."
In diesem Sinne spricht sich nun derllr. Vf. von§613 — 629
(S. 572 — 582) über Reinheit und Eleganz der Rede aus, stellt
fest, dass die Schriftsteller des goldnen Zeitalters uns im La-
teinschreiben Muster und Vorbilder seyn müssten, und giebt
an, welche Regeln man im Allgemeinen bey ihrer Nachahmung
zu beobachten und wo man zu den spätem Schriftstellern seine
Zuflucht zu nehmen habe. Auch in der Allgemeinheit dieser
Grundsätze wird man den practischen Schulmann nicht verken-
nen. Rec. erklärt sich mit diesen Regeln und Grundsätzen
ganz einverstanden, wie diess auch aus den Bemerkungen her-
vorgeht, die er in diesen Jahrbüchern an dem oben angeführ-
ten Orte und neuerdings in Seebode's Kritischer Bibliothek
1828 Nr.l^ S. 133 niedergelegt hat. Wir würden also das
dort Gesagte keinesweges hier wiederholen, wenn uns nicht
eine gegen uns gerichtete Abliandlung des Hrn. Prof. Fuss in
Lüttich Veranlassung gäbe, unsre Ansicht hier wenigstens
kürzlich als Erwiederung auszusprechen. Rec. hatte nämlich
die Sammlung lateinischer Gedichte, welche Hr. Fuss zu Köln
im J. 1822 erscheinen Hess, in derllildesh. Krit.Biblioth. 1827,
I S. D9 —109 mit dem Lobe angezeigt, welches dem geistrei-
chen und sprachgewandten Uebersetzer gebührt, eich jedoch
Kre1)s: AnleUnng zum Latelmschschreiben. 135
zugleich dahin geäussert, dass die Latinität in der beygefügten
Abhandlung de lingiiae lat. ad poesin usu^ deque poesi et poetis
neolatinis nicht rein und der SpracligebraucJi der verschied iicn
Zeitalter zu sehr unter einander gemischt sey. Belege zu die-
sem Urtheile hatte llec. bey getilgt , und seine Meynung ausge-
sprochen, dass aucli fiir diese Art des Lateinschreibens Cicero
das beste und vorzüglichste Muster sey. Gegen diese Ansicht
hat sich nun Hr. Fuss in einem besondern Schriftchen , vt^el-
ches uns von einem gelehrten Freunde mitgetheilt ist, er-
klärt*). Rec. hat mit Vergnügen bemerkt, dass der aclitungs-
voUe Ton, in welchem er selbst über Hrn. Fuss sich geäussert
hatte, auch von diesem trotz der beyderseitigen Meynungsver-
schiedenheit anerkannt worden ist, und demnach hat er sich
selbst ganz und gar nicht über den Ton des Hrn. Fuss zu be-
klagen, er freut sich vielmehr, hier wieder einen Beweis zu
haben, wie man sich bey entgegengesetzten Ansichten doch
human und würdig gegen einander aussprechen kann.
Aber llec. muss doch bey seiner frühern Behauptung ste-
hen bleiben: er begreift noch nicht, wie, um mit Hrn. Fuss
a. a. 0. S. 99 zu sprechen , eine „tam rigida ciceronianae , non
artis modo scribendi, sed latinitatis affectatio" so viele Unbe-
quemlichkeiten mit sich führen sollte. Er giebt gern zu —
wie auch bereits anderwärts geschehen ist — dass für Begriffe
und Ausdrücke, welche die ciceronianische Zeit nicht kannte,
andre nothwendig gewählt werden müssen, meint aber, dass
auch dann dem Ausdrucke doch immer eine ciceronianische
Farbe bleiben könne. Dass wir aber Cicero's Schriften als das
Höchste in der lateinischen mustergültigen Prosa betrachten,
dafür spricht das vollendete Zeitalter der römischen Sprache,
in welchem Cicero lebte und schrieb , dafür sprechen die Zeug-
nisse ihm näher stehender Männer, eines Quintilianus (Instit.
Orat. X, 1, 108), Catullus (Carm. 49, 1 — 3), Fronto (epp. ad
Marc. I, 1 p. 37 ed. Francof., ad Ver. II, 4 p. 121) u. a., dafür hat
sich endlich die Meynung aller der Latinisten seit der Wieder-
herstellung der Wissenschaften entschieden, welchen das Recht
eines vollgültigen Urtheils von der grössten Mehrheit der Zeit-
genossen zugestanden wurde. Die beyden ersten Sätze wird uns
Hr. Fuss wohl zugeben, weniger vielleicht den letztern, da
er uns S^. 97 auffordert, zu bedenken, „nullius ad haue diera iu
*) Der Titel ist: Dissertatio J. D. Fuss (?)■, versuum homoeote-
leutorum sive consonantiae in poesi neolatina usiim commendatis , Herum
auctiorque et emendatior edita. Adliaerent cariiiina latina et alia et
Schiller! nonnulla latine reddita, vaiiaruraque aetatum cunsonaiitia
carmina selecta, nee non disceptatio usuin vocis Nempe aliaque Cicero-
niana illui^trans. Leodii , 1828. VIII und 112 S. gr. 8.
136 Römische Littcratur.
literis latinis tantara fuisse auctoritatem, ut prijicipes in illisvi-
ri omnes , imo , ut unus vel latinitatem eius , vel praecepta de
latiaitate admitteiula aut excliidenda, sine exceptione vel pro-
baverit omnino, vei scribens etiam religiöse sit secutus." Wir
iiösers Tlieils sind von einer solchen Anmaasslichkeit aucli sehr
weit entfernt, da wir bloss im Sinne vieler ausgezeichneten
Männer der frühern und der jetzigen Zeit gesproclien haben,
von denen wir einstweilen nur auf Mel anch tli on's Worte in
seiner Rede de studio art. die. in seinen Dedamat. T. I p. 389
sq. und auf Matthiä's Urtheil in seiner Theo?ie des lateini-
schen Styls Ä. 4 — 7 verweisen wollen.
Es liegt ausser dem Bereiche dieser Anzeige, mehr als
diese allgemeinen Sätze gegen die Abhandlung des Hrn. Fuss
anzuführen, da wir ohnehin später auf dieselbe noch einmahl
zurückkommen müssen, üeber andre Ansichten desselben wer-
den wir uns vielleicht zu einer andern Zeit erklären , nament-
lich über den Anfang seiner Abhandlung, und über das, was
er S. 105 — 108 über den von ihm vielfach angefeindeten Ci-
ceronianismus sagt. Dabey scheint uns aber Hr. Fuss beson-
ders übersehen zu haben, dass Zusammenstellungen und Ver-
gleichungen mit lebenden Sprachen auf eine todte Sprache, wie
die lateinische ist, nicht passen, und dass man in einer ausge-
storbenen Sprache einen oder den andern Schriftsteller notli-
wendig als Muster des Sprachgebrauches anerkennen muss. *)
*) Rec. glaubt, dass man an diesem Grundsätze — namentlich
in Schulen — sehr fest halten muss. Denn die Nichtachtung der la-
teinischen Sprache, welche eine Zeit lang ganz unverdient der grie-
chischen nachgesetzt ward ( vgl. Heinrich's Worte in der Praef.
Cic. Orat. pro Scauro etc. p. XXI) , sowie ein Einfluss fremder Spra-
chen auf das Latein in Deutschland hat uns empfindlichen Schaden zu-
gefügt. Das Letztere gilt namentlich von der französischen Spra-
che , wie Spalding zum Quintilianus an mehrern Stellen gezeigt hat,
und wir bereits mit einigen Beyspielen in diesen Jahrbüchern (1827, II,
3 S. 318) belegten. Man kann das dort gerügte naturae vegetanti un-
möglich billigen , da der passende Ausdruck almae naturae so nahe
lag. Dazu kommt noch bey vielen eine auffallende Neigung zu alter-
thümlichen oder poetischen Ausdrücken, die sich namentlich in den
Schulen der Jesuiten ausgebildet zu haben scheint. So liegt dem Rec.
eine hier in Köln 1G20 gedruckte Schrift Mich. v. Is seit 's vor, de
hello Coloniensi Ubri IV, welche die Geschichte der Truchsessischen
Unruhen im sechzehnten Jahrhunderte enthält. Hier finden sich der-
gleichen poetische Stellen sowohl als Wörter aus den verschiedensten
Zeitaltern, Gallicismen und Germanismen in grosser Anzahl. Die Be-
schreibung einer Hochzelt z. B. ist auf S. 278 ganz mit VirgUIanischen
Redensarten gegeben, ohne dass diese als Verse gedruckt sind. Aehn-
liche Stellen von dieser Art sind : profundum silentium — amore demen-
Krebs : Anleitung^ zum Lateinischschrcibcn. 137
Wir kehren nun zu Hrn. Krebs zurück und werden nun
die von ilim zu einem Antibarbarus gegebenen lieyträge mit ei-
nigen Uemerkungen begleiten. — Academia tadelt derselbe als
zu gewagt für diese neue Idee, und glaubt, es sey den Alten
unverständlich gewesen. Das ist Avohl wahr, aber der Begriff
findet doch einige Analogie mit dein der Specialschulen, wie
sie im römischen Kaiserreiche zu Athen, Alexandria und Bery-
tus blüljten , und die Umschreibung mit Uierarani sedes würde
namentlich da, wo der Begriff nur kurz angedeutet seyn soll,
nicht gut passen. Eben so denken wir über An/totatio und
Edüio'. im rednerischen oder im abhandelnden Style wird man
freylich beyde Wörter mit andern vertauschen. Dagegen wür-
den wir das Wort textus unbedingt verworfen haben: ^^^gw
diess hätte Hr. Krebs S. 638 besonders warnen sollen, da
man ja dafür auch eben so kurze Ausdrücke brauchen kann. —
Bey adlmc bemerkt Hr. Krebs mit Recht: „wird vielfach
falsch gebraucht." Daher hätte dieser Artikel vielleiclit noch
etwas ausführlicher seyn können. Wenn es aber weiter heisst,
„dass es unlateinisch zur Verstärkung des Comparativs in der
Bedeutung noch diene," so möchte diess wohl manchen Schü-
ler verwirren, der es so im Quintilianus oder Tacitus gebraucht
findet. Wir meinen, dass die Beschränkung hätte hinzugefügt
werden können, dass die Schriftsteller des silbernen Zeitalters
(vgl. Bremi zu Sueton. Tiber, c. 44, Mahne's Epicrisis hin-
ter W ytteiibacJi s Leben p. 241 Friedemann und Frotscher
zu Quintilian. X, 1, 99) bey den Comparativen adknc st. etiam
gebrauchten. Den Gebrauch des adlmc at. praeterea^ insuper
hat Hr. Krebs mit Hecht nicht berührt, da in diesen Stellen
die Lesarten so sehr von einander abweiclien, Bey Cicero
scheint derselbe allerdings nicht vorzukommen, da in den ejip.
ad diu. AFI, 11 u. im Lael. 9, 33 neben adhuc die Handschrif-
ten auch ad haec haben. Dagegen scheint bey Tacitus und an-
dern spätem Schriftstellern der Gebrauch für insuper nicht
tatus — in arce latitaniem detlnmt (S. 167) ,• Quid hie faceret ? SoUicitat
femina, carotitiUat, mordet conscientia (S. K)8); dies dictus prae fori-
bus erat (S. 169) ; archivnm (S. 194) . Ilcligionis alteratio ( Reiigions-
wecljsel S. 257). Suae Celsititdinis beneplucitum ( d. i. le l»on plaisir de
son Altesse S. 200); Gebhardus — ira implacabili excanduit, coepitque
consilia captare , quomodo merum urbis Imperium absolutamque polestatem.
eins in se transferret (S. 202) ; confoedcratus (S. 204) u. s. w. Bey allen
diesen Ausstellungen lässt sich dieser sowie ähnlichen Schriften eine
gewisse Leichtigkeit in der Verbindung der Sätze sow ohl mit als un-
ter einander nicht absprechen. Um so mehr ist es also nöthig , dass
man gegen dergleichen Sprachmengereyen und Germanismen auf seiner
Hut sey.
138 Römische Litteratar.
ungewöhnlich gewesen zu seyn; ra. s. Walch's Emendat.
Liv. p. 190 und die ausführliche Erörterung eines Gelehrten in
den Ergänzungsbl. zur Jen. Allg. Literat. Zeit. 1822 Nr. 63. —
Bey aequanimitas für aequitas animi konnte auch mit einem
Worte der Gebrauch des aequabilis und aequabilitas berührt
werden. Vgl. Garatoni zu Cic. p. Milon. 28 p. 277 s. OreU.
mit Fr ots eher zu Quintil. X, 1, 86. — Ueber «w hat Herr
Krebs die richtige Ansicht, dass es bey Cicero nur in der
zweyten oder Gegenfrage gebraucht würde , wie unser oder.
So steht es auch in Steilen, wo dieser erste Fragesatz muss hin-
zugedacht werden, wie Tuscul. Quaest. /, 6, 10: an tu haec
non credis? de Offic. /, 15, 48: a?i non imitari agros fertilis.,
qui mutto plus efferunt., quam acceperunt.^ wo Beier's, des viel
zu früh verstorbenen, Anmerk. p. 116 nachzusehen ist *), der
auch zugleich den spät. Sprachgeb erläutert. Dass in den sonst
wohl hieher bezogenen Stellen aus Cic. Topic. 20 (21, 82 Ernest.)
statt quum an — s?Y, Mas auch bey Orelli steht, aus einer gu-
ten Handschrift «m/ s^/y^e zu lesen sey, hat Zumpt in diesen
Jahrbüchern 1827, I, 2 S. 111 erwähnt, sowie auch^. Cluefit.
19, 52 nach einer Randbemerkung in Lambinus zweyter
Ausg. ecquae inimicitiae st. aii quae — inimic. zu lesen ist, was
bey Orelli auch noch fehlt. Vgl. Zumpt 's lat. Grammat.
( S. 287 viert. Ausg. ) S. 306 , fünft. Ausg. — Ueber auctor
stehen hier gute Bemerkungen: auch hierüber äusserte sich
Bei er in diesen Jahrbüchern I, 2 S. 347 kurz und bestimmt.
Vgl. ausserdem Ochsner z. Olivefs Eclog. Cic.p.lö u. über
*) Da Rec. hier zum ersten Mahle seit dem Absterben Karl
Beier's, in dem auch er einen sehr werthen Freund betrauert, des-
sen Erwähnung thut, so kann er nicht unterlassen, auch seinerseits
eine Blume auf das Grab des Freundes zu streuen. Was Beier den
Schriften des Cicero genützt habe , lebt hoffentlich im dankbaren An-
denken seiner Zeitgenossen. Aber auch in der Rechtsgelahrtheit be-
S'.iss er nicht gewöhnliche Kenntnisse. Das ehrenvolle Urtheil des he-
rühmten Eduard Seh rader in der Kritischen Zeitschrift für Rechts-
wissensch. 1827 , i//, 2 6\ 302 dürfte wohl nicht allen Lesern der Jahr-
bücher bekannt geworden seyn und wir fügen daher dasselbe hier bey:
„Freude macht es dem Juristen hier (d. h. in der Ausgabe der Ciceron.
Fragmente) einem ausgezeichneten Philologen zu begegnen, der mit
den Quellen und der Literatur des römischen Rechts eigentlich ver-
traut , in dieselben nicht etwa nur wie in ein fremdes , nicht ganz un-
bekanntes, Gebiet hinüberblickt, sondern aus ihnen, wie aus dem
Seinigen schöpft. Möge diese Vertrautheit mit einem wichtigen Theile
des Alterthums immer häufiger unter Philologen werden , so m ird Al-
terthumskunde und Rechtswissenschaft gewiss grossen Kutzen daraus
ziehen."
Krelis : Anleitung zum Lateinischschreiben. 139
den spätem Gebrauch des Cellarius Curae Poster, p. 80, ed.
tert, — Bey civilis wäre wolil mit einem Worte der Unter-
schied zwischen civitas und civilitas , gegen den Schüler recht
oft fehlen, anzudeuten gewesen. M. vgl. die Ausleger zu Cic.
de legg. /, 4, 14 p. 34 Creuz. — Unter elogium^ wel-
ches als uulateinisch fiir Lobrede bezeichnet ist, wird
auf laudatio verwiesen, welches Wort wir jedoch nicht in
diesem Verzeichnisse gefunden haben. Auf jeden Fall wäre
hier etwas über diesen Ausdruck zu sagen gewesen, da
er an Ruhnkenius einen so berühmten Gewährsmann
gefunden hat, der freylich selbst entschuldigend hinzu-
setzt: „serf temporum nostrorum consuetudini aliqnid dan-
dum fait!-'- Auch war die Nachahmung des französischen
eloge hierbey tadelnd zu erwähnen, wie llr. Krebs mit Recht
die französisch -lateinischen Ausdrücke rationabilis^ recommen-
dare , rigorosus , traditio u. a. getadelt hat. — Die Redensart
est videre ist mit Recht als nachaugusteische Sprachweise auf-
geführt worden. In der bekannten Stelle aus Cic. de rep. /, 38
dürfte aber wohl mit Beier vides st. vide si zu schreiben seyn.
Vgl. Allgem. Schidzeitmig 1828 , // Nr. 20 und des Rec. An-
merk. z. Lucian. Alex. 36 p. 68. — Ueber forte hat der Hr.
Verf., wie zu erwarten war, hier und § 588 das Richtige ge-
geben. Vielleicht hätte, grade weil so oft in diesem Worte —
u. sogar von einem Er nesti u. Ruhnkenius (vgl. Linde-
mann zu den Vit. Dmunvir. etc. p. 100 und Matthiä zu den
Exempl. Eloq. p. 220) — gefehlt worden ist , noch mit wenigen
Worten auf die Versetzung dieser Wortes aufmerksam ge-
maciit werden können. Diess geschieht unter andern bey Cic.
de Offic. II., 20, 70 und epp. ad div. VII, 7, 10, wo grade
die erste Stelle den ächten Begriff des forte recht deutlich
macht. — Gegen den Gebrauch des imaginari konnte sich Hr.
Krebs noch stärker aussprechen und zugleich dem Schüler ei-
nige bessere Ausdrücke nachweisen. Rec. hat einige solche in
Seebodes Krit. Bibl, a. a. O. S. 142 zusammenzustellen ver-
sucht, womit auch Friede mann 's Anmerk. zu den Vit. Ho-
min. Excelleiit. T. II P. 1 p. 71 zu vergleichen ist. — Der Ge-
brauch von moralis für moralisch gesinnt wird mit Recht zu-
rückgewiesen : nur wo es auf Kürze oder Bestimmtheit der Be-
griffe ankommt, darf es von lateinschreibenden Schülern ge-
braucht werden, wie auch neuerdings Stallbaum in der
Einleitung zu Piaton. Dial. Select. p. XXIII äusserte. — Ue-
ber solidus hat sich Rec. bereits an andern Orten (Jahrb. 1827,
II, 3 S. 326) geäussert: Hr. Krebs erklärt diess Wort ganz
richtig. — Wäre es nicht vielleicht für Schüler gut gewesen,
die beyden Stellen aus Cic. Tuscul. Quaest. III, 2 , 3 und Phi-
lipp. F, 18, 50, welche auf den ersten Blick sich auf geistige
Eigenschaften zu beziehen scheinen , einer kurzen Erläuterung
140 Römische Litteratur.
zu würdigen? — ^^Tragicus ^'- sagt Hr. Krebs, „kommt bey
den Alten nie in der Bedeutung traurig vor." Sehr richtig:
wir bemerken noch mit E. W. Weber in seiner Uehungsschule
des lat. Styls /, 156, dass tragicus (wie rgay^oQ im Griechi-
schen: m. s. unsre Anmerk. zu Lucian. Toxar. II p. 60 f.) stets
den Nebenbegriff dessen hat, was wohl einem Tragiker Stoff
darbieten könnte. So bey Liviiis I^ 46, vgl. Lange's Vin-
dic. Tragoed. Rom. p. 32. — Gegen versio und conversio hätte
der Hr. V elf. nach J. M. Heusinger's Observait. A7itibarb.
p. 434 sq. noch stärker auftreten können.
Auf diese Weise Iiätten wir also das Verzeichniss unlatei-
nisclier Redensarten durchgegangen und müssen wiederholt
unsre Freude über die zweckmässige Bearbeitung zu erkennen
geben. Einige Barbarisnien hat Hr. Kr eb s ausgelassen, die
wir Menigstens oft bey Schülern haben verbessern müssen und
die wir also hier nachtragen wollen. Vielleicht tliun diess
auch andre Beurtheiler; und Hr. Krebs kann dann diese Be-
merkungen, mit seinen eignen vereinigt, einmahl besonders
abdrucken lassen, was für unsre Prijnaner ein recht nützliches
Büchlein seyn würde.
Welcher Schulmann liätte nicht nempe und niminim un-
zählige Mahle zu verbessern nöthig gehabt! Hr. Krebs hat
in § 588 das Richtige über diese Partikeln sowohl als über sci-
licet und videlicet angegeben, aber wie wir glauben, nicht ge-
nug Uebungsbeyspiele. Er selbst führt Web er' s Uebimgs-
sclmle an, wo S. 3 — 5 sehr gut von diesen Partikeln gehandelt
ist und aus welcher Abliandlung ihm mehrere Beyspiele zu Ge-
bote standen. Bey dieser Gelegenheit wollen wir bemerken,
dass Hr. Fuss den von uns angefochtenen Gebrauch des nempe.,
wie es in seiner Abhandlung steht, gegen uns von S. 100 — 105
zu rechtfertigen sucht. Ohne dabey dem Urtheile Anderer
vorgreifen zu wollen , können wir doch nicht umhin , Folgen-
des zu bemerken. Nempe kann nur im schlechten Latein unser
nämlkh seyn: bey guten Schriftstellern aber steht es im Dialog
oder in der Abhandlung bey lebhafter Unterbrechung des
Schriftstellers durch eine an sich selbst gerichtete Frage, wie
etwa unser nicht wahr und ovxovv eine Folgerung mit halber
Frage bedeuten. Daher sagte bereits der Scholiast zu Horat.
Sat. 7, 10, 1 gar nicht unriclitig: nempe aut coiifinnantis aut
interrogantis est. Auch Heindorf's Erklärung zu dieser
Stelle ist mit der gegebenen Erörterung sehr gut zu vereinigen,
wie sehr sich auch Hr. Fuss a. a. 0. S. 108 dagegen sträubt.
Noch ausführlicher bestimmt Weber a.a.O. den Gebrauch
des 7iempe., videlicet .^ scilicet und niminim., indem er sagt,
dass diese Partikeln den Sinn des unmittelbar voihergehende«
Gedankens entweder zu einem Nachdrucke oder zu einem ver-
traulichen Zugeständnisse oder zu einer Verhöhnung wiederho-
Krebs : Anleitung zwm Lateinischschreiben. 141
len. Für die erste dieser drey Gebrauchsweisen ist , beson-
ders in Fragwendungren, nempe am gebräuchlichsten. Vgl.
Frotscher z. QuüilUiafhX^ 2, 4*) und A. Grotefend's
Conimentar. zu lat. StijUlbung. S.2-i2ff. Rec. hatte nun frü-
her a. a. 0. besonders an drey Stellen der Abhandlung des
Hrn. Fuss das 7iempe gemissbilligt. S. XVI schreibt derselbe:
„relinquitur tertia de bene scribcutibus iudicandi ratio : iiempe
ut ad bonae aetatis scriptores recurramus." In der zweyten
Abhandlung schützt er diesen Gebrauch durch Cic. Brut. 3, 14;
6, 21, und Partit. Orat. ü, 33, wo aber nempe nach unsrer
Ansicht überall doch wohl bedeutet ujid nicht zur Erläuterung
eines einzelnen Begriffes dient (wie diess die Bedeutung des
nämlich ist) , sondern einen neuen Satz mit Bezug auf das Vor-
hergegangene halb fragend einleitet. Hr. Fuss musste in je-
ner Stelle (p. XVI) entweder schreiben: quae in eo ceniitur
oder id est^ wovon das letztere häufig so steht [Cic. de nat.
Deor. II, 50, 126, Cic.de Senect. 16, 56 und das. Gern-
hard), um zwey Wörter zu vereinigen, die man in einen Be-
griff zusammenziehen kann. Und auch Hr. Fuss spricht von
der Beziehung auf gute Schriftsteller , als dem dritten Beur-
theilungsgrunde. Ferner w aren wir mit Hrn. Fuss auf S.
XXIX nicht einverstanden, wo seine Worte also lauten: „nee
vero magis ferendi sunt, quibus placet de stylo poetico cei'tum
iudicium non daii : sunt enim et inemini nie audire, qui sie sta-
tuant: wewjpe veterum poetarum orationem eiusmodi esse, ut
saepissime nee laudare recentiorum dictionem et multo minus
reprehendere satis certa auctoritate possis." Hier halten wir
nempe für unlateinisch : besser wäre es wohl hier ganz wegge-
blieben u. etwa nach veterum ein qtiidem. gesetzt. Die von Hrn.
F. aus Cic. Tuscul. Quaest. F, 5, 12 angeführte Stelle: nempe
negas., ad beate vivendiim satis posse virtutem., scheint uns hier
nicht angeführt werden zu können: nempe ist dort unser gut.,
das franz. eh hien., es folgert etwas aus den unmittelbar vor-
hergegangenen Worten und schliesst mit raschem Uebergange
daran die Frage. Bey Cic. Verr.II, 51, 127 lesen wir: hämo
ingeniosus et acutus , Optiine, inquit. j\empe scriptum ita est.,
quot renuntiati erunt. D. h. JVun es ist doch wohl aufgeschrie-
ben, wieviele ihrer ernannt sind; wobey wir uns den Verres
denken können, wie er die Umstehenden fragend ansieht.
Gleich darauf folgt die directe Frage: quot ergo sunt renun-
tiati. In ähnlicher Beziehung sind die Worte in Tuscul. Quaest.
*) Die von Hrn. Frotscher ang-eführte Meinung- eines Gelehr-
ten, dessen genauere Bezeichnung ihm entfallen Avar, ist die des Rec.
der Iluschke'schen Ausgabe des TIbullus in der Jen. AUgem. Literat.
Zeit. 1820 JVr. 31.
142 Römische Litteratnr.
///, 20, 49 gestellt: dicat qiiamlibet: nempe eam dicit., in
qua virtntis mala pars insit, d. h. er mag neuiieu welche er im-
mer will: diejenige nennt er aber doch wohl u. s. w. Die Be-
deutung unsers nämlich^ wie es gewöhnlich gebraucht wird,
hat nempe in keiner dieser Stellen. Am richtigsten ist in der
letzten jener drey Stellen nempe von Hrn. Fuss nach unsrer
Ansicht gebraucht worden, wo es einen verhöhnenden Sinn hat.
Die Dichterstellen , welche Ilr. Fuss zur Bestätigung sei-
ner Ansicht u. zur Widerlegung der Ilei nd orf ' s clien Theo-
rie bey bringt, miissen wir jetzt iibergehen. Aber wir können
nicht umhin, auch hier unsrer friihern Meynung treu zu blei-
ben, indem in allen derselben (wie Ilorat. Epp. I, 10, 22; 16
31; II, 1, 156; Propert. IV, 1, 85 u. a.) nempe stets in un-
willigen, trotzigen oder ironischen Aeusserungen gebraucht
wird, wozu noch Burmann z. Propert. /, 3, 61, Weber z.
Lucan. T. II p. 544 und Ob bar ins z. Ilorat. Epp. /, 10, 22
p. 42 verglichen werden können. Was übrigens die Stellen ans
Muretus anbetrifFt, welche Hi'. F. auf S. 104 anfuhrt, so
glauben wir bey aller Hochachtung gegen Muretus Vorziiglich-
keit doch ihn hier eines Irrthums beziichtigen zu können. Die
erste Stelle ist aus den Var. Lect. XI, 1: „fore, ut duo illi
adolescentes Interim, dum imperaturus est Tiberius, icmp.
premant, quae eos quoque aliqua ex parte dominos habitura sit:
quandoque autem , nempe Tiberio mortuo , quandocunque tan-
dem id futurum sit, eandera distracturi sint." Muretus hat
hier nempe ganz wie ein französisches cest ä dlre ( das hollän-
dische Wort ist uns nicht bekannt) gebraucht und zu seiner
Entschuldigung mag wohl gesagt werden, dass ihn das Streben,
in der Erklärung jener taciteischen Stelle (Annal. I, 4) recht
deutlich zu seyn , veranlasst hat, von der acht lateinisclieu
Bedeutung des nempe abzuweichen. Dasselbe möchte auch von
den beyden andern Muretischen Stellen gelten , wo allerdings
nempe ganz unserm deutschen nämlich zu entsprechen scheint.
Doch enthalten wir uns des weitern ürtheils, da wir die Stel-
len selbst nicht im Zusammenhange einsehen können. Hr. F.
schliesst dann S. 105 mit folgenden Worten : sed saiis super-
qiie de particulae nniiis ciceronianismo: quem, si meae hie la-
tinitali., omnibus ^ quae dixi., rite po7ideratis ., tamen onines
nno ore ., si post multos variique ordinis viros Heinrichius., si
I)r y opolios {Kic\istä.dt\) ?iegei., nihilomimis corifido., exemplis
ex aurea aetate sie esse particidae usum a nie defensuni , ut la-
tinum non esse., iam nemo ausurus sit contendere ., 7iisi^ cui
latinum nil sit., quod non ciceroniamim.'''' Rec. glaubt aber,
dass man ohne grade bloss das ciceronianische Latein fiir Latein
zu halten, mit der Beweisführung des Hrn. F. doch nicht über-
einstimmen kann, und es würde ihm daher lieb seyn, auch die
Krebs : Anleitung zum Lateinischschreiben. 148
Stimmen andrer Männer, als der bereits angeführten, über
diesen Punct zu vernehmen.
Nach dieser zweyten und letzten Abschweifung kehren wir
nun zu Hrn. Krebs zuriick.
Als öfters falsch gebrauchte Ausdrücke würde Reo. ausser
den genannten etwa noch folgende bezeichnen zu müssen glau-
ben: ad instar st. instar (m. s. Mahne's Epicrisis hinter
WytlenbacJis Leben p. 245 Friedem.)^ curiosus ^ strenuitas,
hodiermmi (worüber man Frotscher zu Quintitian. X^ 1, 95
nachsehen kann), undequaque^ per quam ^ rite (st. rede: vgl.
F r i e d e m a n n zu den Fit. Homin. Excellent. T. II. P. 1 p.
tl), temper amentum (was selbst Ernesti in der Memoria
Gellerti in den Opusc. Orat. Nov. Vol. p. 134 brauchen konnte :
vgl. N o 1 1 e n ' s Lexic. Antiharh. p. 759 ed. tert.)., sefisibilia und
insensibilia (s. F r i e d e m a n n a. a. 0. p. (il ) , u. dgl. ra. Fer-
ner würde Rec. auch auf die Bezeichnung der sogenannten run-
den Zahlen und auf den Unterschied zwischen millies., mille und
sescenti., sexcenties aufmerksam gemacht haben. Wir meynen
nämlich, dass man sexcenti und sexcenties nicht gebrauchen
dürfe, wo die Rede von erhabenen Gegenständen ist, dann,
wo die Anzahl, so gross sie auch seyn mag, doch nicht so hoch
steigen kann, als die eigentliche Bedeutung jener Zahlen ist,
endlich da, wo jene Zahlen viel zu wenig sagen würden. Liv.
z, B. konnte III, 14 nicht anders sagen, als: mille pro uno
Kaesones extitisse., plebs querebatiir., und eben so wenig durfte
Cicero de Offic. /, 31, 114 st. Aiax^ quo animo fiiisse tradi-
tur ., millies oppetere mortem., quam contumelias perpeti rna-
luisset ., schreiben, sexcefities oppet. tnort. Unter ille hat der
Hr. Verf. nicht gegen den häuligen Germanismus bey'ra Ge-
brauche dieses Pronomens gewarnt. Gut lateinisch ist es dann,
wenn es in Beziehung auf ein vorhergehendes Substantivum mit
einer neuen Beziehung verbunden, dieser einen speciellern Be-
griff giebt. Wir pflegen im Deutschen wohl das Substantivura
zu wiederholen , was im Lateinischen bisweilen auch geschieht,
wie Cic. de Offic. III., 1,2: Nee hoc otium cum AJricani otioy
und gleich daneben, nee haec solitudo cu7n illa comparanda est.
Vgl. Cic. Divin. in Caecil. II., 30 : tiam quam omnis arrogan-
tia odiosa est., tuin illa ingenii et eloquentiae multo molestis-
sima., und andre Stellen in R a m s h o r n ' s lat. Grammat. S. 336.
Daher wird in Cic. Philipp. III., 8, 20 richtig gelesen: vino at-
que epulis retentus est : si illae epulae potius quam popinae no-
minandae sunt.
Hiermit schliessen wir unsre Anzeige einer werthvollen
Schrift, in der Hoffnung, dass Hr. K. in derselben den guten
Willen wahrnehmen werde, nach unsern Kräften zur Verbrei-
tung und Anerkennung seines Buches zu wirken. In diesem
Sinne , glauben wir , wird er auch die von uns niedergelegten
144 Geographie.
Zusätze und Bemerkungen aufnehmen, als den Beweis vonTheil-
nahme eines Jüngern Mannes an einem Werke, das so deiitliclie
Spuren einer mehr als dreyssigjährigen, gesegneten Wirksam-
keit im Schuifache an sich trägt.
Rec. darf aber auch das Aeussere des Buclies nicht über-
gehen. Man war durcli Hrn. Brönner's Ausgaben lateinischer,
englischer und italiänischer Werke bereits an eine ausserordent-
liche Eleganz gewöhnt: wir müssen es aber mit vieler Aner-
kennung erwähnen, dass er auch ein deutsches Buch — und ein
Schulb?ich — so sauber und schön in Druck und Papier auszu-
statten nicht verschmälit hat. Den Preis desselben kann man
auch nicht anders als billig linden. Es meynte freylich neulich
Jemand, dass sich der Verleger dadurch „einen papiernen Eh-
rentempel''' erbaute: wir sehen aber zu unsrer Freude, dass
Hr. Brönuer anders denkt. Und in der That ist der Ruf eines
Manuzzi , eines Bodoni, Didot und Göschen denn doch mehr
als ein „papierner Ehrentempel."
Cöln. Georg Jacob.
Geograpliie.
Geographie für Gymnasien^ Mittelschnlefi und
Privatunterricht ^ nach natürlichen Grenzen und historisch-
etatistisch bearbeitet von Theoph. Friedrich Dittenberger , Stadtpfar-
rer zu Heidelberg. Zweyte ganz umgearbeitete Ausgabe , mit la-
teinischem und deutschem Register , nebst () Versinnlic-hungscliar-
ten. Mit Grossherzoglich Badischem allergnädigsten Privilegio ge-
gen Nachdruck und Nachdrucksverkauf. Heidelberg, bey Chr.
Friedr. Winter. 1827. XXII u. 434 S. gr. 8. Preis 21 Gr. netto.
"er Grundsatz, von welchem der fleissige Verf. bey Bear-
beitung des vorliegenden Werkes ausgegangen, ist der, dass
die Geographie, wenn sie mit vollem Nutzen für die Schüler
gelehrt werden solle, im ersten und auch im zweyten Kurs le-
diglich nach Natur grunzen., mit gänzlicher Beseitigung der
politischen Geogr. und der Statistik, vorgetragen werden müsse,
und dass daher erst im dritten Kurs die letzteren vorgenommen
werden dürften. Im Vorworte, welches die Ueberschrift führt:
lieber Geographie und geographischen Unterricht, spricht der
Verf. zum Schlüsse den Wunsch aus, dass diese Arbeit billig
beurtheilt, und der Standpunkt, von welchem sie ausgehe, ge-
DIttenLerger : Geographie für Gymnasien etc. 145
hörig gewürdigt werden möchte, und macht sich anheischig,
die Mängel, die ihm er fahrne Geographen freundlich darin nach-
weisen würden, gern und dankbar künftig zu verbessern.
Rez. verkennt nun zuvörderst die Vorzüge keinesweges,
welche die Trennung der politischen Verfassung von der eigent-
lichen Geographie für den ersten Unterricht habe. Allein lei-
der muss er auch, nach seiner Kenntniss von höhern Unter-
richtsanstalten, befürchten, dass es, weil auf den meisten Schu-
len dieser so nöthigen Hülfswissenschaft zu wenig Zeit gewid-
met ist, vielen Lehrern schwer fallen werde, alle 3 Kurse auf
die Art, wie sie der Verf. vorschlägt, vornehmen zu können.
Ferner räumt Uez. recht gern ein, dass der Verf. im Gawse«
den eben ausgesprochenen Grundsatz unverrückt vor Augen be-
halten , auch vielen Fleiss auf dieses Werk verwendet habe,
und dass sonach dasselbe den bessern Lehrbüchern der Geogr.
unbedingt beygezählt werden dürfe.
Wenn der Verf. im Vorworte aber sagt, dass es in unsern
Tagen sehr leicht und gar keine Kunst sey, ein blosses Schul-
buch der politischen Geogr. zu schreiben, wie sie in jeder Messe
zu Dutzenden erschienen, — weil unsere ächten Geographen,
worunter er hier nur Galletti^ Gaspari, Hasselt (doch wohl
Hassel*?), Ritter und Stein namentlich anführt, in ihren müh-
sam gesammelten treflichen grössern Werken überflüssige Mate-
rialien niedergelegt haben, aus welchen mit wenig Mühe ein
Auszug zu kompiliren sey, — dass es aber dagegen bis jetzt, —
trotz der Menge der anwendbaren Vorschläge, ja selbst der
wichtigen Vorarbeiten — noch gar keine leichte Sache sey , aus
den vorhandenen Materialien für die Geogr. nach Naturgrän-
zen und die damit in eine abgesonderte Verbindung zu bringen-
de Statistik das Nothwendige vom Unwesentlichen für den
Schulunterricht zu scheiden, und dem Lehrer zur Erleichterung
für seinen Vortrag eine zweckmässige Vorarbeit zu liefern, die
den Schülern zugleich zur Wiederholung dienen könne; so kann
Rez. in diese — etwas anmaassende Behauptung, — welche ganz
den Anschein hat, als ob sie das Vorzügliche seiner Leistung
auf Kosten anderer verdienstvoller, aber der altern Methode
huldigender Geographen herauszustreichen suche, — nicht ein-
stimmen. Denn er lebt der Ueberzeugung, dass eine Arbeit
80 leicht, oder so schwer wie die andere sey, dass zur Sonde-
rung beyder Theile nichts weiter , als ein mit Umsicht entwor-
fener und mit Konsequenz durchgeführter Plan, gute Gebirgs-
und Fluss- Charten und richtige Begriffne von Politik und Sta-
tistik gehören , und dass auch beym Entwurf eines tüchtigen
Schulbuchs nach altem Schrot und Korn eine verständige Aus-
wahl des wesentlich Nothwendigen aus der Menge der vorhan-
denen Materialien wohl die schwierigste Aufgabe seyn möchte.
Rez. irrt wohl nicht , wenn er behauptet , dass Niemand , dem
Jahrb. f. Phil. u. PädaQ. Jahrg. III. He/t 10. JQ
146 Geographie.
jene Begriffe U.Eigenschaften abgelien, ein gutes Lehrbucli, we-
der nach der altern noch nach der neuern Methode, liefern könne.
Bey dieser Gelegenheit möchte es auch nicht ganz über-
fllissigseyn, über die in neuerer Zeit beliebteuNaturgränzen einige
Fragen aufzuwerfen. Was bildet Natiirgränzen'? Wie weit dür-
fen solche ausgedehnt oder beschränkt werden? Und sind sie
schon auf alle Erdtheile anwendbar*? Die sichersten Gränzbestim-
rmingen geben offenbar solclie Bergketten und Landrücken,
welche zwischen den Sti'onigcbieten die Wasserscheide bestim-
men. Der Verf. ist daher zu loben, dass er in seinem Werke
meistens dergleichen Gränzlinien angenommen hat. Schwie-
riger ist dagegen die zwevte Frage zu beantworten, weil die
Nationen bey der Wahl ihrer Wohnsitze und bey ihrer spätem
Verbreitung sich nur selten nach den Stromgebieten gerichtet
haben- Und diese Verschiedenheit der Nationen rauss doch
wohl, so weit es geht, den grössern oder geringern Umfang
der einzelnen Länder bestimmen. Leider giebt es aber in Eu-
ropa nur 4 Länder — die Pyrenäische, Italische und Skandi-
navische Halbinsel, und die Brittischen Inseln — wo natürliche
und Völker -Gränzen so ziemlich mit einander übereintreffen.
Bey allen übrigen muss dagegen die Gränzlinie nach Willkühr
gezogen werden, und darum findet man in den Schulbüchern,
welche dieser Lehrmethode den Vorzug geben, so mannigfache
Abweichungen. — Desto leichter beantwortet sich die dritte
und letzte Frage. Denn sie kann eigentlich nur auf solche Erd-
theile Anwendung finden, welche uns bereits hinlänglich be-
kannt sind. Darum beruht diese Eintheilungsart bey fast ganz
Afrika, bloss mit Ausnahme der Nordküste, Senegambiens,
und des Kaplandes, beym grössten Theile von Hoch -Asien,
beym Australlande, und vielleicht auch bey einem Theile des
Innern Amerika's auf willkührlichen Annahmen.
Endlich sollte auch, nach des Rez. Ansicht, in einem
Lehrbuche, welches die Erdbeschreibung nach Naturgränzen
vorträgt, auf die Topographie nur in so weit, als es unumgäng-
lich nöthig ist, Rücksicht jS^enommen werden, damit eines Theils
das Gedächtniss des Schülers — (man vergesse nicht, dass diese
Lehrmethode nur für den ersten Kurs passt) — nicht zu sehr
angesti'engt, und andern Theils auch Alles, was auf Politik und
Statistik Bezug hat, streng vermieden werde. Rez. kann es
demnach, dieser Ansicht folgend , nicht billigen, dass der Vf.
im ersten Absclinitte schon so viele Orte aufgenommen hat; er
glaubt vieLnehr, dass es zweckmässiger gewesen sey, wenn
diese Orte erst in der politischen Abtheilung beschrieben wor-
den wären. Eben so wäre es vielleicht besser gewesen, wenn
der Verf. die Angabe der Einwohnerzahl erst in der letzten
Abtheilung beygesetzt hätte.
Nach diesen Abschweifungen kehrt Rez. zu seinem eigent-
Dittenljerger : Geographie für Gymnasien etc. 14t
liehen Zweck zurück, nälimlicli dem Leser zu zeigen, wie der
Verf. die sicli gemachten Aufgaben gelöst habe. Zugleich wird
er die ihm aufgestossenen Mängel — auch wohl hin und wieder
Gebrechen — nach dem billigen Wunsche des Verf. sine ira et
studio nachzuweisen nicht ermangeln.
Das Werk zerfällt in 3 Hauptabschnitte: l) allgemeine Ein-
leitung, 2) Darstellung de^^ Erde nach ISaturgränzen und S) po-
litische Geographie.
Die allgemeine Einleitung (S.l — 61) besteht wiederum aus
3 Abschnitten, nähmlich A) Geographische Fofkenntmsse(ß.l —
30) mit folgenden 8 §§ : J^ie Erde vnd ihre Betrohner. Ge-
stalt und Bewegung der Erde. Grösse des Erdkörpers. Der Ho-
7'izont und die Ilimnielsgegenden. Der trockene Theil der Erd-
oberfläche^ oder das Land. Die auf der Oberfläche des trocke-
nen Landes vorhandenen Gewässer. Das U eltmeer oder der
Ozean. Die Atmosphäre. — B) Erdglobus (S. 30 — 40) mit
folgenden 5 §§: Künstliche Erdkugel und ihre Hauptlinien. 'Äo-
nen und Klimate. Ekliptik. Anwendung des Globus. Die Char-
ten. — C) Eintheilung der Erdoberfläche (S. 50 — 61) mit 2 §§ :
Entdeckungen ; Erdtheile ; Hauptmeere ; Hauptabdachungen
der Erdoberfläche ; Stromgebiete tmd Strombecken; Produkte.
— Eintheilung der Menschen nach Menschenstämme (warum
nicht lieber Ilauptrassen '?) 7iach Völkern, nach SpracheJi und
nach Religionen.
Der Leser ersieht schon aus denUeberschriften der einzel-
nen §§, dass der Verf. zum Vortrag der mathematischen und
physischen Geogr. sich einen neuen Weg vorgezeichnet habe.
Denn zum Gebiet der mathera. G. gehören nur aus der ersten
Abtheilung die§§ 2, 3 und 4 und dann der ganze 2teAbschnitt;
zu der physischen G. hingegen aus dem ersten Abschnitt die
§§ 1, 5, (i, 7 u. 8, so ^yie Verschiedenes aus dem dritteii Ab-
scJinitt. — Der zur mathem. Geogr. gehörige Theil der Astrono-
mie ist in 12 Zeilen abgefertigt worden. — In § 1 , wo auch
schon von den verschiedenen Wohnorten der Menschen gehan-
delt wird, heisst es unter andern: ^..Flecken sind, deren Ein-
wohner, neben Ackerbau und Viehzucht, auch Handwerke und
Handel treiben. Wo in diesen Märkte gehalten werden, iVf«/Ä-/-
flecken.'-'- Mit dieser Definition werden nicht alle Geographen
zufrieden seyn. Denn viele Orte haben Jahrmarktsrecht, ujul
sind dennoch nichts als Dörfer. Und wie viele Dörfer giebt es
gegenwärtig nicht, wo man zahlreiche Handwerker findet, oh-
ne dass sie Flecken oder Marktflecken genannt werden diirfen?
Zu dem Begriff eines Marktfleckens gehören demnach nicht bloss
Jahrmärkte und Handwerker, sondern auch gewisse städtische
Rechte, und insonderheit die Befugniss der Einwohner, sich
Bürger nennen Zjjv^ürfen. Auch müssen wirkliche Marktflecken
siqh durch Anlage u,ud städtische Bauart wenigstens zum TheU
10
*
148 Geographie.
vor den Dörfern auszeichnen. — Ferner theilt hier der Verf.
die Städte nur in Berg-, Handels- und Seestädte ein. Warum
übergeht er aber die Fabrik- und Ackerstädte ? — Die Beweise,
dass die Erde sich um dieSonne^ u. die Sonne sich nicht um die
Erde drehe, sucht man vergeblich. — Der Verf. unterschei-
det zwar bey Betrachtung der Erdoberfläche Landhöhen oder
Erdbuckel von etwa 1000 F. und Hochebenen bis zu 8 — 9000
F. Höhe, aber unrichtig ist, dass er nur die erstem Plateau's
nennt, da doch diese Benennung jeder Ebene, die nicht Tief-
land ist, zukommt. Von Humboldt bezeichnet ja selbst alle
Hochebenen Amerika's auf dem Rücken der Anden mit diesem
Nahmen. Ferner ist hier, trotz aller Ausführlichkeit, das Stu-
fenland nicht beachtet worden. Auch werden nicht alle Leser
der Klassification der Gebirge beystimmen. Denn nach dersel-
ben ist eine Anhöhe 50 — 100, und ein Hügel bis 1000 F. hoch,
alle andere Erhöhungen über 1000 F. werden Berge, und bis
zu 10,000 F. und drüber Alpen genannt. Es ist jedoch dabey
nicht bemerkt, ob die Höhe vom Meeresspiegel, oder von der
Ebene (oder dem Fusse) gerechnet werden soll. Rez. glaubt
seiner Seits , dass der Unterschied zwischen Hügel und Berg,
wenigstens im gemeinen Leben , nicht sowohl auf der absolu-
ten Höhe, als vielmehr auf der Lage beruht. Denn ein auf einer
Hochebene von 2 bis 3000 F. Seehöhe sich erhebender 100 F.
hoher Gipfel wird sicher, obschon er dann eigentlich Berg ge-
nannt werden sollte , nur als Hügel gelten, zumahl wenn in sei-
ner Nähe bedeutend höhere Gipfel sich befinden. Noch weniger
möchte die Anwendung des Nahmens-^/;jew auf alle höhere Ge-
birge passen. Denn nur solche Berggipfel dürfen auf dieses
Beywort Anspruch machen, welche reich an Pflanzen und Wai-
den sind, und kein Geolog wird kahle Gebirge, und wenn sie
noch höher sind, Alpen nennen. Warum hat der Verf. nicht
lieber das so bezeichnende Wort ^ocÄ^e^jVg'e dafür gewählt? —
Eben so stellt der Verf. bey Bestimmung der Qualität der Ge-
birge keinen Stich haltende Hypothesen auf. Nach ihm muss
nähmlich ein Hauptgebirg über 30, ein Miltelgebirg an 20 — 30,
und ein kleineres Gebirg bis 10 MI. lang seyn. Aber dieSerra de
Caldeirao (Monchique) im südlichen Portugall, welche, nach
Bory de S. Vincent, als ein für sich bestehendes Gebirgs-
System angesehen werden muss, hat nur eine Länge von 16 — 17
Ml. und muss doch als ein Hauptgebirge gelten. Dagegen ha-
ben die Apenninen bekanntlich eine Ausdehnung v. 180 MI., und
sind dennoch nur ein Ast der Alpen , mithin ein Nebengebirge.
— Dasselbe gilt auch von der Bestimmung der Länge des Laufs
derFliisse. Flüsse von 10 — 60 Ml. sind nach ihm Küstenflüsse,
von 60 — 200 Ml. kleine Flüsse , von 200 bis 400 Ml. mittlere^
und bis 400 Ml. und drüber grosse Flüsse. Nach diesem Maass-
stabe Bind also die Themse, Severne, Scheide u. s. w. nur Kü-
Dittenberger : Geographie für Gymnasien etc. 149
stenflüsse, und Europa hat nur 2 frrosse Ströme, die Wolga und
die Donau. Selbst der mächtige St. Lorenz in Nord -Amerika,
wenn man ihn als denAbfluss des Ontario- Sees betrachtet, wäre
nur ein kleiner Fluss, und der Orinoko, Francisco, Tocantines,
Magdalena u. s. w. dürften nur als Flüsse mittlerer Grösse
gelten.
Der 2te Abschn. beschäftigt sich, wie schon oben bemerkt,
lediglich mit der Erklärung der vornehmsten Lehrsätze der ma-
them. Geogr., so weit solche mit dem Globus in Beziehung ste-
hen. Doch hat sicli der Verf. dabey ziemlich kurz gefasst,
und sich meist auf das Unentbehrliche beschränkt. Darum
sticht auch dieser Abschnitt sehr ^e^^*ii\ den vorigen ab, wo bey
den Vorkenntnissen der phys. Geogr. hin und wieder eine an
Weitschweifigkeit gränzende Ausführlichkeit vorherrscht.
Im 3ten Abschn. wird von den geographischen Vorkennt-
nissen im Allgemeinen gesprochen. Ueber die Eintheilung und
Klassification der Europäischen Gebirge Hesse sich manches erin-
nern; aber noch immer sind die Geologen darüber nicht einig,
welche darunter auf den Rang der Hauptgebirge Anspruch ma-
chen dürfen, und so mag dieselbe auf sich beruhen. x\ber ge-
tadelt rauss es dagegen werden, dass er von den Gebirgen
Hoch -Asiens, Altai, Mustag und Mussart, mit einer Zuversicht
spricht , als ob sie schon völlig erforscht wären. — Von den
Anden wird gesagt, dass sie aus Süd-Amerika über die Land-
enge von Darien durch das /wwe;e von Nord -Amerika ziehen.
Aber sie streichen, wenn anders die Charten richtig sind, auch
hier, wie in Süd -Amerika, längs der Westküste hin, und drin-
gen nirgends ins Linere ein. Denn weder die Alleghanys noch
das Landeshaupt dürfen als Nebenzweige derselben angesehen
werden. — Unter den Hauptsprachen Europa's ist auch eine
Sarmatische angeführt. Wo soll diese zu Hause seyn? die Poh-
lische kann nicht darunter gemeint seyn , da sie hier, wie es
sich von selbst versteht, als ein Hauptdialekt der Slawischen
bemerkt wird.
Der 2te Hauptabschnitt (S. 62 — 244) handelt von der Geo-
graphie nach Naturgränzen , ohne dass ilim jedoch ein beson-
derer Titel gegeben worden ist.
Europa (S. 62 — 190). Der Flächenraum utisers Erdtheils
soll kleiner seyn , als der Australiens. Da aber demselben seine
natürlichen Gränzen gegen Asien (nähmlich das Ural-Gebirge
mit dem Landrücken, der denKüstenfluss Ilmba noch an Europa
überweist, der Kaspische See und der Kaukasus) gegeben wor-
den sind, so steigt sein Areal, wie er auch hier bestimmt wird,
auf wenigstens 180,000 □ ML Da aber ferner der Australiens,
nach Hassels Berechnung, nur etwa 159,000 Q MI. beträgt, so
gebührt Europa der Vorrang vor Australien. — Sehr zweck-
mässig wird Europa durch Wasserscheiden in die nördliche und
15d Geographie.
südliche Abdachung abgetheilt , und zwar vermittelst des Kan-
tabrischen Gebirgs, der Pyrenäen, der Sevennen, des Mont-
Pilas, Cote d'Or, Jura, (sollte heissen mit dem Jurat,) der Alpen,
des Schwarzwalds, der Alb, Fichtelgebirge, des Böhmerwalds,
der Sudeten, Karpathen, des Pohlischen LandrVickens , der
Alaunischen und Waldaischen Berge und des Russischen Land-
rückens bis zum Ural. Hier fehlen also noch die Fränkischen
Landrücken und das Mährische Gebirge. Mit der nördlichen
Abdachung hat es, mit Ausnahme Finnlands und der Skandina-
vischen Halbinsel, so ziemlich seine Richtigkeit. Aber der süd-
lichen steht, wenn man auch die Flussgebiete desEbro, Po und
Dniester weiter nicht beachten will, das Stromgebiet der nach
O. fliessenden Donau entgegen, welches wegen seines grossen
Umfangs wohl eine besondere Auszeichnung verdient hätte. —
Die Wolga -Gebirge sollen, vom Kaukasus aus, weit nach N.
hinauf gehen. Diess ist wohl eine unerwiesene Behauptung.
Denn in N. des Kaukasus breitet sich ja die weite Kaukasische
Steppe aus , welche vom Kaspischen See bis zum Schwarzen
Meere reicht, und offenbar einst Meeresgrund gewesen ist. —
Unter den Küstenflüssen hat Rez. nur die Pregel vermisst, v/el-
cher aber doch ein Platz gebührt hätte, weil dieEyder, der
Hucar, Arno, Strymon etc. aufgezählt worden sind. — Bey
den Producten hätten unter den Fischen auch die Thunfische
und Sardellen erwähnt werden sollen. — Die Bevölkerung wird
hier nur zu 206 Mill. angeschlagen. Da sie aber, bey der en-
gern, die untere Wolga ausschliessenden, Begränzung, schon
im J. 1825, nach Hassel,^ auf 208,850,000 Köpfe stieg, so kön-
nen für das J. 1827 gewiss wenigstens 220 31111. gerechnet
werden.
Spanien oder Pyrenäische Halbinsel (S.'Tl — 81). Dass die
Halbinsel im Innern eine ausgedehnte Hochebene sey, wird
nicht erwähnt. Bey Aufzählung der Gebirge hat der Verf. we-
der Bory de S.Vincent, nocliAntillon benutzt. Denn er bezeich-
net die Gebirge Guadarama , von Toledo und Morena nur als
Nebenzweige des Iberischen Gebirgs und erwähnt die Sierra
Nevada nur nebenbey. — Unter den Küstenflüssen hätten auch
Nalon, Segura, Guadaluviar, Hucar und Llobregat genannt wer-
den können. — Frankreich 0(\.Q^v West- Alpen oder Sevetmen-
latid (S. 82 — 89). Der Flächenraum (10,000 D MI.) und die
Volksmenge (28 Mill.) sind offenbar zu hoch angeschlagen, weil
die nördlichen Departements, so weit solche zu den Stromgebie-
ten des Rheins, der Maas und der Scheide gehören, davon ab-
gerechnet werden müssen , und die der Lage nach zu Frank-
reich gehörigen Gebietstheile (Savoyen, Wallis, der südliche
Theil des Kant. Waad, und die Normannischen Inseln) bey wei-
tem keinen vollen Schadenersatz gewähren. — Nantes, obschon
es an der Loire selbst liegt, ist sonderbarer Weise zum Ge-
DUtcnberger: Geographie für Gymnasien etc. 151
biet der Küstenflüsse gczof^cii. Und Calais gehört ja der Lage
nach schon zu den INiederlanden. — Italien oder kind- Al}>€n-
land (S. 90 — 100). Unter den Küstenfliissen hat Rezv d. 13 g.
Ml. langen Ofanto vermisst. Der Mont-Uosa hat hier cinellöhe
von lo,()0()Fuss erhalten. Indess ist ihm in der dem Werke, bey-
gegebenen Gebirgs- Tabelle die allem Vermuthen nach richti-
gere Hohe von 14,580 F. beygesetzt worden. Hey Sizilien ist
östliche statt loestliche Abdachnng zu lesen. Und vmter den. Li-
parisclien Inseln hätte die gleichnahmigc Ilauptinsel mit der
auch denselben Nahmen luiirenden Hauptstadt besonders be-
merkt werden sollen. Auch hätte bey der Maremna von Siena
ihre grosse Ausdehnung (überlOOQ 311.) angeführt werdenkon-
nen. Uebrigens hat diese Halbinsel für das bey Frankreich
beschriebene Savoyen durch den Schweizer Kanton Tessino, das
obere Gebiet der Etsch und Istrien nebst Friaul und dem Deut-
schen Litorale reichen Schadenersatz erhalten, und «o ist sie
in ihrer ganzen, derselben von der Natur angewiesenen Aus-
dehnung dargestellt worden. — Deutschlcmd oder Nord-^Al-
peidand (S. 100 — 149). Dieses hat, nach des llez. Ueberzeu-
gung, durchaus eine zu grosse Ausdehnung bekommen. Denn es
umfasst nicht allein die Stromgebiete der Scheide, des Rheins
mit der Maas, der Weser, Elbe und Oder nebst dem KR. Dä-
nemark, sondern auch das obere Donau -Gebiet bi§ zur Gränsse
!Ung.arns hinab , nur mit Ausnahme der von der Drau, Sau und
-Leytha bewässerten Landschaften. Ist diess aber eine Abthei-
lung nach Naturgränzen'? Zwar fühlt Rez. recht gut, dass das
;ausgedehnte Strombecken der Donau, weil es von so verschiede-
nen Nationen bewohnt wird, und weil es erst mit der Mündung
des Lech einige Breite gewinnt, bey der Eintheilung nach Na-
turgränzen der grösste Stein des Anstosses ist; er weiss über-
diess, dass noch kein Geograph, der beym ersten Unterricht
den Naturgränzen vor den politischen den Vorzug giebt, dieses
Stromgebiet als ein besonderes Land zu behandeln sich erlaubt
hat; gleichwohl ist er der Meinung, dass es, wenn jene Einthei-
lung nicht Spielerey seyn soll, schlechterdings als ein beson-
. deres Ganzes dargestellt werden inüsse, und höchstens wegen
seines grossen üinfangs in das obere und untere zerlegt werden
könne. Ueberdiess hält Rez. dafür, dass es nichts schaden
würde, wenn auch das Stromgebiet des Rheins mit dem der
Scheide als ein eignes Land angenommen werden sollte. — Der
Deutschland in diesem Umfange gegebene Flächeninhalt voin
15,000 n MI. scheint eher zu gering als zu hoch zu seyn. — ^Ui^-
ter den Vorgebirgen wird die Spitze von Skagen als das einzige
angeführt. Aber der Verf. hat dabey das Kap Arkona auf
Rügen ausser Acht gelassen. Das nördliche Deutschland soll
auch e/«?^e Sandstrecken und '/i»e«/^e,Sürapfein sich fassen. Der
Wahrheit jbu Ehren hätte aber der Verf. sagen sollen: ciusge-
152 Geographie.
dehnte Sandstrecken und zahlreiche Sümpfe und Moore zum
Theil von bedeutendem Umfang. Und Rez. hat wohl nicht nö-
thig, wegen dieser Behauptung nähern Beweis zu führen. —
Die Volksmenge ist nur zu 42 Mill. , also bey der gegebenen
Ausdehnung um 3 bis 4 Mill. zu niedrig, angeschlagen. — Im
Donau 'Gebiet ist auch Wunsiedel einrangirt, obschon dieser
Ort an der Rösla, einem Nebenflüsschen der Eger, liegt. Im
Rhein -Gebiet sucht man unter den Nebenflüssen dieses Stroms
die Nahe, Erft etc. vergeblich. Auch sind bey keinem der ge-
nannten Nebenflüsse deren Nebengewässer genannt, und Reuss,
Linth, Ziehl, Ens, Kocher, Jachst, Saale, Rednitz, Tauber,
Saar, Sur, Sambre, Urthe, Dommel etc. sind erst in den ün-
terabtheilungen aufgezählt worden. Im Elbe -Gebiet werden
unter den Nebenflüssen dieses Stroms bloss die Moldau mit der
Beraun und Eger nahrahaft gemacht. Allein bey grösserer Kon-
sequenz würden auch Luschnitz , Watawa und Sazawa nicht
vergessen worden seyn. Endlich hätte die an Schwedens Kü-
ste liegende Insel Bornholm aucli bey Skandinavien beschrieben
werden sollen. — Gross -Britanieti oder die Nordsee- Inseln
(S. 150—160). Der berühmte Riesendaram soll aus 30,000 Ba-
saltsäulen bestehen. Wer hat sie aber gezählt? Im § Einwoh-
ner heisstes: „Die Bewohner dieser Inseln stammen von den
alten Gelten oder Caledoniern ab , aus welchen sich im Laufe
der Zeit durch Vermischung mit den Römern, Normännern und
Angelsachsen die jetzige Brittische Nation gebildet hat." Die-
ses passt wohl auf das Gros der Brittischen Nation, auf die Eng-
länder, aber keinesweges auf die Walliser oder Kymmren, auf
die Hochschotten und Irländer, welche sich fast unvermischt
erhalten haben , und noch heut zu Tage ihre alten Sprachen
reden. Uebrigens werden die Inseln zweckmässig nach ihren
Abdachungen dargestellt. Der Lage wegen hätten auch hier
die Faröer- Inseln und Island aufgenommen werden sollen. —
Skandinavien oder Kiölenland (S. 161 — 165). Der Flächenraum
wird zu 16,000, also, weil, wie aus der Angabe der Gränzea
hervorgeht, das Russische Lappland nicht mit hieher gezogen
worden ist, um wenigstens 2000 Q Ml. zu hoch, angegeben.
Sehr willkührlich werden auch die Inseln Faröer, Island und
Spitzbergen mit besonders bemerktem Flächenraum dazu gezo-
gen. S. 162 heisst es: „Wegen des sandigen, steinigten und
eisenhaltigen, auch hie und da sumpfigten Bodens ist kaum
der 24te Theil angebaut" Das angegebene Verhältniss des
urbaren Bodens hat allerdings seine Richtigkeit, allein an die-
sem geringen Anbau ist, nach dem Urtheil der neuern Reisen-
den, nicht sowohl der sterile Boden, als vielmehr der Man-
gel an Uär^den Schuld , weshalb der grösste Theil der Ober-
fläche , ohne Rücksicht ob er kulturfähig sey oder nicht , mit
Wald bedeckt bleibt. Selbst die bevölkertste Provinz des Reichs,
Dittcnberger: Geographie für Gymnasien etc. 158
Schonen, könnte, bey vollkommener Benutzung aller kulturfä-
higen Läntlereyen, die doppelte, wenn nicht die dreyfache Volks-
zahl ernähren. Auch die Bevölkerung ist nur zu 3^ Mill., mit-
hin um einige 1 00,000 Kopfe zu niedrig, angegeben. — Fohlen
oder Nord-Karpathe7iland ( S. 167 — ITO). Dieser Abschnitt
hat, indem er die Flussbecken der Weichsel, Pregel und des
Wieraen umfasst, eine naturgemässe Begränzung erhalten; doch
hätten noch die Orte Libau und Windau hieher gezogen werden
sollen. Der Flächengehalt von 5700 G Ml. möchte wohl etwas
zu niedrig seyn. Nicht bloss die hier wohnenden Deutschen
sind grösstentheils Protestanten, sondern auch die in Ost-
Preussen ansässigen Litthauer. — Russland oder Uralland (S.
170 — 179). Diesen ungeheuren Landstrich, demeinFIächenraura
von mehr aic 92,000 □ Ml. zugetheilt ist, wVirde Rez. , wegen
des so unverhältnissmässigen Umfangs , in 2 oder noch lieber 3
Ländermassen zerlegt haben, und zwar ]) in das nördliche
Uralland, welches die ganze nördliche Abdachung in sich schlie-
ssen; 2) in das südliche Uralland, welches das ganze Strom-
gebiet der Wolga mit den übrigen in den Kaspischen See sich
ausmündenden Flüssen begreifen; u. 3) in das Dnieperland, das die
Flusssysteme des Don, des Dniepers, des Dniesters u. des Kuban
befassen könnte. Denn dass dieser so ausgedehnte Landstrich
nur Einem Herrscher gehorcht, das kann hier für keinen aus-
reichenden Grund gelten, denselben als ein Ganzes darzustel-
len. — Auch hier wird wiederhohlt, dass das Wolga -Gebirge
vom Kaukasus an nach N. streiche. Aber dieses Gebirge be-
ginnt erst, wie jede gute Charte nachweist, am nördlichen
Ende der Kaukasischen Steppe, in der Nähe der Quellen des
Flusses Sarpa, und steigt von da an nun nach N. hinauf. An-
statt die 2i>es</ecÄe Abdachung muss es heissen : nördliche. Die
hier beschriebenen Städte Windau u. Libau gehören, wie schon
gesagt, der Lage nach zu Pohlen. Flussgebiet des Dniepers,
Dieser Strom soll bey Kiew bereits 3000 F. breit seyn, gleich-
wohl wird der dort über denselben führenden Schiffsbrücke
nur eine Länge von 1400 F. gegeben. Wie geht das zu? —
Ungarn oder Süd - Karpatheiiland (S. 179 — 184 ). Dieses be-
greift nicht nur das ganze Donau -Gebiet von der Gränze Nie-
der-Oesterreichs an bis zum eisernen Thore hinab, mit Ein-
schluss der Gebiete der Baab, Drau und Sau, sondern auch
den Küstenstrich längs des Adriatischen Meers von Istrien an bis
nach Cattaro hinunter, also die Ungarischen Länder, Sieben-
bürgen, Servien und Bosnien, Dalraatien, den grössten Theil
von lUyrien und Steyermark und Theile von Nieder -Oester-
reich und Tyrol. Der Flächengehalt soll 8400 Q Ml. betragen.
— Türlcey oder Hämus - Halbinsel (S. 184 — 190). Auch hier
wird der unpartheyische Leser bey dem angenommenen Umfang
eher auf politische als auf Naturgränzen schliessen. Denn die-
ser Landstrich fasst nicht allein die Griechische Halbinsel, son-
154 Geographie.
der« auch das untere Gebiet der Donau vom eisernen Thore an,
also die ganze Europäische Türkey bloss mit Ausnahme von
Bosnien und Servien in sich , wozu noch die loniscJien Inseln,
denen nur eine Volkszahl von 18Ü,00(» ( statt 230,01)0) K. ge-
geben wird, kommen. Rez. aber hält dafür, dass, wenn Euro-
pa einmahl nach Natur^jränzen dargestellt werden soll, auch
die Griechische Halbinsel, zu welcher nicht bloss das eigent-
liche Griechenland, sondern auch Thrakien, Makedonien, Al-
banien u. Dalraatien mit den Ionischen Inseln zu rechnen sind,
vom Donaubecken getrennt, und als ein fürsich bestehendes Gan-
zes behandelt werden miisse. — Ueberhaupt scheint in diesem
Abschnitte eine besondere Fliichtigkeit zu walten. In Morea
ist nicht einmahl die heutige Hauptstadt Tripolitza, und eben so
wenig der Haven Navarin aufgenommen, und auf der Ionischen
Insel Zante sucht man auch deren Hauptstadt mit 1J),IM)0 Einw.
vergeblich. Der Hauptort der Mainotten heisst ferner nicht
Maina, sondern Skutari, nach andern Zitries. Aber was dem
aufmerksamen Leser am unerwartetsten vorkommen möchte,
ist, dass der Verf. selbst die an der Asiatischen Rüste liegen-
den Inseln des Griechischen Archipelags, als Rhodos, Sa-
nios , Skios (das hier noch immer 130,000 Einw. zugetheilt be-
kommen hat) und andere, welche jedes geograph. Handbuch,
das nichts von Naturgränzen weiss , als Asiatische Inseln auf-
zählt, hier zu Europa gezogen hat.
Beym Schlüsse dieses Abschnitts muss Rez. noch bemer-
ken, dass die den Städten beygesetzten Einwohnerzahlen häu-
fig aus älteren Angaben entlehnt, ujid mithin schon durch neuere
verdrängt worden sind. So hat hier, um nur einige Bey spiele
aufzustellen, Madrid noch 168,000, Antequera 40,000, INions
9000, Perugia 16,000, Cittavecchia 12,000, Reggio (in Kala-
brien) 16,000, Ancona 17,000, Cagliari 35,000, Sassari 30,000,
Sigmaringen 3000, Baden in Oesterreich 6000, Brunn 20,000,
Stuttgart 23,0(M), Frankfurt a. M. 60,000, Liraburg (i. d. Nie-
derlanden) 8000, Solingen 9000, Quackenbriick 4700, Ilano-
ver 23,000 , Nordhausen und Burg jedes 7000 , Dover 4000,
Norwich 37,000, Harwich 3000, Nottingham 34,000, Yoik
18,000, Hüll 20,000, Dublin 196,000, Lim erik 50,000, Chri-
stiania 11,«!00, Lemberg 42,000, St. Petersburg 336,000, 3Ios-
kau 328,000, Saratow 7000, Pesth 48,000, Debretzin 38,000,
Laibach 20,000, Ragusa 6800, Janina 50,000, Skutari (in Al-
banien) 16,000 Einw. etc.
Asie7i (S.191 — 214). Auch hier kommt dieser Erdtheii
hinsichtlich seines Areals, das nur zu 700,000 D^^l^- angeschla-
gen wird , viel zu kurz , da er von neuern Geographen z. B.
Hassel auf 818,700 DMl. berechnet wird. Auch hier ver-
schweigt der Verf., dass wir von den Gebirgen Hoch -Asiens
noch fast gar nichts Näheres wissen* Unter den Landseen leh-
Dittenberger : Geograylile für GjTnnasIcn etc. 155
len der Uramich , das todte Meer, die Chinesischen Seen etc.
S. 193 sagt der Verf.: „der lleichthnm, die Mannigfaltigkeit und
die Güte der Produkte ist in diesem Weittheile grösser, als in
jedem andern, obgleich der Anbau des Landes sehr veriiach-
lässfgt nn'/d.'-'' Wenn derselbe aber dabey an China und Japan
gedacht hätte, so winde er nur gesagt haben : grössten Tlieils. —
Dieser Erdtheil wird zuvörderst in Mord -Mittel- und Siid-yVsien
eingetheilt. Und auch die Unterabtheilnngen sind im Ganzen
dieselben, -wie man sie in jedem geogr. Ilandbuche findet. Die
T)edeutendsten Abweichungen sind die, dass das ganze Strom-
gebiet des Indus zu Vorder -Indien, und der Kreis von Nert-
schinsk zumTungusenlande gerechnet wird. Rez. hoffte wenig-
stens , dass Syrien zu Arabien geschlagen w orden seyn würde,
von welchem es der Lage nach einen Theil ausmacht; allein er
fand diese Hoffnung nicht bestätigt. — In der Beschreibung
Tungusiens sind Rez. verschiedene Irrungen aufgefallen. Das
Land soll nur an einzelnen Orten zum Ackerbau tauglich seyn.
Ist dieses Land aber bereits so genau erforscht, dass man diess
so apodiktisch niederschreiben darf? Auch findet diese Be-
"hauptung wenigstens auf die wegen ihrer Fruchtbarkeit berVihra-
ten Ufer des Amur keine Anwendung, weshalb auch die Chine-
sen so Iiohen Werth auf diese Besitzung legen. Die Tungusen,
nähmlich die Stämme , die gewöhnlicher Manschuren genannt
werden, sollen zum Theil Nomaden seyn u. von Jagd u. vom Zo-
belfange leben , auch meistens als Anhänger des Lama gelten.
Aber nachTimbowsky sind jetzt die Manschuren durchgehends
ansässig, und keinesweges Lamaiten, sondern Schamanen. —
Der Flächenraum Japans ist nur auf 8000 OMl. geschätzt. —
Von der Bevölkerung China's heisst es: „China ist ausserordent-
lich bevölkert, und man schätzt seine Einwohnerzahl weit über
100 Mill." Richtiger sollte es heissen: sehr verscliieden von
1-15 b. SSOMill. — Makao wird auch hier nur emo, Halbinsel ge-
nannt. Dagegen ist die in deren Nähe liegend«, von gefürch-
teten Seeräubern bewohnte Inselgruppe erwähnt. — Die Grö-
sse Vorder -Indiens mit Einschluss von Thibet und des ganzen
Stromgebiets des Indus ist nur zu 85,000 0^^1- bestimmt. —
In Persien sind Abuschahr und Bender -Abassi als 2 besondere
Städte beschrieben, obschon es nur verschiedene Nahmen eines
und desselben Orts sind.
Afrika (S.215 — 224). Dieser Erdtheil wird hier nur in
Nord- und Süd -Afrika unterschieden. Die Unter -Abtheilungeu
bieten von den gewöhnlichen nur wenig Abweichungen dar. In
dem von den Gebirgen handelnden § heisst es: „Afrika wird von
W. nach O. von einer grossen Gebirgskette durchschnitten, in
W. Sierra Leona und Kong-Gebirge, in der Mitte die Monds-
gebirge, in O. die Ilabessinischen Alpen genannt , durch welche
die ungeheure Halbinsel in den nördlichen und südlichen Theil
156 Geographie.
zerfallt." Darf man aber diese noch durch Nichts erwiesene
Hypothese in einem Lehrbuche schon als eine ausgeraacliteWahr-
heit aufstellen 1 Wenn der Niger, wie Clapperton behauptet,
sich wirklich in den Meerbusen von Benin ausmündet , so ist
der Zusammenhang der Gebirge Kong und AI Komry oder
Mondsgebirge eine physische Unmöglichkeit. — Der Marawi
wird hier, obschon seinen Umfang noch kein Europäer gesehn,
viel weniger bestimmt hat, der grösste See Afrika's genannt.
Und doch ist es leicht möglich, dass die Seen Tsat und Aqui-
longa ihn an Ausdehnung übertreffen, oder wenigstens die
Wage halten. — Die Bevölkerung wird (wohl eher zu hoch
als zu niedrig) zu 140 Miil. angeschlagen. — Die Ureinwohner
Nubiens sollen von brauner Farbe seyn; aber nach Burkhardt
und andern sind sie mehr schwarzbraun. Unter den Orten ist
der wichtige Handelsplatz Schendy vergessen worden. — Die
Zahl der Oasen in der Sahara ist sehr genau auf 32 festgesetzt.
Sollte man nicht glauben, diese Wüste gehöre schon zu den völ-
lig erforschten Ländern? Der Niger gilt hier noch als Step-
penfluss.
Amerika (S.225 — 240). Von den Gebirgen sagt der Verf. :
„Von seiner Südspitze zieht sich das sehr hohe Gebirge Cordil-
leras oder Andes" etc. Diess ist ein unpassender Ausdruck.
Denn Anden ist bekanntlich der Kollektivnahme des ganzen Ge-
birgs in seiner ganzen Breite. Der Nähme Cordilieras hinge-
gen bezeichnet lediglich das eigetitliche Hochgebirge oder den
Kern des Gebirgs. Das Gebirge Landeshaupt in Nord-Amerika
ist gar nicht erwähnt worden. Die Zahl der Einwohner schätzt
der Verf. auf 50 bis (jO Mill. , was wohl für jetzt noch zu
viel seyn möchte. Denn 42 Millionen möchte, wie Rez. glaubt,
wohl noch das Maximum seyn. — Das Fort S. Juan d'üUoa
folgt hier gleich auf die Beschreibung der HSt. Mexico, da es
doch erst weiter unten bey Vera Cruz hätte seinen Platz be-
kommen sollen. — Süd -Amerika wird nur in das nördliche,
in Brasilien , in die Westküste und in den südlichen Theil ab-
getheiit. Als die Quelle des Marannon wird noch der See Lau-
ricocha betrachtet. — In Brasilien sind Olinda und Fernam-
buco als nur JEin Ort angeführt. Aber Olinda ist ja die alte
jetzt sehr öde, undFernambuco oderRecife die we?/e Hauptstadt
der Kapitanerie, und beyde Orte liegen | Stunde von einander
entfernt. Bey der Einwohnerzahl der meisten Städte sind
Schäfers übertriebene Angaben zu Grunde gelegt worden.
Bey der Westküste wird nicht einraahl berichtet, dass der
grösste Theil derselben fast gar keinen Hegen kenne. — Der
la Plata- Strom wird nicht durch den Zusammenfluss des Pa-
raguay und Parana, sondern erst weiter unten durch die Verei-
nigung des Uruguay mit dem Parana gebildet. — Die unter
30^, 40' S. Br. liegende Stadt S.Juan de la Froutera wird hier
Dittenberger : Geographie für Gymnasien etc. 157
schon zu Patagonien gerechnet, wahrscheinlich um in diesem
Abschnitte doch wenigstens einen Ort nahmhaft machen zu
können.
Australien (S. 241 — 244). Der Flächeninhalt wird auf
185,000, also wahrscheinlich um 25,000 Q M. zu hoch ange-
nommen. Beym Australland — das hier noch Neu- Holland
genannt wird — vermisst man die meisten neuern Entdeckun-
gen. Die einzelnen Inselgruppen werden hier keinesweges in
die innere und äussere lleihe unterschieden, obschon der erste
Blick auf die Charte solche andeutet. Die 12,000 Q M. grosse
Insel Neu -Guinea hat hier gar nur A Mill. Einwohner erhalten;
dagegen sind den Sandwichs -Inseln noch immer 400,000 Ein-
wohner zugetheilt worden.
Zum Schlüsse dieses Theils bemerkt Rez. noch, dass die
einzelnen Länder, zumahi die Europäischen, in folgender Ord-
nung dargestellt werden: 1) Lage, Grösse, Gränzen; 2) Ge-
birge; 3) Gewässer; 4) Rlima; 5) Produkte; 6) Einwohner,
und 7) Eintheilung, bey welcher natürlich die Flussgebiete
zur Norm dienen. Bey den grössern Stromgebieten sind wieder
deren Gränzen (aber nicht der Flächenraum), so wie die darin
liegenden Seen, die erheblichsten Nebenflüsse des Ilaupt-
stroms u. s. w. nahmhaft gemacht, worauf die Ortsbeschrei-
bung folgt.
Der dritte Hauptabschnitt begreift die politische Geogra-
phie (S. 245 — 301). In der Einleitung zu diesem Abschnitte
erfährt man erst , dass die Erdbeschreibung in die mathema-
tische, physische und politische eingetheilt werde. Dann folgt
die Erklärung des Begriff's: Staat ^ so wie das Nöthige über
die verschiedenen Regierungsformen, über Benennung und Ti-
tel der Staatsoberhäupter, über politische Eintheilung, Ver-
waltung, Kriegsmacht, Handel, Münzen u. s. w. S. 247 drückt
sich der Verf. so aus : „Die Begränzung des Flächenraums, der
zu einer Stadt, einem Flecken oder Dorf gehört, heisst Bann
oder Gemarhung'-'-. Nicht auch Flur und Weichbild'i Ferner:
„In der politischen Geogr. hat man in Absicht der einzelnen
Wohnorte besonders auf Residenzen oder Hoflager der Regen-
ten, auf Haupt- und Provinzialstädte, Fabrik- und Handels-
städte, Seestädte mit Häven oder Rheeden, und Festungen zu
merken." Ob ein Ort Residenz, Haupt- oder Provinzialstadt
sey, gehört der politisch. Geogr. allerdings ausschliesslich an.
Aber mit den aus den verschiedenen Gewerben und Nahrungs-
zweigen entspringenden Beynahmen, als Fabrik-, Handelsstadt
u. s. w. hat die polit. Geogr. an sich nichts zu schafften, son-
dern sie sind mehr ein Gegenstand des ersten Hauptabschnittes.
Auch ob ein Ort Festung sey oder nicht, hätte bereits in jenem
bemerkt werden sollen, weil sonst mehrere Orte, die nichts
als Festungen sind, z. B. Silberberg, Friedrichsort, Wilhelms-
158 Geographie.
stein u. s. w., gar nicht in der Erdbeschreibung nach Naturgrän-
zen erwähnt werden dürften.
Staaten der Europäischen Mächte ( S. 252 — 329 ). Ist
nicht Macht in dem Sinne , in welchem es hier genommen wird,
ein Synonymum von Staat'? Jedem Staat sind zwei Abtheilun-
gen gewidmet, nähmlich a) historische Momente, und b) ge-
genwärtiger Zustand. In letzterm werden in gedrängter Kürze
Nähme, Lage, Gränzen, Areal, Einwohnerzahl, Religion,
Unterrichtsanstalten, Ackerbau, Industrie, Handel, Münzen,
Verfassung, Staatseinkünfte, Kriegsmacht und Eiiitheilung er-
örtert ; doch sind in der letztern die Provinzen eines Staats nur
nahmentlich angeführt. Hierauf folgen die Nahmen der dazu
gehörigen Städte, welche bereits im zweyten Hauptabschnitt
beschrieben worden sind. Hin u. wieder sind indess auch welche
aufgenommen worden, die man in jenem nicht findet. Und
diesen ist gemeiniglich in parenthesi die Zahl der Einwoliner
beygesetzt worden. Von den hier aufgenommenen statistischen
Angaben darf llez. natürlich nur solche ausheben, welche von
den gewöhnlichen bewährten bedeutend abweichen, oder eine
Berichtigung erheischen. Portugal. Unter den Einwohnern
sollen sich über 200,000 (*?) geistlichePersonen befinden. Has-
sel bes^tiramt aber deren Zahl nur auf 44,000, was für eine Be-
völkerung von etwa 3 jMill. gerade genug ist. Nur 300 Mittel-
schulen. Die zu 30,000 Mann Linientruppen und 30,000 Mann
Miliz angegebene Kriegsmacht möchte wohl zu hoch seyn. —
Spajiien. Die hist. Elemente schliessen mit der Befreyung des
Königs durch Französische Truppen und gedenken der neue-
sten traurigen Ereignisse mit keiner Sylbe. Ueber SOOO Klö-
ster. Die 11 Universitäten sollen jetzt 13,000 Studirende zäh-
len. Unter den Handelsstädten vermisst man Valencia, AJican-
te, Mutaro, Bilbao und St. Ander. Die Kriegsmacht ist rich-
tig zu 47 — 57,000 M. aber die Seemacht zu 10 Schiffen wohl
gar zu niedrig berechnet. — Frankreich. Bevölkerung:
30,600,000 K. Warum hier, wo genaue Volkszählungen vor-
liegen, nur runde Summen'? Unter den Einwohnern soll es 3
Mill. Protestanten geben. Diese Summe ist wohl um mehr als
die Hälfte zu hoch. Auch bey der Kriegsmacht mögen sich
Irrungen eingeschlichen haben , denn die Infanterie ist liier auf
210,000 (also um 48,000 M. zu hoch) und die Kavallerie auf
30,000 (also um 12,000 M. zu niedrig) berechnet. In den De-
partements Crcuse, Aix, Nieder- Alpen, Lot-Garonne, Cor-
reze, Indre, Vendee undCotes du Nord findet man keinen ein-
zigen Ort angemerkt. — Italien, Roms Weltherrschaft soll
.106,000 n JVI. mit 150 Mill. Einw. umfasst haben. Gab es aber
zu jener Zeit schon Volkszählungen? Die Zahl der Jesuiten -
Kollegien soll hier schon auf 30 steigen. Eine ei-freuliche Aus-
sicht für die Zukunft ! — Sardinien^ I?6r,FläcIieurau^i^(23a9
Dittenbergcr: Gcogiapliie für Gymnasien etc. 159
□ M.) ist etwas zu hoch, die Volkszalil (4,017,000 S.) hinge-
gen um mehr als 150,000 S. zu niedrig. Als Ilauptfestungen
möchten auch wolil Genua, Tortona und Pignerol anzusehen
seyn. Was hier in der Eintlieilung schlechthin das Fiirsten-
thum Piemont genennt wird, ist nur der Theil desselben^ wel-
cher die lientige Provinz Turin bildet. Bey der Insel Sardi-
nien lieisst es: „lleichsstände, ans dem Adel, Deputirten und
Geistlichkeit bestellend." Bey den Deputirten fehlen ofl'enbar
die Worte: der Städte. — Parma. Die Seelenzahl zu 415,000
K. ist zu niedrig. Das Militär aber zu ofiOO M. viel zu hoch
angeschlagen. — Modena, Avahrscheinlich mit Massa -Carara.
Hier ist das Militär nur zu 1300 M. angegeben. — Liicca. —
Toscana. Dass das Fürstenthujn Piombino ein Schutzstaat Tos-
cana's ist, hätte billig bemerkt werden sollen. — Kirchenstaat.
Die Staatseinkiinfte sind auf 12 Mill. , also um 2 Mill. Gulden
zu hochgeschätzt. — S. Marino. — Beyde Sizilien (2019 Q
M. ({,890,000 Einwohner). Das Areal ist wahrscheinlich et-
was zu hoch, die Volkszahl dagegen um 2.30,000 K. zu niedrig.
Dass hier die Industrie bedeutend und die Fabriken., besonders
in Seide und Wolle, blühend sind, wird Mancher als eine gro-
sse Neuigkeit erachten. Unter den Handelsstädten hat der
Verf. Parghelia, Manfredonia, Gallipoli, Catanea, Syrakus
und Trapani vergessen. — Schweiz (= 874 D M. 1,800,000
Einw. ). Erstere Angabe ist, wie gewöhnlich, etwas zu hoch
und letztere etwas zu niedrig. Die Kantone Waad und Genf
sollen ganz reforjnirt ., die Kantone Luzern , Freyburg, Solo-
thurn, Tessino , Schwyz, Wallis, Uri und Unterwaiden ^aras
katholisch seyn. Ersteres ist gar flicht.^ letzteres nur zutn Theil
gegründet. Denn der K. Waad umfasst auch 4 kathol. Gemein-
den mit 3000 und der K. Genf gar 21 kathol. Pfarreyen mit
17,000 S. Eher konnten noch Zürich, das nur in 2 Gemein-
den (Rheinau und Dietikon) 800 Katholiken zählt, u. Schafhau-
sen, weil hier nur in der Gemeinde llamsen 200 Katholische
leben, als ganz reformirte Kantone genannt werden. Dagegen
darf man auch wieder Freyburg und Solothurn nicht für ganz
katholische Kantone ausgeben. Denn der erstere begreift auch
den Bezirk Mnrten mit 5200, und letzteres das Amt Buchegy-
berg mit 4200 refonnirten Einwohnern. Dafür hätte noch
Zug als ein reinkatholischer Kanton aufgezählt werden sollen.
Industrie und Manufakturen werden liier nur nicht unbedente?id
genannt. Rez. weiss aber nicht anders , als dass sie in den K.
Zürich, Thurgan , S.Gallen, Appenzell, Glarus, Aargau und
Neuenburg sehr bliihetid und von grosser Wichtigkeit sind. Die
den einzelnen Kant, gegebene Volkszahl bedarf bey mehrern
einer Berichtigung, von welchen hier aber nur die vorzüglich-
sten bemerkt werden können. Bern hat nicht 388,000, sondern
348,000, Frey bürg nicht 70,000, sondern 86,000, Solothuru
160 Geographie.
nicht 48,000, sondern 56,000, Basel nicht 47,500, sondern
51,000, Schaihausen nicht 30,000, sondern nur 27,000, S.Gal-
len nicht 140,000, sond. 160,000, Aargau nicht 144,000 , sond.
152,000, Tessin nicht 90,000, sond. 98,000, Waad nicht 150,
000, sond. 165,000, und Genf nicht 44,000, sond. 51,000 Ein-
wohner. — Deutschland (= 11,781 D M. 30,300,000 Einw.).
Das Areal ist wahrscheinlich etwas zu hoch , die Volksmenge
dagegen um 2 — 300,000 Kopie zu gering. Unter den Han-
delsstädten im Innern wird man Frankfurt a. d. Oder, Miin-
den, Ulm, Regensburg u. s. w. vergeblich suchen. — Baiern.
Die Volkszahl (3,743,000 S.) ist gegenwärtig schon um 100,000
K. wieder gestiegen. — KR. Sachsen. Der Flächengehalt (300
□ M. ) ist um 25 O M. zu hoch. Die Kriegsmacht, welche im
Jahre 1825 in 13,307 Mann bestand, wird hier nur zu 9000 M.
angegeben. — Der Satz: „i*«>s^/. Schönburg. -Waldenburg'sche
Güther 5| D M., 42,500 Einwohner mit der Stadt Glau-
chau", ist unrichtig. Denn die gegenwärtig unter die zwey
Aeste Waidenburg und Hartenstein vertheilten Besitzungen
der Fürstl. Linie haben gleichnahmige Hauptorte, und die
Stadt Glauchau gehört den zwey gräflichen Linien Hinter -
Glauchau und Penig, deren aber hier gar nicht Erwäh-
nung geschieht. — Hanover. Die Zahl der Katholiken , wel-
che Hassel auf 242,000 K. berechnet, ist hier nur zu 160,
000 angenommen. Bentheim, Meppen und Emsbüren hätten
als Standesherrschaften bezeichnet werden sollen. — Würtem-'
berg. Die Volkszahl (1,505,000 S.) ist schon um 50,000 K. zu
niedrig. Die Staatseinkünfte sind zu 9,666,000 Gulden, und
das Militär ist zu 18,995 M. angegeben. Doch hätte dabey be-
merkt werden sollen, dass der Friedensstand jetzt auf 5,000
M. herabgesetzt ist. — Baden (1,108,000 Einw.). — Kur-
Hessen. Die Staatseinkünfte sind nur zu 5 Mill., also um 1
Mill. zu niedrig angesetzt. Zum Schlüsse wird auch die Land-
grafschaft Hessen -Homburg abgehandelt. — »S. Weimar -Ei-
senach. Die Bevölkerung (205,000) ist um 13,000 S. zu niedrig.
— S. Meiningen (hier fehlt der Beysatz: Hildburghausen). Die
Volkszahl beträgt nicht 116,000, sondern 138,000 K. — S. Al-
tenburg. Das Land enthielt bis zum Jahre 1826 allerdings 25^
QM, Allein seit der Vertheilung der S. Gotha -Altenburgi-
schen Lande beträgt der Flächenraum kaum noch 23^ Q Meile.
Das Bundes -Kontingent ist hier nur zu 550 M. angenommen. Es
rauss aber wenigstens 900 M. betragen. Von dem blühenden
Ackerbau wird auch nichts erwähnt. Kamburg gehört nicht
mehr hieher, sondern zu S. Meiningen - Hildburghausen. —
S. Koburg- Gotha. Hier hat sich ein arger Druckfehler einge-
schlichen. Es heisst nähmlich: „Es liegt im Main- u. Saalege-
biet." Die Herrschaft Baumholder im Mosel- und Nahegebiet
ist 47 DM. gross mit 147,800 Einw., worunter 11,000 Katho-
Dittenberger : Geographie für Gymnasien etc. 161
liken, 900 Juden, die übrigen evangelisch sind. Dieser Satz,
wenn er ganz richtig seyn soll , muss aber heissen: Es liegt im
Main-, Weser- u. Saalgebiet und das Fürstenth. Lichtenberg
im Mosel - und Nahegebiet. Das Ganze ist 48^ Q ^^^- gross mit
147,800 Einw. u. s. w. Im Fiirstenth. Lichtenberg hätte wenig-
stens die Hauptstadt S. Wendel genannt werden sollen. —
BraunscJuveig. — Aassau. — Meckle?iburg - Schwerin. Die Be-
völkerung (403,000 Einw. ) ist schon um 18,000 K. zu niedrig.
— Mecklenburg - Sir ehlils. Die angenom. Volksmenge (00,000)
ist wahrscheinlich noch zu hoch. — Anhalt. Der lleligionsver-
änderung des Herzogs von Anhalt -Kotlien ist nicht gedacht
worden, — Holstein- Oldenburg. Die Einkünfte sind nur zu
1,200,000 Gulden , also otfenbar zu gering, angeschlagen. Bey
den übrigen kleinen Staaten, so wie bey den freyen Städten
ist Meiter nichts zu erinnern, ausser dass dem Gebiet von
Frankfurt!! wohl übertrieben eine Volkszahl von 62,000 K. ge-
geben worden ist. — Oesterreich ^= 12,077 Q Ml. , also eher
zu niedrig als zu hoch, u. 28,665,000 Einw., mithin wenigstens 1^
Mill. zu wenig, da man bereits im J. 1824 30,007,000 S. zählte.
Auch die Zahl der Protestanten (3,560,000) ist um 170,000 zu
niedrig angegeben. Unter den Landhandelsstädten hätten auch
Mailand, Verona, Linz, Brunn, Pressburg, Debretzin, Sem-
lin, Ilermanstadt u. s. w. einen Platz verdient. Die Angabe
der Staatseinkünfte (180 Mill. Guld.) ist ^c^en die Hassel-
sche um 50 Mill. zu hoch. Den vornehmsten Festungen wer-
den, sonderbarer Weise, auch Grätz, Semlin und Herraan-
stadt beygezählt. Allein der Verf. Avürde auf jeden Fall der
Wahrheit näher gekommen seyn, wenn er dafür Prag, König-
grätz, l'heresienstadt , Josephstadt, Ofen, Peterwardein, Te-
nieschwar, Essek und Raab aufgenommen hätte. Illyrien hat
hier nur 430 D Ml. und 897,000 Einw. In der üebersicht des
KR. Lo/nbardey- Venedig werden 65,000 Deutsche in den 7 Ge-
meinden gerechnet. Aber diese 7 Gemeinden zählen wohl kaum
20,000 (nach einigen nur 15,000) M. Und die 13 Gemeinden
mit 50,000 Einw. , die schlechthin Nachkommen der Cimberu
genannt werden — diess sind doch wohl auch Deutsche? —
kommen erst bey der Prov. Vicenza vor. Galizien ist endlich
gar zu flüchtig behandelt, denn man erfährt hier nicht einmahl
die Nahmen der Kreise. — Preussen. Unter den Einwohnetn
(über 12 Mill.) sollen sich nur 10,000 Franzosen befinden.
Nach andern steigt aber deren Zahl auf 40,000. Stralsund ge-
hört wohl nicht zu den Festungen des ersten Ranges, wohl aber
Erfurt, Minden, Neisse, Glaz und Torgau. Die Bevölke-
rungsangaben der Provinzen sind durchgängig nach frühern
Zählungen gemacht. — Niederlande. Unter den Einwohnern
(5,880,000) sollen sich 4,092,000 Katholiken, 1,625,000 Prote-
stanten und 85,000 Mennoniten befinden. Aber nach Hassel
Jahrb. f. F/iil. u. Pädug. Jahrg. 111. Heß 10. Jj
162 Geographie.
beläuft sich die Zahl der Protestanten auf 1,970,000 (worunter
320,000 Lutheraner) und die der3Iennoniten auf 115,000. Von
der natürlichen Eintheilung iu den nördlichen und südli-
chen Theil weiss der Verf. nichts, er wirft vielmehr aus
beyden Theilen die Provinzen ohne Ordnung unter einander.
Von den einzelnen Provinzen werden Süd- und Nord -Brabant,
Limburg und Geldern Herzogthüraer, Lüttich ein Fürstenthum,
Ost- und West -Flandern, Hennegau und Namur Grafschaften,
und die übrigen schlechtweg Provinzen genannt. Da der Prov.
Holland, wegen ihrer Unterabtheilung in JNord- und Süd-Hol-
land , 2 Nummern (9 u. 10) gegeben worden sind , so hat der
Verf., um die Zahl 18 nicht zu übersteigen, die Prov. Ant-
werpen (mit 15| D Ml. und 2(;0,000 Einw.) in die Prov. Namur
gesteckt, dieser zwar ihren richtigen Flächenraum (67 Q Ml.)
und die wahre Bevölkerung von 15(),000 Seelen gelassen, aber
statt der Städte Namur, Dinant und Philippeville, die Orte
Antwerpen, Tornhout, Lier, Mecheln und Gheel einrangirt.
Der ganze, ein drolliges Quid pro quo darbietende, Abschnitt
lautet — damit der Leser sich überzeuge, dass Rez. dem Vf.
nicht Unrecht thue — folgendermaassen: „12) Grafschaft Na-
mur (Namurcum) 67 D Ml. 156,000 Einw. in 3 Distr, Antwer-
pen (Anvers), llSt. und F. Tornhout, Lier, Mecheln (Ma-
lines ). Kanal von Antwerpen und Löwen. Flk. Gheel (7020
Einw. ) schon im 7ten Jahrh. durch die heil. Nymphea ge-
gründet." — Den Provinzen ist übrigens Flächenraum u. Volks-
menge, letztere aber nach frühern Zählungen, beygesetzt. Das
Grossherzogth. Luxemburg hat hier nur eine Grösse von 102
□ Ml. Endlich ist auch nicht bemerkt , dass der König die
bisherige Standesherrschaft Bouillon käuflich an sich gebracht
hat. — Gross - Britanien. Die Zahl der Katholiken wird für
England und Schottland auf i Mill. für Irland aber auf 6 Mill.
berechnet. Zahl der Klöster = 55. Die Staatseinkünfte sind
(wohl um 87 Mill. zu hoch) zu 630 Mill. Gulden angenommen.
In England werden sowohl die 7 vormahligen Königreiche als
die 40 Shires nahmentlich genannt. Der Insel Helgoland sind
nur 900 Einw. zugetheilt. Die Besitzungen in den fremden
Erdtheilen haben hier nur einen Flächengehalt von 83,000 (?)
bekommen, weil die Nord- Amerikanischen Kolonien nur mit
38,000 n Ml. angesetzt worden, und die Australischen Kolo-
nien rein vergessen worden sind. Die richtige Grösse aller Be-
sitzungen steigt auf wenigstens 179,000 D Ml. — Däne-
mark. Areal (2,467 □ Ml.) und Bevölkerung (1,856,000) sind
zu niedrig berechnet. Die hier befolgte Eintheilungsweise ver-
räth keine Konsequenz. Denn das Reich zerfällt: a) in die In-
seln mit 3, b) in die Halbinsel Jütland mit 4 Stiftsämtern, und
c) in die Herzoglhüraer Schleswig, Holstein und Lauenburg. —
Schweden. Die Volksmenge (3,506,000) ist zu niedrig. Unter
DittenLerger : Geographie für Gymnasien etc. 163
den Handelsstädten hätte Gefle wohl eher eine Aufnahme ver-
dient, als Murstrand. Die Einkünfte sind auf 20 Miil. Gulden,
mithin wohl zu hoch, j;;eschätzt. Die Landmacht wird zu 00,000
M. angesetzt. Ist darunter bloss das stehende Heer zu verste-
hen, so ist diese Zalil zu hoch, ist aber Landwehr und Reserve
mit darunter begrilFen, so ist sie viel zu niedrig. — liussland.
Unter den Handelsstädten hätten wohl Taganrock, Kherson,
Abo und Libau eine Stelle verdient. Die Staatseinkünfte sollen
sich über 200 Mill. Gulden belaufen, was wolil übertrieben ist.
Den einzelnen Gouvernements ist weder Areal noch Bevölke-
rung beygesetzt. Bey der Eintheiluug wird , sonderbarer Wei-
se, die alte Gränze gegen Asien, welche die vorraahligen Rei-
che Kasan und Astrakhan zu Asien schlägt, zu Grunde gelegt.
Berdiczew hat hier nicht weniger als 24,000 Einw. erhalten.
Soll aber wohl heissen: 2400? Das Land der Donischen Kosa-
ken prangt hier mit 2 Mill. Einw. (?) — Fohlen. Der Schluss
der historischen Momente lautet allzukurz: „Im Pariser Frie-
den 1825 Avird das Herzogthum Warschau Russisch." Es hätte
aber doch wohl bericlitet werden sollen, dass es erst im Jahre
1807 aus dem Preussischen Pohlen gebildet wurde, dass im J.
1809 auch ein grosser Theil von Galizien dazukam, und dass
im J. 1815 ein beträchtlicher Theil davon unter dem Nahmen
Herzogth. Posen an Preussen zurücktiel. Unter den Einw. sol-
len sich 100,000 Protestanten , 50,000 Tataren und 220,000 Ju-
den befinden. — Freystaat Krakau. — Türhey. Der Flächen-
inhalt wird hier sehr genau zu 41,344 D Mi. bestimmt, und die
Bevölkerung sehr freygebig auf 34 Mill. (worunter 16^ Mill.
Mahomedaner, 8^ Mill. Christen, 2,(500,000 Armenier, 1 Mill.
Juden) geschätzt. — Die Raubstaaten Algier, Tunis und Tri-
polis werden als Bestandtheile des Türkischen Reichs ange-
führt; ja noch mehr, die Städte Marokko, Murzuk und Fez in
Afrika stehen hier in der Reihe der Osmanischen Festungen.
Wie drollig!! — Ionische Inseln.
Asiatische Staaten (S. 330 — 343). Die historischen Mo-
mente sind bloss im Allgemeinen angedeutet und nur Ost -In-
dien hat seine besondern erhalten. — Tatarey oder Turkestan.
Die Volksmenge wird zwar hier höher als anderv.^rts, nähm-
licli zu 8 Mill. angenommen , doch möchte diese Schätzung der
Wahrheit vielleicht näher kommen, als diejenigen, welche nur
von 2 bis 3 Mill. sprechen. Aber ein arger Verstoss ist der,
dass zum Usbeckenlande nicht allein die grosse, sondern auch
die Meine Bukharey oder Kaschgar gerechnet wird, welche be-
kanntlich schon seit geraumer Zeit China unterworfen ist. Auch
sind dem Lande Chiwa (das doch nur 300 Q Ml. enthält) sehr
freygebig 3 Mill. Einw. zugetheilt worden. — Arabien. Die
Einw. (12 — 14 Miil.) sollen grösstcn Theils iMahomedaner seyn.
Hat hier der Verf. wohl an die Wahabis gedacht? — Zu den
11*
164 Geographie.
Türkischen Besitzungen rechnet der Verf. auch den Staat Je-
men (!), Aus welchem Grunde*? Das Land ist, wie gewöhn-
lich, in die 5 Haupttheile Jemen, Oman, Lachsa, Nadsched u.
Hedschas ahgetheilt. Doch sollten hiilig auch die Halbinsel
des Bergs Sinai und die grosse Syrische Wüste als besondere
Haupttheile betrachtet werden. — Persien d. h. Iran , Afgha-
nistan und Beludschistan. Die Kriegsmacht des eigentlichen
Persiens wird noch zu 200,000 M. angeschlagen, aber der kaum
beendigte Krieg mitllussland hat zur Gnüge gezeigt, dass diese
Angabe viel zu hoch sey. Die Afghanen lässt der Verf. von
den alten 3Iedern abstammen. Aber ist diese Vermuthung
schon so erwiesen, um als eine ausgemachte Wahrheit vorge-
tragen werden zu können*? Die Hauptstadt Beludschistans, Ke-
lat, soll 8000 F. über dem Meeresspiegel liegen. Ist diess
nicht ein Druckfehler'? • — Ost -Indien. Aus der Schilderung
des gegenwärtigen Zustandes ergiebt sich, dass bloss Vorder-
indien darunter zu verstehen sey. Die Beschreibung ist aber
so flüchtig, dass unter den Brittischen Vasallenstaaten bloss
die des Guikowar und des Holkar und Oude mit Nahmen ange-
führt, und die übrigen, selbst Golkonda, Mysore, Travankore
u.Nagpor ganz mit Stillschweigen übergangen sind. — Hinter-
Indien. Der Ausdruck: Eintheilung in b Reiche ist unrichtig,
weil die Halbinsel Malakka kein für sich bestehendes Reich
bildet, sondern aus mehrern unter sich unabhängigen Gebie-
ten besteht, was auch allerdings bey der Beschreibung dieser
Halbinsel zugestanden wird. Die Bewohner des Reichs Assam
sollen keine Europäer unter sich dulden. Diess hat sich , seit-
dem sie durch dieBritten vom Joche der Birmanen befreyt wor-
den sind , wohl geändert. Birman hat noch seinen vorigen Flä-
chenraum und auch noch 10 — 11 Mill. Einw. behalten. Aber
die Kriegsmacht ist nur zu 45,000 M. und 500 Kriegsbooten an-
gegeben. Die Stadt Arrakan wird hier noch zu Birman ge-
rechnet. — Ost -Indische Liselgrnppe. Die gewöhnlichen An-
gaben , aber dabey äusserst flüchtig. — Chinesisches Reich =
252,448 D Ml. 293 Mill. Einw. , wovon 257,8r>0,000 auf das ei-
gentliche China kommen. Die Eintheilung der Mongoley ist
nach alter Weise in Scharra-u.Kalkas-Mong., inSoongarey und
Koschotay entworfen. — Japanisches Reich = 8 — 12,000 D
Meil. , etwa 45 Mill. Einw. , wovon 39 Mill. auf Niphon und
800,000 auf Jesso gerechnet sind. Der Inselgruppe Bonin, so
wie der Niederlassungen auf Karafta (Sachalien) wird gar nicht
gedacht.
Afrikanische Staaten (S. 343 — 347). In Ansehung der hi-
storischen Momente verweist der Verf. auf Asien und das Os-
manische fteich. — In diesem Abschnitt findet man folgende
Rubriken. Marokko. — Biledulgerid. — Sahara. — Nubien =
12— 14,000 G Ml, 2—4 Mill. Einw. Der Verf. hätte bemer-
Dittenberger : Geographie für Gymnasien etc. 165
ken sollen, dass Nieder - NuLien big nach Sennaar hin-
auf, selbst Dongola nicht ausgenommen, aus lauter kleinen Ge-
bieten bestehe , welche jetzt säinmtlich , mit Kinschluss von
Seunaar und Kordofan, der Oberbothmässigkeit des Türkischen
Statthalters von Aegypten unterworfen sind. Zwar wird die-
ses von den in den Wiistcn zu lieyden Seiten des Nils hausen-
den Beduinenstämmen versichert, doch ist wohl sehr die Fra-
ge, ob sie noch jetzt den Befehlen des Pascha's wiiklich ge-
horchen. — Habessinien. — Adel und Ajan. — Nigritien oder
Sudan. Die neuern Entdeckungen der Britten sind hier noch
nicht benutzt. — Se?iegambien. Die neue blühende Brittische
Niederlassung Bathurst hat hier noch keinen Platz gefunden.
— Ober -Guinea. — Nieder- Guinea oder Kongo. — Kapland.
Inseln im W. von Afrika. Ascension wird hier noch als eine
Portug. Besitzung betrachtet. Diess kann aber nicht seyn, da
auf derselben gegenwärtig eine Brittische Kolonie besteht. -
Ostküste. — Das Lmere vo?i Afrika. — Inseln in O. von Afrika.
Amerikajiische Staaten (S. 348 — 361)- I. Nord -Ame-
rika. Der erste Abschnitt führt die Ueberschrift: BrittaJii-
sche Staate 71. Ei! ei! Seit wenn sind denn die Brittischen
Besitzungen in N. A. zu besondern Staaten erhoben worden?
Vom Mutterlande abhängige Gebiete dürfen doch wohl nicht
auf den Nahmen Staat Anspruch machen"? Das Brittischc
Nord-Amerika hat hier eine Ausdehnung von 121,000 D Meil.
erhalten, weil auch Labrador , New -Wales und das ganze In-
nere von Nord- Amerika in N. der Kanadischen Seen, mit der
Nordwestküste dazu gerechnet wird. Die Zahl der Einw. ist
aber nur zu 800,000 angegeben. — Nord- Amerikanische Frey-
staaten. Areal (sehr oberflächlich) über 100,000 D Ml. Ein-
wohnerzahl beynahe 11 Mill. Im Jahre 1824 zählte man be-
reits 12,400,000 S. Den einzelnen Staaten und Gebieten ist die
Volkszahl v. J. 1820 beygefügt. Dass aber das Gebiet Florida
nicht weniger als 341,000 Einw. empfangen hat, ist wohl nur
einem Druckfehler zuzuschreiben. — Aus den historischen Mo-
menten scheint hervorzugehen, dass die 4 Freystaaten Loui-
siana, Missuri, Missisippi und Alaburaa aus der Landschaft
Louisiana eri-ichtet worden seyen. Dem ist aber nicht so. Denn
die 2 letztern liegen am linken Ufer des Missisippi und gehör-
ten früher zu Georgien. — Me.vico = 10,000 D Ml. 7 Milk
Einw. Die 20 Staaten werden nahmentlich , jedoch ohne An-
gabe des Flächenraums und der Volkszahl , angeführt. — Mit-
tel-Amerika = 11,000 □ Ml. 1,300,000 Einw. Die Nahmen
der einzelnen Staaten werden hier nicht angegeben. —
II. Süd -Amerika. Dieser Abschnitt beginnt mit den histori-
schen Momenten. S. 356 heisst es: vi^'n nähralichen Jahre
wurde Peru als unabhängiger Staat erklärt, u. später in Ober-
und Nieder -Peru getheilt." Wie unrichtig! Denn Peru wurde
1d6 Geographie.
schon im J. ITITS bey Errichtung der Vize -Königreiche in das
Obere und Niedere abgesondert. Letzteres bildete seitdem
nur für sich das Vize -KR. dieses Nahmens, welclies jetzt den
Freystaat Peru ausmacht, und das erstere wurde unter dem
Naliinen Intendanz Charcas oder Potosi zum V.-KR. la Plata
gescliiagen , und hat sich nun unter dem Nahmen Bolivia oder
Bolivar auch zu einem besondern Freystaat proklamirt. — Co-
lumbia = 63,500 D Ml. 3^ Mill. Einw. ( letztere Angabe ist
wolil zu hoch). Die 12 Staaten oder Departem. sind nicht ge-
nannt. — Peru. Der Beysatz Nieder- ist überflüssig. Auch
hier erfährt man weder die Zahl noch die Nahmen der Provin-
zen. — Ober- Peru ^ das erst in der Beschreibung Bolivar ge-
nannt wird. — Chile. Die Bevölkerung wird auf nicht geringer
als 2,288,000 K. , worunter 1,300,000 (?) Spanier, geschätzt.
Diese Zahl ist aber wohl viel zu hoch. — la Plata = 68,000 U
Meil. , 1| Mill. Einw. — Paraguay. — Bey allen diesen Staa-
ten sind die Nahmen der Provinzen nicht berücksichtigt wor-
den. — Brasilien. Die übertriebene Angabe der Volkszahl zu
5 — 6 Mill. hat wahrscheinlich Schäfer veranlasst. Hier ist
das Reich nur in 11 Gouvernements (Para, Maranhao, Fernam-
buco, Bahia , Rio -Janeiro, Rio grande, S. Paulo, Minos-
Geraes, Gojaz, Matto grosso und Seara) abgetheilt. Soviel
aber Rez. weiss , ist diese Eintheilung nicht mehr gebräuch-
lich. Auch hat Seara (Siara) nie ein besonderes Gouvernement
gebildet. In diesem Gouv, ist, ausser der Hauptstadt gl. N.,
noch ein Ort Amcata mit 26,000 Einw. aufgenommen, den Rez.
noch nicht kennt, auch auf keiner Charte gefunden hat. —
Guiana., nur die Brittischen, Niederländischen und Französi-
schen Niederlassungen begreifend. — Freye Indianerländer.
Ohne nähere Angaben, wo sie zu suchen sind. Es ist bloss ge-
sagt, dass sie in verschiedenen Staaten zerstreut liegen und
über 1 Mill. Einw. zählen. Wer hat sie aber gezählt? — Pa-
tagonien. — III. West -Indien in 12 Zeilen und der Neger-
staat Haity in 2 Zeilen abgefertigt.
Australische Staaten (S. 361). Die ganze Schilderung die-
ses Abschnitts ist in folgenden Worten enthalten : „Dieser Erd-
theil mit seinen Inseln gehört , ausser der 4516 D Ml. grossen
Ostküste von Neu -Holland, und der Insel van Diemensland,
über 1200 D Ml. gross , wo sich Brittische Kolonien befinden,
der Statistik eigentlich noch nicht an. Die einzelnen Tlieile
sind oben S. 241 — 244 beschrieben. Städte: a) in Neu-Hol-
land: Sidney, Bathurst, Windsor, Paramatta; b) auf der In-
sel van Dieraensland oder Tasmanien: Hobarttown, Brigton."
Letztere Stadt ist Rez. noch nicht bekannt. Auch hält er da-
für, dass die Sandwichs -Inseln und die Sozietäts- Inseln bereits
als Staaten betrachtet werden dürfen , und dass die Marianen
als Spanische Kolonien liätten bezeichnet werden sollen.
Dlttenberger : Geographie für Gymnasien ctc, 16T
Den Bcschluss des Werks machen : 1) eine Gebirgs-Tabelle (S.
362 — 303), gegen deren Ausdehnung sich manches einwenden
Hesse, da hier alle Gebirge, mit welchen das Innere von Asien u.
Afrika — jedoch bis jetzt leider nur erst auf den Charten —
angefüllt i>«t , in Reih und Glied geordnet sind. — 2) Eine Hö-
hen- Tabelle (S. 364 — 366), welche alle 5 Erdtheile nach der
Reihe vornimmt, und nach aufsteigender Höhe eingerichtet ist.
In Europa sind 153 , in Asien 31 , in Afrika 10 , in Amerika 41
und in Australien i) Punkte ausgehoben worden. — 3) Eine
Fluss - Tabelle (S. 367 — 371), welche mit dem in der Einlei-
tung untergelegten Maassstab nicht recht übereinstimmen will,
weil selbst Eyder, Xucar, Arno, Tiber u. s. w. als bedeutende
Flüsse hier ihre Stelle gefunden haben. In Asien wird der Ti-
gris als ein Hauptfluss bezeichnet , obschon er nichts weiter als
ein Nebenfluss des Euphrats ist. Dagegen ist in Süd-Amerika
der Tocantines , ungeachtet er sich durch den rechten stärkern
Arm unmittelbar ins Meer ausmündet, als ein Nebenfluss des
Marannou behandelt , weil sein kleinerer linker Arm sich mit
den Gewässern des Marannon vermischt. — 4) Ein 9 Seiten
langer Index aller Lateinischen Benennungen, und 5) ein 53 S.
langes Register. Ausserdem folgen noch unmittelbar auf die
Vorrede a) ein Inhaltsverzeichniss ; b) eine Erläuterung der
Versinnlichungscharten; c) eine Erläuterung der vorkommen-
den wichtigsten Abkürzungen (diese hat der Verf. gar nicht ge-
spart, ja hin und wieder so häufig angewendet, dass das Ver-
stehen erschwert wird — ); und d) ein Druckfehler - Verzeich-
niss , das jedoch leider nicht vollständig ist. —
Bemerklich rauss nun auch noch Rez. machen, dass der
Vf. in der Geogr. nach Naturgränzen nicht allein den Land-
schaften u. Städten , sondern auch den meisten Gebirgen, Seen
und Flüssen ihre Lateinischen Benennungen, und zwar überall
in besondern Anmerkungen beygefügt hat. LTnd dass diese
Nahmen in grosser Menge vorkommen, beweist schon der
oben genannte Index.
Eben so ist nrfch zu erwähnen, dass der Verf., um auch
den Lehrern, welche sich bey'm Unterricht auf den ersten
Kurs beschränken müssen, die Auswahl aus den in der Topo-
graphie dargestellten Orten zu erleichtern, denjenigen Städten,
welchen er in dieser Hinsicht den Vorzug ertheilt , ein Stern-
chen vorgesetzt hat. Jedoch scheint Rez. diese Auswahl nicht
immer ganz passend getroff"en worden zu seyn. Denn so sind
bey Spanien , um nur ein Beyspiel anzuführen, die Städte Gra-
nada und Jaen ohne Stern gelassen worden.
Endlich muss Rez. sich auch darüber missfällig äussern,
dass der Verf. bey Aufzälilung der Produkte so häufige Wieder-
hohlungen für nöthig gehalten hat. Denn man findet solche
168 Geographie.
niclit allein bey Beschreibung jedes Erdtheils, sondern auch
bey den einzelnen Ländern, ja nicht selten bey deren Unterab-
theüungen aufgezählt. Dass nun dergl. Wiederhohlungen den
Schüler wenigstens langweilen müssen , wo nicht gar vom eifri-
gen Studium der Geogr. abschrecken können , ist eine ausge-
machte Sache. Desshalb räth Rez. dem Verf. dringend an, bey
einer neuen Aufl. diesen Uebelstand zu vermeiden, und dafür
lieber die von neuern Geographen mit Glück befolgte Methode
anzunehmen, nach welcher die gewöhnlichen Erzeugnisse in
der allgemeinen Einleitung nach den Zonen, und, wo solches
nöthig, nach den Breitengraden aufgestellt, in der Beschrei-
bung der einzelnen Landschaften aber nur solche nachgehohlt
werden, welche denselben eigeJithümlich sind.
Papier und Druck dürfen nicht getadelt werden. Insbe-
sondere ist zu rühmen, dass der letztere, zumahl in den zwey
letzten Hauptabschnitten, so kompeudiös eingerichtet worden
sey. Denn häufig zählt man 56 bis 57 Zeilen auf einer Seite,
und 16 bis 22 Sylben auf einer Zeile. Druckfehler sind auch
nicht im üebermaass vorhanden.
Rez. könnte nun schliessen, wenn er nicht sich für ver-
pflichtet erachtete, dem Leser auch nocli über den Inhalt der
dem Werke beygegebenen Versinnlichungscharten Bericht zu
erstatten. Diese sind zwar nur lithographirt, aber so fein ge-
zeichnet und gestochen , dass sie mit jedem Kupferstich wett-
eifern können. Ueberdiess ist das Papier von ausgezeichneter
Schönheit. Jede der 5 ersten Tafeln ist 8 — 9 Zoll breit u.
7 — 8 Z. hoch. Die erste Tafel ist der Breite nach gespalten. Die
obere Hälfte enthält H Figuren, die zur Erläuterung der mathe-
matischen Geogr. dienen. Die untere Hälfte stellt den Fall
des Rheins und des Neckars von ihren Quellen an dar. (Die
Höhe der Rheinquelle ist zu 547T F. und die der Neckarquelle
zu 2448 F. angenommen.) Bey dem Rhein sind bis nach Kölln
lu'nab 20 und bey'm Neckar 7 verschiedue Höhen -Punkte nie-
dergelegt. — Die zweyte Tafel ist der Länge nach gespalten.
Die eine Hälfte besteht wieder aus 3 Figuren, von denen die
erste die Sonnenbahn oder Ekliptik und die schiefe Stellung
der Erde; die zweyte die Einwirkung der Sonnenstrahlen auf
die 5 Zonen, und die dritte den Umschwung der Erde um sich
gelbst und um die Sonne durch eine Maschine versinnlicht. Die
andre Hälfte stellt die Vegetations-Gränzen in den Alpen vor
Augen, und reicht vom Spiegel des Vierwaldstädter See's bis
zum Gipfel des M. Rosa hinauf. — Die dritte Tafel führt den
Titel: ^^Gränzen einiger Produkte in Europa^ nach den Brei-
iensraden von S. nach N.'-'- Es ist Schade, dass auf diesem
('härtchen die Südspitze Griechenlands und die Inseln Sizilien
und Kandia fehlen. Sie beginnt mit dem Zuckerrohr und der
Papierstaude im 38^ ßr. und endigt mit den Farrenkräutern
Dittenbcrgcr: Geographie für Gymnasien etc. 169
unter 7C Br. Warum sind aber nicht noch im ZH^ die Dattel-
palmen einrangirt worden'? Wein, Mais, Kastanien und wilde
Oelbäurae haben im 50" ihre Gränze erhalten. Aber der Wein
gedeiht, wie Meissen und Naumbiirjif lehren, auch noch unter
dem 51**. — Die vierte Tafel cntliält: ]) Darstellung der Län-
ge von 20 Strömen, und 2) Darstellung des Flächenraums eben-
falls von 20 Strömen. Erstere ist durcli Linien, letztere durch
Quadrate angedeutet. Dieser Flächenraum ist zugleich durch
Zaiilen angegeben , welche Rez. Jiier niitzutheilen fiir schick-
lich hält, i) Marannon 88,405, Plata 71, (»65, Obi 63,536,
Lorenz 62,330, Missisippi 53,536, Jenisei 47,001, Iloangho
33,686, Nil 32,620, Wolga 30,154, Ganges 20,224, Donau
14,423, Dnieper8534, Don 6088, Rhein 3598, Elbe 2800,
Oder 2072, Po 1410, Weser 874, Tiber 410 und Ems 234
□ Meilen. Sind aber die Quellen des Nils und des Iloangho
schon so genau erforscht , dass man sich an eine Berechnung
des Flächeninhalts ihres Stromgebietes wagen dürfte*? Auch
bey'm Missisippi ist diese Berechnung noch eine schwierige
Aufgabe, weil dessen von den Mexikanischen Gebirgen her-
abkommende Nebenflüsse noch nicht genau bis zu ihren Quel-
len hinauf bekannt sind. Dann ist es ein Uebelstand, dass der
Vf. bey der Angabe der Länge des Laufs nicht dieselben Strö-
me gewählt hat. Denn statt des Lorenz, Jenisei, Iloangho,
Nil, Ganges, Weser, Tiber und Ems sind dort Irtysch, Lena,
Tajo, Weichsel, Rhone und Themse aufgenommen. Auch
hat hier der Missisippi einmahl eine Länge von 952 und das
andere Mahl von nur 647, so wie der Marannon einmahl von
6'J4, und das zweyte Mahl von 622 Meilen erhalten. In der
obern Ecke derselben Charte ist noch das Stromgebiet der Do-
nau dargestellt, ohne dass jedoch die Nebenflüsse benannt
worden sind. — Die fünfte Tafel ist wiederum der Länge nach
getheilt. Die eine Hälfte bietet eine Vergleichung des Flächen-
inhalts von 24 Staaten dar, und zwar ebenfalls nach Quadra-
ten. Die zweyte Hälfte enthält dagegen eine Vergleichung der
Grösse und P'olksmenge mehrerer Staaten. Dieser Titel ist
aber nicht richtig gewählt. Denn man findet auf derselben nur
die Angabe, wieviel Menschen in 15 Staaten auf 1 □ M. kom-
men. — Die sechste Tafel endlich bringt eine Höhen -Charte
od. eine bildlich vergleichende Darstellung der wichtigsten Ber-
ge und anderer Punkte der Erde, nach ihrer Erhebung über
die Meeresfläche dar. Auf dieser allerdings sehr instruktiven
9^ Z. hohen und 12 Z. breiten Charte, auf welcher zu bey-
den Seiten die aufsteigende Höhe von 1000 zu 1000 Fuss , auf
die Weise , wie auf gewöhnlichen Charten die Breitengrade an-
gegeben sind , thürmen sich rechts mehrere der vornehmsten
Berge der alten, und links die der neuen Welt übereinander.
Dabey ist zugleich die Höhe mehrerer Orte als in der alten
110 Geschichte.
Welt von Heidelberg, Karlsruhe, Greenvvich, Basel, Nürnberg,
Bern, Madrid, Urseren, der Alpen, Hospitäler, und in der
neuen Welt von Caraccas , Loxa, Mexico, Bogota und Quito,"
so wie auch unter verschiedenen Breitengraden die Schneegrän-
ze angedeutet worden. Der höchste Gipfel der alten Welt wird
hier statt Dholagir, Dhavvalagen genannt. Der höchste Vulkan
der alten Welt ist hier der 12,000 F. hohe Pic de Teyde, und
der der neuen Welt der 18,000 F. hohe Cotopaxi. — Rez.
schliesst diese etwas lange Beurtheilung mit der Versicherung,
dass der Preiss dieses 20 Bogen starken, enggedruckten Werks,
zumahl wenn mau auf die 6 beygegebenen Charten Rücksicht
nimmt, äusserst billig gestellt sey.
Dr. Weise.
Geschichte.
Lehrbuch der Staatengeschichte des Alterthums
und der neuern Zeit iür deut. Gjinnas. Von Chr. Friedr.
Ferd. HaackCy Rector zu Stendal. Dritte verLesserte und venu.
Auflage. Stendal , Lei Franzen und Grosse. 8. 1 Thlr. 12 Gr.
Erster Tlieil. Alte Geschichte^ mit geogr aphi"
schen Einleitu7igen. 1824, VI und 238 S. Zweiter Tli.
Mittlere und neue Geschichte. 1825. XII u. 492 S.
Dazu: Synchr onistische Tabellen zum Lehrbuch
der Staatengeschichte von Chr. Fr. Ferd. Haacke gehörig. 1824.
Drei Tahellen für die alte, zwei für die mittlere und zwei für
die neue Geschichte.
Äowohl der Name des in der Schul- und Gelehrten -Welt
rühmlich bekannten Verfassers, als auch der wiederholte Ab-
druck des vor uns liegenden Geschichtswerkes scheint für die
GVite U.Brauchbarkeit desselben zu zeugen. — Auch hat Hr. Re-
ctor Haacke dieses Zeugniss dadurch zu ehren luid in einem
erhöheten Grade zu verdienen sich bemüht , dass er in der ge-
genwärtigen dritten Auflage seines bist. Lehrbuchs theils den
Quellennachweis erweitert, theils die Griechische Geschichte
ausführlicher behandelt hat. Wenn er indess in Ansehung die-
ses letztern Punctes in dem kurzen Vorbericht oder vielmehr
Vorworte bemerkt , „dass die beigefügten u. durch den Druck
unterschiedenen Zusätze von denen, die ihrer nicht bedürfen,
leicht überschlagen werden können," so wissen wir nicht,
wie wir diese Bemerkung mit der lehr- inid schriftstelleri-
schen Besonnenheit und Einsicht des würdigen und verdienten
Haacke : Lehrbuch der Staatengeschichte. 171
Mannes in Einklang: bringen sollen. Denn ein anf ein wohler-
MOgenes Lelirbediiriniss ökonomisch angelegtes u. berechnetes
Schulbuch darf nichts, was überschlagen werden könnte, also
nichts Ueberflüssiges; sondern soll eher zu wenig als zu viel
enthalten. Ja! wenn irgend wo das nc quid nimis! als eine
goldene Ilausregel zu empfehlen seyn dürfte, so ist es bei
Abfassung von historischen Schulbüchern , die zur Zeit durch
die Masse u. Magazinirung der in ihnen aufgestapelten Materia-
lien alle Schranken der Lehrgebicte zu durchbrechen und die
einzig richtige, auf Klassenstufen zu basirende Lehrmetho-
dik der Geschichte für Schulen zu untergraben drohen. Möch-
ten wir doch, wie in andrer, so auch in dieser Hinsicht zu der
historiographisch. Lehrweisheiteines Gatterer, Schlözer,
Spittler, Wachler und anderer zurückkehren, die in all-
gemeinen Zügen und grossartigen, d. h. durch irgend eine cha-
rakteristische Idee gehobenen und gleichsam colorirten Ent-
würfen für das Lern- und Lehrbedürfniss auf Schulen und Uni-
versitäten sorgten, die nur historische Lineamente und Skiz-
zen zu Papiere brachten und in den Druck gaben, die Füllung
und Färbung der Umrisses dem mündlichen Vortrage und der
individuellen Lehrfreiheit überlassend! Auch unser Verfasser
würde theiis die so eben gerügte Bemerkung beseitigt , theils
manche Parthien seines Lehrbuchs kürzer gefasst, überhaupt
mehr an sich gehalten haben , wenn er ein bestimmtes und ab-
zugrenzendes Lehr- und Klassen -Gebiet im Auge behalten,
und sein Lehrbuch nicht mit dem vagen Titel „/'«r deutsche
GymnasieJi'-'' versehen hätte. Denn wenn gleich der erfahrene
«nd geübte, d. h. mit dem Umfange und der Bestimmung des
hist. Gymnasial -Unterriclits methodologisch vertraute Lehrer
nicht einen Augenblick iiber die Benutzung des Ha a ck eschen
Lehrbuchs und den Grad seiner Brauchbarkelt in Zweifel seyn
kann, so wird doch z. B. der junge und angehende Lehrer der
Hlten Geschichtsklasse mit sich uneins seyn und bleiben, ob
und in wie weit er von dem ihm dargebotenen hist. Gymnasial -
Lehrbuche Gebrauch machen könne und dürfe. Wir benutzen
indess diese Wendung, die unsere kritische Berichterstattung
genommen , um einer solchen Verlegenheit sofort zu begegnen,
indem wir dem fraglichen Lehrbuche der Staatengeschichte
und zwar zunächst dem Isten Tlieile, welcher die alte Ge-
schichte enthält, seinen didaktischen Standpunct anweisen,
und hiermit zugleich den nach Hilfsmitteln suchenden und in
der historischen Litteratur noch unbewanderten Lehrer vor
MissgrifFen verwahren. Denn irren wir nicht , und berechtigt
uns eine 15jährige praktische Erfahrung auf dem Felde des
hist. Schulunterrichts zu einiger Competenz des Urtheils , so
dürfte das gedachte Lehrbuch mehr für Schüler ^ als für Leh-
rer ^ insonderheit aber für den Lehrer der II und III histori-
172 Geschichte.
sehen Klasse auf Gymnasien ein bi'auclibares Vorliereitungs-
buch — jedoch nur für den ersten Anlauf — seyn, — Für Schule?'
enthält dasselbe ein Detail (vornehmlich der äussern Staaten-
gescliichte ) , das tlieils den Präparations- und Repetitions-
Fleiss erschwert, theils das Interesse des mündlichen Lehr-
vortrages schwächt; jene?i, eben weil es Detail und zwar ein
leicht auseinander fallendes, nicht zu einem leicht übersehli-
chen Ganzen oder zu fruchtbaren An- und üebersichten verar-
beitetes Detail ist ; dieses, weil es dem Unterrichte des Lehrers
zu viel und gerade dasjenige vorweg nimmt, was derselbe am
leichtesten zu liefern vermag, nämlich einzelne chronische und
factische Notizen. Denn wenn der historische Schulunterricht
seine volle Wirkung auf Geist u. Gemüth des zu Unterrichtenden
äussern, namentlich aber zur Vorübung in der Kunst dienen soll,
den freien Vortrag des Lehrers entweder ganz frei oder epito-
niatorisch aufzufassen, und demgemäss ganz oder theilweise zu
reproduciren , so muss dem Lehrling ein gewisses Fach- und
Register- Werk gegeben und dem Lehrer die angemessne Aus-
füllung und Bekleidung desselben überlasen werden. Und ein
Lehrbuch der Geschichte für Schulen wird um so vollkommner
seyn, je vester und kräftiger, je pragmatisch -gebundener und
für eine bestimmte Bildungs- und Klassen -Stufe zusammenge-
haltener das Fach- und Dach -Werk ist, das in demselben
lichthell und wohnlich aufgestellt und aufgeschlagen ist. —
Für Lehrer in de?- ersten Geschichtslclasse dürfte das Lehrbuch
aber d esshalb weniger brauchbar seyn, weil es bei allem sei-
nen Reichthum an politischen Thatsachen und deren ins Ein-
zelne gehenden Darlegung doch manches höchst wichtige und
lehr- und wissenswerthe entweder gar nicht oder nicht in
zweckmässiger Ausführlichkeit enthält, wohin wir unter andern
das Verfassungs-, Religions- und Cultur- Wesen der Völker
des Alterthums , so wie die Darstellung des specifischen Un-
terschiedes des orientalischen und occidentalischen Völkerle-
bens , endlich die Schriftstellerkunde rechnen. Denn die Ge-
schichte des Alterthums ist die Pforte , die in das Ileiligthum
der klassischen Autoren einführt, und wer den Iiistorischen
Schlüssel zu derselben nicht hat, wird manchen gepriesenen
Autor vielleicht als eine erhabene Trümmer einer grossen Ver-
gangenheit anstaunen, aber zum Studium desselben weder
Kraft noch Licht in sich fühlen. —
Wenn daher Hr. Rector H a a c k e kein Lehrbuch für irgend
eine bestimmte Lehrstufe und Klasse ausarbeiten wollte, so
musste er sich auf den Titel ^för Mittelklassen^ insonderheit
zum Frivatgebrauch für Lehrer'-'' beschränken; denn so brauch-
bar sein Buch auch für den Wiederliolungsfleiss des Schülers
secyn mag, so eignet es sich doch im eigentlichen und eugera
l^inne uiclit für die Schule und Klasse entweder als Leitfaden
Haacke: Lehrbach der Staatengeschichte. 173
zur weitern mündlichen Entwickclnn^, oder gleichsam als Au-
tor und Text zur Erklärung und Comnientirung von Seiten des
Lehrers. Hätte dagegen der Hr. Vf. alles das, was an Noti-
zen aus der Kriegs- und Regenten -Geschichte der mVindliche
Vortrag zu geben und zu dem Grunde eines Compendiiim's zu
ergänzen hat, von seiner Arbeit ausgeschieden, auf der an-
dern Seite in dieselbe mehr Thatsachen und Resultate aus den
Innern Lebens- und Staats- Verliältnissen der Völker aufge-
nommen, so würde er auch nicht nöthig gehabt haben auf seine
Lehrbücher der Griech. und Römischen Antiquitäten, als auf
Hilfs- und Ergänzungs- Bücher für das Lehrbuch der Ge-
schichte, hinzuweisen, zumahl da das, was in den vulgären
Lehrbüchern der Antiquitäten als ein wissenschaftliches Ganze
aufgestellt ist, theils aller wissenschaftlichen Idee und Form
entbehrt, theils und wenigstens für Schulen dem Lehrgebiet
der Geschichte, aus dem es sich abgesondert und verloren
hat, wieder vindicirt werden sollte. Möchte es daher dem
thätigen Verf. gefallen , bei einer neuen Ausgabe seines Lehr-
buchs dasselbe mit den gedachten antiquarischen Compendien
zu Einem organischen Ganzen zu verarbeiten und in demsel-
ben vornehmlich alles dasjenige recht anschaulich hervortreten
zu lassen, was sich als das innere Staatsleben der klassischen
Völker ankündigt. Zum Muster, nach welchem der Vf. seine
neue Arbeit zu modificiren haben würde, empfehlen wir Hee-
re n's treffliches Handbuch der Geschichte des Alterthums. —
Uebrigens hat das Haackesche Lehrbuch, auch Avie es jetzt
gearbeitet liegt, und indem es in einer gewissen Mitte zwischen
den ihm verwandten Werken von Bredow, Eichhorn,
Presch u. a. steht, bereits sein Publicum gefunden und wird
es ferner finden, wiewohl wir es überhaupt nur zu den mittel-
mässigen Producten auf diesem Felde der Litteratur zählen,
und demselben weder in materieller noch formeller Beziehung
einen durchgehenden und wesentlichen Vorzug vor seinen Ri-
valen beimessen können; am wenigsten möchte dasselbe aber
mit andern und neuerlich erschienenen Lehrbüchern der alten
Geschichte, z. B. mit dem mehrseitig ausgezeichneten von El-
len dt eine zu seinem Vortheile ausschlagende Vergleichung
bestehen. Zum Erweis dessen bedarf es keiner durchgreifen-
den Kritik , die der ersten Auflage bereits durch andere kriti-
sche Blätter geworden ist, sondern nur eines hier und da ein-
schlagenden Obelus. — Wir wählen zu dieser kritischen Re-
cognition die allgemeine nur 10 Seiten befassende Einleitung,
in deren Bearbeitung sich der Verf. am freiesten bewegen und
theils den denkenden und methodischen Lehrer, theils den um-
fassenden Geschichtskenner bekunden konnte. —
Vergebens sehen wir uns nach einer präcisen Erklärung
des Begriffes Geschichte um; vergebens nach einer genauen Er-
114 Geschichte.
örterung und üntersclieidung Toii Erzählung und Beschreibung,
und eben so vergeblich nach einer gründlichen Eintheilung
theils der historischen Disciplinen überhaupt, theils der eigent-
lichen oder politischen Geschichte. Eben so unvollständig und
unbestimmt ist die Definition vom Staat (ein Verein von Men-
schen, die Menschenrechte zu sichern), so wie von Verfassung
(die Innern Einrichtungen machen die Verfassung des Staates
aus! *?). Noch unbefriedigender sind die 6 Zeilen, welche die
ünentbehrlichkeit und den Nutzen der Geschichte darlegen
sollen, worüber doch der Verf. schon in RVihs Propaedeutik
eine ampla messis fand. — Die neueste Geschichte soll eine
Geschichte des Tages, und die mittlere Geschichte von der
Art seyn, dass sie sich im Vortrage von der neuern Europ.
Staatengeschichte nicht füglich trennen lasse: so wenig gilt al-
so dem Verf. das Mittelalter als ein für sich bestehendes und
charakteristisch abgeschlossnes Ganze (Siehe jedoch Th. II,
Einleitung). Die Wichtigkeit der Sagengeschichte ist kaum
angedeutet, geschweige ausgeführt; eben so die Periodologie
(das Mittelalter schliesst mit der Entdeckung von Amerika —
als wenn ein erst 100 Jahre später universal -wirksam u. wich-
tig v/erdendes Ereigniss ein ganzes Zeitalter abdämmen und ab-
marken könnte!); als Hilfswerk für Mythologie wird die Com-
pilation von Fiedler , weder Voss nochCreuzer empfoh-
len, noch sonst ein Wink zur Orientirung auf diesem labyrin-
thischen Hypothesen -Felde gegeben.
In Verfolg des ersten Lehrabschnitts heisst es : Die Quel-
len der alten Geschichte seyen zuverlässiger als die der neuern
(eine unerweisliche Behauptung); als Hilfsmittel zur Kenntniss
der alten Geschichte wird Galetti's Gesch. d. St. u. V. d.
Alterthums angeführt (durchaus nicht erapfehlungswerth, wo-
gegen wir Beck 's Namen und Hauptwerk vermissen).
Der Verf. beginnt mit der Geschichte der altern Babylo-
nier und absolvirt sie höchst dürftig in fünf kurzen Paragra-
phen: also von Indien und Heeren's Forschungen und ge-
haltvollen Resultaten keine Spur! Das scheint demnach der
Grundübelstand des Werkes auch in seiner erneuerten und ver-
besserten Gestalt zu seyn, dass das Neuere und Bessere weder
im Inhalt noch in der Darstellung benutzt ist, dass die Völker
und Staaten des Orients mit Dürftigkeit behandelt und ober-
flächlich abgefertigt werden, dass selbst die geographischen
Notizen sich nicht über 3Iannert's Compendium erheben,
dass die Anordnung und Ausführung der einzelnen Parthien we-
der durch wiederholte Uebersichten und passende Uebergänge
vest und lichtvoll gehalten, noch mit Ebenmässigkeit ausge-
führt sind (wie denn z. B. das Verzeichniss der Symmachien
Athens und Sparta's im Pelop. Kr. zwar den Kenner des Thucy-
dides, aber weniger den historischen Methodiker verräth);
Haacke: Lehrbuch der Staatengeschichte. 175
endlich, dass der historische Styl des Verf. ein sehr trockner
und dabei zerstückelnder Lehrstyl ist, der ohne irgend
eine Farbe, Frische und Lebendigkeit sich eben so fern hält
von der Kräftigkeit und Gedrängtheit eines Bredow, als von
der Gewandtlieit, Fülle und >Vänne, welche die Lehrbücher
von Pölitz auszeichnet. Und doch sollte ein historisches
Lehr- und Schulbuch, wie in seinem Inhalte gewählt , so auch
in Form und Ausdruck mit möglicher Sorgfalt gearbeitet und
gefeilt, und für Lehrer und Schüler gleich anregend, Styl bil-
dend , kurz mustergiltig seyn ! —
Die Anzeige der Quellen ist mehr einseitig als durchge-
hend und nicht wohl geeignet , den Lehrling zum eigenen Quel-
lenstudium anzuleiten und anzuregen. Zu dem Ende war eine
Charakteristik der Haupt - Quellenschriftsteller unerlässlich ! —
Doch wir brechen ab und wenden uns zum zweiten Theil des
Werks.
Wenn dieser 2te Theil den ersten an Bogenzahl übertriiFt,
so ist nicht sowohl dieser, sondern vielmehr der Umstand be-
raerkensvverth und erfreulich, dass Grösse und Umfang doch
in den gemessnen Grenzen eines handlichen Schulbuches ge-
blieben , da genannter 2ter Theil die überschwengliche Masse
der Begebenheiten des sogenannten Mittelalters und der neuern
Zeit bis auf das Jahr 1818 umfasst. Diese allerdings zweck-
mässige und löbliche materielle Beschränkung eines für Schul-
und Unterrichts -Zwecke bestimmten Buches (denn ein Schul-
buch muss compendiarisch in Form und Inlialt seyn ) hat der
Hr. Verf. theils durch epitoraatorische Kürze und Gedrängtheit
des Dargestellten und der Darstellung theils dadurch zu errei-
chen sich bemüht, dass er die neue Auflage nur mit wenigen
Abänderungen, und unerheblichen Zusätzen und Ergänzungen
nur in der Geschichte der Kreuzzüge und der neusten Zeit, zu
verbessern und zu erweitern sich veranlasst sah. Um aber die
materielle und formelle Kürze und Gedrängtheit des Verf., zu-
gleich aber auch in einem Beispiele zu zeigen, nach welchen
Grundsätzen derselbe eine historische Arbeit für den Schulbe-
darf einrichtet, wählen und stellen wir den Uten Abschnitt S.
56 aus, der auf dieser und den 4 folgenden Seiten die Ge-
schichte des Mohammed und der Araber skizzirt enthält. —
Er lautet, wie folgt: ,,Der merkwürdige 3Iann — heisst es §
55 — der in diesem Lande als Keligionsstifter auftrat, und der
Gründer eines der grössten Weltreiche wurde, Mnhamed war
570 geboren , und zeigte von Jugend auf viel JN achdeiiken und
eine feurige Phantasie. Das Unglück des bedrängten Vater-
landes, das daraahls von Persern und llabessiniern geschmälert
ward, ging ihm zu Herzen, und er hielt sich berufen der
Retter desselben durch einen neuen Glauben zu werden. Auf
das Volk wirkten seine Orakel, und seine Flucht nach Medina
176 Geschichte.
d. 16 Juli 622, wozu Partheigeist ihn nöthigte, war der Anfangs-
punct seiner öffentlichen Wirksamkeit. Seine Parthei vermehrte
sich , und nach 7 Jahren vermochte er mit seiner begeisterten
Schaar seine Feinde in Mecca zu besiegen. Nun forderte er
Annahme des Islam, die in Arabien willig erfolgte, weil seine
Gesetze dem Charakter der Nation , seine Lehre dem Glau-
ben der Väter gemäss war. Auch zu den Nachbarn trugen die
Gläubigen den Islam mit dem Feuer der Begeisterung, die eine
neue Lehre einflösst. Der Feldhauptmann Chalid eroberte mit
etwa 4500 Gläubigen die Länder zwischen dem Tigris und
dem Mittelmeer, die damahls Persern und Griechen gehörten.
Die Christen, mit Ausnahme der Mönche schonte er, wenn sie
sich dem Tribut unterzogen. Muhamcd starb an Gift 632 u. s.
w." — Wir bemerken zur Kritik diesses Passus nur Ein und
das Andere.
Abgesehen davon, dass das Geburtsjahr Mohammeds hi-
storisch ungewiss, dass das Häuflein Gläubiger, das die Län-
der zwischen dem Tigris und3Iittelmeer erobert, ein Arabisches
Mährchen ist, dass die Unterdrückung des Landes durch Per-
ser undllabessinier weder so allgemein noch so bedeutend war,
um in dem Mohammed einen Moses zu erwecken, dass die Be-
hauptungen: seine Lehre Mar dem Glauben der Väter gemäss
und die neue Lehre flösste Begeisterung ein, sich theihveise
aufheben, dass der Zug: Moh. zeigte viel Nachdenken, flach
und ausdruckslos, dass Partheigeist — Islam — Chalif, Koran
u. s. w. weder an und für sich für hist. Lehrjünger verständ-
lich, noch genügend erklärt sind, dass das: nun forderte er
Annahme u. s, w. ungehörigen Orts steht: so düifte die ganze
Stelle wohl eine von den vielen im Buche seyn, die weder von
dem Schauplatze, noch von dem Helden der Begebenheit, noch
von der energischen Kraft und erschütternden Thätigkeit
desselben nicht einniahl eine klare Vorstellung, geschweige
eine verhältnissmässig deutliche und vollständige Beschrei-
bung, geschweige eine das Jugendgemüth anregende und er-
greifende Schilderung liefern. — Rec. würde die unter den
obigen Titel gehörige Materie — in Form einer historischen
Chrie — etwa so angeordnet haben: A) die Araber vor und
zur Zeit Mohammed' s ; B) die Aruber (Mohammedaner) nach
Mohamjned. — I) Ansicht vom Lande oder Schilderung der
Arabischen Halbinsel — nach Ritters meisterhafter Vorarbeit.
II) Ansicht vom Volke oder Schilderung des Arabischen Volks-
stamraes in seiner hervorstechendsten physischen und raoral.
Eigenthümlichkeit zur Zeit des M. (ebenfalls nach Ritters
Musterbehandlung). III) Ansicht von dem politischen^ religiö-
sen ujid bürgerlichen Zustande der gleichzeitigen Hauptvölker
(insonderheit der Perser, Byzantiner, der Christen und Juden),
um hieraus wie aus der sittlichen und religiösen Versunkenlieit
Haacke : Lehrbuch der Staatengeschichte. 1T7
und Verworrenheit des Arabischen Volkes, wenn nicht die
Nothwendigkeit doch die Natürliclikeit einer neuen Rcligions-
stil'tun^ darzuthun. IV) Mohammeds Auftritt (Geburt, Fami-
lien-Stamm, Standes- Verhältnisse, Charakter, Lehre, Le-
ben u. s. w. — Mohammed muss dem Jüngling als Orientale,
als Emir, als Enthusiast, Prophet, Fiirst und Papst seines Lan-
des und Volkes erscheinen, als ausserordentlicher 3Iensch, als
eine universalhistorische Person, als ein nothwendiges Glied
in der Kette der Dinge, als ehi Werkzeug in der Hand der die
Menschheit erziehenden Vorsehung, wobei obgleicli in sehr
untergeordneter Beziehung und Bedeutung zu Moses und Chri-
stus). V) Verbreitung von Mohammeds Lehre (Islam, Koran,
aus welchem den Schülern einige Stellen mitzutheilen) durch
Arabien , über «S Erdtheile. VI) Herrschaft der Mohamtneda-
wey (Chalifen, Chalifate), VII) Welterschütternder und welt-
bildender Einßuss des Mohammedanis mus u. s. w. , — kurz das
Ganze sei eine in zweckmässigen Einzelnheiten durchgeführte
synchronistische Monographie des Entstehens, Wachsthums,
der Blüthe, des Verfalls der Arabisch -mohammedanischen Re-
ligionsherrschaft mit besonderer Berücksichtigung der Momen-
te ihres meteorartigen Steigens und Sinkens. — So wenig Reo.
diese chrienartige Disposition zur Grundlage einer Musterbe-
handlung des historischen Stoffs für die Schule unbedingt em-
pfehlen kann und mag, so glaubt er doch die Bedingungen und
Grundsätze gegeben und vorgezeichnet zu haben, tinter und
nach tcelchen er selbst sein Material für seine historische Ite
Kl. abzuhandehi pflegt, und wenn er den Wunsch ausspricht,
dass diess in ähnliclier Form auch unter ähnlichen Verhältnis-
sen geschehen möge, so hat er die Erfahrung für sich, dass
nur durch Hervorhebung des Wesentlichen und Charakteristi-
schen, Erhebenden und rein Menschlichen, in der Menschen -
und Völker -Geschichte ein heilbringendes bist. Studium auf
Gelehrtenschulen gefördert und erzielt werden kann. — Herr
Rect. Ilaacke würde sich daher noch verdienter um seine und
die Gymnasial- Jugend des Vaterlandes, für die er geschrieben,
gemacht haben, wenn es ihm gefallen hätte, in seine politische
oder Staaten -Geschichte mehr Elementar -Notizen aus der Sit-
ten-, Religions-, Kunst-, Cultur- und Verfassungs -Geschichte
der Völker aufzunehmen, auch, wie in dem Iten Th. des Lehr-
buchs, die Quellen anzudeuten; überdiess mehr Gemähide und
Gruppen von Thatsachen, die den gesellschaftlichen Zustand
und den allgemeinen Gang des Völkerlebens charakterisiren,
als ein Aggregat von minder bedeutenden Facten aus der Re-
genten-und Kriegshistorie aneinander zu reihen; dabei stets
den Hausbedarf und das Interesse der historisch zu unterrich-
tenden Jugend im Auge zu behalten, und jenen eben so wenig
durch UeberfüUung zu gefährden, als dieses durch Entziehung
Jahrb. f. Flui. u.Fääag. Jahrg. HI. Heft 10. J2
178 Kleinere S chulschrif ten.
des mittelst Vortrag und Darstellung zu entbindenden Wärme-
stoffs zu kälten und niederzuschlagen. Hätte, wie gesagt, Hr.
llect. Haacke mehr fiir das eigene Lehrbedürfniss, und weni-
ger für das allgemeine Lesebedürfniss gearbeitet, so würde
sein Buch als Schulbuch an Werth und Brauchbarkeit gewon-
nen haben. So m ie es jetzt liegt, eignet es sich weniger zu ei-
nem Lehrbuche, als Grundlage und Gerippe für den mündlichen
Vortrag und als ein Ersatzmittel der Dictata, sondern vielmehr
zu einem Lese- und Ilepetitions- Buche für Schüler, d. h. für
Scliolaren der I und H historischen Klasse auf Gymnasien. Und
wie dasselbe in materieller Hinsicht ein mit Urtheil und Beson-
nenheit angelegter Auszug aus den Handbüchern von Eich-
horn, Rotteck, Pölitz u.a. oder wenigstens eine Vorbe-
reitung auf diese und andere Staatengeschichten (ausführlichere)
zu seyn scheint: so nähert es sicli auch in formeller Beziehung
denselben, wenigstens erinnert der Styl an die Lebhaftigkeit
und rhetorische Gewandtheit jener Historiker, und hat wesent-
liche Vorzüge vor der im li^w Th. herrschenden Magerkeit und
Trockenheit. — Von der Benutzung anderer und neuerer Histo-
riker, eines Luden, Rülis, Rehm u. a., zeigt sich wenig
Spur, und doch lag diePfliclit und derGenuss der Vergleichung
und Benutzung gleich nahe! Die Periodeneintheilung ist mehr
oberflächlicli als tief, und beruhet eben so Menig als der bei-
gegebene Tabellen -Entwurf auf neu erforschten oder alt- be-
währten Grundsätzen. Unerlässlich Mar zur vorläufigen An-
und Uebersicht des Ganzen, und wenn auch nur als Capitel-
Ueberschrift ein der jedesmaligen Special- Geschichte voran-
zustellendes Summarium der epochemachenden Personen und
Begebenheiten, oder eine Periodik nach biographischen Prin-
cipien und Momenten, worüber Schlözer in seiner Vorstel-
lung der Universal -Historie, wenn auch in derber und barok-
ker Manier, doch eben so viel Wahres als Beherzigungswer-
thes für jeden Schulhistoriker gesagt hat.
Kleinere Schulschriften,
Staat^ Schule und Haus müssen in ihr en Strebun-
gen eins seyn^ wenn das Werk der Jugendbil-
dung gedeihen soll. Eine Schulrede von J. C. Leber.
Hantschkc. Progr. Elberfeld, Schönian'sclie Buchliandlung. 1827.
16 (8) S. gr. 4.
Hantschke's Schulrede, u. desselb. Zuschr. an das gross. Publlcura. 179
Wesen und Zweck des Gymnasialunterrichtes.
Eine Zuschrift an das f^rössere Publikum. Nebst einer Beylagc aus
Dr. Martin Luthers Schrift an die Ilatbsherrn aller Städte üeutscb-
lands etc. Von Dr. Joh. Carl Leberecht Ilantschke , Oberlehrer an
dem Gymnasium zu Elberfeld. Elbcrfeld, Scbönian'scbe Buch-
handlung. 1827. 26 S. gr. 8. geh. 6 Gr.
M*ic Sclnilrede des Hrn. Dr. Ilantschke, die einen Theil des
Elberfelder Ilerbstprogr. vom J. 1827 ausniaclit, und die be-
sonders erschienene Zuscliril't an das grössere Publikum kön-
nen ihres Terwandten Inlialtes und Ursprungs wegen füglich
mit einander verbunden werden. Sie sind unverkennbar aus
lokalen Verhältnissen des Gymnasiums zum Publikum hervor-
gegangen, welchem direkt und indirekt Mangel an gehöriger
Würdigung und allseitiger Förderung der Gyninasialstudien zur
Last gelegt wird. Aber auch anderwärts fehlt es leider! noch
immer in beydcr Hinsicht, und der behandelte Gegenstand hat
sonach nicht bios für Elberfeld Interesse.
Die allseitige Förderung der Gymnasialbildung macht das
eigentliche Thema der Schulrede aus, mit der richtigen Wür-
digung der Gymnasialstudien insbesondere beschäftigt sich die
Zuschrift an das grössere Publikum. Wenn nun der Hr. Verf.
in ersterer Hinsicht nicht nur für Elberfeld Treffendes gesagt,
sondern auch Manches berührt hat , was anderwärts ebenfalls
beachtet zu werden verdient, so ist ihm in der andern Hinsicht
beydes misslungen. Das Elberfelder Publikum kann und wird
es nicht gleichgültig aufgenommen haben , was ihm über die
ausgezeichnete Sorgfalt des Preussischen Staates für Bildung
tüchtiger Staatsbürger aus allen Klassen in der Schulrede tref-
fend zu Gemüthe geführt wird; es muss die Schulzwecke eh-
ren, die in Rücksicht des Unterrichts und der Erziehung ange-
geben werden, und hat allen Grund, auf Beseitigung der Hin-
dernisse bedacht zu seyn , welche die häusliche Erziehung der
öffentlichen in den Weg legt. Anderwärts sind die Bemühun-
gen Preussens für die gesammte Jugend bildung , und die Gym-
nasialbildung insbesondere, bekannt; wenn jedoch der Hr.
Verf. sagt, dass aus der Schule, und aus einem Gymnasium
insbesondere, die Bildner der Jugend, die Lehrer des Volkes,
die Bürger und Unterthanen, die erwerbende und handelnde
Klasse, die Geschäftsleute für alle Verzweigungen des staats-
bürgerlichen Lebens, die Berather des Fürsten, die Träger und
Stüzen des l'hrons hervorgehen sollen , so verträgt sich diese
Forderung allerdings mit dem Elberfelder Gymnasium, an wel-
chem, nach dem übrigen Inhalte des Prograiums, Bürger- und
Gelehrtenschule lokaler Verhältnisse MCgen vereinigt sind,
aber sie ist nicht einmal für die Preussischen Gymnasien ailge-
meia geltend, viehveniger allgemein gültig. Darum ist es auch
12*
180 Kleinere Schulschriften.
nur relativ richtig , dass die höhere oder gelehrte Schule die
dereinstigen Staatsbürger mit den für alle Fächer und Zweige
des staatsbürgerlichen Lebens erforderlichen Kenntnissen und
Fertigkeiten auszurüsten liabe. Allgemein lässt sich diess nicht
behaupten , und eben so wenig diesem Hauptzweck die Sorge
für frühzeitige Begründung staatsbürgerliclier Gesinnungen in
den jugendlichen Geuiüthern als Aufgabe geradezu coordiniren.
Wenn ersteres den Unterricht angeht, so fordert die ihm zur
Seite stehende Erzieliung doch alier Orten mehr als das lez-
tere, ohne damit ein örtliches und zeitliches Bedürfniss der
besondern Beachtung staatsbürgerlicher Gesinnungen, oder die
Einbildung, Anmaassung, Dünkelhaftigkeit, Aufgeblasenheit,
Kechthaberey und Widerseziichkeit unserer Jugend, nur nicht
überall als JN ach wehen früherer Verirrungen eines durch unge-
wöhnliche Zeitereignisse veranlassten Freyheitsschwindels, in
Abrede stellen zu wollen, eben so wenig als das dringendste
Bedürfniss kräftiger Ankämpfung ge^tn solche und ähnliche
Entartungen für Schule und Haus zu misskennen. Diese trauri-
gen Erscheinungen haben gar zu häufig ihre nächste und Haupt-
veranlassung in verkehrter häuslicher Einwürkung, welche über-
haupt den Bemühungen der Schule nach des Hrn. Verf. Ansicht
theils aus gänzlicher ünbekanntschaft der Eltern mit dem We-
sen und Zweck eines Gymnasiums , theils aus vorurtheilsvollen
spiessbürgerlichen Lebens- und Bildungsansichten, theils aus
Mangel eines allgemeinen Schulsinnes und Widerstreben gegen
den Erziehungsernst der Schule hemmend entgegentritt. Ander-
wärts finden sich diese Dinge mit ihren unseligen Ergebnissen
wohl auch, aber man schweigt manchmal lieber dazu, als dass
man sich öffentlich bey schicklichen Gelegenheiten darüber
ausspricht, um es mit den bösen Leuten nicht zu verderben,
die man ohnehin nicht mehr ändere. Der Herr Verf. hat den
Gymnasien, welche mit tlenselben oder mit verwandten Hera-
raungen zu kämpfen haben, ein nachahmungswerthes Beyspiel
gegeben, sich darüber vor versammelten Schülern und Leh-
rern, Gönnern und Freunden, Begründern und Vorstehern der
Schule mit Offenheit und treffenden Bemerkungen zu erklären,
üeberhaupt rauss diese Schulrede, ungeachtet einzelner Aus-
stellungen, jeden Schulmann, dem es mit seinem Amte Ernst
ist, freundlich ansprechen.
Unbefriedi-'t hingegen legt der Scliulmann die Zuschrift
an das grössere Publikum aus den Händen, und diess nicht et-
wa darum, weil ihm nichts geboten wird, das er nicht schon
wiisste, sondern weil sie der Absicht nicht entspricht, die sie
sicli selbst vorsezt, mag man nun zunächst an El b er fei d und
die Umgegend oder an einen weitem Kreis denken, wo es an
richtigem Urtheil über die Würksamkeit eines Gymnasiums ge-
bricht. Denn will man diese mit dem Hrn. Verf. durch dieBe^
Hantschke's Schulrede, u, dessclb. Zusclir. an das gross. Publicum. 181
stimmaiig desjenigen kenntlich maclien, was Wahres nnd Fal-
sches an der Ansicht sey , als ob aiii" einem Gymnasium nur
Griechisch und Lateiniscl», oder heydes docl» vorzugsweise,
mit Ilinlansezung anderer Sprachen «ind WissenscIiaTtcn, ge-
lelirt und gelernt, folglich nur die IJildung des eigentlichen
Studirenden oder des sogenannten Gelehrten bezweckt würde;
so liesst man am Ende, anstatt iiber Wesen und Zweck des
Gymnasiaiunterrichts belehrt zu werden, eine Apologie desGrie-
einsehen und Lateinischen gegeniiber einem verstockten Publi-
kum, das wahrscheinlich alles nach augenblicklichem iVuzeu
oder auch nach Procenten zu bemessen gewöhnt ist. Diesem
Theildes grössern Publikums wird es dann auch ziemlich gleich-
gültig seyn, woher wir unsere Gymnasien haben und wie sie ge-
worden sind ; erdenkt vielleicht gar, der geschichtliche Ur-
sprung derselben sey nicht der Gesichtspunkt zu ihrer richtigen
Würdigung, denn sonst hätte man sich von dem Trivium und
Quadrivium niemals entfernen dürfen. Er kann es zugestehen,
dass durch Griechisch und Lateinisch die Denkkraft geübt und
gestählt werde, und dennoch die Nothwendigkeit der alten Spra-
chen fürGewerhsbefähigung und allseitige Entwicklung der Gei-
steskräfte läugnen. Er braucht den Gymnasien den gesteiger-
ten Denkstoff nicht anzustreiten, ohne darum ihren ganzen Lehr-
kreis zur Erlangung geistiger Fähigkeit für unentbehrlich zu
halten. Er mag den Einfluss der Griechen und llömer auf die
Bildung von ganz Europa glauben, aber er Mird es nicht ein-
räumen, dass der Gymnasiast an den Griechischen u. Römiscliea
Meisterwerken der Sprache Deutsch lerne. Eben so wenig be-
weisst ihm die Erleichterung der sogenannten neueren Sprachen
neben der Erlernung der Griechischen und Lateinischen, oder
gar die Ungewissheit unserer künftigen Lebensverliältnisse. So
kann in Elberfeld und so auch anderwärts selbst derjenige Theil
des grösseren Publikums denken, welcher für die sogenannten
Kealien eingenommen ist; und wer alles Heil für Gymnasien in
die klassischen Sprachen sezt, wird liinwiederum die angeprie-
sene Verbindung mit Elementar- und Mittel- oder Bürgerschule
unstatthaft finden. Ueberhaupt lässt sich die Würksamkeit der
Gymnasien durch die Betrachtung der einzelnen Unterrichisge-
gcnstände, auch wenn sie vollständig wäre, niemals befriedi-
gend darstellen, so gewiss die Schulen niclit lediglich Anstaitcji
zur Entwicklung der Erkenntnissseite der menscldichen Geistes-
thätigkeit sind, und ohne pelitio principii kann man selbst bey
dieser Einseitigkeit nicIit einmal versteckter Weise die beste-
hende Einrichtung eines einzelnen Gymnasiums zuGrunde legen.
Die auf dem Titel bezeichnete Zugabe mag auf sich beru-
hen, weil daraus im Grunde doch nicht mehr hervorgeht, als
dass die alten Sprachen (Griechisch, Hebräisch und Lateinisch)
um des Evangeliums willen gelernt werden sollen» und mithin
182 Kürzere Anzeigen.
entweder nur der Tlieolog so etwas zu wissen braucht oder alle
und jede christliche Seele.
Rastatt. Prof. Dr. JVinnefeld.
Gymnasien sind Voj- schulen der Weisheit. Rede,
bey seiner feierlichen Einführung als Direktor des königl. kathol.
Gymnasiums in Briiunsberg am 30 Ottober 1827 gebalten von
Gideon Gerlach. Braunsberg , gedruckt bey G. D. Feyerabend.
25 S. kl. 8.
In dieser Rede nimmt der Hr. Verf. aus seiner neuen Stel-
hmg als Direktor der Anstalt die passende Veranlassung, über
die Aufgabe der Gymnasialbildung seine Ansicht auszusprechen,
um seinem Streben ein festes Ziel vorzuzeichnen , und Lehrer
und Schiller zur treuen MitwVirkung einzuladen , damit das be-
gonnene Werk glücklich gelinge. Insofern nämlich die Gymna-
sien lediglich für den wissenschaftlichen Beruf vorbereiten sol-
len, und der wahrhaft wissenschaftlich Gebildete der Weise ist,
so müssen sie durch Unterricht die vollkommenste Einsicht und
durch Erziehung die vollendete That bey den Zöglingen möglich
zu machen streben. Jenes wie dieses Ziel wird per enumera-
tionem partium in dem Sinne einer wissenschaftlichen Vorschule
anschaulich gemacht, und der lezte Halt des Ganzen in wah-
rer Gottesfurcht gefunden. Neues ist in der Ausführung dieser
Ansichten eben nichts gesagt, aber was gesagt ist, das ist in
Rücksicht des Inhaltes wahr und in Rücksicht der Darstellung
durch klaren Ausdruck, ernste Haltung und liebevolle Gemüth-
lichkeit durchweg ansprechend. Ref. hat die Rede mit all' der
Theilnahme gelesen, die eine Folge verwandter Ansichten über
die Angelegenheiten des Lehrerberufs ist. Möge das Gymna-
sium unter der neuen Leitung den herzlichen Wünschen des
Hrn. Gerlach entsprechen!
Rastatt. Prof. Dr. JVinnefeld.
Kürzere Anzeigen.
Katechismus der deut sehen Vaterlandshunde^
vom Hofrath und Professor Gallctti. Leipzig, Baumgartncrsclie
Buchhandlung. 1826. XU und 181 S. kl. 8. br. 12 Gr.
▼ V ir leben — leider! — in einem Zeitalter der litterarischen
Mode -Waaren und Galanterie - Arbeiten, und des Kleinhandels
Goiletti : Katechismus der Dcutsclicn Vatcrlandi^kundc. 183
und Hausirens mit beiden. Der Geist gestrenijer Wissenschaf-
ten, welcher vordem in der Form schwerer Qiiartanten und Fo-
lianten erschien, die nur in Staats- und Gelehrten -Bibliotlie-
ken Aufnahme und ein Quartier fanden, wird jetzt in Sedez-
Forraate gegossen, auf Taschenbücher gefüllt und in Etui- Aus-
gaben abgezogen, die ihren l'latz in den Cabiiietten der Dilet-
tanten, und in den Boudoirs und auf den Toiletten der Damen
suchen und finden. Und wenn, nach Hufeland, ein Ilaupt-
triumpfder neuem Kochkunst die Kunst ist, Nahrungssaft in der
cojicentrirtesten Gestalt in den Kiirper zu bringen: so scheint
es ein für die litterarische Productions- Kunst und die damit
verbundenen geistigen Nahrungs- und lleslaurations -Anstalten
des lOteu Jahrhunderts vorbehaltener Triumpf zu seyn , die
Wissenschaften durch Auspressen und Einkochen derselben als
Consommees, Gele'es oder als wohlriechende Essenzen zuzube-
reiten, und diese wie andere dergleichen vermeintlich leichtere
und verdaulichere Nahrungssäfte, den Magen vorbei, sofort
ins Blut der Leser und Liebliaber zu schicken. Daher denn die
gangbaren und beliebten Quintessenzen und Kraftauszüge aus
Göthe's, Schiller's, Jean Paul's, Ilerder's u.a. Wer-
ken unter dem anlockenden Titel: Geist! Daher die vielen
spottwohlfeilen Kunsttheorien, wie: in -1 Wochen Französisch
sprechen und schreiben zu lernen, so wie die mancherlei ent-
hüllten Geheimnisse — • der Bierbrauer, der Taschenspieler;
daher die endlose Reihe von Lehr- und Leitfäden, von Com-
pendien und Breviarien; die sich einander iiberrennende Folge
von Encyclopädien und Keal- Wörterbüchern; daher die Legion
von Zeit- und Tagesschriften, die Alles liefern und in den Kauf
mitgeben, nur die kostbare Zeit zum Lesen nicht; die Massen
und Ballen gesammelter und sämmtlicher Werke, die einzeln
schon llepositorien füllen; und daher denn endlich auch — die
Katechismen aller möglichen Künste und Wissenschaften, denn
diess ist der neueste und jüngste Titel, unter welchem die Sy-
steme des menschlichen Wissens zu Elixiren und Lebenswas-
sern destillirt und feil geboten werden. Vorausgesetzt, dass
diese katechetischen Modeartikel einen, wejin aucli nur relati-
ven, Werth und ihr kauflustiges Publicum haben, also einem
geistigen Zeitbedürfnisse abhelfen: so gebührt der Baum gü/l-
nei sehen BucJihandlnng in Leipzig das Verdienst, dieselben zu-
erst in Bestellung gegeben, in Umlauf gesetzt inid in Aufnahiue
gebracht zu haben. Denn eben diese Buchhandlung, die auch
den vorliegenden Gal le 1 1 ia,chen Katechismus zum Druck be-
sorgt und in Verlag genommen hat, bietet in der demselben
angehängten buchhändlerischen Anzeige an drei Dutzend solche
Katechismen aus , worunter auch Katech. für Kindbetterinneii^
Neuvermählte^ iür Reiter ^ für Bierbrauer^ so wie Katech. der
Höflichkeit^ der Mythologie ^ der Homöojjathie ., der Griechi-
184: Kürzere Anzeigen.
sehen Alterthümer ^ der Aesthetik^ der Algebra u. s. w. figuri-
ren und paradiren — das Stück im Durclischnitt zu 12 Gr. —
Also, wie gesagt, die Wissenschaften iu einer ISussschaale , die
Künste in Broschüren concentrirt! Der Geist der Gelehrsam-
keit in Kraft- Dosen verdichtet und gereicht, Ragouts gebraut
von Andrer Sclimaus! 0 goldenes Zeitalter der Litteratur, wo
die Olympischen Musen Hand in Hand mit den niedern Haus- und
Erden -Göttern gelien, und an der Tafel Mercurs schmausen!
Fern sey es von uns, mit diesem „Scherz in Ernst" das
Verdaramungsurtheil sowohl diesen Katechismen als ähnlichen
Popularisi/ungs -\ ersuchen gelehrter Kenntnisse zu sprechen!
Denn das ist und sey das endliche Ziel der Gelehrsamkeit und
Wissenschaft, dass beide — in ihren Resultaten und Wirkun-
gen — volksthünilich und praktisch werden, dass sie aus dem
Kasten -Monopol zu einem Geraeingut für die Menschheit sich
veredeln! Aber stark und nachdrücklich müssen wir uns erklä-
ren gegen die u7ipopulcire Weise, wie dieses — wenn nicht über-
haupt in den Bauiiigärtnerschen Artikeln, die in ihrer Anzahl
und Folgenreihe eher den Schein einer buchhändlerischen Spe-
culation, als den Geist eines gemeinnützigen Unternehmens ver-
rathen , — doch wenigstens in dem vorliegenden Beispiele ge-
schehen ist. Denn unpopulär nennen wir mit Recht eine Schrift
und einen Schriftsteller, die weder einen volksmässigen Zweck^
nocli einen volksmässigen Gehalt, ja! nicht einmahl ein volks-
mässiges Publician haben. — Dass diess der Fall sey mit Gal-
letti und der vorbetitelten Schrift, die zwar seinen Namen
trägt — aber ihn gewiss nicht auf die Nachwelt bringen würde,
wenn derselbe nicht schon durch gediegenere Werke gesichert
und geborgen wäre — wird sich leicht ergeben , wenn wir die
Eigenschaften und Vorzüge eines Katechismus wie er seyn soll,
mit dem Gallettischen, d.h. mit einem, wie er nicht seyn
soll, vergleichen. — Hier nur — denn das genügt für den Zweck
der Ki'itik — einige Grundzüge dieser Vergleichung. —
I. Ein Katechismus soll i/i Fragen imd Antworten gefasst,
soll ein Volks - Fragbüchlein seyn. — Allein der Gallettische
Katechismus ist so wenig in Fragen und Antworten, oder in
einem lebendigen Wechselgespräch abgefasst, dass, wenn ein
Paar Anfangs - und Schlussblätter herausgeschnitten werden,
der übrige Text eine fortlaufende Rede und Beschreibung ist.
Die Frageform desselben ist nicht der leicjit und nett gearbei-
tete Rahmen , sondern ein kaum scheinbares Stiftchen des ge-
stalt- und geschmacklosen Ganzen, das auf etwa 10 — 12 Fra-
gen eine 176 Seiten lange Antwort gibt. — So wenig daher —
und der Vergleich ist noch ehrenvoll! — Cicero's Tusculanen
Platonische Dialogen sind, so wenig ist Gailetti's Vaterlands-
kunde ein Katechismus.
II. Ein Katechismus soll die Anfangsgründe oder Haupt-
Galletti: Katechismus der Deutschen Vatcrlandskundc. 185
sätze einer Wissenschaft oder Kunst in dialogischer Form dar-
legen — denn er ist ein Katecluinienen -, d. h. ein Lelirlings-
Buch, wobei es gleichgiilti;? ist, ob die zu Unterrichtenden bür-
gerlich raVuldijj oder unmündig sind: genug wenn sie es geistig
und •wissenschaftlich sind. — Der Katechismus von Galletti
aber ist eine ziemlich \oll«*tändige , für die erste Lehrklasse ei-
nes Gyranasii ausreichende Geographie v. Deutschi., mit einem
so reichen topischen Detail, dass man vor der Masse der be-
schriebenen Marktflecken, Dörfer, Schlösser, Ruinen, Arbeits-
häuser, Nähnadel- und anderer Fabriken, dass man vor dieser
geograpliischen Anticaglie kaum das eigentliche Länder- und
Volksbild erblicken würde, wenn überhaupt ein solches aufge-
stellt wäre. Wie daher dem Katechismus die katechetiscl«
Form, so fehlt ihm auch der katechetische Inhalt.
in. Kin Aatechismiis soll — seinem Gehalt nach — init
psychologischer Lehrklugheit und einer volksthümlichen Sprache
und Manier abgefasst seyn. Galletti oder sein Katechismus-
Macher (denn fast glauben wir, dass der ehrwürdige Greis nur
den Namen zum Kinde gegeben) hat weder sein Lese- Publicum
und dessen individuelle Kräfte und Bedürfnisse im Auge, noch
auch die Sprache in der erforderlichen Gewalt ! Zwischen dem
nüchteren und einförjnigen Lehrstyl dieses und der anziehenden
und geist- und gedankenreichen Lebendigkeit eines Zschok-
ki sehen Volksbuches — welch ein Abstand! Quantum distant
aera lupinis !
IV. Ein katechetisches Lehrbuch soll ?nit Liebe ?md Begei^
sterung neu und frisch ^ wie aus Einem Guss , geformt und ge--
bildet seyn. Das Gallettische ist nur ein Abguss oder ein
epitomirter Abdruck seines grössern Lehrbuchs (der sogenann-
ten anschaulichen Geographie), was der Leser dem Referenten,
der das letztere bereits kritiscli gewürdigt hat — vergl. Jbb.
II S. 247 ff. — auf seine Autorität glauben w ird.
V. Ein Ratechismus soll tvenig, aber das ff enige 7nit JVahl
und Einsicht., mit fVahrheit und Treue geben., und wenn er ein
geographischer ist ^ keine Hcdb wahr heilen und Irrthümer ver-
breiten lind gleichsam volksmässig machen. — In w ie weit diese
Forderungen erfüllt sind, wird aus den kleinsten Proben erhel-
len, die wir — raumschonend — mittheilen. — Wenn Sorau
eine gut gebaute Stadt genannt wird, S. HS, welches Praedicat
wird Berlin erhalten*? Eben daselbst wird Guben als die ge-
werbreichste Stadt der Niederlausitz aufgeführt, und doch hat
Cottbus ihr längst den Vorzug abgerungen. Von Cottbus selbst
heisst es: es sey von Abkömmlingen von Wenden und Franzosen
bewohnt, und habe ein Waisenhaus! — Was soll die Cottbus-
ser Jugend denken, wenn man ihr diese Charakteristik ihrer
Vaterstadt vorhält. Trefflicher noch wird Spremberg als eine
Stadt charakterisirt, wo ein Fräuleinstift seinen Sitz hat! (!*?)
186 Kürzere Anzeigen.
als wenn eine Versorguiig'sanstalt für Fräulein, selbst wenn die-
selbe von Belang wäre, eine Fluss- und Fabrikstadt, iiberliaupt
aber einen städtischen Wohnplatz charakterisiren, d. h. physio-
gnomisch — aucii nur schattiren könnte — ! Von Magdeburg
wird gemeldet: dem Unterrichte sind das Paedagojriura, die
Domschule, 2 Gymnasien u. a. gewidmet (also 4 und meiirere
Gelehrtenschulen!). Doch genug des Nichtigen, Flüchtigen und
Irrthümlichen !
VI. Endlich soll ein Katechismus klare u?id deutliche Be-
griffe — entweder in synthetischer oder analytischer Form — ■
enthalten. Wie es hiermit stehe, zeigt das 8te oder Schluss-
Capitel, wo unter der Aufschrift gegenwärtige Verfassung von
Deutschland folgende Fragen gestellt und nothdürftig beant-
wortet worden sind: l) Wie verhalten sich die Deutsclien Bun-
desstaaten in Hinsicht auf Volkszahl** 2) Wie viele Einwoliner
zählen die bedeutendsten Deutschen Städte"? 3) Wie unterschei-
den sich die Bewoliner Deutschlands in Hinsicht ihrer Herkunft'?
4) Wie unterscheiden sich die Deutschen in Hinsicht auf ihr Ge-
werbe'? 5) Wo blühen die Künste'? ß) Wo die Wissenschaften
vorzüglich*? 7) Wie werden die Bewohner Deutschlands regiert'?
Antiv.: Durch 1 Kaiser, 5 Könige, 8 Grossherzöge, 10 Herzöge —
«. s. w. — Denn ohe jam satis ! rufen wir und mit uns gewiss
die Leser, deren Geduld wir durch weitere Auszüge missbrau-
chen würden. Armes Deutschland! Also das ist deine Verfas-
sung! So erscheinst du vor dem Volk, von deinen Historiogra-
phen charakterisirt! Das sind deine Lehr- und Lese-Bücher,
deine Katechismen ! Longe fuge ! Rcuscher.
JÜloquentium vir oruni narr atione s de vitis homi-
num doctrina et vir tute ex celle nt ium. Collegit
et in usiim juvenum liberalibus studiis operantium edidit Carolas
Hernie. Frotscher, Pliilos. Dott. priv. in Univers. litt. Lips. et AA.
LL. Mag. schul. ]Nicol. Lips. Coli. III, Biblloth. Senat, praefect. II,
SOG, oeconom. Lips. sodal. Seminar, reg. Sax. philo!, et soc. Lat.
lenens. sodal. lionor. Vol. I. Lipsiae. 1&20". Sunitus ferit et vennm-
datllartniannus. 28G S. Vol. II. ib. eod. 416 S. gr. 8. 2 Thlr. 8 Gr.
Zwar eine leichte, aber doch nützliche Art von Schriftstel-
lerei. Wenigstens dem lleferenten hat die wiederholte Lesung
dieser ■ — ihm seit seinen akademischen Jahren bekannten —
Biographieen grossen und vieKäitigen Genuss gewährt. Von den
meisten derselben gilt: Magna laus, laudari alaudato viro. Lind
vielfach lehrreich werden sie allen den Srudirenden seyn, queis
meliore luto Titan praecordia iinxit. Wie überhaupt das intuerl
in vitas liominum tanquam in speculum Meit bildender ist, als
alle Paränesen, so besonders für Jünglinge. Es genüge, auf
Eloquentium'virorum narrat. de vitis hom. doctt. Colleg. Frotscher. 187
SO manche in diesen Bioj^raplaeen vorkommende Data zur Ge-
schichte und Charakteristik der Schule Pl'orta und der Leipzi-
ger Thomasschule (wie nämlich diese Anstalten in friilierer Zeit
heschaffen waren), auf dieMethode, welche die geschilderten
Männer beim Lesen, beim Studireii iiberliaupt, beim Erklären
der Classiker und der Bibel, so wie im Allgemeinen beim Un-
terricht und bei der Erziehung der Jugend, befolgten, auf die
— zum Theil vortreffliclien — Charakterzuge und merkwürdi-
gen Schicksale der geschilderten Männer und den wesentlichen
Einfluss , Avelchen diese Schicksale auf ihre Bildung liatten, auf
so viele unterhaltende, literarliistorische, pädagogische und an-
derweitige Anekdoten, woran besonders die N iklas' sehe Bio-
graphie Gesner's reich ist, auf so vieles Interessante, was
nebenher über andere Männer, mit denen die geschilderten in
Berührung kamen, als über den Rect. Freitag in Pforta, llect.
Köhler in Anspach, Ritter J oh. üav. Michaelis in Göttin-
gen, und andere, auch Holländische, Gelehrte vorkommt, auf
die sinnreiche Anwendung vieler Aussprüche der Classiker auf
allerlei Fälle im Leben, so wie auf manche treffende Bemerkung
über den Weith und Einfluss eines gründlichen Studiums der
Humanitäts- Wissenschaften und über andere wissenschaftliche
Gegenstände aufmerksam gemacht zu haben. Ein Namen- und
Sach- Register, worin das Gleichartige zusammengestellt wäre,
dürfte wo! eine wünschenswerthe Zugabe zu der ganzen Samm-
lung gewesen seyn.
Im Vol. I ist enthalten : I) Vita Jo. Jac. Reiskii. Scripsit
Jo. Georg. Eccius (denn so, nicht Eckius, schrieb sich
der Prof. Eck zu Leipzig). II) Ejusdem vita^ ab Sam. Frid.
Nath. Moro scripta, p. 27 IF. (Bei I und II liätte noch Man-
ches aus Reis ke's Deutsch geschriebener Autobiographie, wel-
che nach seinem Tode seine Gattin herausgegeben , zur Erläu-
terung in den Anmerkungen ausgehoben werden können). III)
Memoria Jo. Aug. Krnestii. Scripsit Aug. Guil. Ernesti, p.
79 ff. (Ausser diesem Leipziger üniversitäts- Programm, wel-
ches auch ins Deutsche übersetzt worden v. Carl Gfr. Kütt-
ner (Frankfurt und Leipzig 1782.), sollten auch noch andere
Schriften auf J. A. Ernesti benutzt, wenigstens angeführt,
seyn , als : C a r. L u d o v. B a u e r i Fornmlae ac disciplinae Er-
nestianae indoles et conditio Vera. (Lips.1782, wo auch p, 115 ff.
die eben gedachte Denkschrift wieder abgedruckt ist) , auch
Deutsch von Strodtmann, unter dem Titel: Bauers ivahre
Natur ufid Beschaffenheit der Erncstischen Lehrart. Flensb.
u. Leipz. 1785. 8. (Wilh. Abr. Teller) /. ^7. Ernesti s Ver-
dienste um die Theologie und Religion , ein Beitrag zur theo-
log. Litteraturgeschichte der neuern Zeit. Berl. 1783. Zusätze
zu — Teller s Schrift über Ernesti s p^erdietiste , von J. Sal.
Semler. Halle 1783. Jo. Frid. Neumanni Progr. de J. J.
188 Kürzere Anzeigen.
Ernestio ejusque meritis^ cutn in Immanitatis Uteras, tum in
eariim in scholis disciplinain. Gorlic. P. I. II, 1783. 4. Jo. van
V o o r s t orat. de J. A. Ernestio , optinio post Hugonem Gro-
iium duce et magistro interpietum hioti Foederis^ publice ha-
bita d. VIII Febr. 1804. Lu^d. Bat. 1804. Oß S. 4. Hinsiclit-
licli des aus der nielirgedachteii Memoria Ernestii mitgetheilteu
Verzeichnisses der zahlreichen Schriften dieses grossen Gelehr-
ten hätte sich Hr. F rot scher ein besonderes Verdienst erwor-
ben, wenn er diejenigen Schriften, welche sich auf Em esti-
sche beziehen, oder durch sie veranlasst worden sind, mit an-
geführt hätte, z. E. die auf Ernesti's Inslitutio interpretis
N. T. sich beziehenden reichhaltigen Abhandlungen von M-o-
rus und Eichstädt; die Fortsetzung der Theologischen Bi-
bliothek durch Döderlein und Andere. P. lOÜ sollte, beiGe-
legenlieit des Tadels, welchen Ernesti von seinen ehemali-
gen Schillern erfuhr, J o h. F r i e d r. W o 1 f's Sendschreiben an
J. J. G. Scheller ^ die in dessen Vorrede zu seinem Int. Wörter-
buche befindlichen unbilligen Kritiken über den sei. 1). Ernesti
betreffend. Leipz. 1184. 4 Bogen in 8. (rec. im Lausitz. Magaz.
1784 S. 285 ff.) nicht fehlen. Einige andere Ergänzungen wird
J. G. M e u s e 1 ' s Lexikon der — verstorbenen teutschen Schrift-
steller. Band III S. ]5()ff. darbieten.) IV) Petri Burinanni
Oratio funebris in obilum Jo. Georg. Graevii., p. 131 ff. V) l)av.
Kuhnkenii Elogium Tiber. liemsterh/sii, p. 205 ff. (Die Ten-
denz dieser Biographie bestimmte ihr Verf. in der Vorrede zur
ersten Ausgabe derselben — Lugd. Bat. 17(>8 — so: Periectam
Critici fomiara in Tiberio Hemsterhusio spectavi. Und hiermit
ist zugleich ihr grosser Werth für studirende Jünglinge hinläng-
lich angedeutet. IN ach der edit. II, castigatior, welche ib. 1189
erschien, ist sie hier abgedruckt. Es macht dieses Elogium auch
die Hälfte folgender Schrift aus: Vitae Duumvirorum doctrina
et meritis excellentium^ Tib. Ilemsterhusii et JJac. liuhnkenii etc.
Lips. 1801. 8., wovon Fr. Lindemann eine neue Ausg. Lips.
1822 und Fr. Theodor llink eine Uebersetzung mit vielen
eigenen Zusätzen besorgte (unter dem Titel : Tiberius Henister-
huys und JJavid Ruhnken. Biographischer Abriss ihres Lebens^
für Freunde der Humanität uJtd des Studiums der Allen insbe-
sonderebearbeitet. Konigsb. 1^01). Von den übrigen Ausgaben
dieses Elogii, welches auch in Tib. Hemsterhusii Oratt. sepa-
raiim ed. Friedemann. Viteb. 1822 auf XXXII Seiten wie-
der abgedruckt i>t , s. 1) a v. 11 u h n k c n i i Opuscuta orator. phi-
lol. crit. nunc piimuni cottjnnctim ed. Lugd. Bat. 1807 p. 3J>-74.
Zur Ergänzung dieses Elogii hätten auch die Anecdoia Jlem-
sterhusiana.1 e.r schedis MSS. in bibliotheca Lugd. Bataoa ser-
vatis collegit^ dispos. et ed. Jac. Geel. P, I. Lugd. Bat. 1825.
mit gebraucht werden können.) VI) J o. Jac. Keiskii de vita
sua conimentariolum^ p. 273 ff.
Eloquentitim virorum narrat. devitis hom. doctt. Colleg. Frotscher. 189
Vol. II hat auch den besondern Titel: Jo. Aug. Erne-
stii Narratio de Jo. Matthia Gesnero (aus Ernesti üpusc.
orator. recus. Lugd. Bat. 1767.) et Jo. Nie. Niciasii de eo-
dem Gesnero epistola famüiaris (ad Jerein. Nie. Eyiinffium, von
8.79 an, aus J. M. Gesneri Biograph. Acad. Gotling. Vol.
III. Gotting. ITfiO p. 1 — 180). In usum juvenum liberalibus
studiis operantiuni cdidit etc. Accedit Memoria Gesneri ab J o.
Dav. iMicliaele scripta [\on p. 341 an, aus Biograph. Acad.
Gotling. Vol. I. Hai. 17()8). Diese Memoria ist durch eine
körnige Kiirze ausgezeichnet, aber nicht frei von Wiederho-
lungen, die, bei einem festern Plane des Ganzen, vermie-
den werden konnten , und nicht durchaus in classischem La-
tein geschrieben. Zu den meisten Bemerkungen und Kritiken
aber in dem vom Herausgeber versprochenen Commentar zu der
ganzen Sammlung wird, ausser der Eckischen vita Reiskii,
die Niclas'sche Biographie Gesner's, welche iibrigens unge-
mein sachreich ist, Veranlassung geben, besonders v. S.251 an.
Die Arbeiten von Morus, Ernesti, Ruhnken, Burmann
ragen durch ihre stylistische Form über die Niclas'sche soweit
empor, quantum lenta solent inter viburna cupressi. Die An-
merkungen des Herausgebers, mitunter auch andrer Gelehrten,
unter dem Texte der sämmtlichen Biographieen enthalten theils
Varianten, welche die versclnedenen Ausgaben einiger unter ih-
nen darbieten, theils Literar- Notizen , theils historische oder
antiquarische Erläuterungen, besonders auch Nachweisungen der
in den Biographieen häufig berücksichtigten Stellen aus Classi-
kern, theils Belege zu den im Text enthaltenen Aeusserungen,
theils (aber im Ganzen viel zu selten) die Angabe paralleler
Stellen in mehrern Biographieen eines und desselben Mannes,
theils endlich auch Berichtigungen, z. E. in Vol. I p. 49, 61, 81,
145, Vol. II p. 49. Bei den Bemerkungen p. 146 fg. über Erzie-
hung vergl. Lange Orot, de severitate scholae Portensis. Die
Stelle p. 257 nee posse hominem quidquam accipere., nisi datum
eifuerit divinitus , ist ans Job. Ev. 3, 27 und die Worte p. 319
meruimus hoc de fratre nostro aus Gen. 42, 21.
Die Sammlung ist übrigens auf weissem Papier recht gut
gedruckt und im ersten Vol. ziemlich frei von Satzfehlern. Ira
zweiten steht p. 1^0 canditatum .^ p. 238 hoc ftiit statt fugit.^
p. 256 quoties — ad illos (wol st. alios) esset visurus., p. 356
plucra st. pTdcra.1 ebendas. si quis ipso arbilrio (st. arbitro) in-
genii uteretur ., p. 363 ianquani alia (st. aliqua) Scabies schola-
stica. P. S34 ist nach den Worten inter scribendum vero das
Komma sinnstöreud.
J. D. Schulze.
190 Kürzere Anzeigen.
Katechismus der Rhetorik nach Quintilian, v. Dr. Ferd.Phl-
lippi, Grossherz. -Sachs. Hofrath(e). Motto: Fungar vice cotis etc.
Horat. Lcipz. b. Bauingärtner. 1826. VIII u. 232 S. gr. 8. geh. 18 Gr.
Es ist diess gerade der 40ste unter den in dem nemlichen
Verlage erschienenen Katechismen so vieler Wissenschaften.
Quinctilianns liegt dabei zum Grunde und ist sehr frei, d. i.
planlos benutzt ; Vieles ist unllhührlich weggelassen oder aufge-
nommen; nur Weniges ist ziemlich genau. Die geschmacklose
Einkleidung der Belehrungen in Fragen und Antworten verlei-
tete, y\\c man vermuthen kann, zu unnützer Weitschweifigkeit
(da es denn an unzähligen Stellen so Iieisst, wie S. 132: „Die
Corrcction. Was ist die Correction ?'•'■), und diente nur dazu, die
üebersicht und Behaltbarkeit des Ganzen zu erschweren. Bald
scheint übrigens der Verf. für Anfänger gearbeitet zu haben,
bald für Geübtere, bald für Studirende, bald für Nichtstudi-
rende; so wenig ist eine bestimmte Classe von Lesern ins Auge
gefasst. Man findet daher in diesem 3Jachwerk ex omnibus ali-
quid, ex toto nihil. — Der Verf. hätte von seinem grossen Mu-
ster Quinctilianns vor allen Dingen gehörige Anordmuig des Gan-
zen und seiner Theile lernen sollen. Dann würde er nicht so
vieles, was zusammengehört, von einander getrennt haben. So
ist von der Wahrscheinlichkeit, welche die Erzählung haben
müsse, S. 25 unter der Frage: Darf man in dergleichen Gemälde
jeden Umstand nach Belieben aufnehmen'? und S. :;0 wieder un-
ter der Frage: Wie muss die Narration beschaffen seyn*? ge-
handelt. Vom Styl in der narratio ist S. 31 If. umständlich die
Rede, da doch S. 77 der „Elocution" ein eigner Abschnitt, „drit-
tes Buch" genannt, gewidmet ist; und S. 1({0 ff. wird wieder in
einem neuen Kapitel von den verschiedenen Arten des Styls ge-
handelt. Auch die Beweisführung hat ihren eigenen Abschnitt
S. 42 ff., obgleich von derselben bereits unter der „Narration"
S. 40 fg. luit gehandelt worden. Von der gehörigen Stellung und
Aufeinanderfolge der Beweise ist ebenfalls zweimal die Rede,
S. ()3 und 76. So wird auch S. 79 an zwei verschiedenen Stel-
len dasVerhältniss der Gedanken und des Ausdrucks durch das
Verhältniss zwischen Geist und Körper erläutert. S. 114 wird
schon die Frage beantwortet: Wodurch unterscheiden sich die
Figuren von den Tropen*? da doch S. 128 ein eigenes Kapitel
von den Figuren folgt. Unter „Prolepsis" S. 132 findet sich noch
ein Nachtrag zu dem „Artikel vom Exordium", S. 15 ff. — Un-
verhältnissmässig kurz ist von der Disposition gehandelt, nera-
lich blos auf zwei Seiten, während der einzige „zweite Artikel''
im zweiten Kapitel des ersten — von der Invention handelnden —
Buches, „von der Narration" überschrieben, S. 23 — 42 ein-
nimmt. — S. 83 werden über die Lehre vom Erhabenen einige
Schriften nachgewiesen. Warum aber blos über diesen Gegen-
Philipp!: Katechismus der Rhetorik. 191
stand der Redekunst, und sonst Viber keinen? Aus Allem er-
hellet die Planlosigkeit des Werkes.
Manches, uas darin empfolen wird, ist offenbar unsittlich,
und hätte daher nicht aus den alten Uhetoren beibehalten wer-
den sollen. So heisst es S. S: „Der Redner niuss wissen, wel-
che Tugend seinen Zuhörern fi'ir die höchste gilt, und welches
Laster sie empört, um beide, nach den Umständen, an der Per-
son, von welcher er (in einer Rede der demonstrativen Gattung)
spricht, zu finden," Nach S. 19 soll man, um die Gunst der
Zuhörer zu gewinnen, dasjenige, was sze lobenswerth finden,
herausheben! S. 43 steht geschrieben: „Scheint das Gerücht
oder die allgemeine Meinung dem Redner ITir seinen Zweck vor-
theilhaft, so liegt es am Tage, dass er den Werth des Rufs im
Allgemeinen erheben muss. Er wird das Sprichwort: \ox po-
puli vox ])ei als völlig wahr anpreisen" u. s. w, S. (18 fg. wird
ein ähnlicher vom Verfasser sogenannter „rhetorischer Gewalt-
streich oder gewaltsamer rhetorischer Kunstgriff" mit Beifall er-
M'ähnt. Mit solchen Stellen contrastirt nun gar sehr dieAeusse-
rung Seite 71: ,,IIier, wie überall, fährt man besser mit der
Wahrheit, als mit der Lüge. "•
Der Verf. schliesst S. 148 seine Anweisung mit der Zerglie-
derung einer Rede aus Liv. XXI1I,9. Darauf folgt S.15T: „Bei-
spielsammlung zu dem Katechismus der Rhetorik", und zwar
A) (fünf) „Beispiele (aus J. Engel, Jacobi, Sallustius,
Katharina Fonk und v. Kotz ebne) in unmittelbarer Be-
ziehung auf die im Vorhergehenden erläuterten Fragen", wie-
der mit vorgesetzten Fragen, z. E. Zu welcher Gattung von Re-
den gehört das nachstehende Bruchstück? Welcher iutegrirende
Theil einer Rede ist in dem nachstehenden Beispiel übergangen
und warum? B) Rhetorische Musterstücke über die wichtig-
sten Abschnitte des 31enschenlebens als Gegenstand der Nach-
ahmung (S. 188 ff. nemlich eine Taufrede von Herder, eine
Abendmahlsrede von Mörlin, eine Schulrede von Matthiä,
eine Taufrede und eine Grabrede von Jacobi und eine maure-
risclie Dankrede am Johannisfeste). C) Rhetorische Fragmente
(von L. Tiek — Avelches füglich wegbleiben konnte — , von
Jean Paul, Swift, E. Wagner, Moritz und Engel)
S. 213 ff. Jedoch sind auch im Katechismus selbst viele — oft
mehrere Seiten hindurch fortlaufende — Stellen aus Lateini-
schen, Französischen und Deutschen Schriftstellern (die letz-
tern jedoch ohne Nachweisung der Schriften, aus denen sie ge-
nommen sind), die meisten aus Jean Paul, zur Erläuterung
mitgetheilt , und diese ausgehobenen Stellen sind vielleicht das
Beste am ganzen Buche. Aber Mehreres in den Lat. und Franz.
Stellen ist sonderbar , und Vieles zu frei und paraphrasirend
übersetzt. So S. 29 die Stelle Liv. XXVI, 18, desgleichen
S. 30 das Stück aus Flechier's Leichenrede auf Turenne.
192 Kürzere Anzeigen.
Wie schwerfällig und sprachwidrig sind Uehersetzungen , wie
folgende! S. 93: „was mir jetzt gesagt zu werden nothwendig
Bcheint" (quae dicenda hoc tempore arbitror). S. 103: „Diese
Beschäftignngen — bilden das irdische Glück aus" (secundas res
ornant). S. 111: „Freiheit (Frechheit*?) wurde durch Tapfer-
keit unterdrückt (überwältigt'?)"- (oppressa virtute andacia est).
Eben so unbehülflich ist der Ausdruck auch anderwärts. S.113:
„Der mittlere Styl ist mit Anmuth und Sorirfalt in der Wahl des
Ausdruckes — geziert.'-'- Ebendas. : Verlebendigung der Rede.
„Der heulende Sturm'' heisst S. 117 eine Metapher, welche das
^m\\Y\f\\Q. vergeistigt. S. 129: Figurendes (st. zur Anregung oder
Beschäftigung des) Vorstellnngsvermögens. S. 136: Figuren für
(st. zur) Erregung des Gemüthes. S. 138: Die Ironie muss Fein-
heit besitzen. S. 36: Der Styl darf nicht aus reinen Verstandes-
begriffen bestehen (st. Ausdrücke enthalten, die solche Begriffe
darstellen). S.5: eine/?/«j^ßcAe Eintheilung (st. eineEinthl. in
fünf Theile). S. 64: Cicero icirft die Beschuldigung — dadurch
über den Haufen. Was ist doch S. 38 sor^e Ausmahlung derGe-
fülile? Der Verf. scheint dieses Adjectiv liebgewonnen zu haben.
S. 79 sagt er: „Je mehr der Gegenstand zu dem Gefühle spricht,
desto zarter müssen die Gedanken seyn'-', und S. 85: „Es ist ^^/^-
sflr^, jemanden offen — zu loben." Ebend.: „Piiiiius erhebt sehr
Zfly^ die Wohlthätigkeit desTrajan." MehrFranz., als Deutsche,
Wortfügung ist S. 8: warnen vor Unsinn (st. vor Uns. warnen),
S. 61: erwiesen göttliclie Ehre den Männern (st. den M. göttl.
Ehre). Mehr nach Lateinischer Art ist S. 15 gesagt: Was ist
das Geschäft des Exordiums*? Sonderbar ist es, dass die Lat.
Kunstausdrücke — nicht etwa in Parenthese den Deutschen bei-
gesetzt, sondern — mit Deutscher Endung vor den Deutschen
aufgefülirt sind oder damit wechseln, z.E. JVarration, Confirma-
tion oder Beweisführung. (Beiläufig, wie seltsam klingt die Fra-
ge S. 42: „Worin besteht die Confirmation'?'' Sollte man nicht
bei diesen Worten eher an die geistliche als an die rednerische
Confirmation denken*?) Von der Art ist auf S.37 Prägnanz des
Ausdruckes. Argumenta sind bald durch „Argumente", bald
durch „Beweisgründe" und „Schlüsse" wiedergegeben. — S.88,
wo von Schönheit des Ausdruckes die Rede ist, ist offenbar Cor-
rectheit (elegantia), nicht ornatus, gemeint. Die Erklärung von
Tropus S. 113 und von Metapher S. 115 ist fast gleichlautend.
Cicero lieisst S. 121 noch immer ohne Bedenken Verf. der Rede
pro Marcello.
Der Verf. schreibt PubliÄ-um, CorreAtion, Communi^ation,
SubjeA-tion, ImpreAation , und doch richtig Synekdoche.
Satzfehler finden sich in Menge. So S. 22 Esodium^ S. 39
Naration, S. 14 gemeinlick, S. 43 ein Gerücht^ dass (st. das)y
S. 46 Anzeichen st. Anzeigen.^ S. 56 : Kein Fürst erschlafft (st.
erschafft) Talente^ S. 74 ins Unglück geraden (st. geruthen),
Fhllippi : Katechismus der Rhetorik. 193
S.79 durch die Geschichte oder der (st. die') Naturlehre^ S.88
die Belagerung von Veja (st. Veji)^ S. 95 Protosis st. Protasis,
S. 100 rythmisch st. rhythmisch^ S. 132 und ist dem Wesen nach
sie vertvandt (st. und sie ist dem Wesen nach verw.^, S. 141 V7t(0
st. vjto. Auch die in den Noten unter dem Texte befindlichen
Lat. Stellen sind oft fehlerhaft abj^edruckt. So steht S. 61 In-
dices infestitum reo vener ant statt judices infesti turn reo ven.^
S. 122 gremium sniun et totum tribunalis (st. tribunal) implevit.
Unzähligemal steht ein Komma zwischen dem Suhject oder Ob-
ject und dem Prädicat, desgleichen vor: oder ^ und^ wann die
eine oder die andere Conjunction blos Begriffe, nicht Sätze,
trennt, und so auch vor dem Genitiv, wann dieser unmittelbar
nachdem regierenden Substantiv folgt. In der (S. 93 ange-
führten) Stelle Cic. Phil. I, 1 : Antequam de republica etc. steht
nach arbitror ein Kolon statt eines Komma und nach breviler ein
unnützes Komma.
J. D. Schulze.
Handbuch zur Kunde vonDeutschla?id u. Preussen.
Ein Hülfsmittel zur zweckmässigen Behandlung beyder Länder;
für Schule und Haus; in besonderer Beziehung auf ^. Hälsig' s (^,')
Lehrer (s) am Seminar zu Breslau, Wandebarte von Deutschland;
gearbeitet v. Christian Goltlieb Scholz(^,) Rector zu INeisse. Erstes
Heft. Breslau in der Kunst- und Bucliliandlung bey J. D. Grüson
und Comp. 1827. XIV und 107 S. gr. 8. 1 Thlr. 8 Gr.
Die Vorrede giebt zuerst Aufschluss über die Entstehung
dieses Buchs. Der Verf. hatte nähmlich sich beym Unterricht
in der Geographie, Geschichte, Naturgeschichte und Natur-
lehre der Weltkunde von Harnisch bedient, aber dabey
wegen der zu grossen Kürze dieses Werks sich genöthigt gese-
hen, bey seinen Vorbereitungen noch Vieles niederzuschreiben,
und ganze Abschnitte weiter auszuführen, wodurcli nun gegen-
wärtiges Handbuch, jedoch ohne die Absicht, diese Arbeit in
Druck zu geben, entstand. Als aber nun die Verlagshandlung
eine Wandcharte von Deutschland und Preussen herausgeben
wollte, wurde er von derselben um Mittheilung seiner eigenen
Wandcharte zu diesem Zweck angegangen. Da ihm aber seine
Charte hierzu nicht genügte, so theilte er dafür seine Hefte mit,
wonach die auf dem Titel genannte Wandcharte verbessert wurde.
Kaum war diese Charte zu Stande, so wurde er von der Ver-
lagshandlung ersucht, ihr diese Hefte ganz als Kommentar zur
Charte zu überlassen ; und dieses Verlangen hat der Verfasser,
weil Charte und Buch mit einander in engster Beziehung stehen,
nicht von der Hand weisen können, weshalb er dieselben, nach
nochraahliger Ueberarbeitung , wobey mehrere der vorzüglich-
sten Hülfsmittel — die auch nahmenllich aufgeführt werden —
Jahrb. f. Fhil. u. Pädag. Jahrg. 111. Htjt 10. ^^
194: Kürzere Anzeigen.
benutzt wurden, zum Druck überliess. — Dann enthält die Vor-
rede auf 8 Seiten eine kurze Gebrauchsanweisung für Anfänger
im Lehramte, und scliiiesst mit der Bemerkung, dass dieses
Handbuch, theils weil die Charte früher a ollendet worden sey,
als dessen Druck, theils weil die Verlagshandlung die Anschaf-
fung des Buchs auch den weniger Bemittelten erleichtern wolle,
hefiweise erscheine. Nach der Versicherung des Verf. sind dem-
nach, ausser dem vorliegenden, noch 2 Hefte zu erwarten.
Dieses Heft ist, wie Rez. recht gern einräumt, im Ganzen
mit grossem Fleisse, und dabey mit einer solchen Ausführlich-
keit behandelt, welche in einem Schulbuche nur sehr selten sich
vorfinden mag, ja, wie Rez. befürchtet, von vielen Lehrern der
Geographie in einigen Abschnitten, vornehmlich in den §§, wel-
che die Landseen, Kanäle und Moorstriche darstellen, für gar
zu weitschweifig erklärt werden möchte. Gleichwohl bewährt
auch dieses Buch das alte Sprichwort: „Es ist nichts Vollkom-
menes auf der Welt.'-' Denn trotz der grossen Brauchbarkeit
desselben, muss Rez., wenn er anders gerecht seyn will, ver-
schiedene Ausstellungen machen. Die wichtigste darunter ist
die, dass der Verf. sich bey der Ausarbeitung keine feste, nie
zu überschreitende Gränzlinie gezogen hat. Auf dem Titel
hat er nähmlich Deutschland und Preussen als die einzigen Ge-
genstände des Werks bezeichnet. Und hätte er nur diese Aus-
dehnung stets vor Augen behalten, so würde ihm, als einem
Preussen, — da jeder von dem Staate, welchem er angehört,
am ausführlichsten zu sprechen weiss und zu sprechen berech-
tigt ist — durchaus kein Vorwurf gemacht werden können, und
um so weniger, da Ost- und West -Preussen, ja zumTlieil jetzt
selbst Posen, gewissermaassen als Deutsche Länder angesehen
werden können, obschon sie nicht zum Deutschen Bunde ge-
hören. Aber bey den Flüssen sind nicht allein der Po mit sei-
nen von den Alpen herabfallenden Nebenflüssen, so wie über-
haupt alle Gewässer des Oesterreich. Königreichs Lombardey -
Venedig, sondern auch die Zuidersee, die Scheide, Vechte
und andere Niederländische Gewässer, ingleichen auch alle zu
Fohlen gehörige Nebenflüsse der Weichsel beschrieben worden,
und sonach hat der Verf. das sich gesteckte Ziel nicht wenig
überschritten. — Die übrigen Ausstellungen werden sich am
schicklichsten der Anzeige des Inhalts anreihen lassen.
Das vorliegende Heft umfasst nur drey Abtheilungen. Der
erste Abschn. (S. 3 — 11) begreift ausser der Einleitung Nah-
men, Lage, Gränzen, Grösse und Eintheiliing. — In der Ein-
leitung heisst es gleich anfangs: „Wenn gleich Deutschland au
Naturschönheiten, Reiz und Anmuth minder reichlich ausge-
stattet ist, als die benachbarte Schweiz und das milde Italien
mit seinem üppigen Boden u. seinen herrlichen Dattel-^ Ananas-^
Orangen- und lleissfelderu u. s. w." Aber das milde Italien be-
Scholz: Handbuch zur Kunde von Dcutscliland und Freusscn. 195
sitzt, soviel Rez. weiss, keine Dattel- und Ananas - Felder, weil
solche der heisseii Zone angehören, und die wenigen in Nea-
pel und Sizilien vorkommenden Dattelpalmen sind noch immer
Fremdlinge, die ihr Vaterland nicht vergessen können. Richti-
ger würde der Verf. gesagt haben: fnt't seinen Orangen-, Oliven-
vnd Mandelbaum - Hainen und seinen Reissfeldern. — Ferner
heisst es: „wenn auch Schwedischem Eisen ein höherer Werth
bey gelegt wird als Deutschem;" hier hat der Verf. nicht an das
Steyerische Eisen gedacht! Unter den Produkten Deutschlands
wird zwar der Braunschweigische, aber nicht der noch vorzüg-
lichere Böhmische Hopf e 71 genannt. Und des so wichtigen Obst-
baues, der ausgebreiteten Pferde-, Rindvieh- und Schafzucht,
welche doch so bedeutende Summen in die Wagschale der Aus-
fuhr werfen, wird mit keinem Worte gedacht. Auch möchte
die Behauptung, dass es kein Land gebe, in welchem Schlacht-
feld so an Schlachtfeld gränze, wie in Dtschl., manches ^e^^u.
sich haben. Man denke nur an die Niederlande und an Ober-
Italien! — Dass die längsten und kiirzesten Tage stets den 21
Jun. und 21 Dez. fallen , ist eine Behauptung , die jeder Kalen-
der Lügen strafen wird. — Der Flächenraum wird nur zu
12,000 OMl. angegeben. Aber diess ist nur der von den Deut-
schen Bundesländern. Wo bleibt der der 3 übrigen Preuss. Pro-
vinzen? Da diese aber hier mit beschrieben werden sollen, so
hätte deren Flächenraum auch mit dazu gerechnet werden sol-
len. Und so erhöht sich doch wohl das Areal auf 13,700 0^11.'?
In der zur Vergleichung beygesetzten Arealgrösse der übrigen
Europ. Staaten hat Dänemark mit Island durch einen Druckfeh-
ler nur 425 QMl. erhalten. — Im Artikel: Eintheilung, wer-
den noch immer die Anhaltischen Länder nur Fürstenthümer,
Lippe, Schaumburg und Schwarzburg nur Grafschaften, und
die Reussischen Lande nur Herrschaften genannt. Auch die
Aufzählung der Besitzungen der Sachs. -Ernestinischen Linie —
sie werden nähmlich als FürUenthilmer Altenburg, Weimar,
Gotha, Eisenach, Meiningen, Hildburghausen und Koburg in
Reihe und Glied gestellt, — ist ungeographisch. Denn die vor-
mahligen Besitzungen des Herzogs v. S. Hildburghausen mach-
ten grössten Theils einen Bestandtheil vom Fürstenth. Koburg,
und die altern Länder des Herz, von S. Meiningen gehörten
theils zum Fstth. Koburg, theils zur Grafschaft Henneberg.
Zweyter Abschn. (S. 12 — 43) Von den Höhen, mit den
Ünter-Abtheilungen: Bodenhöhe; südliche und südöstliche Ge-
birge; südwestliche Gebirge; nördliche Gebirge; östliche und
nordöstliche Gebirge; westliche Gebirge; Vorgebirge; einzeln
liegende Berge; tabellarische üebersicht einiger Berge. Sehr
zweckmässig unterscheidet hier der Verf. Gebirgsland , Hoch^
land (Plateau) und Tief- oAer Niederland, wozu noch als Ueber-
gang vom Hoch - zum Tieflande das Stufenland kommt. — '
196 Kürzere Anzeigen.
Säramtliche Gehirge Deutschlands, selbst die Sudeten, den
Harz und das Siebengebirge rechnet er zum System der Alpen.
Als die Verbindung des Schwarzwaldes und der Alb mit den
Rhätischen Alpen betrachtet er den Höhenzug zwischen dem
Bodensee und Basel, welcher die Wasserscheide zwischen Rhein
und Donau macht; als die Verbindung der Alb mit dem Fichtel-
gebirge den Fränkischen Landriicken, welcher das Flussgebiet
der Donau von dem des Main scheidet; als die Verbindung des
Harzes mit dem Thüringer Walde das Diingebirge und das hohe
Eichsfeld. Freylich wenn Höhenzüge und Landriicken, die Was-
serscheiden bilden, als ausreichende Verbindungsmittel zwi-
schen 2 wirklichen Gebirgen gelten sollen, so sind sämmtliche
Gebirge des Europäischen Kontinents nichts als Fortsetzungen
der Alpen, ja es dürfte nicht schwer fallen, auch alle Asiati-
schen Gebirge an diese anzureihen. — Unter den einzelnen
Bergen hat Rez. die Elm im Braunschweigischen vermisst. Der
Zoptenberg in Schlesien dagegen wird erst als ein Nebenzweig
der Sudeten, dann auch als ein isolirter Berg aufgeführt. —
Die tabellarische üebersicht enthält 48 Berggipfel und deren
Seehöhe in runden Summen vom Ortles - bis zum Jakobsberg
im Wesergebirge herab. Doch darf diese Tabelle nicht auf Voll-
ständigkeit Anspruch machen.
Dritter Abschn. (S. 44 — 107) Deutschlands Getvässer^ mit
nachstehenden Unter- Abtheilungen: Abdachung und Wasser-
scheiden; Deutschlands Meere; Flüsse; Wasserverbindungen
oder Kanäle; Binnen- oder Landseen; Moore, Sümpfe oder
Moräste. Dieser Abschnitt ist der ausführlichste, und wird
wohl von Seiten des Lehrers, wenn er das Gedächtniss seiner
Schüler nicht gar zu sehr anstrengen will, mancher Abkürzung
bedürfen. Dennoch wird man hin und wieder, zumahl in der
Darstellung der Flusssysteme, einen gleichmässigen Maassstab
vermissen. Am dürftigsten ist die Donau weggekommen. Denn
liier fehlen die Nebenflüsse: Blau, Mindel, Günz, Paar,
Laber, Vils, Roth, Hz, Erlach, Ips, Trasen, Zwettel, Fischa
U.S. w. , welche eben sowohl als die beym Rhein angefxihrten
kleinen Flüsse Aah, Alb, Glatt, Wiesen, Biers, Zorn, Moder,
Queicli , Speier, Isenach, Pfrim, Selz u. s. w. die Aufnahme
verdient hätten. — Dass das Adriatische Meer mehrere Deut-
sche Flüsse aufnehme, war Rez. neu, weil er ausser dem Gränz-
fluss Isonzo nur einige unbedeutende Bäche kannte. Der Verf.
hilft sich aber weiter unten damit, dass er alle zwischen Istrien
und dem Po befindlichen Küstenflüsse aufzählt und, freygebig
genug, Deutschland zutheilt. — Der Rhein hat durch einen
Druckfehler eine Länge von 175 (st. 125) Ml. bekommen. —
Bey der Oder liätte bemerkt werden sollen, dass sie uter allen
Deutschen Strömen das geringste Gefälle habe. Auch tritt sie
nicht unterhalb, sondern oberhalb Thorn in dasPreuss. Gebiet. —
Scholz: Handbuch zur Kunde von Deutschland und Preussen. lOlf
Die Ucker und Persante sollen nicht schiffbar seyn , im Wider-
spruch mit Andern, z. IJ. mit v. Restorff (S. dessen topogra-
phische Beschreib, von Pommern). — Unter den Kanälen, die
übrigens nur zu vollständig aufgezählt sind, da selbst der aus
der Elster abgeleitete Flossgral)en niclit vergessen worden ist,
fehlt docJi der Steckenitz- Kanal zwischen dem See von Müllen
und der Klbe.
So viel fiir diessmahl! Ueber den m irklichen Werth des
ganzen Buchs kann Rez. natiirlich nicht eher, als bis die Vibri-
gen Hefte erschienen sind , aburtheilen. Er schliesst mit dem
Wunsche, dass der Verf. in der begonnenen Weise fortfahren,
dabey aber das sich anfangs gesteckte Ziel stets unverrückt vor
Augen behalten , und auch die Topographie nicIit vernachlässi-
gen möge.
Druck und Papier sind ohne Tadel, aber eine sorgfaltigere
Korrektur ist höchst wünschenswerth.
Dr. Weise.
Cornelius JVepos. Zum Gebrauch der ersten Anfäng-er mit kur-
zen grammatischen und historischen Anmerkungen , wie auch mit
einem Wörterbnche versehen, von J. Chr. Meinecke. 4te Aull.
Lemgo, Hofbuclih. 1825. 284 u. (das Wörterb.) 156 S. 8. 1 Thlr.
Doch wird auch die Ausgabe ohne das Wörterbuch für 16 Gr.,
und letzteres allein fiir 8 Gr. verkauft.
Da die, von dem im Jahre 1807 verstorbenen A. Chr. Mei-
necke, besorgte Schulausg. des Corn. Nepos in diesen Jahrbb.
bisher noch nicht beurtheilt worden ist, so dürfte es wol nicht
ausser dem Bereich dieser kritischen Blätter liegen , ihrer mit
einigen Worten zu gedenken , indem es einer resp. Hofbuclih.
in L. gefallen hat , im Jahre 1825 eine neue 4te Aufl. von der-
selben zu veranstalten *).
Mit Recht rauss man sich wundern , dass diese neue Auf-
lage als eine völlig unveränderte erscheint, da eine zeitgeraässe
Umarbeitung durchaus nothwendig gewesen wäre, wenn diese
für die Zeit ihres ersten Erscheinens nicht ganz unbrauchbare
*) Die erste Aufl. erschien 1791 , die zweite 1819 und 1820, die
dritte 1823. Alle sind unverändert nach der ersten abgedruckt, ja die
drei letzten stimmen so mit einander überein , dass man sie für eine
halten möchte, welche nur den Titel dreimal verändert habe. Ueber
die vierte Aufl. kann man die Anzz. in Beck's Rcpert. 1825, IV S. 326
und in der Allg. Schulzeit. 1826, 11 L. B!. 45 vergleichen. Die erste
Aufl. wurde in der Neuen allg. Deut. Bibliothek Bd. I St. 2 S. 357, in
der Oberdcut. allg. Lit. Zeit. 1793 Bd. I S. 337 ff. , und in der Allg.
(Halliöch.) Lit. Zeit. 1793 Bd. IV S. 56S beurtheilt. [Anm. d. ßcd.]
198 Kürzere Anzeigen.
Schnlausg;abe auch den gegenwärtigen Bedürfnissen nur eini-
gerraaassen geniigen sollte. Laut Titel und Vorrede des verst.
Verf. war sie fü? die ersten Anfänger zum Behvf der Vorbe-
reiUing zu den Lektio?ie?i bestimmt. Die Anmerkungen, >velclie
dem Schiller ziini Verständniss dieses Schrijtstellers behülflich
sein sollen^ erscheinen gegenwärtig als grösstentheils unbrauch-
bar, und da sie, statt zu erklären, meist nur wörtliche und oft
unpassende Uebersetzung geben, befördern sie die dem Schü-
ler so eigenthümliche Säuniniss in Gebrauch des Wörterbuchs
und der Grammatik, und werden nicht selten Ursache, dass
derselbe die Eigenthümlichkeiten und unleugbaren Schwierig-
keiten dieses Schriftstellers völlig übersieht. —
Um des Lesers ürtheile nicht vorzugreifen giebt Rec. fol-
gende Proban aus den Anmerk. zu dem ersten Paragraphen: —
„ wow dubito:) ick glaube wol. Hierauf hann nun quin mit dem
Nom. u. Cofij. oder der Acc. c. I. folgen. Attice.) also dem
T. P. Atticus., desseti vorzüglichste Lebensumstände Nep. am
Ende dieses Buchs selbst eizählt^ dedicirte der Ferf. s. v. excell.
imp.'-''^ wobei der Verf. hätte bemerken sollen, dass dieLebens-
beschreib. d.Att. nicht zu diesen vit. excell. imp. gehören könne,
weil sonst auffallen rauss, dass Nep. sein Buch demAtt. zueignet,
dessen Tod er beschreibt, ^^persojiis) der Abi. v. dignus reg.
Uebrigens will sunimorum vir. perso?iis tvirklich mehr sage?i^ als
wenn es Messe summ, viris."- Doch genug! Dass dem Schüler fer-
ner gesagt wird: saltasse stehe für saltavisse, cantasse für can-
tavisse, obrutus komme von obruo u. s. w., ist unnöthig , indem
die Grammatik darüber bessere Auskunft giebt. — Dasselbe
gilt noch weit mehr von den beigefügten syntaktischen Bemer-
kungen, wobei ebenfalls weit zweckmässiger auf eine Gramma-
tik verwiesen worden wäre. Unrichtig sind folgende Bemerkk.
zu Them. 1 : Der Römer könne nur sagen natum esse ex aliqua^
da de aliqua.^ ab aliqua u. aliqua nat. esse eben so häufig vor-
kommt; ferner: dass bei laudi ducilur zu ergänzen sei esse,
woher der Dat. kotmne; ferner: die so häufige Ergänzung von
negotium.^ z.B. Milt. 1 hei prospera futura: nach quo: der Ge-
nitiv bei periius erklärt durch negotium Paus. 1 , das ebenfalls
nach quid.^ u. nach quid causae supplirt wird. Widersprechend
ist Miltiad. 5 bemerkt bei etsi videbat: .^.^Wir sehen ^ dass hier
keiner vo?i den Fällen ist, wo etsi, ivie jede andere Partikul
(sie) einen Conj. regirt,'-'- und dagegen bei quamvis: es regire,
wie jede Partikul, eigefitlich eitie7i Indikativ. Unverständ-
lich ist Milt. 2 „qui miserant: gehört zu eorum, daher (?)
hat hier qui kei?ien Conj. bei sich, obgleich einer vorherging.'"'' —
Falsch ist officium ühers. (Att. c. 4) durch „Bescheidenheit.'-''
Schwierige Stellen sind unerläutert oder leicht berührt: z. B.
namque arbores mullis locis erant rarae (Milt. 5), „sie liefer-
ten ein Treffen. Dabei kam es ihnen sehr zu statten , dass hin
Cornelius Nepos von Meinecke. 199
tind wieder Bäume standen; so wurden sie also einmal von dem
Gebirge^ andrer Seits durch die llüume sicher gestellt und ge-
deckt.'-'' Hier nimmt der Verfasser weder an der ungescliickten
Durcheinanderwerfiiug der Gedanken, wie sie sich in s. Texte
findet, Anstoss, noch fällt ihm der Widerspruch der Worte:
arb. rarae und des unmittelbar folgenden arb. tractu^ noch die
Scliwierigkeit, sich gegen Reiterei hinter nur einzelnstehenden
Bäumen zu vertheidigen , auf. Die Sacherklärungen sind vor
Allem mangelhaft, und Att. (5 \\e,Ae.v praes noch manceps^ noch
anderwärts subscribere ., praetor., aedilis., quaestor ., consul er-
läutert, und praefectura übersetzt durch .^^Amt der Präfecten^
u. /iT-ße/ec^z/s im Wörter buche genannt: .,.,Aufseher., Vorsteher'-^,
z.B. classis^ Admiral: regis., ein königlich persischer Ge?ieral und
Rom7na7ideur !'•'• — Unerörtert sind die Ausdrücke sistere vadi-
inonium , causam agere , jus dicere u. s. w. , und hei den Namen
Caesar, Brutus, Antonius ist nichts bemerkt. Chronologische
Angaben fehlen meist oder sind nacli Jahren der Welt citirt.
Die geograph. Bemerk, sind oft falsch: z.B. Olympia: eine
Stadt in dem Ländchen Elis genannt., ivo ma?i die Olympischen
Spiele seit 3228 ab orbe gefeiert; da bekanntlich Olympia nur
der heil. Hain war; Milt.5 ist ein Berg Pßwos st. Farnes genannt.
Die deutsche Sprache ist oft fehlerhaft, z. B. wegen c. Dat.
und der Ausdruck nicht selten veraltet und provinciell. Die In-
haltsanz. vor den Lebensbeschr, sind ungleichmässig abgefasst.
Sinnentstellende Druckfhl. sind unter vielen andern: S. 17
Anm. 1 Simons Sohn st. Cimons^ S. ()5 potius st. potitus., S. 208
opes st. opus., S. 99 aberbium st. adverbiu.n., S. 11 muss ut weg.
2JrQv^(ovos (sie) Cim. 2. 4. st. 2tQv^6vog.
Das Wörterbuch erscheint bei oberflächlicher Durchsicht
schon völlig mangelhaft, und es fehlen unzählige Wörter, z. B.
acumen., alicubi., Arabicus., Arretinus., adscisco., adspergo., ad-
spicio., adspectus ., auctoramentum, autem., cadus ., parricida,
perfugio., Perinthus., Phidias., Philenius., jwema., propraetor^
prout , protinus , pubes , Publius , pus , qtie , quominus etc.
Die Bedeut. der Wörter sind schlecht angeordnet und die
Angabe der Stellen ist mangelhaft. Reo. hebt nur ad hervor,
„ad, 2m; 2) bei., der Zeit nach."- Hier fehlt ad adventura. Bei:
zu fehlt: Them. 25. 5. 1. Cim. 21. 1. fehlt dieBed. bis in., bis
%u. Iphic. 3. ad senectutem , ad nostram memoriam , ad extr.
aetatem, ad eura finem, ad internecionem : ferner an: ad Rho-
dios, ad exteros testimonium dare: die Bedeut. bei dem Orte
nach: ad quintum lapidem sepultus: gemäss: ad nostram con-
üuetudinem. Eben so unvollständig sind sämmtliche Präpositio-
nen behandelt, und imter andern Wörtern fehlt suscipio., teneo.,
und das Verb, titi., was Nep. so mannigfaltig brauclit, Druck-
fehler sind unter vielen andern besonders in Bezug auf die pro-
sodischen Zeichen: x.^. populiscttum Tür populisciitu?n., irritus
200 Abhandlung.
für irritus , Lacedaetnö/its , Menestheus für Menestheus , mu-
liebris für ebris^ expröhro^ exilis ^ Decetia^ commüto^ —
bei Tiribacus , Tisogoras , iransfuga fehlen die Zeichen. Für
Artabazus steht Artabatus ^ für perfuga — perfiigo^ für di-
mitto — demitto^ compositio für composito^ Archeas für
Archeas u. s. w.
Rec. glaubt, dass diese Proben hinreichen werden, um zu
zeigen, wie die neue unveränderte Herausgabe dieses Meineck-
sclien Nepos zur Zeit völlig unnütz und von Seiten einer resp.
Verlagshandlung nicht wol zu verantworten sei. Auch ist der
Preis für diese unbedeutende Ausgabe noch zu hoch gestellt.
Druck und Papier ist im Ganzen zu empfehlen.
Ernst Struve.
Abhandlung*
Beitr äge zu einer neuen Bearbeitung der An-
thologia Latina.
XXerrn Bardili's vor kurzem in diesen Jahrbüchern (Bd. 111 S. 216
ff.) niitgetheilte Abhandhing über eine neue Ausgabe der Anthologia
Latina hat mich veranlasst, in diesen Tagen meine kleine Sammlung
von Excerpten aus verschiedenen Handschriften vorzunehmen und zu
sehen , ob sich unter diesen etwas finde , Avas als ein Beitrag zur all-
mälichen Vervollständigung des literarischen Apparats für diess Unter-
nehmen dienen könnte. Was ich fand, will ich hier kurz aufführen,
in der Ueberzeugung, dass nur auf diese Art, wenn Einzelne ihre auch
noch so kleinen Entdeckungen bekannt machen , etwas Umfassenderes
gewonnen werden kann, vielleicht dass reichere Besitzer ebenfalls ihre
Speicher öffnen. Im Voraus will ich erwähnen, dass bei der mir fernlie-
genden Aufzählung der neuern Leistungen für jene Gedichtsammlung
Hr. Bardili einen trefflichen Aufsatz des Hrn. Prof. Passow über
denselben Gegenstand nicht gekannt hat , der sich in der Allgemeinen
Encyclopädie von Ersch und Gruber (Th. IV S. 262 — 268) findet.
Gleicherweise ist ihm entgangen , dass für die Priapeia , auf die ich
weiter unten zurück kommen werde, nicht unwichtiges von Hrn. For-
te r g in seiner Ausgabe von dem Hermaphroditus des Antonius Panor-
mila geleistet worden ist, so wie auch Hr. Prof. Weichert in sei-
nen so gehaltreichen Programmen mehrere Gedichte der Anthologia
Latina erläutert hat; so z. B. II, 251 (de China II p. 8), II, 238
und 239 (de Turgido Alpino p. 16); II, 65 (de Valgio Rufo p. 14);
II, 226 ideDomitio Marso p. 20); II, 247 (ibid. p. 21). Endüch.
Silllg : Beiträge zu einer neuen Bearbeitung d. Anthol. Latlna. 201
durfte die BelianiUung cinip^cr Eiiigramnie von Or eil und Jacobs in
ihren Lateiniticlicn poetischen Chrcstomathieeii nicht ganz mit Still-
schweigen übergangen werden. Zu S. 21!) ist hinsichtlich der Sal-
inasischen Handschrift zu bemerken, dass sie allerdings auf der
königl. Bibliothek zu Paris sich befindet, im gedruckten Catalog aber,
wenn ich mich recht erinnere, nicht verzeichnet ist. Dass sie eine
ik neue genaue Collation wolil verdient, werden folgende Lesarten zei-
gen, die von Burraann, obgleich in ihr befindlich, gar nicht oder
ungenau angeführt worden sind. Freilich ist zu erwähnen, dass die
Handschrift von Fehlern wimmelt und einen sehr unwissenden Abschrei-
ber verräth. Ich thcile die Varianten in der Folge mit, wie sich die
Gedichte im Codex selbst finden. Die erste Stelle nimmt ein Burm.
Anthol. Lat. Lib. I ep. 171. Vs. 3 ccrcm — mundis. Vs. 6 Ad — ni-
tiscit. V s. 8 redolentque. Vs, 9 vcrib : qiie. Lib. III ep. 81. Vs. 1 Artis
opisquc tua (tuae fehlt). Vs. 11 excmplo (^bei Burmann ist hier ein
Druckfehler). Vs. 19 alternas. Vs. 2^ tunica. Vs. 29 unianimcs. Vs.
30 Haercnitendi ( sie ) , Vs. 47 Ja appetunt. Vs. 73 Dixit adque.
Vs. 80 redit si poscit. Vs. 82 desit. Vs. 84 omnis. Vs. 91 nautorum. Nach
Vs, 99 folgt zunächst folgende Zeile: ISon vires alias conversaque nomi-
na sentis Caede locis. Vs. 102 facta. Vs. 108 retines. Vs. 109 clauco,
Lib. I ep. 146 Vs. 3 sacro. 4 Et insignis — vivebat. 10 pendit. 16 ne
quid. Lib, I ep. 147 Maborti iudicium Paridis, Vs. 3 viso — nomen.
6 tunc uno. 12 pascentis. 15 Ursa. 35 sentcniiam vertit. 37 eveniam. Lib.
I ep, 170 u, s. w. — Da ich aber einmal von diesem theiis durch an-
dere Vorzüge theiis durch sein Alter wahrhaft ehrwürdigem Codex
spreche (er stammt nach sichern Kennzeichen aus dem 7ten Jalirhun-
dert ') ), so scheint mir hier auch der Ort zu sein, um ein für allemal
die unlängst erhobenen Zweifel über das Alter des Pervigilium Veneris
zu heben. Diess Gedicht existirt zu Paris in zwei Handschriften , eben
unserer Saumaise'schen und dann in Nr. 8071, welche eben
die membranae Thuaneae ist, die Heins,ius und Burmann in der
Römischen Anthologie so oft erwöhnen. Es ist nun wunderbar zu se-
hen, wie dasselbe Gedicht bald dem Catull, bald dem im I5ten Jfilir-
hundert lebenden luterpolator Seneca Camers zugeschrieben worden ist;
letztere Muthmaassung, der auch Hr. Bardili keinen Glauben zu
schenken vermochte , ist nun wohl auf immer beseitigt. Die von
L i p s i u s (Elect. 1, 5) erwähnte Handschrift des Pythoeus ist nun eben
der Cod. Thuan. 8071, wie diess die genauste Vergleichung zeigt, und
von dessen übrigem Inhalt ich ebenfalls hier einiges bericliten will.
Die Handschrift ist überhaupt von der höchsten Wichtigkeit; sie ent-
hält mehreres , was sich nur in ilir findet, oder wovon sie wenigstens
die älteste Abschrift giebt, und es dürfte für den Liebhaber solcher
Sachen nicht ohne Werth sein, die Bestandtheile dieses trciFlichen
Buches näher kennen zu lernen. Diese sind folerende : Juvenals Sati'
*) Diess bestätigt auch Fr, üsann in der Allg. Schulzeit. 1828, II
Nr. 116 S. 959 f. [Anni. d. Red.]
202 Abhandlung.
Ten in einer von der geMcHinlichen abweichenden Ordnung, Opuscula
Eugenii, Auszüge aus Martial, das Epithalamium des Catull L\II ( s.
Jbb. Bd. I S. 423.) und min eben die Beiträge zur Anihologia Latina,
aber auch in einer ganz verschiedenen Ordnung: Lib. II ep. 2()8. Vs.
1 canculo. 4 tollere certat. 5 jyroiectus. Lib. V ep. 1C5. III, 183. Vs. 2
Titrumque. 5 ncc per loca. 6 casta marita viris. III , 178. Vs. 1 sexu. 2
leUum. 4 solertis. 7 mirabilis artem. III, 179. Vs. 2 Quemfido. 3 Quam
super. 6 lapsa gracili. 8 pinnis persecuisse. 10 funus. III, 181. Vs. 2 vulgu
auribus. Z Siat lactuque potens. ^ Nam Ura aequali ambo moderamlne Ubram.
6 socia astemperat. 8 T'ox atrum canat an lyraqiie sola sonet. V, 66. Vs. 3 re-
dimito. V, 84. haus omnium mensuum. Vs. 1 honorißco indoctus iam men-
sis comictu. 9 Malus adblantis nate dicatus honori. 10 senta. 16 recreant.
17 degerlt. Lib. I cp. 90. Hierauf folgt das Pcrvigilium Veneria und
nach einer langen Reihe von Epigraiuiuen aus der Anthologie machen
des Ovidius Halieuticon und des Gratius Cynegeticon den Beschluss. Aus
diesem Codex dürfte mehr wesentlicher Nutzen für die Anthologie zu
ziehen sein , als aus dem S au ma is e ' s eben, weswegen ich auch
von dem Thuaneus mir eine vollständige Vergleichung angefertigt habe.
Ein Wolfenbüttler Codex des Catullus (Nr, 283 bei Ebert) ent-
hält nach dem 16tcn Gedicht dieses Dichters die beiden bekannten
Epigramme des Furius Bibaculus mit folgenden Abweichungen von der
Burmannschen Lesart; Anthol. II ep. 238 Vs. 1 fere — catotini. 2 ni-
mio assilas et cylios. 3 videt ortalosque lapi. 6 Qua celibrua calculus et
tros farris. 8 senectas. ep. 239. As. 1 Ecironis. 3 unum. 4 optimumque. 5
Omnis — questiones. 7 En cor enoccatis en lecum catetis. Eine zweite
Handschrift desselben Dichters auf derselben Bibliothek (Nr. 170 bei
Ebert) enthält auf dem letzten Blatt Anthol. III ep. 177. Vs. 3 vinoque
(wie sehr oft Juno und vino verwechselt worden ist). 5 letum sie iuno
ait. 6 aquas. 8 Quae. IV ep. 92. Versus Augusti ut aiunt. Vs. 1 dum lu-
dit in Ilebro. 3 traheremur. 6 flammis peperi. Von den Priapejis zu
sprechen giebt uns L essin gs Wort (Werke 1 S. 282. Berlin 1771.)
die Erlaubniss : „Da sind sie doch einmal : und besser ist überall bes-
ser. Kann sich hiernächst kein Arzt mit Schäden beschäftigen , ohne
seine Einbildungskraft mit dem Orte, oder den Ursachen derselben zu
beflecken'?"' Ausser drei Wolfenbüttler Handschriften (bei Ebert Nr.
703, 704, 705.) und den Varianten einer unbekannten Handschrift, die
Lindenbruch seiner Ausgabe beischrieb (s. Lessing a. a. O. S. 287.)
eirhielt ich aus demselben Rehdigerschen Codex, aus dem ich eine Col-
Ifiition der Silven des Statins mitgetheilt habe (s. jetzt noch Alb recht
Wach 1er Tlwmas Rehdiger und seine Büchersammlung S. 54.) Lesar-
t«!n zu den dort allein enthaltenen 83sten und 85stcn Priapischen Ge-
dichten. (Diese Handschrift ist demnach von einer andern vollständigen
in derselben Bibliothek zu unterscheiden, die Les sing a. a. O. S.
'185 und Wach 1er S. 40 s.v. Calpurnius erwähnt haben.) Vorzügliche
Ausbeute für diesen Theil der Appendix Virgiliana (denn in dieser Be-
ziehung glaubte ich auch auf diese Auswüchse des menschlichen Gei-
stes Rücksicht nehmen zu müssen ) gab mir die königl. Bibliothek in
Sillig: Beiträge zu einer neuen Bearbeitung d. Anthol. Latina. 203
Paris, wo Cod. 8236, 6206, 8232 und 8205 diese Sammlung vollstän-
dig enthalten, während Nr. 8207 nur das 83ote Gedicht darbietet. —
Das Gedicht Est et non. Vir bomia , de rosis nascentibus , {Pseudo-)
Octaviani versus in laudcm f'irgilii enthalten Cod. Paris. 7936 und 7927.
Reiche Beiträge zur Anthologie gieht iiber auch vorzüglich Cod. Pa-
ris. 8069 (früher ein Thuaneus) und Cod. Guelferbytamis (früher Ilelm-
stadiensis) , den Wernsdorf vieifacli benutzt (s. jetzt über diesen
Theil der viclenthaltenden Handschrift Ebert Nr, 917). Zwei Ele-
gieen des sogenannten Albinovanus hat die oben erwähnte Rehdi-
g e r s c h e Handschrift des Statins.
Zum Schluss dieses kleinen Aufsatzes theile ich eine Elegie mit,
welche in einem dritten Wolfenbüttler (frülicr Corvinianischcn) Codex
des CatuU (bei Ebert Kr. 168), am Ende desselben sich befindet.
Trotz vielem Nachsuchen habe ich nicht finden können, dass sie ir-
gendwo gedruckt väre, und so mag sie so lange für ein dvtaöozov
gelten, bis ein kundigerer Literator mich eines bessern belehrt.
Schon Wernsdorf kannte sie, dessen Bemerkung hier gleichsam
als Einleitung vorangehen möge : „In Codice Ms. bibliothecae Guelfer-
byt. triumviris Amorum, Catullo, Tib., Prop., anuexa legitur Elegia ad
Deliam, antiqua manu scripta, quae incipit: Delia feminei specimen
venerabile sexus. Hane quia elegantem planeque ad veterum genium
compositam reperiebam, parura aberat, quin liis Amatoriis adiungercm.
Sed intercedebat suspicio non levis, esse a recentiore poeta, fortasse
Italo , saeculi XIV, vel XV' scriptam, quem curiosiiis investigare non
vacabat." (Poet. Lat. Min. T. VI P. I p. 248.) Ich gebe sie genau
nach dem Codex nur mit berichtigter Interpunction:
Delia feminei specimen venerabile sexus ,
O desideriis Delia prima raeis !
Quid prius aggrediar de te ? quae ( cod. que ) exordia sumam ?
Singula si referam , quis mihi finis erit?
O superis dilecta Deis, cui Gratia servit 5
Et Venus et Veneris iam superatus Amor!
O merito coeleste genus, divina propago^
Tu licet humanis conspiciare locis.
Ordine iuncta tribus, quamvis postrema venires,
Prima tarnen Phrygio iudice dicta fores. 10
Lumina siderea subter radiantia fronte
Qui videat , longas marmoreasque manus ,
Flaventemque comam , corpus , gressumque severum ,
Dixerit (cod. dixerat}: o summo digna puella Jove !
Tune humiles habitare potes pulcherrima terras , 15
Perpetuo aethereis conspicienda choris?
Tune potes cupidi contemnere furta Tonantis ?
Forma quidem magnis convenit ista Deis.
Ecce tibi volucrem timeo niveunique iuvencum ,
Ecce tibi aurcolas in gremio pluvias , 20
204 M i 8 c c 1 1 e II.
Et qiiodcuhque Jovem vertit, quodcunque refinglt
Iniiuinerisque modis iiig-eniosus Amor.
Tu tarnen immotum retines (cod. retinens) fortissima pectus,
Praesidio sanctae fulta pndicitiae,
Divitias animi stabiles mentisque recessus, 25
Excolis et veri gaudia summa boni.
Te minor est, quae certa mori, quae (qnod?) fida marito;
Mors, ait, ipsa animi mors tibi testis erit.
Inclyta seque tibi siimmittat Portia Bruti,
Ilaec licet ardentes hauscrit ore faces. 30
Iure Minerva suas igitur tibi contiilit artes,
Iure suum (corf, suam) tribuit Cypria victa dccus,
Cynthia propositum , claram Saturnia sortem,
Pegasides linguae dulce dedere melos.
Rara pudicitiae viget et concordia forinae; 35
Tu tarnen amplexa es, Delia, utrumque decus.
Dresden am 20 September 1828. JuliuS Sill'lg.
Miscellen.
V on den Memoires de VAcademie Imperiale des Sciences de St. Peters-
bourg ist 1826 der lOte Th. avec l'historie de rAcademie pour les an-
nees 1821 et 1822 [48 und 820 S. 4. mit 2 Charten und 25 Kpftf. 5
Thlr. 16 Gr.] erschienen, v elcher, wie überhaupt die Denkschriften
dieser Akademie, für Mathematik , Naturgeschichte, und Orientalische
Literatur im weitern Sinne, wichtig ist. In philologischer Hinsicht
enthf^lt er: 1) Memoire sur les Tragiques Grecs, par Mr. le president
d'Ouwaroff, welches besonders darauf dringt, dass man die drei Tra-
giker Aeschylos, Sophokles und Euripides nicht einzeln jeden für sich,
als drei einzelne Epochen bildend , betrachte , sondern sie vereinigt
als die Blüthe der Griechischen Tragödie auffasse , und zugleich über
den Ursprung und allgemeinen Charakter der Griechischen Tragödie
überhaupt sich verbreitet. 2) Memoire sur les iles et la coiirse consa-
crees ä Achille dans le Pont- Euxin , avec des eclairissemens sur les anti-
quites du littoral de la Sarmatie et des recherch.es sur les honneurs que les
Grecs ont accordes ä Achille et aux autres heros de la guerre de Troie par
H. Köhler, welches besonders für die Erläuterung des Strabo und Pto-
lemäus sehr wichtig und dessen Hauptinhalt in Beck's Repertorium
1828 Bd. II S. 8 — 15 angegeben ist.
Der in diesen Jahrbüchern II S. 394 erwähnte, in der llofbiblio-
thek zu AVien befindliche Codex rescriptus aus Bobbio ist in neuerer
Zeit von einem gelehrten Pressburger , Stephan Ladislaus End-
licher, genauer untersucht worden, welcher 34 sehr alte u. höchst
M i 8 c c 1 1 e n. 205
interessante Edita und Inedita darin gefunden hat. Die letztern sollen
aliniälig herausgtj^eben werden, und den Anfang hat Endlicher
bereits geuiaelit mit Prisciani grammalki de Laude Imperatoris Anaslasii,
et de Pondcribus et Mcimiris carmina. Jlternm nunc prlmum, alterum
plenius cdidit St. L. Endlicher. Wien, bei Schalbacher. 1828.
In Oxford wurde im vorigen Jaiire der Preis für die besste poeti-
sche Schulübung dem Lehrgedicbt von T. L. C 1 a u g h t o n : Machinae
vi vaporis impulsae, ertheilt. Das Mechanics' Magazine 1828 S. 384 fin-
det darin den Beweis, dass der Sihisigeist auf dieser „rostigen" Uni-
versität anfange eine praktisclie Uücksicht zu nehmen , fragt aber, wie
man Kurbeln, Stämpel, Cylinder u. s. w. in Lateinischen Hexametern
besingen könne , ohne knarrende Verse zu liefern.
Zu Bordeaux hat man unter einem Pavillon der ehemaligen In-
tendanz auf einem länglichen Viereck von grauem Marmor folgende
Lateinische Inschrift gefunden: TVTELAE. AVG. C. OCTAVIVS.
VITALIS. EX. VOTO. POSVIT. L. D. EX. D. D. DEDIC. X. KAL.
IVL. IVLIANO. II. ET. CRISPIN. COS. Diese der Schutzgöttin von
Bordeaux geweihte Inschrift ist besonders wegen ihres Zeugnisses für
das zweite Consulat des Julianus wichtig, da dasselbe immer in Zwei-
fel gezogen worden ist.
Durch die unter der Leitung von Langlais hei Havre , in der Ge-
gend des Römischen Theaters von Lillebonne , angestellten Kachgra-
bungen hat man vor kurzem die Statue einer Römischen Dame gefun-
den , Avelche in schönem Stil gearbeitet ist. Kopf und Hände sind ab-
gebrochen, aber zugleich mit aufgefunden worden.
Ueber die verlorene Kunst der Alten, Purpur zu färben, bemerkt
ein Aufsatz im Median. Magazine Nr. 252, 14 Juni, S. 336, dass man
sie zur Zeit Beda's (nach dessen histor. eccles.') noch in England
trieb , ja dass C o 1 e noch 1685 ein A'erfahrcn beschrieb , aus Purpura
lapillus eine Art Scharlachfarbe zu erhalten. M o n t a g u in dem Sup-
plement zu seiner TestaceaBritannica hat andere Bemerkungen darüber
mitgetheilt. Eine Art von Scharlachfarbe, nur minder schön und min-
der haltbar , giebt Scalaria Clathrus , eine noch schlechtere Planorbis
Comeus.
Der Architektur , Bildhauerei , Mahlerei , Musik und SchifFbau-
kunst der Alten hat Dubais im Mechanics' Magazine Nr. 250 , 31 Mai,
S. 291 eine grosse Lobrede gehalten, und zwischen den Erzeugnissen al-
ter und neuer Zeit aus jenen Fächern interessante Vergleichungen an-
gestellt. Er meint unsere Gothischen Bauten seyen nur elende Stein-
massen und Ameisenhaufen gegen die Ruinen von Babylon und die
Pyramiden in Aegypten, die Peters- oder Paulskirche nur Schatten in
Vergleich mit den Ruinen Griechischer Tempel, die Triumphbogen
206 M i s c e 1 1 e n.
zu London und Paris mit den Römischen gar nicht Zu vergleichen, kein
kaiserlicher oder königl. Pallast neben das goldene Haus des Nero zu
stellen. In der Bildhauerei erklären unsere grössten Bildhauer (selbst
Canova) die Alten für unerreichbar, obschon von ihren grössten Mei-
sterwerken (von Praxiteles undPhidias) nichts erhalten ist. Auf die
Mahlerei der Alten können vir nur aus den Ruinen zweier Landstiidt-
chen, Pompeji und Herculanura , schliessen,- aber keine Landstadt hat
bei uns an ihren Mauern ähnliche Meisterwerke aufzuweisen , und
Anekdoten , wie die vom Apelles und Zeuxis , erzählt man auch von
den Meisterwerken unserer ersten Mahler nicht. Kenntniss und Studium
der Musik ist bei uns lange nicht so verbreitet, als bei den Griechen,
wo jeder nur etwas gebildete Mensch Musiker war. Unsere grössten
und feinsten Musiker begnügen sich mit halben Tönen , w ährend der
Grieche Viertel -Töne in seinen Noten unterschied; und die Musik ei-
nes Volks, von welcher man die Mythen von Arion und Orpheus ersin-
nen konnte , musste vorzüglich seyn. Ptolemäus baute ein Schiff von
420 Fuss Länge und 7200 Tonnen Ladung, und das Schiff, auf wel-
chem unter Caligula der grosse Obelisk nach Rom geschafft wurde,
hatte ausser dem Obelisk allein 1140 Tonnen Ballast: in Vergleich mit
ihnen ist selbst der Columbus der Amerikaner eine Kleinigkeit. — —
Viele dieser Behauptungen sind allerdings übertrieben, namentlich was
über die Schifffahrt der Alten gesagt wird , avo der Verfasser die Um-
schiffung von Afrika aus den Trümmern Spanischer Schiffe , die man
zur Zeit des Plinius im rothen Meere fand, und aus den nach Deutsch-
land verschlagenen Indischen Schiffen beweist. Aber zu beachten
sind die Zeugnisse aus Clemens Alexandrinus , Aelian, Marcellinus,
Seneca und Diodor, durch welche zu beweisen gesucht wird, dass die
Alten Amerika kannten.
In London ist erschienen : The Temple of Jupiter in the Island of
Aegina, nach Turners bekanntem Geraählde von J. Pye gestochen.
1 Pf. 11 Seh. 6 P. — In Neapel hat der Canonicus von Jorio einen
neuen Wegweiser durch Herculanum : Notizie su gU Scavi di Ercolano
(122 S. mit 5 Kpftfln.) herausgegeben.
In Paris hei Fruger erscheint von L ap i e , Vater und Sohn, ein
Atlas universel de gcof^raphie ancienne et moderne, 50 Charten mit Text.
Jeden Monat soll eine Lieferung von zwei Charten und einem Bogen
Text ausgegeben werden [die erste ist im Juli erschienen], welche 3
Franken , auf Velinpapier 6 Fr. kostet. — Ebendaselbst ist der 7te Bd.
von Malte - Brun's Precis de la Geographie universelle erschienen.
— In Delft und Dortrecht hat f. G. van Kunopen den ersten Bd. einer
Gerschiedenis van Griekenland etc. herausgegeben, welche die Geschich-
te der Griechischen Staaten bis zur Zeit des Persischen Kriegs enthält,
und interessante Vergleichungen der altern Institutionen und Sitten mit
M i s c e 1 1 e n. 207
der neuern Zeit anstellt. Ausser den Quellen sind dazu die Werke
von Heeren, Müller, Ciavier, Gillies und Mitford benutzt worden.
Nach xM o r e a u de J o n n e s Berechnung [ s. Jbb. III, 4 S. 102. }
kostete in Rom unter üiocletian:
Ein Liter alter Wein von besster Qualität . 10 Frank. 90 Cent.
Ein Liter Falerner, Picener, Tiburtiner, Salcr-
ner , Arniinier, Surentiner, Sotiner . . 13 — 50 —
Ein Kiliosrainm (2 Pfd.) Rindfleisch ... 2 — 40 —
Ein Kiliof^r. Lamm-, Ziegen - od. Schweinfleisch 3 — CO —
Ein Kiiiogr. Schinken 6 — —
Ein Kiliogr. Seefische der bessten Art ... 5 — 40 —
Ein Kiliogr. Honig von der bessten Qualität .18 — —
Ein Kiliogr. Oehl 18 — —
Ein Kiliogr. Essig 2 — 70 —
Ein gemästeter Pfau 56 — 25 —
Eine gemästete Gans 45 — —
Eine Ente oder ein Kaninchen 9 — —
Ein Repphuhn 6 — '5 —
Ein Kohlkopf von der bessten Art .... 0 — 90 —
Ein Paar Calcei 33 — 75 —
Ein Feldarbeiter täglich 5 — 60 —
Ein Maurer oder Schneider täglich ... 11 — 25 —
Ein Mosaikarbeiter täglich 13 — 50 —
[Aus der Biblioth. Italiana , April S. 46.J
Die Meinung, dass die Hesperiden- Gärten der Alten in der Nähe
von Berenices zu suchen scyen [Jbb. IV S. 231.], hat der Franzose
Facho [Jbb. VI S. 131.] vor kurzem in einer Sitzung der geogra-
phischen Gesellschaft in Paris bestritten und diese Gärten auf die Spitze
des Vorgebirges Phycus gesetzt. Er stützt sich dabei vorzüglich auf
die Beschreibung des Skjlax und auf einige Stellen im Herodot, Lu-
can u. A. Auf jenem Vorgebirge nämlich, in der Nähe eines alten von
den Phöniciern häufig besuchten Hafens, fand er dieselben Bäume und
Gesträuche, die Skylax in seiner Beschreibung angiebt, so wie auch
die übrigen topographischen Details, die jener über diese Gärten an-
führt und die man nirgends anderswo in der Cyrenaica antriff't.
Böckh's Staatshaushaltunff der Athener ist in einer Englischen
Uebersetzung in zwei Bänden erschienen.
Den Freunden symbolischer Deutung in der Griechischen Mytho-
logie wollen wir Hans Georg Nägeli's Vorlesungen über die Mu-
sik, mit Berücksichtigung der Dilettanten (^Stattgart, Cotta. 1826. gr. 8.
1 Thlr. 16 Gr.) , empfohlen haben , da sie eine ganz neue Deutung von
der Fabel des Apollo u. derDaphne geben. Die hierher gehörige Stelle
ist folgende: „Die Kunst erscheint dem Menschen und wirkt auf ihn
208 Mis Celle n.
unter der Form des Raums als Plastik oder bildende Kunst , und un-
ter der Form der Zeit als Musik. Dort erzeugt sie in ihm Aftecte, hier
Stimmungen. DerAffect ist der Stimmung entgegengesetzt; er ist bin-
dend, sie entbindend ; er sondernd, sie amalgimirend ; der Affect hebt
die Stimmung auf, die Stimmung vernichtet den Affect. Der Affect
berulit auf dem Grundbedürfnisse der Liebe , die Stimmung auf dem
Grundbedürfnisse der Lust, beide Worte im philosophisch allgemein-
sten Sinne genommen ; die Liebe zieht an , die Lust macht frei. Je-
nes Anziehen ist der Grundcharakter der bildenden Kunst, dieses Frei-
machen ist die Grundeigenschaft der Musik. — — — Apollo , der
Leiergott, ist in der Liebe unglücklich. Er vermag nicht die Daphne
einzuhohlen; wie er sie haschen will, entstaltet sie sich ihm als Ge-
genstand seiner Liebe , seines Affects. Die Bedeutung ist offenbar ganz
einfach diese: Die Stimnmng als das Leben (die Lebensweise) des Lei-
ergottes kann sich mit dem Affect nicht vermählen. So bleibt dem
Apoll nur die Leier. Mit dieser besuchte er , wie die Mythologie
sagt, öfters die Erde; ohne darauf die irdische Liebe zu finden. Dann
sagt die Mythologie weiter: schnell wie ein Gedanke war er wieder
bei den Göttern. Auch diess ist für uns symbolisch klar. Nothwen-
dig muss der Leiergott, das personificirte musikalische Princip , auf-
und absteigen , zwischen Himmel und Erde hin - und herschweben.
Denn dieses Schweben, dieses Auf- und Absteigen ist eben dem Wesen
nach Musik , so wie ihr Endeffect die Erhebung zum Himmel ist."
Die von dem König der Niederlande in Brüssel ernannte Commis-
sion zur Beförderung der Bekanntmac'hung der vaterländischen Ge-
echichtmonumente und der Abfassung einer National- Geschichte hat
den Beschluss gefasst unter dem Titel: Scriptores rertim Bclgicarum eine
Sammlung von Chroniken herauszugeben , in denen überall die Spra-
che des Originals beibehalten und der Text mit Noten , Zusätzen und
Registern begleitet wird. Die erste Reihenfolge soll etwa 30 Bände
ausmachen und folgende Schriften enthalten : 1) eine Reimchronik
von Nicol. de Clercq in Flaniändischer Sprache; 2) den Johann von Bra-
bant; 3) den Johann von Heeln , welcher in Flamändischen Versen die
Geschichte von Brabant schrieb; 4) die diplomatische Geschichte von
Bral)ant von Peter zu Thymo , in einem Gemenge von Flamändischer,
Französischer und Latein. Sprache geschrieben; 5) die Brabantische
Geschichte von Dinterus ; 0) den Johann Molinet; 7) die Erzählung von
den Unruhen in Gent unter Carl V, von einem Augenzeugen; 8) Ban-
denesVs Tagebuch über die Reisen Carls V; 9) Anton von Lalain's Be-
schreibung der Reise Philipps des Schönen nach Spanien ; 10) die Chro-
niken von Mucidus und Saint - Bavon und einen Theil der Chronik von
Brando.
Zu Voltaire's und Rousseau's Schriften ist in Paris bei C. L. F.
Fanckoucke 1828 auf 70 S. in 8. ein Nachtrag erschienen, nämlich
Lettres de Voltaire et de J. J. Rousseau a C. J. Fanckoucke , cdileur de
TodesfüUe. Schul • und Unlversltätsnachrlclitcn. 209
Vencyclopedie methodique. Die Briefe berühren freilich nur freundschaft-
liche und GescliiUtsangelegenlieiten , aber spiegeln auch hierin den
Geist heider Männer ah. Der Herausgeber , C. L. F. Panckoucke , als
Uehersetzer des Tacitus u. s. w. wohl bekannt, hat das Schriftchen den
Manen seines Vaters {€. J. Panckoucke) gewidmet und auch eine Le-
hensbeschreibung desselben vorausgeschickt. Beigelegt ist ein litho-
graphierter Brief Voltairc's , als Facsimile seiner Handschrift.
Todesfälle.
Aren 28 Mai starb zu Selb bei Wunsledel der Pfarrer und Senior M.
Andreas Schumann, ehemals Professor am Gymnasium in Baireuth, im
71sten Jahre.
In demselben Monat zu Paris der Abt Halma, der bekannte Ucber-
setzer der Astronomie und Geographie des Ptolemäus.
Den 19 Juli zu Sorau der vierte Lehrer und Cantor Schwerdtfeger
am Gymnasium.
Den 24 Juli zu Kreutznacli der dasige Oberlehrer Eichhoff am
Gymnasium.
Den 17 Aug. zu Salzwedel der Subrector des dasig. Gymnasiums
Dr. Friedr. JVilh. Solbrig , im 32sten Lebensjahre.
, Zu Sobernheim ist vor kurzem der Director des dasigen Progym-
nasiums Otto plötzlich mit Tode abgegangen.
In Paris ist der älteste Professor der Universität Jac. Nie. Mou-
chard , 87 J. alt gestorben. Er hat eine Sammlung Lateinisch ge-
schriebener Gedichte und Fabeln hinterlassen.
Schul- und Universitätsnachrichten, Beförderungen und
Ehrenbezeigungen.
iVRNSBERG. Der Lehrer Gerling beim Gymnasium ist Pfarrer in Cör-
becke geworden. Statt seiner wurde der Schularatscandidat'ßrüg-g-e-
mann als Oberlehrer und an Plassmann's Stelle [Jbb. VH S. 117.] der
Schulamtscand. Stieve angestellt , eine neuerrichtete dritte Lehrstelle
aber dem bisher. Hülfslehrer am Progymnasium in Dorsten , Pider,
übertragen.
Berlin. Am Berlinischen Gymnasium zum grauen Kloster hat
der Director, Consistorialrath Dr. BcUermann am 6 Octbr. sein Amt nie-
dergelegt und der bisher. Mitdirector Küpkä ist zum Director der An-
stalt , der Oberlehrer desselben Gynin. , Prof. Dr. Kibbeck aber zum
Director des Friedrich - Werder'schen Gymn. [Jbb. VI S. 373. ] ernannt
Jahrb. f. Flut. u. Pädag. Jahrg. 111. Heft 10. j^
210 Schul- und Universitätsnachrichten,
worden. Der Dir, Bellcrmann schrieb zur Niederlcgnng seines Amtes
das Prog^rainm : Eückblickc mif die Iclzlen 25 Jahre des grauen Klosters
zu Berlin. Er hat 142 Lehrer zu CoUegen gehabt und während seines
Directorats 5086 Schühir iramatriculiert , 776 aus Selecta entlassen.
Am Joachimstliarschen Gymnasium wurde der Schulamtscandidat
Seebeck [Jbb. VII S. 356. ] als Alumnen -Inspector angestellt. Am 7
Octbr. feierte der Prof. und Mitdirector des Cölnischen Realgymnas.
Dr. H. V. Schmidt sein funfzigjähr. Amtsjubiläum, erhielt bei dieser
Gelegenheit das allgenipine Ehrenzeichen erster Classe, und wurde
mit seinem ganzen bisher. Diensteinkommen von 1324 Thlrn. in den
Ruhestand versetzt. Die Universität zählte im Sommer dieses Jahres
1631 Studierende, darunter 430 Ausländer, 549 Theol. , 563 Juristen,
306 Medic. und 213 Philos. Vgl. Jbb. VI S. 264. Für den Winter d.
J. haben 112 akademische Lehrer [47 ordentliche und 33 ausserord.
Professoren, 1 Akademiker und 31 Privatdocenten] 22 theologische,
51 juristische, 75 medicinische , 15 philosophische, 13 mathematische,
31 natnr\\issenschaftliche, 16 kameralistische, 14 geschichtliche und
geographische , 4 kunstgeschichtliche und 29 philologische Vorlesun-
gen angekündigt. Dem Verzeichniss der Vorlesungen hat Hr. Professor
Böckh eine wissenschaftliche Abhandlung (8 S. 4.) vorausgeschickt,
in welcher er seine frühere Behauptung, dass in Athen der Areopag das
Gericht über Mörder, welches er früher ausübte, durch Ephialtes ver-
lor, aber ZMischen Olymp. 88, 2 und 92^ wiederbekam, gegen die
Einwendungen in Schutz nimmt , welche Meier im Rhein. Mus. f. Phi-
lol. II S. 264 ff. gemaclit hatte.
Bielefeld. An die liier neu zu errichtende Gewerbschule wird
der Dr. Carte aus Rinteln berufen Averden , welcher zugleich den ma-
thematisch-physikalisdien Unterricht übernehmen soll, für welchen
ein ausserord. jährl. Zuschuss von 200 Thlrn. aus allgemeinen Staats-
fonds bewilligt worden ist.
Brai NSBERO. Am Gymnasium sind in Folge der Ernennung eines
neuen Directors [ Jbb. VI S. 378. ] mehrere Veränderungen eingetreten.
Der Oberlehrer Biester ist in die erste, der Oberlehrer Dr. Kruge in
die zweite Oberlehrerstelle aufgerückt. In die dritte Oberlehrerstelle
wurde am 15 Juni d. J. der Dr. Fricdr. Bumke als neuer Lehrer einge-
führt. Noch soll eine vierte Oberlehrerstelle errichtet werden , für
welche der Lehrer Lingnau bereits designiert ist. Als ausserord. Hülfs-
lehrer ist der M. Saage eingetreten. Zum Examinator der kathol.
Abiturienten in der Religion wurde der kathol. Religionslehrer Ditki
ernannt. Das Lehrerpersonale besteht demnach jetzt aus dem Director
Dr. Gcrlach; den Oberll. Biester (Ord. in I), Dr. Kruge (Ord. in II),
Dr. Bumke (Ord. in III) und Dr. Lawerny; dem kathol. Religionslehrer
Ditki; den Lehrern Li« »Tißu (Ord. in IV) , Lilicnthal (Ord. in V) und
Saage (Ord. in VI); dem evangel. Pfarrer Kräh; dem Zeichenlehrer
Höpffner; dem Schreiblehrer Prengel und dem Gesanglehrer Lindaner;
welches in wöchentl. 195 Lehrstunden unterrichtet. Das Programm zu
den öffentl. Prüfungen (am 11 — 13 Aug. d. J. Königsberg, gedr. bei
Beförilcrungen und Klirenbezcig'ungen. 211
Hartung^. 23 S. 4.) enthält auf (i Seiten eine Abliandl. des Dr. liumke:
De Fato Ilomerico.
ISiiAirxscHWEiG. Das durch Fricdcmantis Abgang- [Jbb. VI S. 378.]
erledigte Directorat des hics. Obergy""iasiunis ist dem Conrector AVü-
ger in Wolfenbüttel übertragen worden.
I^KKSLAU. Am katliol. Gymn. ist der Scliulamtäcandidat Gebauer
als Oberlehrer angestellt worden.
CüLiv. Am Jesuiter - Gymnasium ist der Schulamtscand. Rhein-
städtcr als Hülfslehrer angestellt worden.
Cösiiix. Zu den üffentl. Prüfungen im Gymn. zu Michaelis d. J.
hat der Director Dr. Otto Moritz Müller durch ein Programm eingela-
den, welches ausser den gewöhnlichen Schulnachrichten (S. 21 — 28)
dessen Anrede an die obern Classen des Gymn. gesprochen am Tage der
Durchreise Sr. K. II. des Kronprinzen von Preiisscn am 25 Juni d. J. ( S.
3 — 6) und S. 9 — 20 Obscrvationes de vi et usu verborum quorumdam La-
tinorum enthält, welche letzteren zum grossen Theil gegen die in die-
sen Jahrbüchern enthaltene Recension von MüUer's Ausgabe von Cic,
ürat. pro Sextio (Bd. V S. 123 fl.) gerichtet sind und eine Art Anti-
kritik derselben bilden.
Dresden. Am Cadetten- Hause ist in die durch IIasse''s Abgang
[Jbb. VlI S. 355.] erledigte Professur der Professor Förster aufgerückt,
dessen Lehrstelle aber dem bish. Professor Chalybäus an der Landes-
echule in Meissen [Jbb. I S. 244.] übertragen worden.
Duisburg. Am 9 Juni dieses Jahres ist das neue Gymnasialge-
bäude eingeweiht und dem Gymnasium überwiesen worden.
Elberfeld. Zum Lehrer der Matliematik und Physik am hies.
Gymnasium ist Hr. Mieding ernannt worden.
Halberstadt. Gegen die Mitte des Sommers 1827 wurde der
Lehrer Kretschmar , nachdem er einige Jahre den matheiuatij^chen und
physikalischen Unterricht in den obern Classen und einige geo-
graphische Stunden in den untern Classen besorgt hatte , von sei-
nen Lehrstunden entbunden. Michaelis desselb. Jahres trat der Schul-
amtscandidat Baron Mex. Zoller von Brand sein Probejahr an. Er
übernahm den mathematischen Unterricht in Selccta und Prima , und
erwarb sicli durch seine gründlichen Kenntnisse in den mathem. Wis-
senschaften so wie durch seine Methode , dieselben auf eine fassliche
und Theilnahme erweckende Weise mitzutheilen, die allgemeine Liebe
und Achtung seiner Schüler. Leider verliess er die Anstalt schon nach
einem Vierteljahre, um eine Stelle bei einer Saline in Westphalen, die
ihm für den Augenblick wünschenswerth seyn musste, anzutreten. Sei-
ne Lehrstunden versah der Candidat Meinecke bis Joliannis 1828, wo
er das Rectorat der Stadtschule zu Gentin übernahm. Die mathem.
Lehrstunden in den beiden obern Classen sind seitdem dem Collaborator
Duhm, übertragen , der schon früher diesen Unterricht in den übrigen
Classen mit gutem Erfolge besorgt hatte. — Zu Micliaelis 1827 bezo-
gen 13 Gymnasiasten, die sämmtlich dasZeugniss Nr. 11 erhielten, die
Universität. Zu Ostern 1828 verliesseu 15 Gymnasiasten , einer mit
u *
21^ Schul- und Universitätsnachrichten,
dem Zengnisrse Nr. I, die übrigen mit Nr. II, die Anstalt, Zu der
feierlichen Entlassung derselben lud der Director Dr. Maass durch ein
Programm ein, Avelches eine Epistola, observationcs in Q. Horatii Flacci
locos quosdam contincns ad f iriim Eruditissimum L. S. Obbarium, Gymnasii
Rudolphopolitani Professorem missa des Oberlehr. Theodor Schmid enthält.
Halie. Die Universität zählte im Sommer d. J. 1316 Studierende,
wovon 951 zur theol. , 232 zur Jurist. , 51) zur medic. und 74 zur i)hi-
losoph. Facultät gehörten. Seit 1715 war die Zahl der Studierenden
nie so gross als jetzt.
Heiligenstadt. Am Gymnasium ist in die erledigte 3te Lehrstelle
[ Jbb, All S. 355. ] der vierte Lehrer Rinke , in die vierte der fünfte
Lehrer Richter aufgerückt, und die fünfte Lehrstelle dem bisher. Leh-
rer am Pädagogium des Klosters unserer lieben Frauen zu Magdeburg
Dr. Stern übertragen worden. Der Prof. Hindenburg ist auf sein An-
suchen in den Ruhestand versetzt worden.
Helmstedt. Zu der öfFentl. Prüfung der vier untern Classen dea
Helmstedt- Schöningenschen Gymnasiums am 26 Septbr. d. J. lud der
Director und Prof. Dr. Ph. C. Hess durch ein Programm ( 11 S. 4, ) ein,
das nur die gewöhnlichen Schulnachrichten und andere örtlich wichtige
Nachrichten enthält. Die Schülerzahl betrug im Sommer d. J. 325,
darunter 62 Auswärtige, 9 in I, 16 in II, 25 in III, 43 in IV, 65 in
V, 88 in VI, 79 in VII. Das Lehrerpersonal wurde durch Anstellung
des Bauzeichenlehrers Stövesand aus Schöningen vermehrt, der in
wöchentl. 4 Stunden die Schüler der 5 obern Classen im arcliitelitoni-
echen Zeichnen unterrichtet, welche sich dem Baufache, dem Forst -
oder Bergwesen oder der Landwirthschaft widmen wollen. Interessant
ist das Verzeichniss der im Gymnasium eingeführten Lehrbücher und
Ausgaben der Classiker, die im Ganzen sehr zweckmässig ausgewählt
sind und ein sehr umsichtiges Directorium verriathen.
Kasan. Das hiesige Universitätsgebäude zeichnet sich eben so
durch seine Grösse als durch seine innere u. äussere Eleganz aus. Die
Universität zählt etwa antlerthalbhundert Studenten, von denen die
Hälfte auf Kosten der Regierung im Universitätsgebäude selbst wohnt.
Als Beweis, dass man auch hier für die Wissenschaften thätig ist, dient,
dass auf Veranlassung des einsichtsvollen Curators PuscAfcm jetzt [im
April 1828.] zwei junge Männer von hier auf öffentliche Kosten fünf
Jahr lang nach Irkutzk geschickt werden sollen, um dort die Mongo-
lische Sprache zu studieren und Materialien für ihre wissenschaftliche
Behandlung zu sammeln.
Kiel. Zum Lector der Französ. Sprache bei der Universität ist
unter dem 16 Septbr. Heinrich von Buchivaldt ernannt worden.
London. Am Isten Octbr. ist die neugestiftete Universität mit den
physiologischen Vorlesungen des Prof, C. Bell im anatomischen Hörsaal
eröffnet worden. Die übrigen Vorlesungen sollten im November be-
ginnen. Die Professuren der Logik , Geschichte und Philosophie sind
noch unbesetzt. Bis jetzt sind für die Einrichtung dieser Lehranstalt
87,735 Pf. ausgegeben worden.
Beförderungen u nd Elirenbe« eigungen. 213
LircKAU. Der bisher. ObcrKlircr KrelscJmar vom Gymnasium in
Halberstadt ist in gleicher Eigenschatt an das liies. Gymnasium versetzt
worden.
LiJTTicn. Der Minister des Innern hat an die Professoren der
Rhetorik hei allen Atlicnäen und Collegien ein llundschreihen erlas-
ben, wodurch denselben untersagt wird, die Zöglinge, welche im
Auslände studiert haben, aufzunehmen, wenn sie nicht mit einer Er-
mächtigung des Ministers versehen sind. Eltern, Avelche ihre Kinder
im Auslande studieren lassen wollen, müssen eine solche Ermächtigung
erst einhohlen.
Meissen. Das Programm , womit der Professor M. Joh. GoltUeb
Kreyssig das jährl. Stiftungsfest der Landesschule (am 3 Juli d. J.) an-
kündigte (Meissen, gedr. bei Kllnkicht. 24 S. 4. ) , enthält auf 20 S.
von demselben: Commentationis de C. Crispi Salustii Historiarum Lib.
III Fragmentis, ex bibliotlieca Christinae , Siiecorum Reginae , in f'ati-
canam translatis. Pars I. Die durch CAaZj/fcäus Beförderung [s. Dres-
den] erledigte Professur ist dem bisher. Conrector am Gymnasium in
Zerbst , G. J. Becker , übertragen worden.
MÜNSTER. Die Lehrer Kersten und Slemers, von denen der erste
in Bonn, der andere in Berlin seine Studien fortgesetzt hat, werden
jetzt wieder in ihren praktischen Wirkungskreis zurückkehren,
Obls. Am Gymnasium ist der Schulamtscandidat Albano KleUke
als vierter Lehrer angestellt.
Paderkorn. Dem Professor und Gymnasial -Director Ililker ist
eine Canonicat-Präbende am hiesigen Dom übertragen worden.
Pforta. Als vierter Adjunct der hies, Landesschule ist unter dem
22 Aug. der Schulamtscand. Buttmann angestellt worden.
Posen. Der Professor Trojanski am hies. Gymnasium hat einen
Ruf auf die Universität Krakau erhalten und angenommen.
Prevssen. Se. Maj. der König hat die prachtvolle und in ihrer
Art einzige archäologische Sammlung von antiken Vasen, Terra Cot-
ta's, Glasurnen, Tischgefässen , Marmorarbeiten, Bronzen, Pasten,
Münzen , Aegyptischen Alterthümern etc. des verstorbenen Feldmar-
schalls von Koller zu Obrzistwy in Böhmen , welche der Verstorbene
in Neapel durch Ankauf u. Nachgrabungen zusammengebracht hatte,
für das neue Museum in Berlin um den Preis von 100,000 Thlrn. an-
kaufen lassen. Von dem bei dem Buchhändler Boike in Berlin erschei-
nenden encyclopädischen Wörterbuche der medicinischen Wissenschaf-
ten sind 50 Exemplare aus Staatsfonds zur Vertheilung an öffentliche
Institute angekauft worden. Das Ministerium der geistlichen Schul -
und Medicinalangelegenheiten hat dem Gymnasium in Coesfeld einen
mathematisch -physikalischen Apparat für 343 Thlr. geschenkt und
demselben auch Hoffnung gemacht, im nächsten Jahre für die Ver-
mehrung der Schulbibliothek etwas zu thun ; dem Gymnasium in Ma-
BiENWERDER zur Einrichtung einer Dienstwohnung für den Rector Un-
gefug eine Beiliülfe von 500 Thlrn. , dem Professor Ranke in Berlik
214 Schul-und Universitatsiiachricliten,
zu seiner wissensclrnftlichen Reise nach Venedig und Rom eine weitere
Unterstützung von 500 Tlilrn. bewilligt. Vgl. Bielefkld. Der Lehrer
Sauer am Gymnasium in Liegnitz erhielt eine ausserordentliche Remu-
neration von 50 Thlrn. , der Prof. Meyer an der Univ. in Kömgsberg
eine gleiche von 100 Thlrn ; der Lehrer Born an der Stadtschule in
IssTEBBURG clnc »usscrord. Unterstützung von 72 Thlrn., der Pro-
rector Pauli in Pillau eine gleiche von 300 Thlrn, Gehaltszulagen
erhielten in Arnsberg der Lehrer Marchand am Gymn. 40 Thlr. , in
Berliiv der Professor Heinsius 100 Thlr., in Greifswalde die Profes-
soren Roscnthal, Berendt, Kosegarten, Barkoiv , Stiedenroth, Hörn-
Schuck, Schömann und Erichson jeder 100 Thlr.
RASTE^Bl^RG. Am Gymnasium ist Carl Eduard Thiem als Schreib-
und Zeichenlehrer angestellt worden.
Ratibor. Der vor kurzem an das hiesige Gymnasium versetzte
Oberlehrer Dr. Pinzger [Jbb. VII S. 359.] hat das Prädicat Prorector
erhalten.
Reckiinghausen. Das dasige Progyranaslum , dessen Umwand-
lung in ein vollständiges Gymn. bereits durch das Minist, der geistlichen
und Unterrichts - Angelegenheiten genehmigt ist , hat durch eben das-
selbe die Vergünstigung erlangt , schon mit dem neu eintretenden
Schuljahre seinen bisherigen Classen die Prima hinzuzufügen, obgleich
noch kein DIrector angestellt ist. Da zmcI Lehrer der Anstalt, Heu-
mann und Berning , welche in Bonn und Berlin ihre Studien fortgesetzt
haben, jetzt Avieder in ihre Stellen eintreten, so kann dejr Unterricht,
mit 7 Lehrern , vollständig eingerichtet werden.
Rheimpreussen. Das Ministerium der geistlichen , Unterrichts -
und Medicinal- Angelegenheiten in Berlin bemüht sich, für die Si-
cherung und Erhaltung der Rheinischen Merkwürdigkeiten Sorge zu
tragen , und bezweckt eine vollständige Aufsuchung und genaue Ver-
zeichnung aller dem Staate, den Kirchen und Communen gehörigen,
in historischer , artistischer und literarischer Hinsicht merkwürdigen
Gegenstände der Rheinischen Provinzen , um auf amtlichem Wege
diese Denkmäler sicher zu stellen und an ihren Oertern zu erhalten.
Der mit diesem Geschäfte beauftragte Conservator Geerling wird dess-
lialb die verschiedenen Kreise dieser Provinzen nach einander bereisen
und untersuchen, und Archive, Bibliotheken, alterthümlich - merk-
würdige Gebäude, Altäre, Tabernakel, Leichensteine, Statuen, Inschrif-
ten, Altarbilder. Wandgemähide, Portraits, Glasmahlereien, Schnitz-
und Gusswerke etc. aufzeichnen, Ausgrabungen veranstalten und zur
Conservierung der merkwürdigen Gegenstände das Erforderliche vor-
gchlageu und einleiten.
Stettin. Am Gymnasium sind die Hülfslehrer Scheibert und
Wellmann [Jbb. V S. 120.] als Collaboratoren angestellt worden.
Straisund. Am 25 Juli d. J. beging die Stadt die zweite Säcu-
larfeier der Befreiung Stralsunds von der Wallcnstcinischen Belage-
rung. Zu den im Gymnasium desshalb veranstalteten Feierlichkeiten
lud der Director Dr. Kirchner ein durch die Hede gehalten am Oltofcstc
Beförderungen und Ehrenliezeigungen. 215
im Stralstindischcn Gymnasium zur siebenten Sücularfeier der Einführung
des Cliristerithums in Pommern den Ui Jan. 1H24. Stralsund, gedr. in der
kön. Uegicrunf:;;s-IJii(-lidriir.Kerci. 18 S. 4.
Stuttgart. Die erledigte Stelle des OberLIljIiotliekars an der
kön. öffentl. Bibliothek ist dem bisher. Bibliothekar, Professor von
Lebret, mit dem Titel und Hanj;- eines Ober- Studienraths übertragen,
und der bisher. Unter -Bibliothekar Dr. Stülcn zum wirklichen Biblio-
thekar ernannt worden.
WiESBADEiv. Die drei Nassauischen Pädagogien zu Dilienburg,
IIabamak und Wiksbaden kündigten ihre Frühjahrsprüfungen durch
ein Programm (Wiesltaden, gedr. bei Schellenberg. 71 S. 4.) an, wel-
ches auf 20 S. folgende gelehrte Abliandlung des Prof. u. Itector Just.
Hcinr. Dresler in Dillenburg enthält: Eratoslhencs von der Verdoppe-
lung des Würfels. Ein Brief an Plolemüus Euergctes , übersetzt , kritisch
berichtigt und erläutert., mit J'ergleichung einer mechanischen Auflösung
des Problems. Am Pädagogium in Dillenbirg rückte nach Schmiithen-
ncr's Abgang [Jbb. V S. 424. J zu Ende des vor. J. der erste Conrector
Fischer in das Prorectorat, der zweite Conrector Dr. Metzler in das er-
ste Conrectorat auf und der Candidat Schmitthenner wurde provisorisch
als zweiter Conrector angestellt. Im Dec. desselben J. gab der Schul-
lehrer Flick die Stelle eines Gesanglehrers am Pädagog. auf und an
seine Stelle trat der Elementarlehrer Klamberg. Die Schülerzahl war
45 in vier Classen. Das Pädagog. in Hadamar erhielt im Schulj. IS^j
einen neuen Religionslehrer in dem Pfarrer Schmidt y nachdem der
frühere Pfarrer und geistl. Rath Bausch zur Dompfarrei Limburg be-
fördert worden war. In den vier Classen sassen 66 Schüler. Das Pä-
dagog. in Wiesbaden zählte in eben soviel Classen 122 Schüler. Das
Prorectorat wurde nach hcx''s und Schmitthenner'' s Abgang [Jbb. V S.
424 und VII S. 239. ] dem ersten Conrector Christian Snell , das Ordina-
riat der vierten Classe dem Candidatcn Carl Ludw. Mencke übertragen.
Wegen der Privatlectionen des zweiten Conrectors Flicdner am herzogl.
Hofe zu BiEBRicH wurde der Lehrer der das. herzogl. Militärschule
Carl Rotwitt als Hülfslehrer der dritten Classe angestellt.
Wittenberg. Zu den Frühlingsprüfungen im Gymnasium [den
28 März ff.] lud der Conrector Schmidt ein durch den Versuch einer ge-
netischen Entwickelung der Sprachgesetze. (Wittenberg, gedr. bei Rü-
bener. 38 (18) S. 4.) Das Gymnasium zählte 114 Schüler in 4 Clas-
sen und 6 Abiturienten [1 mit dem Zeugnissl, 1 mit II, 4 mit III].
Seit dem 19 Januar d. J. ist der Candidat Dr. Albert Giese als ausser-
ordentlicher Hülfslehrer eingetreten, um sein Probejahr abzuhalten;
4 andere Stunden wöchentlich wurden etwas später dem Candidaten Dr.
Lehmstädt übertragen. Der seit dem Januar erkrankte Mathematicus
und Subrector A. Schmidt erhielt vom kön. Consistorium einen halb-
jährigen Urlaub und 75 Thlr. Unterstützung zu einer Badereise. Seine
Stunden sind interimistisch dem bisher. Studiosus der Mathematik und
Schulwissensch. Heinrich Deinhardt aus Klederzlmmern bei Erfurt über-
tragen. Der Prof. und Rector Spitzner erhielt im Juni neben einem
216
6 — 8 wöchentlichen Urlaub zu einer Baderelse ein kon. Gnadenge-
schenk von 100 Thlrn. und ausserdem 15 Thir. vom kön. Consistoriura.
Zur Recension sind versprochen:
Jaeger: Disputationes Herodoteae. — Lycurgi orat. hiLeocrat. von
Blume und von Korais. — Welcher s Sylloge epigraramatum Graeco-
rum. — J'oigtlaender: Dlsputat. de locoHorat. Od. III, 3, 9. — Land-
voigt: De tertiae declinationis Gr. et Lat. generibus. — Heffter: De
casibus linguae Latinae. — Vömel: Casus- und Genus -Regeln der
I^t. Spr. — Rotteck's Allgemeine Geschichte. — IloecWs Kreta. —
MeuscVs gelehrtes Deutschland im 19 Jahrh. , bearbeitet von Lindner.
— Bornemanns Gelehrten -Almanach. — VoigVs Neuer Nekrolog der
Deutschen.
Angekommene Briefe.
Vom 15 Juli Br. v. Kr. a. W. [Der Brief und die mir sehr ange-
nehme Beilage kamen sehr spät und der eine Wunsch ist sogleich, der
andere wird nächstens erfüllt werden. ] — Vom 6 u. 16 Septbr. Br. v.
K. a. G. u. M. [freundlichen Dank. Die Geschichte ist noch nicht ein-
gegangen.] — Vom 9 Sept. Br. v. W. a. G. [freundlichen Dank.] —
Vom 14 Sept. Br. v. S. a. B. [desgleichen.] — Vom 13 Octbr. Br. v.
W. a. B. mit Abhandlung. — Vom 14 Octbr. Br. v. B. a. B. — Vom
14 Octbr. Br. v. 5. a. D. —
Druckfehler.
In der Recens. der Neue'schen Sammlung der Sapphischen Fragmente
Bd. VI ist S. 399 Z. 19 Accusativ für Genitiv, S. 422 Z. 6 v. u. xÜTiQov
für z6 änQOv, S. 425 Z. 19 es für so, S. 426 Z. 8 v. u. Künstler für
Dichter, und S. 432 Z. 7 verivandt war zu lesen, wogegen ebendas. in
der folg. Zeile das ivar zu tilgen ist. Bd. VII S. 218 Z. 4 v. u. lies
Wissenschaften für Wissenschften , Z. 5 v. u. Hartman Ebcrhardt statt
Hartmann Eberhadt , Z. 16 v. u. Catull statt Catall. , S. 222 Z. 17 v. u.
verbessert statt verbesserte , S. 224 Z. 18 v. u. auf dem. statt auf den.
Zur Nachricht.
I Das Ute und 12te Heft dieses Jahrgangs werden,
ß weil sie die Journahiotizen enthalten sollen , erst im neuen
Jahre erscheinen. Dagegen wird das erste, und vielleicht
auch das zweite Heft des folgenden Jahrgangs noch im
li December dieses Jahres ausgegeben werden.
'"' J)ie Redaction.
li
Inhalt
von des dritten Bandes zweitem Hefte.
Platons Leluen aus dem Gebiete der Naturforschang und der Heilkunde»
Bearbeitet von Licittenstädt. — Vom Profeasor Gerlach in
Basel S. 115 - 121
Tacitus über Lage, Sitten und Völkerschaften Germaniens. Uebersetzt von
Klein. — Vom Gymnasial - Director Dr. Reiischer in Cottbus. 121 — 129
Krebs: Anleitung zum Lateinischscbreiben in Regeln und Beispielen zur
Uebung. — Vom Oberlehrer Dr. Jacob in Cöln. * . . 129 — 144
Dittcnberger : Geographie für Gymnasien etc. — Vom Dr. JVeise in
Orlamünde 144 — 170
HaacJte: Lehrbuch der Staatengetichichte des Alterthums and der neuem
Zeit. — Vom Gymn.- Director Dr. Reuscher in Cottbus. . . 170 — 178
Hantschhe: Staat, Schule und Haus müssen in\
ihren Strebnngen eins eeyn, wenn das! , _ _ „„
f Vom Prof. Dr. JVtn-
AV'erk der Jugendbildung gedeihen soll. > _,, ^ . __.o ,oo
^ i^'' r nefeld in Rastadt. . 178 — 183
Hantschke: Wesen und Zweck des Gymnasial-I
Unterrichtes. ...,./
Gerlach: Gymnasien sind Vorschulen der Weisheit. — Von demselben. 182
Galetti: Katechismus der Deutschen Vaterlandskunde. — Vom Director
Dr. Reuscher in Cottbus, 182 — 186
Eloquentium virorum narrationes de vitis hominum doctrina et virtute
escellentium. GoUegit Frotscher. — Vom Gymnasial -Director
Dr. Schulze in Duisburg 186 — 189
Phtlippi : Katechismus der Rhetorik. — Von demselben. . . . 190 — 193
Scholz: Handbuch zur Kunde von Deutschland und Preussen. — Vom
Dr. Weise in Orlamünde 193 — 197
Cornelius Nepos. Herausgegeben von Meinecke. — Vom Gymnasial -
Lehrer Struve in Berlin 197 —■ 200
Beiträge zu einer neuen Bearbeitung der Anthologia Latina. Vom Ober-
lehrer Dr. Sillig in Dresden. ....... 200 — 204
MiHcellen 204—209
Todesfälle 209
Schul- und Universitätsnachrichten, Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 209 — 2^6
iiLi.iiD!ilii,jimil
i^SSSSSSSI
n
U
m
IltWi^-Pifi^^'^W*'**'*^^''
JAHRBUCHER
FÜR
PHILOLOGIE UND PÄDAGOGIK.
Eine kritische Zeitschrift
in Verbindung mit einem Verein von Gelehrten
herausgegeben
von
M. Joh, Christ, Jahn,
Dritter Jahr gang.
Dritter Band. Drittes Heft.
Oder der ganzen Folge
Achter Band. Drittes Heft.
Leipzig,
Druck und Verlag von B. G. Teubner.
18 2 8.
Si quid noiisti rectius istis,
Candidus iniperti; si non, Iils utere mecuin.
Geographie.
Handbuch der Geo^T'ajJÄ/e zum Gebrauch für höhere Schul-
anstalten und für gebildete Leser Ton Dr. IV'dlidm Friedr. Volgcr,
Subconrector am lohanueum in Lüneburg. Mit 6 Tabellen und
einem alphabetischen Verzeichnisse, u. s. w. Hannover, im Verlage
der Hahn'schen Hof- Buchhandlung. 1828. VIII und 87T S. gr. 8.
1 Thlr. 16 Gr.
J? ast in jedem recensirenden Blatte finden wir die Klage, dass
in jeder Messe eine grosse Menge von Lehrbüchern der Geo-
graphie erscheine, und hinterher folgt dann die erklärende
Beschwerde, dass der Wissenschaft durch sie nicht geholfen
sei. Jeder Schulmann weiss , wie schwierig der Vortrag der
Geographie ist, wieviel Vorbereitung er kostet, wenn man mit
Liebe und Erfolg lehren will, namentlich iiber das, was uns
am nächsten liegt. Es fehlt an Mitteln: also muss die Klage
gegriindet sein. Der menschliche Geist ist jetzt schon so weit
vorgeschritten, dass er einsieht, wie es sein müsste ; jeder
fühlt sich also gedrückt, wenn die Hülfsmittel zur Erlangung
der Kenntniss nicht so beschaffen sind, wie der Standpunkt der
Bildung sie fordern könnte. So ist es auch in der Geographie.
Wohl nie ist der menschliche Geist so vielfach und gross-
artig angeregt gewesen, als in der gegenwärtigen Zeit; und man
darf es sich nicht verhehlen, dass auch das gt^ographische In-
teresse im höchsten Grade lebendig geworden ist; ja die Geo-
graphie ist die Grundlage vieler Wissenschaften geworden, statt
dass sie sonst ein leicht zu entbehrender Anfang der Historie
war. Um hier nur Eines zu erwähnen, so ist die Geographie
die Basis des politischen Interesses ganzer Völker geworden.
Was beschäftigt uns Alle jetzt wohl mehr, al^ das Verhältniss
Russlands zu Persien und zur Türkei? Die Eroberungen in Per-
sien haben ein rein geographisches Interesse; das Glück Grie-
chenlands hängt von den geographischen Verhältnissen der Ein-
gänge zur Türkei ab. Jeder forscht ängstlich, jeder fragt theil-
15*
220 Geographie.
nehmend ; — wir nehmen Bücher zur Hand , finden aber nir-
gends den Aufschhiss, den wir haben wollen. Der Wanderstab
und das Segel des Europäers durchkreuzen alle Zonen der Erde;
neue Welten werden uns aufgeschlossen , wir sehen den Geist
der Aufklärung und der Thatkraft über den Erdball schreiten:
wir wollen Theil nehmen und finden keine Befriedigung. Un-
sere Geographien geben nur Schalen, d.h. iVaraen, keinen Kern.
Darum klagen wir mit Hecht. Der menschliche Geist ist mün-
dig geworden auf seinem angestammten Boden; während des-
sen ist die Geographie eine Wissenschaft geworden; und dies
hat man übersehen. Seitdem grosse Geister, wie ein Hum-
boldt, ganze Welttheile überschauten und uns die herrlich-
sten Aufschlüsse gaben, ist es Schande, den Reichthum unbe-
nutzt zu lassen. Oder für wen sind die Geographien geschrie-
ben? Für Männer, welche die Erde kennen*? Diese bedürfen
solcher Compendien nicht. Oder für unsere Jugend? Für diese
sind sie zu herz- und geistlos. Und wen soll man anders mit
Geist nähren, als den jugendlichen Geist? Es scheint über-
haupt, als wenn man die Jugend noch lange nicht hoch genug
achte, da man ihr vorenthält, was jedes Gemüth in freudige
Bewegung setzt.
Die Geographie ist eine Wissenschaft geworden. Dies wer-
den Viele bestreiten wollen, die noch zu sehr am Alten kleben.
Geographie heisst Erdzeichnung oder Erdbeschreibung. Möchte
doch der Begriff dieses Wortes beim Niederschreiben jeder Zeile
mahnen! Der sogenannten politischen Geographie pflegt man
vorzugsM'eise den Namen Geographie zu ertheilen ; sie trägt aber
diesen Namen sehr mit Unrecht. Die politische Geographie, wie
sie bisher dargestellt wurde, begreift in sich eine planlos zu-
sammengehäufte Masse von Nachrichten über Menschenwerke,
bei deren Beschreibung man Naturbildungen als Wegweiser hin-
stellt. Eine ^^/'r/beschreibung nennt man den Inbegriff dieser
Nachrichten, und dennoch redet man von Gebäuden und Fabri-
ken, von Gerichten und Geistlichkeit u. s. w. , gleich als wenn
dies Alles dem Erdkörper angehörte. Man mag ein solches
Aggregat von Nachrichten eine Topographie nennen. Schon die
Benennung politische Geographie hat etwas Widersprechendes
in sich, da sich die Ü'/ r/oberfläche nicht nach den jedesmaligen,
oft willkührlich gesteckten, und daher nur temporären Grenzen
der Staatskunst und politischen Macht darstellen lässt. Und
wollte man die politische Geographie, wie sie jetzt ist, als einen
Zweig menschlicher Kenntnisse unangetastet lassen, so verdient
sie doch nicht den Namen einer Wissenschaft , da sie nur ein
Aggregat, ein Register grösstentheils von Zufälligkeiten ist. Je-
der Schulmann weiss, Avie wenig er seine jungen Zuhörer mit
der politischen Geographie fesselt, und wie wenig sie von der
ganzen Discijilin im Gedächtnisse behalten, eben weil ihnen ai-
Volger's Handbuch der Geographie. 221
les, was sie enthält, nur als zufällig erscheint, — weil es grund-
und hodenlos ist.
Der höchste Zweck einer jeden Disciplin, wenn sie auf
den Namen einer Wissenschaft Anspruch machen will, ist der •
Mensch selbst; — das Material, welches die Geographie als
Wissenschaft verarheiten soll, ist die Erdoberfläche^ der Bo-
den, ohne welchen das ganze Sein des Menschen nicht bestehen
kann. Die Geographie soll also die Erdoberfläche darstellen
und das Verhältniss derselben zum Menschen. So betrachtet
w ird sie die höchste Aufgabe für jeden , der in einem Staate
lebt. Der Mensch , als Bürger eines Staates , soll sich des Bo-
dens, auf dem er wandelt, bewusst werden. Wenn das Volk
die EigenthVimlichkeit seines Bodens erkennt und benutzt, ist
es gross. So lange das Volk der Aegypter die Eigenthümlich-
keit seines Bodens erkannte, war es gross in sich; jetzt liegt
das Land öde. China hat die Individualität seines Landes er-
griffen, vielleicht von der einzig richtigen Seite; deshalb ist es
bedeutsam in sich und altert nicht, so lange es diese Individua-
lität nicht untergehen lässt. So haben England und Holland ihre
Weltstellung begriffen, und sie sind Weltmächte geworden.
Diese Individualitäten der Glieder der Erde rauss der Geograph
erkennen , sie anschaulich darstellen und mit den Bewohnern in
Verbindung zu bringen suchen. Und wem möchte dies besser
gelungen sein, als dem würdigen Geographen Carl Kitt er?
Dennoch scheint man die Schätze, die er aus den Fundgruben
grosser, imerraüdlicher Männer zu Tage förderte, nicht heben
zu wollen; es scheint, als scheue man sich vor den Ritter-
schen Werken, wie man vor der Grimmschen Grammatik
sich scheut. — Wir wollen nicht behaupten , dass die Erde
ein belebtes, organisches Wesen sei; aber so viel scheint ge-
wiss zu sein, dass die Erdoberfläche nach bestimmten Gesetzen
gebildet ist, deren Befolgung wir allenthalben finden. Ritter
hat diese Gesetze in der Lehre von der dreifachen Abstufung
der trocknen Erdoberfläche: in Hochlafid, Sliifenland u. T/e/-
land,zvi denen noch isolirte Gebirgsglieder kommen, entwickelt,
und hat durch seine Darstellung bewiesen, dass sie gegründet
sind. Wir sollten also stets die vertikale Ausdehnung derTheile
der Erdoberfläche und ihre klimatische Lage betrachten, und
hiernach das Land beschreiben ; eben so sehr müsste unser Au-
genmerk auf die horizontale Ausdehnung der Länder gerichtet
sein, um nach ihr das Verhältniss zu den übrigen festen und zu
den flüssigen Formen der Erdrinde und zum Erdgange darzu-
stellen. Denn vollkommene Erdbildung scheint nur da zu herr-
schen, wo, mit Berücksichtigung der klimatischen Lage, die ho-
rizontale und vertikale Ausdehnung der Erdoberfläche in richti-
gem Verhältnisse stehen. Geographie wäre uns also : die Wis-
senschaft von der Lage ^ Gestaltung und Belebung der Krdober-
222 Geographie.
fläche im Verhältniss zu de?n Menschen und seinen höchsten In-
teressen. Systematischen Zusammenhang wird man in dieser
Wissenschaft nicht vermissen, wenn man nur den Zusammen-
hang in den Bildungen der Erdoberfläche erkennen will.
Mit dieser Grundlage stimmt auch die Ansicht von derEin-
theilung nach Natiirgrenzen überein, welclie ebenfalls noch
heute ihre Gegner findet. Jedes Land, welches von einem Volke
bewohnt wird, das einen Staat bildet, hat in der Regel wirk-
lich Naturgrenzen. Die Völker finden Befriedigung ihres Le-
bens nur durch die Individualität ihres Bodens , auf welchem
sie geboren wurden. Vermag auch der einzelne grosse Geist
sich iiber seinen väterliclien Boden zu erheben und sich mit
dem Geiste der Weltgeschichte in Verbindung zu setzen; das
Volk vermag nicht den Stempel auszulöschen, den der heimi-
sche Boden ihm aufgeprägt hat. Daher finden wir, dass die
Völker nicht gerne Viber ihre Naturgrenzen hinausschreiten,
selbst wenn sie es vermöchten ; aber so gross dieses Festhal-
ten ist, eben so gross ist auch ihr Streben, sich Naturgrenzen
zu erwerben. Man betrachte nur die Geschichte des geogra-
phischen Erkennens Deutschlands. Li der Zeit der Zerstücke-
lung der deutschen Kräfte, die in der neuern Geschichte bis zum
Anfange unsers Jahrhunderts reicht, hatten die fast unzähligen
Herrschaften in Deutschland keine Naturgrenzen; Deutschland
war geographisch ein Nichts. Seitdem aber die deutsche Kraft
ihre Bestimmung erkannt hat , seitdem ist ein Streben nach Na-
turgrenzen so vorherrschend gewesen, dass die deutschen Staa-
ten, im Allgemeinen genommen, Naturgrenzen gefunden haben.
Ist dies bei einzelnen kleinen Staaten nicht der Fall, so schliesst
man sie in die grösseren Staaten ein, welche feste Grenzen haben.
War es auch bisweilen der Fall, dass Völker sich aus ihren
Grenzen ergossen und fremde Länder überflutheten, so war die-
ser Erguss einer einzelnen Woge gleich, die entweder wieder
zurückfluthete, oder in ihrem Laufe versiegte, oder ein leeres
Becken fand, oder eine andere Bevölkerung erstickte und bis an
deren Naturgrenzen hinanging.
Der Standpunkt eines llecensenten kann sehr verschieden
sein. Unsere Absicht war es , eine Meinung , die höher steht
als die gewöhnliche, zu repräsentiren, sie auszusprechen, ihr
Anhänger zu verschaffen und sie als Maassstab für andere Er-
zeugnisse aufzustellen, bei denen wir Fleiss und Geist anerken-
nen, und welche das Gepräge gleicher Meinung tragen. Es ist
damit nicht hochmüthig ausgesprochen, als könnten wir Alles
hesser machen: die Wissenschaft muss in ewigem Fortschreiten
begriffnen sein , und so wollen wir denn lieber dankbar anerken-
nen und unser Scherflein beitragen, als beissig tadeln.
Der Maassstab, den wir hier für ein geographisches Lehr-
buch festgesetzt haben, ist freilich etwas hoch gestellt. Werke,
Volger's Handbuch der Geographie. 223
nach diesem Plane angelegt, fordern mehr Vorkenntnisse, als
man von einem Schüler erwarten darf; und unsere geographi-
sehen Compendien enthalten doch manches Wissenswürdige.
Es kommt daher vorzüglich auf eine bessere Anordnung an,
auf sorgfältigere Sichtung und Verschmelzung so manigfacher
Kenntnisse zu einem Ganzen für den Geiuiss der Jugend.
Meiner Meinung nach könnte ein geographisches Lehrbuch für
Schulen folgendermaassen angelegt werden: den Ilauptbestand-
theil bilde die genaueste Beschreibung des Landes nach seiner
vertikalen u. horizontalen Ausdehnung, nach seiner Abdachung,
seinen Naturgrenzen, seinen Strömen, seinen Pässen u. s. w.
Daraus leite man die historische Wichtigkeit der Lage der ein-
zelnen Oerter historisch ab; denn eine gute Geographie umfasst
alle Zeiten. Man zeichne darnach kurz die Bedeutsamkeit des
Volks und deducire, wie und wann es seine und des Bodens In-
dividualität erkannt habe. Aus der Betrachtung der Umgebun-
gen — denn jede gute Geographie muss vergleichend sein —
kann wieder die Bedeutsamkeit anderer Oerter hergeleitet wer-
den. Dann beschreibe man genauer geognostisch und minera-
logisch die Oberfläche, ferner nach ihrer Fauna und Flora; und
auch hier werden viele Oerter ihre rechte Stelle finden. In
einem Anhange könnte man der Vollständigkeit wegen die übri-
gen, unwichtigem Städte und Flecken aufzählen. In Anhänge
und Tabellen wären zu verweisen: Nachweisungen über den
wissenschaftlichen Znstand des Staats, die Aufzählung und
Darstellung der Universitäten und Schulen, die Regierung und
geistliche Verfassung, die Kunstwerke aller Art. Dies Alles
zersplittert sich zu sehr u. verliert sich aus dem Gedächtnisse,
wenn man es zersplittert vorträgt. Anschaulichkeit^ Vebersicht^
Wärme sindllaupterfordernisse der geographischen Darstellung.
Guths Muths hat hierin Treffliches geleistet; aber auch er
wird iibersehen und nicht genug verarbeitet, wie Ritter.
Betrachten wir unsere gewöhnlichen Lehrbücher für die
Schulen von Busch in g an bis auf Fahr i, Stein, Gas pari,
Cannabich u. A. m., welche jetzt allgemein Eingang gefun-
den haben, so finden wir, dass ihre Methode der entgegenge-
setzt ist, welche hier vorgelegt ist. Den Ilaupttheil der Com-
pendien dieser Verfasser macht die Beschreibung der Städte
aus; der rein geographische Tlieil, welcher den Grnndfaden
bilden sollte, wird in eine dürre Einleitung verwiesen. So er-
hält der Boden keine Wichtigkeit durch die Städte, und die
Städte erhalten keine Bedeutsamkeit durch den Boden. Es
fehlt der geistige Faden , der Alles zu Einem unzertrennlichen
Ganzen verbindet.
Wenden wir uns nun zu dem vorliegefiden WerTce^ so kön-
nen wir nicht umhin , demselben einen Vorzug vor den bisher
erschienenen geographischen Compendien alten Styls zu geben ;
224 Geographie.
der umsichtige Fleiss bei der schwierigen Arbeit ist dankbar
anzuerkennen, und der Hr. Verf. strebte darnach, einen wisseu-
schaftliclien Geist in dieselbe zu bringen.
Hören wir ihn selbst in der Vorrede: „Der Zweck dieses
Handbuchs ist, jedem Gebildeten Viber geographisclie Gegen-
stände nicht bloss nach Art eines Lexikons^ sondern in zusam-
menhangender und mö^Wch^i wissenschaftlicher For7n^ so wie
in einer durch den Umfang des Werkes selbst bedingten Aus-
führlichkeit, hinreichend Auskunft zu geben und zugleich in
den obern Klassen der Gymnasien und anderer höherer Schul-
anstalten dem Unterrichte zum Grunde gelegt zu werden, so
lange noch ein für letzter eti Zweck eijizig und allein bestimmtes
wirklich zioeckmässiges Werk dieser Art, dessen Bearbeitung
der Verf. vielleicht noch versucht, fehlt. '-'■ Ferner sagt er:
„Wenn gleich in Rücksicht auf die Zahl der Namen von 0er-
tern dies Buch keinem von ähnlichem Umfange nachsteht,
so habe ich es doch für besser gehalten , nur bei den Haupt-
städten der Länder länger zu verweilen , als bei jedem
Orte alle seine Fabriken u. a. herzuzählen, weil erstlich
ein Handbuch der Geographie kein Zeitungslexikon sein soll,
und zweitens alle solche Einzelnheiten stets so sehr der Verän-
derung unterworfen sind, dass es kaum möglich ist, darin etwas
auf längere Zeit uur einigermaassen Richtiges zu liefern.
Lächerlich ist wahrlich die Aengstlichkeit, mit welcher
die Verfasser ?nancher geographischen Hand - und Lehrbücher
Summen, angeben^ die gewiss an dem Tage der genauesten Zäh-
lung nicht mehr richtig waren. — Die Summe der Ein-
wohner ist stets — • in runden Zahlen genannt." Und daran hat
der Hr. Verf. sehr wohl gethan. In einem XeA/buche der Geo-
graphie ist das geistlose Zusammenhäufen unendlicher Summen
eine höchst überflüssige Arbeit. Welcher jugendliche Geist
kann in einem solchen Wüste von Zahlen sich orientiren'? Wel-
cher Lehrer lässt die Jugend sie lernen'? Welcher Lehrer der
Geographie weiss für jeden Zeitraum den zehnten Theil dersel-
ben? Zahlen gebe man an, wo sie wichtig sind^ d. h. wo man
aus der Zahl auf den Stand u. Fortschritt der Cultur sehlicssen
kann und soll, und wo man aus der Zahl ersehen kann, ob und
wie die Bevölkerung die Individualität einer Stelle der Erdober-
fläche erkannt hat.
Man sieht, wie sehr der Verf. mit unserer Ansicht über-
einstimmt. Er strebte nach „einer ausfuhr liehe rn und syste-
viatis ehern Behandlung der physischen Geographie., bei der
eine blosse Aufzählung von INameu vermieden war." Er ver-
suchte es, ,,eew Bild des Landes in kurzen^ aber deutlichen
Zügen zu enttüerfen;'-'' und ,, nicht allein blosse Umrisse des
ganzen Gemähides, sondern auch von den einzelnen Theilen
möglichst deutliche Bilder zu geben.'"'' So sieht Jeder unsern
Volger'ö Handbuch der Geographie. 225
und des Verf. Standpunkt und Ziel klar vor Augen. Es fragt
sich nur noch, ob und wie der Ilr. Verl', sein Ziel erreicht habe.
Die Klippen, vor welchen derselbe warnt, liat er gescliickt ver-
mieden; wir finden allenthalben eine glückliche Kürze in Din-
gen, die keine Ausführung verdienen ; man sieht es, er vvusste
das Wichtige vom Unwichtigen zn unterscheiden. Aber in der
Hauptsache, „em Bild'-'- des Landes zu entwerfen, hat er wohl
nicht immer das Ziel erreicht, das er selbst zu erreichen wünsch-
te; wir vermissen die klare Einfalt, den Innern Zusammenhang
in den Schilderungen, zu denen der würdige Ritter (den er
unter seinen vorzüglichsten Quellen nicht einmal nennt) so mu-
sterhafte Vorbilder gegeben hat. Aus einer guten Beschreibung
muss man sich augenblicklich eine Charte, ein Bild, entwerfen
können. Zwar sieht man es schon der Aiisdehmmg der Ein-
leitungen an, und man erfährt es bald aus dem Inhalle dersel-
ben^ dass der Herr Verfasser viel mehr leistet^ als bisher ge-
leistet ist; lief, möchte es aber nicht unternehmen, nach den
Schilderungen des Hrn. Verf. eine Charte oder eine Darstellung
des Landes zu entwerfen; seine Schilderungen sind noch zu kurz
und die einzelnen Theile derselben zu unverbunden. Sicherer
wäre der Hr. Verf. gegangen , trenn er gleich die Produkte in
der Beschreibung des Bodens an der passenden Stelle einge-
führt halte. Wir schlagen S. 372 auf und finden hier eine Schil-
derung Englands in folgenden Worten: „Der Boden ist nur in
S. O. völlig eben ; den VibrigenTheil durchstreichen mehre Ge-
birgsketten, die im Westen am höchsten sind. Die Provinzen
Wales, Cornwall, York, Curaberland, Westmoreland, Northura-
berland, Lancaster und Derby sind die gebirgigsten, berühmt
durch romantische Gegenden ist Monmouth und Hereford. Die
höchsten Gipfel sind Snowdon = 330« F. u. s. w. Die Gebirge
sind also weit unter Alpenhöhe, zeichnen sich aber besonders
in Wales durch ihre Rauheit aus , und sind ausserdem durch
Höhlen bemerkenswerth, unter denen die vonCastieton am Peak
in Derby die berühmteste ist." Diese Schilderung, die viel-
leicht zu den gelungensten des Werks gehört, und die wir nicht
ausgesucht liaben, ist uns nicht anschaulich genug. Der Bau
und die Verzweigung der Gebirgsglieder mit den vor denselben
liegenden Ebenen hätte mit wenig jnehr Ausführlichkeit klarer
geschildert werden können. — Ganz aber verdient unsern Bei-
fall der Hr. Verf., wenn er fortfährt: „Die S. und O. Küsten
bilden grösstentheils Kalkfelsen (wie hoch'?), nur die Ufer zwi-
schen Huraber und Themse sind flach, wie denn überhaupt die
Grafschaften Lincoln und Norfolk a öllige Ebenen , erstere zum
Theil völlig Morast- und Marschboden haben. Die Küsten sind
in S.O. voll Sandbänke (Dünen) und der Schilffahrt selir gefähr-
lich. Die W. Küste ist die steilste und zerrissenste , in Wales
aus Granitfelseu bestehend, voll kleiner Buchten. Fürchterliche
226 Geographie.
Meeresbraiidung an der S. W. Küste. Die schönsten Häfen bie-
tet die S. Küste dar," u. s. w. Noch mehr befriedigt werden
wir, wenn wir diesem Umrisse noch die einzelnen zerstreuten
Bemei'knngen hinzufügen. Wären doch diese Schattirungen
gleich dein Grundrisse des Bildes aufgetragen!
Richtig geht der Hr. Verf. , wann er die Flüsse den Ge-
birgen folgen lässt. Ca nnabicli macht es umgekehrt. Wa-
rum ? — !
Was ferner ein geographisches Werk gleich als ein tüch-
tiges erkennen lässt, ist der Gong , die Reihenfolge der Län-
der in der Darstellung. Jeder Erdtheil , jedes grössere Land
ist ein Körper mit vielen Gliedern. Will man nun die Eigen-
thümlichkeit desselben analytisch darstellen, so sei man ein
geschickter Anatom, und zerschneide nicht die Nerven und
Bänder, nach welchen man sucht. Man stelle die Länder so
dar , dass das eine seine Wichtigkeit und. Abhängigkeit immer
durch das andere erhält; man kann oft ein Land ohne die
Nachbarländer nicht verstehen. Dies scheint der Hr. Verf.
nicht scharf genug verfolgt zu haben. Beobachten wir z. B.
seine Darstellung Äfrika's ( die wohl etwas mehr Ausführlich-
keit verdient hätte, denn sie umfasst mit den Inseln von den
781 Seiten des Werks nur 48), so hat der Hr. Verf. allerdings
eine gewisse Ordnung befolgt, unserer Meinung nach aber nicht
die rechte; wir finden die Anordnung bei Ilitter so treffend,
dass man gezwungen wird , sie anzunehmen, man möchte denn
den Lauf des Orangeflusses etwas früher stellen, am Anfang
der Darstellung der Westküste; dadurch würde man das hö-
here Binnenland im Osten der Namacquaküste mit dem im
Osten der Kongoküste in engere Verbindung bringen. Der Hr.
Verf. fängt z. B. mit Aegypten an ; dann folgt bei ihm Nubien,
Habesch, die Berberei u, s. w. Bei diesem Gange steht aber
das bedeutsame Aegyptenland zu sehr ohne Verbindung da;
und es kann doch nur in einer physischen Abhängigkeit von
Habesch gedacht werden. Noch schlechter kommt Deutsch-
land fort, dessen Länder sich eine Darstellung nach dem Ti-
telrange ihrer Herrscher haben gefallen lassen müssen. Es
folgen auf einander : Oesterreich, Preiissen, Baiern, Hanno-
ver, Sachsen, Würtemberg, u. s. w. Bei aller Achtung gegen
den Hrn. Verf. können wir doch nicht umhin, ihm eine solche
Verwirrung zum grossen Vorwurfe anzurechnen , um so mehr,
da sein Handbuch „kein Zeitungslexikon"" sein soll. Es ist
ausgemacht, dass Deutschland o^wi^ Hochfläche und ein Tief-
land besitzt; zwischen beiden muss natürlich ein Stufenland
sein. Es ist immer am sichersten, in der Darstellung vom
Hochlande zum Tieflande hinabzusteigen. Und so würden auch
wir es gemacht haben, und zwar nach folgender Ordnung:
Wir würden beginnen mit dem Hochlande (zweiter Grösse),
Volger's Handbuch der Geographie. 227
das in einem Viereck Baiern und Würlemberg (Baiern und
Schwaben) umlasst mit den natürlichen Grenzen (d. h, Gebir-
gen, mit denen jede llochlläche umsäumt ist) nämlich: den
Alpen im S. , dem Schwarzwalde und Odenwalde im W. , dem
Böhmerwalde imO., dem Fichtelgcbirge, dem Rhöngebirge,
dem Spessart im N. Die Jurakette der schwäbischen Alp kann
uns nicht wirren ; sie ist bekanntlich eine jüngere Kalkforma-
tion, die mit ihren Höhlen in Franken, aus Frankreich her bis
zu den Ufern des Mains reicht. (Vgl. L. v. Buch in d.Abhandl.
der Berliner Akad. der physik. Klasse 1822 u. 1823, S. 03 flgd.)
Sie erleichtert uns nooli die Abgrenzung zwischen Würtemberg
und Baiern. Dann würden wir das westliche Stufenland Baden
nehmen mit dem N.W. Vorsprunge des Odenwaldes in Ilessen-
Darmstadt. Diesem Stufenlande fehlt zwar ein unmittelbares
Tiefland, aber der hier schon entwickelte Rheinstrom giebt ihm
Holland zum Tieflande. Baden und der Elsass bilden hier grade
ein solches bassinförmiges Stufenland, wie Böhmen es im 0.
ist. — Hiernach würden wir den östlichen Ausläufer des Hoch-
landes, das Erzherzogthum Oesterreich , mit der Ausbildung
des Donaugebiets betrachten, von hier dem Laufe der Moldau
nachgehen und das östliche Stufenland Böhmen mit der Ent-
wickelung des obern Eiblaufes beschreiben und durch die säch-
sische Schweiz treten. Dann Hessen wir die nördlichen Stu-
fenländer folgen: zuerst das Königreich Sachsen als letzte
Stufe zur tiefen Flachebene und mit einem Rückblick auf Böh-
men; dann das Thüringerland mit Rückblick auf Baiern und in
Verbindung mit der N. O. Tiefebene Deutschlands; dann gin-
gen wir durch die thüringsche Pforte in das Hessenland , und
durch Nassau zum Rhein. In Rheinpreussen gingen wir dem
Strome nach (wobei wir das Panorama von Delkeskamp
empfehlen); von Rheinpreussen und Westphalen nähmen wir
den Weg durch die Tiefländer der Nordsee nach dem östlichen
Theile von Preussen und schlössen mit den Küstenländern der
Ostsee: Pommern, Mecklenburg und Holstein, mit Rückblick
auf die Nordseeküsten und auf den untern Lauf der Ströme
Deutschlands.
Wir haben hier nur kurz andeuten können , was eine wei-
tere Ausführung verdiente. Bei näherer Ueberlegung wird sich
der Hr. Verf. von der Wichtigkeit der Anordnung gewiss über-
zeugen. Höchst erfreuliche Resultate gehen aus derselben
hervor, welche „der gebildete Leser" verlangen kann, wenn
er „hinreichende Auskunft" habensoll!
Bei Asien Hesse sich ein solcher systematischer Gang noch
genauer verfolgen , als es bei Deutschland bis jetzt kaum raög-
Hch ist.
Warum sind Mainz und Coblenz, iimriim sind Erfurt^
Leipzig und Torgau, so wie auch Wittenberg politisch so sehr
228 Geographie.
wichtig? Warum die Gegend von Günzbiirg bis Höchstädt?
Warum Jablunka*? — Solclie Fragen, die der gebildete Leser
und der forschende Schiller zu hunderten aufwerfen, können
durch die Anordnung und mit kurzen , kräftigen Zügen beant-
wortet werden.
Betrachten wir endlich das Einzelne, so hat der Hr. Verf.
durcli seinen Fleiss Tiichtiges geleistet. Wir können ihm aber
nicht verliehlen, dass hin und wieder Manches fehlt, was nach
seinem Plane nicht fehlen diirfte. So wird man, um bei dem
stehen zu bleiben, was wir schon beriihrt haben, die Darstel-
lung des Landes Thiaingen vermissen. — Ward bei der Wart-
burg das Wartburgsfest angeführt, warum ward nicht auch die
Wartburg als Mittelpunkt des Sängerlebens im Mittelalter (der
Krieg auf Wartburg) berührt, da Weimar's als Mittelpunktes der
Dichtkunst in unserer Zeit erwähnt ward? So erhält Thüringen,
das Herz von Deutschland , eine dreifache Wichtigkeit für die
Ausbildung deutscher Caltur. Thüringens politische Wichtig-
heit ist längst anerkannt, diese muss durchaus hervorgehoben
werden. Die Eifel^ S. 200, ist, wie viele andere Gebirgsge-
genden, mit ihren Produkten nicht anschaulich genug geschil-
dert; zwar findet man bei Andernach und Mayen (S 202) das
hieher Gehörige beigebracht, aber hier steht es ausser allem
Zusammenhange.
Es ist übrigens lobenswerth, dass der Hr. Verf. unserm
Vaterlaiide den grössten Fleiss ufid den grössten Raum des
Werkes (Deutschland umfasst den Raum von S. 12'i — 348) ge-
schenkt hat.
Seite 509 ist nicht einmal des Deioanagiri (Götterberg)
(nach der altindischen Schreibart) erwähnt. Er kommt, als
Dawalagiri S. 569 in Tibet vor. Wer aber liat so genaue
Grenzen zwischen diesen Riesengipfeln gezogen'? Es offenbart
sich hier wieder die grosse Unbequemlichkeit einer fehlerhaf-
ten Ordnung. Tibet steht bei dem Hrn. Verf. zwischen China
und der Mongolei. Besser hätte er gethan, dem ganzen Zug
des Himalaja mit seinen eigeuthümlichen Völkern eine Stelle
zwischen der Hochfläche Tibet und dem Tieflande der Hindu
anzuweisen. — So fängt auch die Beschreibung von Asien
höchst unbequem und unklar mit hidien an, und Europa hört
mit Dalmatien auf. Dagegen hat es uns gefreut, das nördliche
Randgebirge von Dekan, das lindhyas-Gchivge. (so wird es
in Ramajana genannt und geschrieben) aufgcnoiunien zu sehen.
Auch wird der Himalaja in Ramajana noch Ilimavan (Schnee-
wohnung) genannt; dies schehit der allgemeine, altindische
Wame zu sein.
Das Streben, die ächte Schreibart statt der oft verdreh-
ten, englischen zu geben, finden wir sehr lobenswerth; so z.
B. schreibt der Hr. Verf. richtig Bramaputra. (lieber diesen
Volger's Handbuch der Geographie. 229
Strom, der eine besondere Bearbeitung verdiente , vgl. man v.
Malten Neiiestc Bibliothek 182« Bd. VI S. 122, und AUg.
Litt. Ztg. 1827 Nr. 6«.) Dennoch stellt S. 9 Dolagiri und S.
569 Dawalagiri. Bei der Adamsbrückc oder der Brücke des
Rama S. 520 haben wir die Erwähnung der köstlichen Perlen
vermisst. Die Hauptstadt Cabul, die man mit Recht eine Welt-
stadt nennen kann, da sie der Schliissel zu der vielleicht wich-
tigsten Strasse im Innern Asiens ist, wird mit: „80,000 Einw.
"Wichtiger Handel." abgefertigt. Ueber Persien besitzen wir
so wichtige Reisebeschreibungen, die mehr benutzt werden
müssen; vorzüglich J. M. Kinn ei r Geogr. Mem. Lond. 1813;
ferner Ker - Porter, mit den ausgezeichneten Darstellungen,
und Morrier. Für eine künftige Bearbeitung dürften wohl
die neuesten Reisen von Frazer und von Price (London,
1825.) nicht unbenutzt bleiben. Was uns aber aufgefallen ist,
ist der Umstand, dass der Hr. Verf. sowenig, fast gar keine
Rücksicht auf die Pforten und Hauptpassage?! genommen hat,
die namentlich bei Persien für das Verständniss der alten und
der neuesten Geschichte von grösserer Wichtigkeit sind, als
alle andere Angaben. So würde auch eine Zusammenstellung
und kurze Charakteristik der sckweizerischeji Alpenpässe für
jeden Freund der Geographie eine willkommene Gabe sein.
Bei Schiras S. 543 fehlt der Wein, der selbst in Europa be-
sprochen ist. Ebendaselbst ist Persepolis mit Istakar bezeich-
net; es fehlt die Ruinengruppe Tschil-Minar. Vergl. Nie-
buhrs Reisebeschr. nach Arab. II S. 120 flgd, und die Abbil-
dungen dazu, welche bei Ker- Port er noch prachtvoller sind.
So findet man fast auf jeder Seite Lücken, welche uns
nach des Firn. Verf. eignem Plan unerklärlich sind. Vor allen
Dingen wünschen wir, dass derselbe bei einer zweiten Auflage
die jetzige Anordnung verwerfe und dem Ganzen eine festere,
innere Verbindung gebe. Dann wird das Ganze einen noch viel
ehrenvolleren Platz einnehmen.
Auch finden sich hin und wieder Unrichtigkeiten, welche
bei einer genauem Verfolgung der Wahrheit wegfallen werden.
So z. B. soll S. 597 „die üeberschwemmung des Nils durch
die tropischen Regen und das Schmelzen des Gebirgsschnees
in seinem Quellenlande Habesch und dem Innern Afrika's er-
zeugt" werden. — Habesch hat aber keine Schneegrenze, und
Schneefall ist dort höchst selten. Kannten doch Habessinier
den Schnee gar nicht! Ob der weisse Nil von Schneegebir-
gen komme, wissen wir nicht; wäre dies auch der Fall, so
könnte er doch nicht eine solche Üeberschwemmung hervor-
bringen, wie der Nil sie hat. Man vergl. Ritter 's Afrika.
Zweite Aufl. S. 203 flgd. und 835. Die Ueberschwemmungen
kommen nur von den gewaltigen Tropenregen , welche sich in
die Hauptzuströrae desNilbtttes sammeln. Schon Herodot (II, 20
230 Geographie.
— 23) wnsste, tlass die Schneeschmelze nicht Ursache der
üeberschwemmung sei. S. 623 steht: „Der Sudan ist ein von
Gebirgen durchzogenes Land." Der eigentliche Sudan um den
See Tschad , also die Reiche Begharmi , Bornu, Haussa, Fel-
lasah und Timhuctu sind aber durchaus nur Ebenen; nur an
ilirem Südrande erheben sich die Vorberge des Nordrandes von
Hocliafrika. Der sogenannte Ilochsudan, von welchem die
JVIandingo- Terrasse ein Theil ist, hat hohe Alpen; dieses ist
aber nicht der eigentliche Sudan. Unbequem ist der Ausdruck
auf jeden Fall. — D e nh am 's Forschungen sind beim Sudan
schon benutzt. Nur das will uns nicht gefallen , dass über
Mandara nichts weiter gesagt ist, als: „/>ßs Reich Mandara
ayn Shary C?)". Denham hat in seinen Reiseberichten das
Land schön und ausführlich geschildert, so viel es bei den Ge-
fahren, die ihn umringten, möglich war. Es ist das erste
schöne und romantische Gebirgsland im Süden des Sudan, die
Vorstufe zu dem südlichen Hochlande, von welchem Denham
das Platean Adamuwa nennt. Wichtig ist Mandara auf jeden
Fall, da die Strasse vom Sudan zum Hochlande durch diese
Terrasse geht. Epoche machend ist Berghaus Charte von
Afrika bei Cotta 1S26 mit dem zu ihr gehörigen Carton für die
Entdeckungen im Sudan.
S. 172 steht: ^^Stuhbenkammer ^ deren höchster, schön
bewaldeter Punkt, der Königsstuhl." Der Königsstuhl ist aber
nur ein kleiner Vorsprung der Küste, dessen platter Gipfel ei-
nen radius von wenigen Füssen hat. Man sieht auf ihm wohl
einige Bäume, aber keinen Wald , der auf ihm auch keinen
Platz hat; dieser Wald, die Stubbenitz, liegt hinter dem Kö-
nigsstuhl. —
Da der Hr. Verf. vorzüglich die Bearbeitung von Nord-
deutschland im Auge zu haben scheint, so möchten wir ihm
für Rügen, Pommern, Mecklenburg und Holstein empfehlen:
Brückner 's Werk: „ Wie ist der Grund u. Boden Mecklen-
burgs geschichtet und entstanden? Ein geognostisch- geolo-
gisches Fragment über Mecklenburg, Holstein, Vorpommern
n. Rügen. Neu-Brandenburg, 1825". und vorzüglich : „Brück-
ner's Beiträge zur Geognosie Mecklenburg'' s^ im Schwerin-
schen Freimüthigen Abendblatt 1827 Nr. 441 — 448 und 1828
Nr. 470 — 472.
Eine Unbequemlichkeit theilt der Hr. Verf. noch mit sei-
nen Vorgängern. Wenn kleinere Oerter angeführt werden, die
durch grosse Ereignisse oder Naturmerkwürdigkeiten wichtig
sind, so ist ihre Lage nie genau bezeichnet; auf unsern Char-
ten finden wir sie auch nicht, und alle Spezialcharten pflegt
man nicht zu besitzen. Gewöhnlich und solche Oerter doch
nur durch ihre Lage wichtig. Wo lieg^i Reinhardsbrunn (das
alte berühmte Kloster im Thüringerlanae), Rossbach, Auer-
Volger's Handbuch der Geographie. 231
städt, Scliulpforta, Bertrich (bei welchem Orte die Eäsegrotte
übergangeil ist)? So fragt man fast auf jeder Seite.
Alle diese Ausstellungen lassen sich ieiclit beseitigen, wenn
auf die Darstellung und Anordnung der Länder (vulgo Einlei-
tung genannt) mehr Fleiss verwandt wird und die einzelnen
Oerter gleich mit in die Besclireibung liineingezogen werden.
Das ganze Werk ist vorziigiich in der Anlage und innern
Verbindung mangelhaft; es würde uns zu weit fiihren. Alles
rügen zu wollen, was mit des Hut. Verf. Plan nicht überein-
stimmen kann. Manche einzelne Abschnitte nähern sich mehr
einer tüchtigen wissenschaftlichen Darstellung. Man lese z.
B. nur die Darstellung der vereinigten Staaten von La Plata
und Brasiliens S. 719 llgd. , welche dem Hrn. Verf. selbst zum
Muster dienen können.
Wir wollen zum Schlüsse die Einleitung und den Anhang
betrachten. Auch in der Einleitung erkennen wir ein reges,
wissenschaftliches Streben ; der Hr. Verf. hat auch hier ver-
mieden, was die Einleitungen seiner Vorgänger ungeniessbar
macht. Diese gaben dürre, nothdürftige Excerpte, man möch-
te sagen, aus den Ueberschriften der gewöhnlichen Abschnitte
der mathematischen und physikalischen Geographie. Dies nützt
zu nichts. Der Hr. Verf. stellt dagegen zuerst die Stellung
unsers Erdkörpers zum Sonnensystem dar, um daraus geogra-
phische Folgerungen zu ziehen. Darauf giebt er in einem Ab-
schnitte: .,., Die Erde als physischer Körper '•''^ eine Darstellung
der Bildung der Erdrinde in ihren festen und flüssigen For-
men. Die Darstellung ist gut, und unterscheidet sich bedeu-
tend von dem , was Andere geben. Wir hätten es gerne gese^
hen, wenn der Hr. Verf. S. 8 die wichtige Erscheinung der
Stufenländer und der Tiefländer mit ihren Erzeugnissen und
Einwirkungen entwickelt liätte. Hier kann nur Ritter in sei-
ner Einleitung Muster sein. — Aber Plateaus findet man (S. 9)
gewiss nicht in Sand- und Kalksteingebirgen. Diese sind spä-
tere Flötzgebirge, den Urgebirgen , also den Plateaus aufge-
lagert ; und so finden wir auch nur den Sandstein als Decke des
Granits der Hochebenen. Man betrachte nur die sonderbare
Sandsteinformation des südlichen Afrika's. Auf den Ebenen
der Hochfläche finden wir gewaltige Sandsteinlager, dagegen
steht in den Cap-Colonien der Granit oft unter dem Sandstein
zu Tage und schafl't hier den Wasserreiclithum , welcher der
Hochebene fehlt. Man lese nur Lichten st ein' s meister-
hafte Reisen im südlichen Afrika I, S. 298 flgd. Vgl. Rit-
ter's Afrika I, S. 118 flgd. und Link 's Physik. Erdbeschrei-
bung \^2Q, I, S. 302.
Auffallend war uns die Behauptung S. 11: „Eine allge-
meine, regelmässige Strömung der Meere giebt es nicht, wohl
aber findet dies in einzelnen Meeren statt." Allem Anscheine
232 Geographie.
nach ist aber der ganze Ocean in einer beständigen, regelmä-
ssigen Bewegung begriffen (Ritter I, S. IC), von welcher die
ganze Weltschifffahit abhängt. Und diese ist doch wohl einer
Entwickelung werth. Man vgl. über die Strömungen Link a.
a. 0. 1, S. SH8 flgd. Eben so bedarf die Darstellung der Ver-
breitung der organischen Natur nach den verschiedenen Kliraa-
ten und FJrhebungen eine anschaulichere Darstellung; Parrot
in Physik der Erde S. 198 — 219 giebt schon treifliche Ueber-
biicke. Dergleichen Resultate gehören der eigentlichen Geo-
graphie an und in einer Einleitung zu derselben dürfen deutli-
che und kräftige Umrisse dieser Art nicht fehlen.
Was den Anhang betrifft, so verstehen wir darunter die 6
Tabellen. Der Ilr. Verf. hat die glückliche Idee gehabt, Zah-
lenverliältnisse, welche sich in der Beschreibung des Einzelnen
zu sehr verlieren, in Tabellen in eine anschauliche Uebersicht
zu bringen. Auf der Tab. Ä sind die Zahlenverhältnisse aus
dem Sonnensystem aneinandergereihet. In den 5 übrigen fin-
den wir die statistischen und natürlichen Verhältnisse der eu-
ropäischen Staaten , des deutschen Bundes , von Frankreich,
der Schweiz und den vereinigten Staaten von Nordamerika.
Wir können nur wünschen, dass der Hr. Verf. diese Idee
künftig noch mehr verfolge, die statistischen Bemerkungen der
geographischen Darstellung entreisse (wenn sie nicht die rein
geographischen Folgerungen bestätigen ) und sie Tabellen ein-
verleibe. Eine vergleichende Statistik wäre hiernach gewiss
willkommen.
Wir können versichern, dass wir das Werk studirt und
benutzt haben. Eine eigentliche Jagd auf kleinere Fehler ha-
ben wir nicht angestellt; aber auf dunkle Ausdrücke, wie S.
324: „In der Nähe der herrliche Park Niederwald, von wo
aus die entzückendste Aussicht und die Trümmer von 4 i?M/-
gen^'-'' müssen wir aufmerksam machen.
Der Druck des Werks ist sehr gut.
Und so möge denn das mühsame und tüchtige Werk die
verdiente Aufnahme finden; es wird ihm Niemand den Vorrang
vor unsern bisherigen Compendien und Notizbüchern streitig
machen. Ich will wünschen, dass der einsichtsvolle Hr. Verf.
mich nicht unter die Zahl derjenigen Recensenten stellt, wel-
che er am Schlüsse seiner Einleitung verwirft. Ich wollte nicht
sein „Richter" sein, da ich die grossen Schwierigkeiten sei-
ner Arbeit dankbar anerkenne, sondern sein Mitarbeiter ; ich
wollte die Welt mit seiaem Standpunkt und mit der Frucht sei-
ner Arbeit bekannt machen, dabei ihn aber „mit Humanität
und Anerkennung auf alle Unrichtigkeiten aufmerksam ma-
chen ," damit die Wissenschaft gefördert werde. Deshalb ha-
be ich auf „Hauptsachen gesehen" und nicht „einzelne Zahlen
und Namen gemeistert." Hätte ich alle Lücken ausfüllen wol-
PfaiTs Handbuch der Weltkunde. 233
len, so hätte ich viele Bogen füllen können. Was ich hätte hin-
zufügen können, weiss der Ilr. Verf. vielleicht eben so gut, als
jeder andere Geograph. Ist er um Namen und Zahlen verlegen,
so kann er diese in den vielen neuesten Recensionen geographi-
scher Compendien und in diesen selbst in UeberfüUe finden.
Dass ich, nach meinem Gewissen, kein Lobhudler gewesen bin,
wird der Herr Verf. mir nur danken. Keinem zu Lieb' und kei-
nem zu Leide.
G. C. F. Lisch.
Handbuch der Weltkunde, zum Gebrauche der Jugendleh-
rer und zur Belehrung für Gebildete jeden [es] Standes. Verfasst
von M. Carl Pf äff , Conrector am Piidagog. zu Esslingen. 4ter und
5ter Theil. Tübingen 1826 und 1827. In Commission bei C, F.
Oslander. 27 u. 34 ßgn. 8. 1 Thlr. 4 Gr. u. 1 Thlr. 10 Gr.
[Bd. 1 — 3 sind recensiert in den Jahrbb. Bd. III Hft. 3 S. 63 ff.]
Indem wir an die Beurtheilung des vor uns liegenden 4teii
u. 5ten Bandes oder der Schlussbände des Hatidbuchs der Welt-
kunde V. Pf äff gehen, werden wir uns um so kürzer und bün-
diger fassen können und müssen, da theüs die vorliegenden,
in den Jahren 1826 und 1827 zu Tübingen erschienenen zwei
Bände in gleichem Geiste und zu gleichen Zwecken (zum Ge-
brauche der Jugendlehrer und zur Belehrung für Gebildete je-
des Standes) wie die drei vorhergehenden gearbeitet sind, theils
über das Ganze nach seiner Anlage und muthmaasslichen Aus-
führung bereits in unserer ersten Anzeige ein vorläufiges und
beifälliges Urtheil gefällt worden ist. — Beschränken wir uns
daher auf eine blosse Inhaltsangabe dieser beiden Bände und
auf die Kritik der Behandlung einzelner Materien in denselben!
Zu dem Ende dürfte es nicht unzweckmässig sejn, zuvor einen
Rückblick auf die in den ersten 3 Bänden enthaltenen Materien
und Vorträge zu werfen, theils um für das löbliche Werk wie-
derholend Interesse zu erregen , theils aber auch um von der
nicht ganz zu billigenden Anordnung desselben Gelegenheit zu
einer kritischen Vorbemerkung herzunehmen. — Der Verf. hat
sein Werk in 3 Bücher und diese zusammen in 21 Capitel ge-
theilt, ohne jedoch dieselben mit den einzelnen Bänden gleich-
massig zu beendigen; vielmehr ziehen sich die Haupt- und Un-
ter-Abtheilungen durch mehrere Bände zerstückelt und zer-
stückelnd hindurch und Seele und Leib, innerer Gehalt und
äussere buchhändlerische Form schliessen einander nicht ein^
sondern aus. — Nur der Iste Band , welcher in Einem durch
7 Capitel zu Ende laufenden Buche die jnathematische Geogra-
phie darstellt, bildet ein für sich bestehendes und geschioss-
Jahrb. f. Phil. u. Fädag. Jahrg. 111. Heß 11. Iß
234 Geographie.
lies Ganze. Der 2te Band dajregen ist schon ein Torso; denn er
beginnt zwar mit dein Uten Buche und mit der physischen Geo-
graphie, fVihrt dieselbe aber nur in 4 Capitcin bis zur Lehre
vom vesten Lande; der 3te Band oder Theil setzt die physi-
sche Geograplne in 5 Capitehi (bis zum öten Cap.) fort, aber
ebenfalls unvollendet, wie der Verf. selbst am Schluss des
Inhaltsverzeichnisses bemerkt. Erst der 4te Band beendigt
mit dem lOten Capitel die physische Geograpbie und das 2te
Buch, schliesst aber zugleich auch das 3te Buch mit der poli-
tische?! Geographie an, die aber mit dem 2ten Capitel abgebro-
chen und erst im öten Theile oder Bande fortgesetzt, und end-
licli in 2 Capitein abgeschlossen wird. Wenn aus dieser Anord-
nung für den praktischen Gebrauch ein Uebelstand hervorgeht,
so kommt derselbe auf Schuld des Verfassers, wiewohl sie der-
selbe in einer Nachschrift des 5ten Bandes ablehnt, oder auf
Rechnung des Verlegers, der wahrscheinlich von dem Debit
des Ganzen sich mehr Vortheil versprach als von dem precäreii
Absatz einzelner Theile; denn allerdings ist das Werk, wie es
nunmehr zertheilt und zerstiickelt liegt, entweder g^rws, oder
gar nicht zu kaufen, mit Ausnahme des Isten Theils, der, wie
eben erinnert wurde, die mathem. Geographie vollständig ent-
hält. Wer dagegen z. B. die politische Geographie nach des
Verfs. Bearbeitung ausschliesslich zu besitzen wünscht (und wie
mancher Jugend lehrer und üilettant, der Bodes und Kants
hieher gehörige klassische Schriften auf seinem Repositorio hat,
sollte das nicht wünschen?), muss, wenn das Werk überhaupt
buchhändlerisch vereinzelt wird , das Schlussstück der physi-
schen Geographie als unnütze Beilage mit in den Kauf nehmen:
ein, wie gesagt, für Käufer und Leser, für Gebrauch und Be-
quemlichkeit nicht geringer und dazu bleibender Uebelstand,
der Viberdiess durch eine sorgfältigere Oeconomie des Planes,
oder noch während der Arbeit durch Zusararaendrängung und
Beschneidung des Materials , namentlich der zum Theil mit he-
terogenen Stoffen überladenen physischen Geographie, verhütet
werden konnte und musste. Unserer Ansicht nach waren für
den pädagogischen und Dilettanten- Zweck, den Hr. M. Pf äff
bei dem Entwurf seines Werkes vor Augen hatte, vier integri-
rende Theile, von denen I die mathem., II u. III die phys. u. IV
die polit. Geographie in selbstständiger und einander ausschlie-
ssender Haltung behandelten, vollkommen ausreichend und bei
gedrängterer Darstellung auch leicht ausführbar, zumahi da das
Handbuch wegen des weitschichtigen Begriffs ^,W eltkuiide'"' über
die an sich schon verdienstliche Leistung: „die zu einer Welt-
kunde gehörigen Objecte in einer summarischen und fruchtbar-
sten Kürze nach den besten vorhandnen Hilfsmitteln abgehan-
delt zu haben," — nicht hinausgeht, und keinesweges Ansprü-
che machen kann, gründliche Special- Werke, z.B. die Kanti-
FfaiTe Handbuch der Weltkunde. 235
sehe pliys. Geographie oder ein statistisches Werk von Hassel
zu ersetzen. — Wie gegründet diese Beliauptujig sey , hat Re-
ferent, der sich das Werk aiigeeig'net und zum Unterrichte be-
nutzt Iiat, aus eig'ener untri'fgliclier Erfahrung crselien. Was
nun die zur kritischen Anzeige uns vorliegenden Theile IF u. V
insbesondere anbetrifft, so sind sie, wie im Allgemeinen schon
berührt wurde, Fortsetzungen und Beendigungen der fri'ilier
und in den Jabren 1824 nnd 1825 erscliienenen drei Theile und
der in denselben abgebandeltcn Materien der niatli. und pbys.
Geograpliie, so dass den Ilauptinlialt derselben das 3te Lehr-
object der allgemeinen Weltkunde ^, dia poiilische Geographie'"''
ausmaclit.
Wie demnach jene drei, so sind diese beide?! Bände wei-
tere Ausfiihrungen derjenigen Gegenstände, weiclie in den ge-
wöhnliclien geograpliischen Lehrbiichern als Einleitungen und
Präliminarien stehen. So gibt denn der nächst folgende 4te
Band ausser dem ]<Hen oder Scbluss - Capitel der physischen
Geographie (s. oben) den Anfang der politischen Geographie
oder die beiden ersten Capitel des 3ten Buches, welche vom
Mensclien im geselligen, heben nnd im Staate handeln, nnd der
5te oder Scbluss -TJieil des Ganzen enthält in 2 Capiteln unter
der Aufschrift Gewerbsanikeit und Hajidel und geistig- sittlich-
religiöse Cultur der Menschheil — eine Darstellung der mensch-
liciien Civilisation in technischer, wissenschaftlicher, morali-
scljer nnd religiöser Bezieluing, oder eine Geschichte der Cul-
tur-Gänge und Cultur- Stufen^-des menschlichen Geschlechts —
nebst einer angehängten statistischen üebersicht dieser Mo-
mente. — Kehren wir zum 4ten Theile und zwar zur Haupt-
hälfte desselben, zur politischen Geographie zuriick, so finden
wir als Inhalt derselben oder des 3ten Buclies folgende Ab-
schnitte verzeichnet: Jb^rstes Capitel: der Mensch im ge-
selligen Leben. — § 1 : des Menschen Bestimmung zum geselli-
gen Leben. § 2 : Geschichte des Fortschreitens der Menschen
in der Cultur. § 3: drei Cultur - Stuf en. § 4: die Sprache.
§5: die. Schrift. §6: die bekannten Sprachen - und Schrift-
Arten der Erde. \l\\. 8: Fortsetzung. — Zweites Ca-
pitel: der Staat. §9: Ursprung, Begriff und Fintheilung
der Staaten. § 10: verschiedene Staatsformen. § 11: der
Staat u. sein Oberhcnipt. § 12: die Orden. § 13: die Staats-
verwcdtung, Justiz- Departement . § 14: Finanz- Departement.
§ 15: Ministerium des Innern und der auswärtigen Angelegen-
heiten. § 16: Kriegsministerium.) Militärtvesen. § 17: Krieg
zmd Kriegführung. § 18: Seeministerium., Seewesen. § 19:
IVohnplätze. § 20: Einwohner, Stände., Adel. §21: Bürger
und Bauer Tl. § 22: Sklaverei., Sklavenhandel, Kasten. —
Wir haben diese Folge der Materien abschriftlich genau auch
um desswiiien hier verzeichnet, um zu bemerken , dass die An-
16*
236 Geographie.
Ordnung derselben mehr den vulgären Statistiken angemessen
als streng -wissenschaftlich und pädagogisch -fruchtbar zu seyn
scheint. Denn zu geschweigen, dass geselliges Leben und Staat
nicht coordinirte sondern subordinirte Zustäiide sind, inso-
fern das Leben im Staat nichts als die höchste und vollendetste
Form oder die endliche u. allgemeine Uebergangsform des ge-
sellschaftlichen Lebens ist, dass ferner die 3 sogenannten Cul-
turstufen und das dadurch bedingte Sprach- und Schrii'tenthum
erst im Verfolg dieses Ueberganges und in der Vollendung des-
selben — in ausgebildeten und geschlossenen Staatsgesellschaf-
ten — entstehen: so erscheint es als eine unlogische und unhi-
storische Anticipirung der Materialien , das Kriegswesen vor
dem Seewesen, den Hofstaat vor den Einwohnern, und das so
historisch -wichtige Kastenwesen theils hinter dem Ständewe-
sen und der Sklaverei, theils auf einer einzigen noch nicht vol-
len Seite höchst dürftig abzuhandeln. — Wie zusammenhän-
gender, ineinandergreifender, gedrängter u. fruchtbarer würde
der fragliche, so wichtige und lehrreiche Abschnitt ausgefallen
seyn, wennder Vf. den rein -historischen Weg in demEntwicke-
lungsgange der menschlichen Societät u. Civilisation eingeschla-
gen und verfolgt , und dem zu Folge in 2 Havpt - Capiteln erst
von den Formen und sodann von dem Geiste des gesellschaft-
lichen Lebens, oder mit andern Worten erst von der allmähli-
gen Einrichtung und Verfassung oder den äussern Verhältnis-
sen und sodann von den Innern Verbältnissen des Staatslebens
und seinen Bildungsarten u. Graden (technischen, artistischen,
■wissenschaftlichen, religiös -moralischen) gehandelt hätte!
Eine ähnliche Ungenauigkeit in der logischen Disposition
des Stoffes und der ebenmässigen Ausführung tritt uns im 5ten
Theile entgegen, dessen Inhalt sich über 2 Capitel mit folgen-
den Rubriken erstreckt. Drittes Cap it el: Gewerbsamkeit
und Handel. § 23 u. 24: Erzeugende Gewerbe. § 25 — 35:
verarbeiteiide Gewerbe. § 36: der Handel., seine Geschichte.
§ 37: verschiedene Arten von Hajidel. §38: Geschichte der
Handels - Compagnien. § 39 : Hilfsmittel des Handels. — Wie
in dieser Anordnung §36 ein vörtgov tiqotsqov ist — denn erst
kommt und komme die Beschreibung der Sache, d. h. die voll-
ständige Angabe dessen, was sie ist oder wie sie erscheint und
sich verhält, und hierauf folgt und folge die Erzählung, d.h.
der historische Nachweis, wie sie das, als eine res in facto
posita geworden ist; — wer wird auch der Jugend die Ge-
schichte einer Wissenschaft (der Handels- und Gewerbskunde)
früher als die Wissenschaft selbst vorführen?! — : eben so er-
scheint § 39 ungehörigen Orts und muss § 37 entweder coordi-
nirt oder subordinirt seyn. — Auch möchte das ganze 3te Ca-
pitel, insofern es eine Technologie nebst Geschichte derselben
ist, und zwar so detaillirt ist, dass sie selbst eine Anweisung
PfaiTa Handbuch der Weltkunde. 237
zum Siel) - und Kartenraacheii nicht rerschmäht , zu weitläufig
und ohne pädagogische lliicksichten ausgeführt seyn. Oder
soll die Weitkunde in einen so vagen Begriff ausgedehnt und
verschoben werden, dass sie zu einem Magazine oder Reperto-
rio aller mensclilichen Kiinste und Wissenschaften sich erwei-
tert*? Mit welchem Hechte und welcher Consequenz sind dann
politisclie Geschichte und der topische Theil der Geographie
ausgeschlossen worden? — Das 4teCapitel, welches das ganze
Werk beschliesst , erörtert in — thcilweise — nicht minder un-
angeraessner Folge und Ordnung folgende Gegenstände. § 43
bis 46: Encyclopädische Uebersicht der Wissenschaften und
Künste (die sich füglicher zu einem Anhang geeignet hätte).
§ 47: Pädagogik ^ Bildungsanstalten. § 48: Gelehrte Gesell-
schaften und Hilfsanstalten. § 49 : Straf- u. Wohlthätigkeits-
anstallen (eine hieher ganz ungehörige und bei der Lehre vom
Staat Th. IV Cap. II § 13 einzuschaltende 3Iaterie). § 50:
Monotheistische Religionen. § 51 : Rlosterwesen , geistliche
Orden. § 52 : Griechische Kirche. § 53 : Abendländische
Christen. § 54: Uebrige monotheistische Religionen. § 55:
Polytheistische Religionen — also eine — hier kürzer dort län-
ger gefasste Geschichte der Wissenschaften, der Religion und
Kirche! bei deren Einleitungen uns zwei höchst unbestimmte
und bei der Wichtigkeit der definita doppelt tadelnswerthe Be-
griffserklärungeu aufgestossen sind. S. 259 heisst es nämlich:
„andere Wissenschaften, die blosse Vernunftkenntnisse umfas-
sen, heissen Vernunftwissenschaften'-'' — eine Definition, die
bei ihrer Kürze weder dem Jugendlehrer noch, dem gebildeten
Leser einen erwünscht - deutlichen Begriff geben dürfte. —
Eben so unbestimmt und ungenügend äussert sich der Verf.
S. 337, wo er sagt: „das Wort religio wird bald von religare^
bald von relegere (indem die, welche, was zum Glauben ge-
hört, fleissig wiederlesen, religiös genannt werden), bald von
relinquere (was man aus heiliger Scheu verlässt) abgeleitet." —
Welche philologischen Quisquilien und — Antiquitäten! und wo-
zu überhaupt in einem Unterrichtswerke für Gebildete derglei-
chen etymologische und unfruchtbare Spielereien? — Ange-
häugt ist dem Schluss-Theile oder 5ten Bande eine politische^
Gewerbs.^- Handels.,- Kultur- und Religions- Statistik der euro-
päischen u?id der wichtigsten aussereuropäische?i Staaten , die
als ein corapendiarischer Auszug aus grössern Werken alle Vor-
züge und Mängel derselben, namentlich, die üeberladenheit mit
Zahlen und numerischeji Angaben , die oft unter dem Druck
schon zur Antiquität werden, im Allgemeinen theilt, übrigens
aber den eigenthümlichen Fehler hat, dass sie eben nichts mehr
und nichts weniger als eine Statistik, d. h. ein Namen- u. Zah-
len-Register, und in dieser Hinsicht gegen den darstellenden
Toa u. Geist des übrigen Werkes unangenehm abstechend ist. —
238 Geographie.
Docli wir eilen zum Schluss unserer Anzeige, nachdem wir noch
einen Riickblick auf den Anfang und die erste Hälfte des 4ten
Bandes, der denBeschluss des 2ten Buches oder der physisclien
Geographie enthält, geworfen haben, um eine Probe von des
Verfs. Darstellung u. Anordnung seines Stoffes an solchen Stel-
len zu geben, wo er unabhängiger und freier von fremden Vor-
bildern zu arbeiten scheint. Der Schluss des in diesen 4ten
Band heriibergearbeiteten 2ten Buchs, oder das lOte Cap. fiihrt
den Generaltitel: ^^vom Menschen'-'- ^ und der lste§ desselben:
„ Vorzüge des MenscheJi vor den Thieren.'-'- Die Aufgabe war
also, diese Vorziige vom pädagogischen oder allgemein beleh-
renden Standpuncte aus in einer gedrängten u. lichtvollen Ki'irze
so zusammen zu stellen, dass der Mensch als ein sinnlich -gei-
stig organisirtes Wesen als das begabteste und bevorzugteste
Geschöpf auf der Stufenleiter der Erdenschöpfungen erscheint.
Wie hat der Verf. diese seine Aufgabe wissenschaftlich, logisch
u. stylistisch gelöst'? Nachdem er mehr als eben zweckmässig
scheint über den physiologischen Grundsatz, dass der Mensch
zum zweibeinigen und nicht zum vierbeinigen Gehen geschaflFen
und organi^^irt sey, discutirt und polemisirt hat, setzt er die
Vorzüge der Menschennatur in folgende Ilaupteigenschaften:
a) in die aufrechte Stellung , b) in die Bildung des Gesichts^
c) i7i deti Mangel einer natürlichen Bedeckung u. in die Wehr-
losigkeit , d) in die Sprache wid Verminft ^ e) in die Kraft u.
Ausdauer seiner ISatur und in die Fähigkeit^ die mannigfach-
sten Lehensmittel zu gemessen. — Abgesehen von der logi-
schen Formlosigkeit und Unordnung, die in dieser Disposition
herrscht, so ist dieselbe auch nicht cinmahl materiell vollstän-
dig und erschöpfend , sondern w ürde etwa folgender Maassen:
zu berichtigen und zu vervollständigen seyn.
I) Vorzüge des Menschen vor den übrigen G'escÄö/j/eyz
der Erde (den Thieren).
A) Körperliche^ B) Geistige Vorzüge.
A) Körperliche Vorzüge (sinnlich -organische).
a) Allgemeine.
«) Gerade Stellung und aufrecliter Gang mit Bezug auf die
wahren und schönen Worte des Ovid :
Pronaque cum finxit animnlia cetera terrae,
Os homini sublime dedit coeluraque tueri
lussit et erectüs ad sldcra tollere vultus.
ß) Verhältnissmässige Stärke und Dauerhaftigkeit (Energie
und Vivacität) in Hinsicht auf Ertragung von Arbeiten und An-
strengungen, von Bescliäftigungen u. Lebensweisen unter allen
Zonen und Kiimaten (von Lebens -Art, Zelt und Kraft).
PfafTs Handbuch der Weltkundc. 239
y) Bildsamkeit und VervoUkomnimingsfäliigkeit (technische
Anlagen und Vorzüge).
d) Vollkommenlieit (verhUltnissmässig- grössere) der Glieder,
der Sinnen- und der Yerdauungswerkzeuge.
b) Besondere.
a) Construction des Gehirns (des Mundes, der Kehle, des
Magens U.S. w.). ß) Sprachwerkzeuge (Sprachfähigkeit), Bil-
dung des Gesichts (pathognoiiiischer Ausdruck desselben), y)
Der freie Gehrauch zweier vollkonimner Hände, ö) Die aufrechte
Stellung der untern Schneidezähne, f) Die Feinheit u. Schärfe
einzelner Sinnenorgane (des Gefiihls, Geruchs u. s. w.) — der
Tonsinn — Sinn für die Harmonie der Töne. — ^) Die Sexual-
organe (periodischer Blutverlust des weiblichen Geschlechts —
das Zeichen jungfräulicher Integrität).
B) Geistige Vorzüge.
a) Ve:rstand oder das Vermögen zu denken (der Begriffe).
b) Vernunft oder das Vermögen zu schliessen — vom Sinnli-
chen zum Uehersinnlichen, vom Bedingten zum Unbedingten —
oder das Vermögen der Ideen (der sittlichen, religiösen, ästhe-
tisclien u.s. w.). — • Der Mensch hat eine ver?iünftige Seele (das
Thier nur ein analogon rationis) und freien (sittlichen) Willen
(das Thier — Instinct). — Durch seinen Verstand macht sich
der Mensch die Natur unterthan, durch seine Vernunft erliebt
er sich über die Natur zum Schöpfer (u. zur Gottähnlichkeit). —
Sprache — Schrift — FJrfindungen (SoUertia, Kunstsinn u. Er-
findungsgeist) — u. s. w.
Ungeachtet dieser und anderer Mängel quae parum cavit
humana natura — im Einzelnen .^ empfehlen wir wiederholend
und im Allgemeinen das fleissig zusammengetragene und verar-
beitete Werk — den Freunden einer naturwissenschaftlichen
Leetüre und den Lehrern der Jugend — in Ermangelung grö-
sserer Special -Werke — zum pädagogischen Gehrauche.
Reuscher, Gy mn. Dir. in Cottbus.
Deutsche Sprache.
I) Theor etisch - pr actische deutsche Schulgram-
matik^ oder kurzgefasstes Lehrbuch der deutschen Sprache,
mit Beispielen und Aufgaben zur Anwendung der Regeln, von
Dr. Joh. Christ. Aug. Heyse, Schul -Director zu Magdeburg und
Mitglied (Warum nicht Mitgliede?) der Gelehrten -Vereine für
240 Deutsche Sprache.
deutsche Sprache zu Berlin und Frankfurt am Main, Siebente,
verbesserte Ausgabe. Hannover, im Verlag der Hahn'schen Ilof-
Buchhandlung. 1827. VIII u. 392 S. 8. 16 Gr.
II) Zusätze zu J. C. A. Hiyse'' s Lehrhüchern der
deutsche 71 Sprache. Von Georg Albr. Phil. Lorberg. Er-
ste Lieferung. Nebst einer Abhandlung über den Gebrauch der
grossen Anfangsbuchstaben in der deutschen Sprache. Wiesba-
den. Verlag von H. W. Ritter. 1825. 4 Gr. Zweite Lieferung.
Zur siebenten Auflage der Schulgrammatik. Wiesbaden. 1828.
8. 4 Gr.
i^ur für ein einseitiges und übereiltes Urtheil kann es gelten,
wenn sich in der neuesten Zeit eine Stimme erhob , die mit al-
lem Ernste wieder auf Entfernung des Unterrichtes in der deut-
schen Sprache aus den obern Classen unserer Gelehrtenschulen
drang, wo derselbe vor nicht gar langer Zeit erst eingeführt
worden war. Je gewichtvoller diese Stimme zu sein schien, da
eie von einem Manne herrührte, der zu den vorzüglichsten der
jetzt lebenden Lehrer und Gelehrten in unserem Volke ge-
hört: um so mehr hat man Ursache, sich zu freuen, dass sie
lebhaften Widerspruch gefunden hat und bereits so gut wie
verschollen ist. Denn, um nur wenige Worte zur Widerle-
gung derselben zu sagen, beim Uebersetzen aus fremden, na-
mentlich aus den alten, todten Sprachen , hat der Lehrer kei-
nesweges immer Gelegenheit das Deutsche fruchtbar zu behan-
deln, auch nicht Zeit genug zu weitern Erörterungen. Kaum
dass man im Stande ist, alle die Fehler zu rügen, die bei dem-
selben vorkommen. Und wie viele , gewissenlose Lehrer thun
nicht einmal dieses und gehen flüchtig über alle Verstösse hin-
weg, die gegen die Regeln unserer Sprache und des Styles ge-
macht werden! Was für ein Deutsch ist darum in den gewöhn-
lichen Uebersetzungen, die der Scliüler mündlich oder schrift-
lich gibt! Es ist kein Deutsch; es ist ein nach griechischer
und lateinischer Weise geformtes d. h. geradbrechtes Deutsch.
Wo lässt sich da ein Eindringen in den Geist unserer Mutter-
sprache denken und erwarten? Wie häufig gewöhnen sich die
Schüler auf solche Weise einen schlechten Styl an , den sie ab-
zuwerfen späterhin oft die grösste Mühe haben. Wie gut, wie
wohlthätig ist da der Unterricht in der deutschen Sprache, noch
dazu für das jugendliche Alter, in welchem man schon anfängt
vom Genius einer Sprache Kenntniss zu erhalten, und der Styl
sich zu bilden pflegt. Und dann ist es ja doch eine ganz an-
dere Sache, einen fortlaufenden wissenschaftlichen Unterricht
zu empfangen, als nur beiläufig einige Regeln kennen zu lernen.
Zweitens lassen sich durch das Deutsche die Gesetze der allge-
meinen Grammatik und insbesondere der fremden (also auch
Heysc's Deutsche Schulgramraatik , und Lorberg's Zusätze. 241
der alten) Sprachen weit clier verständlich und hegreiflich
machen^ und zwar so, dass man vom üeutsclien ausgeht und
an den Unterricht in dieser Sprache das Allgemeine und Frem-
de anknüpft. Eine Sache, deren Wichtigkeit man hisher wohl
noch niclit in ihrem ganzen Umfange erkannt hat. — Allein
das kann ja schon in den wilern Classen geschehen! wirft mir
hier vielleicht Jemand ein. Sind denn nicht, antwortet der
Recensent , gerade den Schülern der ohersten Classen das Er-
lernen und Begreifen der schwierigsten Regeln aufbehalten*? —
Lasst also unsern Schulen durch alle Ordnungen hindurch den
Unterricht in der Äluttersprache; er ziemt und frommt uns
mehr als so manches Andere.
„Aber ein grammatischer Unterricht in einer lebenden
Sprache zwängt dieselbe, die sich doch frei aus- und fortbil-
den soll, in starre Regeln I*-*- höre ich Andere schreien. —
Diess würde nur dann der Fall sein, wenn eine Sprachlehre,
und, so zu sagen, mit stehenden Lettern auf allen Schulen
zwangsmässig eingeführt würde. Das lässt sich bei der Libe-
ralität und Humanität unserer Regierungen nicht befürchten.
Ein solcher Despotismus wird sich unser und unserer Sprache
so leicht nicht bemächtigen. Der Grammatiken werden immer
mehre sein; es werden immer neue entstehen, die altern ver-
drängt werden, und jede neue vielleicht wird Neues bringen.
Wo ist da ein Stillstand zu erwarten? Regeln aber werden immer
nöthig sein; indem jedoch die Grammatik dergleichen fest-
setzt, zeigt sie einer solchen Sprache, als unsere deutsche ist,
gerade die Quellen zur Fortbildung. Es ist also mit dem Obi-
gen nichts gesagt.
Recensent wird daher nie aufhören den deutschen Schulen
Glück zu wünschen , auf welchen bis zu den obersten Classen
hinauf der Unterricht in der Muttersprache eingeführt ist und
wissenschaftlich betrieben wird. Eben so weiss er es aufrich-
tigen Dank den Männern, welche sich durch grammatische
Schriften um die Aufklärung und Feststellung der Regeln un-
serer Sprache, besonders zum Behufe des Unterrichtes der Ju-
gend, verdient gemacht haben.
Zu diesen Männern gehört unbezweifelt Hr. Dr. Ileyse
in Magdeburg, dessen deutsche Schulgrammatik nun schon die
siebente verbesserte Ausgabe erlebt hat. Wie viel Gutes mag
er allein durch dieses Werk nicht gestiftet haben ! Aber der
Verf. lohnt auch den Beifall, welchen er beim Publikum er-
fahren, durch sein fortwährendes Streben, dem Buche eine
grössere Vollkommenheit zu geben: jede neue Ausgabe beweist
dieses auf das Klarste. Keine ist erschienen, ohne dass das
Werk an verschiedenen Theilen wesentliche Verbesserungen er-
halten hätte. Aber freilich ist es dadurch nur dem Ziele nä-
her gerückt; dasselbe erreicht zu haben, wird es sich noch
2-12 DeutscheSp räche.
nicht rühmen können. Keinesvveges sei damit dem Vf. ein Tadel
gesagt, der ihn kränken sollte. Wer weiss denn nicht, was
dazu gehört, bei seinen eigenen Producten sich selbst so zu
entäussern, dass man als richtiger, unparteiischer Ueurtheiler
derseibeji auftreten könne! dass man sogleich an ihnen die
scliwachen Seiten, die mancherlei Mängel entdecke! Da müs-
sen Männer hinzutreten, die auf die noch Torhandenen Fehler
hinweisen, und wie bereitwillig der Verf. solche Beiträge auf-
zunehmen pflegt, lehrt die Vorrede znr fiten Aufliage unseres Bu-
ches. Unter diesen Verhältnissen steht der unterschriehene Re-
censent, der mit dem Buclie des Ilrn.Heyse dnrch einen melir-
jährigen Gebrauch vertraut geworden ist, durchaus nicht an,
ihn auf Einiges aufmerksam zu machen, was in demselben
Werke entweder ganz falsch oder schief gesagt ist oder noch
ganz felilt, wobei er nur liemerkt, dass er gelegentlicli auch
auf Lorberg's Zusätze Rücksicht nehmen wird, die er zur
Benutzung bei einer künftigen Ausgabe auf das Angelegentlich-
ste empiiehlt.
Einleitung.
1) Von der Sprache überhaupt.
S. 1: ^^Die Qeberdensprache'"'- ^ heisst es dort, „rfz'e zum
gesellschnfäichen Umgauge äusserst unzulänglich ist und dann
erst ausdrucksvoll und dentlich wird,^'- n. s. w. Hier ist der
Recens. angestossen bei den Wörtern äusserst und erst. Eine
so grosse Verkleinerung und Beschränkung verdient die Geber-
densprache durchaus nicht. Sie ist keinesweges ohne Ausdruck
und Deullichkeit ; im Gegentheil liat sie in mehrfacher Hinsicht
vor der Lautsprache bedeutende Vorzüge : sie ist einfacher,
schneller, kürzer, treftender, kräftiger. »S/e macht umgekehrt
die Rede erst recht ausdrucksvoll. Wir wenden sie gerade da
an, wo die Rede uns nachtheilig wäre, z. B. um jemandem et-
was milzutheilen, was dem andern, dabei stehenden, verborgen
bleiben soll. Recens. würde daher lieber so sagen: Die Geber-
densprache, die im Allgemeinen und an sich zum gesellschaft-
lichen Umgange nicht durchaus geeignet ist, kann hier u. s. w.
— Der folgende Satz: Obgleich — gab^ ist genau genommen
falsch. Die Nebensätze: die — liegen und aus denen — ent-
steht, sind blosse Erklärungssätze der Worte: Die Gesetze des
Denkens und Empfindens, und müssen daher unmittelbar nach
diesen folgen. Durch die Stellung, Avelche ihnen der Verf.
gegeben hat, erhalten sie zu viel Gewicht, und die ganze Pe-
riode wird dunkel. — Uebrigens ist bei dem dort vorgetrage-
nen Gedanken zu erinnern, dass die allgemeine Sprachlehre
sich nicht bloss auf das Denken und Empfinden gründet, son-
dern auch auf die menschlichen Organe zum Sprechen. Der
Verstand und das Gefühl bedingt das Innere einer Sprache;
Heyse's Deutsche Schulgrammatik , und Lorberg's Zusätze, 243
die Spracliwerkzeuge im Munde das Aciissere derselben. Auch
diese letztem sind bei allen Menschen gleicJi , und die Spra-
chen docli so \erschiedeii. J)er Verf. hat diese interessante
Seite der allgemeinen Grammatik, die allijemeine Lautlehre,
ganz Vlbersehen. — Weiterhin sind die Worter: und durch-
aus iinveränderlich zu streichen. Denn die lateinische Spra-
che Ijat, obgleich eine todte Sprache, wenigstens mancherlei
Bereicherungen im Laufe der Zeit erlitten. Und das kann man
doch auch eine Veränderung nennen. Li jedem Falle ist das
Wörtchen durchaus raissfällig. Oder es muss hinzugelugt wer-
den : im Wesentlichen.
2) Deutsche S p r a c li e und G r u n d z ü g e ihrer
B i 1 d u n g s g e s c h i c h t e.
VII Zeitraum. S. 12. Dem Recensent ist hier die Ordnung
und Auswahl der Männer, die sich um die Ausbildung der deut-
schen Sprache verdient gemacht haben, auffallend gewesen.
Zu trennen sind die Philosophen und Redner, die Geschichts-
und Alterthumsforscher. Mancher Name könnte unbedenklich
gestrichen werden.
Erster Abschnitt.
Von den Buchstaben und deren richtiger
Aussprache.
S. 15. Der Verf. schreibt Silbe gegen die Etymologie und
gegen die einzig richtige Aussprache (^Sülbe). In den altern
Ausgaben steht richtig Sylbe. — Zu den Worten: ^^M(m hat
hiebei (es rauss heisseu hierbei nach des Verf. eigener Vor-
schrift S. 258.) die Ausdrücke: Laut., Buchstaben tind Na-
men der Buchstaben wohl zu unterscheiden''^ wäre ein Beispiel
sehr passend gewesen. Recensent weiss aus Eirfahrung, wde
schwer es manchem Schiller fällt diese drei Dinge zu unter-
scheiden. Uebrigens wiirde diese Bemerkung nach des Recens.
Ansicht besser , nachdem die Buchstaben aufgezählt w ären,
folgen und könnte sie sehr wohl mit dem verbunden werden,
was S, 16 erst vorkommt: Nur bei den Vocalen stimmt der
Laut u. s. w. — Wäre es überflüssig gewesen, hier einige Wor-
te über die Herkunft der deutschen Buchstaben zu sagen und
über ihren ersten Ursprung bei einem semitischen Volke (nicht
gerade den Phöniciern, vgl. Gesenius Geschichte der hebr.
Sprache und Schrift S. Voi f. ) '? — Der i\ame Hauptlaute
jür Consonanten, „ävveil sie die wichtigsten ('?) Bestandtheile ei-
nes Wortes sind, in denen die eigentliche {'\) Bedeutung des-
selben liegt", ist ganz unpassend, weil der angeführte Grund
falsch ist. Sind denn die Vocale minder wichtig'? Und haben
sie nicht auch eine Bedeutung'? Aber der Verf. wollte wohl
sagen: Bedeutsamkeit! Doch auch so ist der Gedanke unrich-
244 DeutscheSprache.
tig. — S. 16 heisst es: ^^wobei entweder bloss die Limge^
oder der Gaumeji. , oder die Lippen , oder die Zähne^ oder die
Zunge vorzüglich thätig ist'-''. Der Satz ist unverständ-
lich. Was soll das Bloss, da vorzüglich folgt? — Gleich dar-
auf: „ Wird ein Buchstab wenig oder gar nicht gehört^
so heisst er stumm'-'-. Wenig ist durchaus zu streichen. Kein
Buchstabe — Recens. findet es sehr hart: Buchstab zu sagen
und zuschreiben, — , der ein wenig nur gehört wird, kann
stumm heissen. — Zu S. 17 Z. 12 macht Hr. Lorberg (II
Lief er. S. 1.) die Bemerkung: „Wenn y kein deutscher Buch-
stabe ist und in keinem echt deutschen Worte vorkommen soll
(vgl. Heyse S. 64.): so darf es auch hier nicht unter den deut-
schen Buchstaben aufgeführt werden." Recensent ist anderer
Meinung: y ist ein acht deutscher Buchstabe, gebildet aus ij.
Nur ist aber dabei zu erinnern, dass dieser Vocal 1) zur Be-
zeichnung des ii z. B. Juny = Junii^ wo man mit Unrecht in
der neuern Zeit dieses herkömmliche y verkannt hat; 2) zur
Bezeichnung des griechischen v dient, wo es auszusprechen
ist ü , z. B. Sylla = Sulla. — S. 17 heissen die üoppelvocale
ai u. s. w. einsilbige Laute. Ein ganz unpassender JName, da
er viel zu aligemein ist.
Zweiter Abschnitt.
Von der Bildung, der Dehnung u. s. w. der Silben
und Wörter.
1) Bildung der Silben und Wörter.
S. 22. Hier wird eine Erklärung des Wortes und Begriffes
Sylbe gegeben, die etwas verschieden von der ist, die S. 15
vorkam. Die jetzige ist klarer als die frühere. In der frühern
sind die Worte: mit einem Grundlaute., unverständlich, auch
das Wort Stimmabsatz auffallend und verwerflich. — S. 23.
Der Satz: „6e« einzelnen Silben kann ich mir nichts Bestimm-
tes denken'-'-, ist falsch. Denn wenn ich sage: Schivermuth^
so kann ich mir bei Schwer u. bei Muth etwas Bestimmtes den-
ken. — Das Wort Macht kann nicht zu den Wurzelwörtern ge-
rechnet werden; denn es kommt her von machen^ mögen.
Ebenso wenig recÄ/,- denn das stammt von rectus und diess
von regere. Auch Haus dürfte nicht dahin geliören ; denn es
kommt her von Hut., und diess ist verwandt mit xvrog, dessen
Stammverbum ava heisst.
Hieraus erhellt zugleich, wie falsch das Folgende sei:
„rfee abgeleiteten Wörter sind daher ( 1 ) natürlich ( '? ) mehrsil-
big.'-'- Es gibt der einsylbigen eine sehr bedeutende Menge. — S.
24 heisst es: „Durch diese Zusammeiisetzungeii und Ableitun-
gen wird die Bedeutung eines Stummwortes sehr verändert.'-''
Schon das Wort verändern ist nicht gut gewählt ; man kann
Heyse's Deutsche Schulgrammatik, und Lorherg's Zusätze. 245
desslialb das Ganze leicht missverstehen und glauben, dass die
Bedeutung des Urvvortes durch Zusammensetzung und Ablei-
tung ganz anders werde, besonders da der Verl'asser noch
das Wörtchen sehr hinzugesetzt hat. Das ist aber keinesweges
der Fall: der Grundbegriff bleibt immer. Bestimmter^ voller
wird die Bedeutung eines Wortes durch Zusammensetzung mit
andern Wörtern oder durch Ableitung.
3) Betonung der Silben und Wörter, oder Silben-,
Wort- und Rede-Accent.
S. 25 heisst es : ^^Ehi guter Leser wird betonen.'''- Wie
kommt der Verf. mit einem Male auf den Leser? Es muss hei-
ssen: Derjenige, der g^?/^ redet. Allenfalls konnte hinzugefügt
werden: so wie der, welcher gut liest. — S. 28 hätte bei der
Regel, „(iöss der Ton jedes Mal (so richtiger als jedesmal,
wie der Verf. schreibt ; denn Mal ist ein Hauptwort, wie das
französische fois.) avf das Wort gelegt werde ^ welches einen
versteckten (er braucht ja nicht immer versteckt zu sein; er
kann ja auch und rauss vielmehr offen daliegen d. h. aus dem
Zusammenhange erhellen.) Gegeiisatz oder eine Ausschlie-
ssung enthalten soll'"'- , der Grund mit kurzen Worten angege-
ben werden sollen, warum es so ist. Es konnte etwa heissen:
weil der Sprechende den Hörenden auf den entgegengesetzten
Begriff recht aufmerksam machen, ihm denselben recht ein-
dringlich und bemerklich darstellen will. — Bald darauf heisst
es : ,^ Dieser Redeaccent setzt ein ganz vollkommenes^
deutliches Verstehen Dessen (warum /dessen und nicht rfes-
gen?) voraus^ was man vortragen will.'-'- Hier musste zugleich
darauf hingewiesen werden, dass auch umgekehrt das Ver-
ständniss eines Satzes oder einer Rede vom richtigen Accentui-
ren abhänge. — Im Folgenden ist zu wenig oder gar nichts
von der Vortrefflichkeit dieser wahrhaft schönen Kunst — sie
ist eine Art Gesang, — gesprochen worden. Die Anfänger,
ja selbst manche Lehrer, bedürfen einer solchen Hinweisung.
Rec. wünschte, dass der Verf. in einer neuen Auflage seines
Buches recht eindringlich davon handeln möge, damit diese
schöne Kunst mehr in unsern Schulen als bisher geübt werde.
Dritter Abschnitt.
Von der Eintheilung der Rede-
tlieile u. s. w.
S. 31. Der Ausdruck : ein äusserliches Dasein , ist dem
Schüler durchaus unverständlich , und sogar auch falsch. Wie
können Gedanken, die ich habe, ausser mir Dasein haben? Es
soll heissen: Der Mensch kann sich in der Sprache und durch
die Sprache äussern , d. h. seine Gedanken und Gefühle ausser
246 Deutsche Sprache.
sich darstellen , ausdrücken , gleichsam ahdrücken. — Ueher-
haupt ist zu erinnern, was auch schon Lorberg' (11 S. 3ff.)
gethan Iiat, dass die Sprache in diesem Abschnitte viel zu dun-
kel und unverständlich ist. — Was der Verf. damit will, wenn
er sagt: „l>/e Empfindwigslmite sind Ausbiüclie — des
Schmerzes und der andern Gefühle^ deren s c htvankendes
und nnb estiuiinte s Wesen sie an sich tragen'-'-^ das
begreift llecens, nicht. Ueber das Folgende vergl. man Lor-
berg a. a. O. — S. 32. Der beliebte Ausdruck aussagen für
praedicare ist im Ganzen für den Schüler doch unverständlich.
Rec. würde rathen, ihn ganz zu verbannen aus der Grammatik
und dafür lieber zu sagen: behaupten oder eine Nebenvorstel-
lung entnehmen^ und eine so dem Hauptbegriff entnommene
Nebenvorstellung durch fVorte ausdrücken. iJenn worauf deu-
ten die Redensarten : praedicare de cdiquare., dicere de ali-
quo aliquid ^ reden, sprechen, behaupten von etwas, anders
hin, als auf ein Abstrahiren , entnehmen'? So auch cogitare
de aliqua re, denken von etwas. — S. 34. Wie kann Copula
übersetzt oder erklärt werden durch Aussage des Satzes !
Vierter Abschnitt.
Lehre von der Rechtschreibung oder Ortho-
graphie.
Rec. gesteht, dass er diese Lelire hier ganz am unrechten
Orte findet. Sie unterbriclit anfeine sehr störende Weise den
Zusammenhang des dritten u. fünften, sechsten u. der folgenden
Abschnitte, welche sich auf einander unmittelbar beziehen.
Sie gehört eben dahin , wo die Lehre von der Zeichensetzung
steht, in den Aiihang der deutschen Grammatik. — S. 4!) ist,
die Zahl der Fehler in der ersten Uebungsgabe (34) falsch
angegeben. — Der Ausdruck Fremdwörter für: Wörter aus
einer fremden Sprache, ist nicht zu billigen. Und warum hat
er unter dieselbe das Wort hysterisch gesetzt? Dafür lieber ein
anderes! Die Zahl 12 ist auch unrichtig. — S. 50 lehrt der
Verf., man solle nicht schreiben : aufs Neue., sondern aufs
neue u. s. w. ohne allen Grund. Ich sage das Neue und schrei-
be Neue mit einem grossen Anfangsbuchstaben. Also muss ich
auch schreiben auf das Neue oder aufs Neue. Nicht das
Neue ist hier Adverb, wie der Verf. meint, sondern die ganze
Redensart: aufs Neue steht als Bezeichnung eines Adverbialbe-
griffes.— S.JiiJ, Anra. 1. Welche Missverständnisse könnten wohl
zu einer so grossen Inconsequenz rathen, als der Verf. hier em-
pfiehlt! — S.54, Anm. 3- Rec. würde alle die Wörter: besten.^
preis., gute., wege., um der Gleichförmigkeit willen mit einem gro-
ssen Anfangsbuchstaben zu schreiben anempfehlen. — S. 88.
Der Rec. heisst es sehr gut, wenn der Vf. darauf dringt, dass
Heyse's Deutsche Scliulgrararaatik , und LorLerg's Zusätze. 247
man schreiben solle: gofft/ ücrgoffne?, t)crf)afft, in welchen Wör-
tern der zweite Zischlaut zum aus^estossenera e gehört. Allein
^anz unpassend und, wie es dem llec. scheint, ganz ungegriin-
det ist die Neuerung, ff" am Ende eines.Wortes statt g zu schrei-
ben. Der Doppelconsonant jj ist ott'enbar entstanden und znisam-
mengesetzt aus f und dem damit in eins verbundenen End- ^, so
dass das 9 eigentlich so geschrieben oder gebildet werden
müsste fg und urspriinglich gewiss so geformt gewesen ist.
Warum nun von der allgemein angenommenen Hegel, am Ende
eines Wortes und einer Sylbe — wenn in dem letztern Fall nicht
ein [folgt, — ein ä zu machen, abgehen wollen'? Höchst an-
stössig musste eine solche Neuerung in einem so verbreiteten
Schulbuche sein. — S. 97. (5.) Der llec hält es gerade für
richtiger und der Natur der Sache ganz angemessen abzuthei-
len: bak-ken, Kas-ten, nüz-zen.
Fünfter Abschnitt.
Das Selbstandswort oder der Artikel.
S. 104. Die Benennung Selbstandswort deucht dem Rec.
sehr unglücklich gewäblt; er vermag sich dabei gar nichts zu
denken. Eher geht nocb Einzier. Wie ferner der Artikel ein
Zeichen der logischen ('?) und grammatischen Würde (?) des
Substantivs sein könne, sieht er eben so wenig ein. Worin soll-
te denn diese Wurde bestehen? Wie ist es denn in den Spra-
chen, wo gar kein Artikel sich vorfindet? Gleich darauf heisst
es: ^ly der Artikel habe das Substantiv nicht nur als solches
überhaupt anzukündigen (wiederum ein Zweck des Artikels,
den er gar nicht hat), sondern als ein so und so bestimm-
tes.^'' Wie passt hierzu die bald darauf folgende Eintheilung
des Artikels in den bestimmenden und nicht bestimmenden?
Demnach wäre ein., eine., ein derjenige Artikel, der zu be-
stimmen und nicht zu bestimmen pflegte. FJin olfenbarer Wi-
derspruch ! — S. 107 f. Die Einth eilung a) b) c) ist durchaus
fehlerhaft. Alles Dreies gehört unter eine einzige Regel. Wird
denn nicht auch eine Sache im Aligemeinen angedeutet, wenn
ich sage: Menschen., Krebse., InsecteJi., eben so wie wenn ich
sage : Bier , Wein , Brod ? Auch ist ganz unrichtig , wenn es
heisst : der Artikel werde weggelassen vor Substantiven , um
kürzer zu reden. Das ist doch wahrlich nicht der Zweck
und der Grund! Ist denn kein Unterschied im Sinne, wenn
ich sage: Tugend belohnt sich selbst., und: die Tugend be-
lohnt sich selbst? Leben ist süss^ und: das Leben ist süss? —
S. 108, e ist der Vei-f. aus der Construction gefallen: Er hatte
S. 107 gesagt: Diess geschieht (nämlich, dass Hauptwörter
ohne Artikel gebraucht Averden,) a) wenn u. s. w. b) tvenn u. s.
w. Mit einem Male heisst es unter e: „Wenn einHauptwort im
248 Deutsche Sprache.
Genitiv vorangeht , fällt vor dem letztern der Artikel
weg.'-'' Es sollten diese Worte so lauten: e) wenn ein Haupt-
wort im Genitiv einem aiidern Haiiptuwrte unmittelbar voran-
geht. Dann fällt nämlich vor dem letztern der Artikel weg. —
Die Bemerkung; unter Nr. 9 ist viel zu allgemein und kann den
Anfänger ganz irre führen. Ilec. hält sie für ganz überflüssig.
Sechster Abschnitt.
Das Hauptwort oder Substantiv u. s. w.
S. 111. Die Eintheilung 2) a) b) c) ist ganz verfehlt, wie
auch Lorberg (II S. 14 f. ) bemerkt. — S. 112 werden un-
ter den Stamm- oder Wurzelwörtern folgende aufgeführt, die
nicht dazugehören: Licht \oi\ lux ^ luceo^ luken ; Furcht \on.
fahren^ fahren. Ueberhaupt sind die Wörter auf t bestimmt
alle abgeleitet (vgl, Lorberg I S. 2.), und der Verf. hätte
diese Endung unbedenklich unter 2) aufführen können. — Die
Endsylbe Ung ^ die unbezweifelt aus Ze/w, lin^ entstanden ist,
daher sie auch die Bedeutung des Verkleinerns hat, soll nach
unserem Vf. , der darin Lor berg (I S. 16) und Becker ge-
folgt ist, den Begriff der Unthätigkeit haben. Als ob der Säug-
ling nicht saugte^ und sauge keine Thätigkeit bezeichnete! Es
muss vielmehr heissen: den Begriff der Passivität. — Von der
Sylbe el und er wird komisch genug gesagt: „s/e zeigen etivas
Mänfilickes (?) «w." — S. 113, III heisst es vom Geschlech-
te der Hauptwörter , ,, in jedem Falle iverde es durch den da-
vor gesetzteri Artikel der ^ die^ das ange geben'-'-. Das Wort
angegeben kann hier leicht missverstanden und so gedeutet
werden, als ob der Artikel Veranlassung gäbe zum Geschlechte
der Substantive. Der Verf. lasse darum diess Wort ganz weg
und setze erkannt an das Ende des Satzes. — Im Folgenden
findet es Rec. sehr überflüssig zu sagen: „Männlich sind mit
dem Artikel der ^ weiblich sind mit dem Artikel die (S. 115),
sächlichen Geschlechts (so würde der Rec. nie abkürzen um
der unangenehmen Härte willen,) sind mit dem Artikel das
(S. 115). Wozu der leere Zusatz: mit dem Artikel der, die.,
das? — S. 115, 3, b) liest man: „^//e Verkleinerungswört-
chen auf chen und lein u. s. w. ; ferner die Wörter^ welche auf
thum und niss ausgehen.'-'' Welch eine Zusammenstellung! Und
gleich darauf: „(Sächlichen Geschlechtes sind) alle übrigen
(das ist sehr, und viel zu sehr allgemein; Hessen sich denn
keine besondern Regeln geben '? ) Wörter und selbst Buchsta-
ben , die , ohiie Substantive zu sein , doch als solche gebraucht
werden}'- Was soll das heissen: sie sind keine Substantive und
werden doch als solche gebraucht*? Der Ausdruck ist hier sehr
mangelhaft. Es muss heissen: die eigentlich keine Substan-
tive sindj aber doch zu solchen erhoben tverden können, — S.
Ileyse's Deutsche Schulgrammatik , und Lorhcrg's Zusätze. 249
117. Der Scheuer heisst in manchen Gegenden auch das Instru-
ment zum Sclicuern der Stuben,
S. 118, IV Z. 2 (vgl. S. ä8. ) ist die Benennung Zahlform
für numerus gesetzt. Ganz unpassend ! Es nniss heissen »S]^/y/cä-
formen. Unter Zahlfornien denke ich mir etwas ganz anderes,
in der Grammatik aber gar nichts. Die Regel würde am besten
so lauten: Das Zahlverliältniss (der Numerus) der Hauptwör-
ter ist im Deutschen zwiefach, da man entweder ein einzelnes
Ding in seiner Einzelheit denken und nennen kann oder mehrere
Dinge einer Art in ihrer Mehrheit. Darnach gibt es zwei ver-
schiedene Sprachformen ( zum Ausdruck dieser zwei Zahlver-
liäitnisse). Vgl. aucli Lorberg II S. 18. — S. 120, Anm. 4
sagt der Verf. : ^^Obgleich die Pluraleiidung s nhht urspri'mg-
lich deutsch sonderii französisch ist.'-'- Diess ist unrichtig, wie
man z. B. aus Grimms Grammatik sehen kann. Wohl ist die
Endung s im Plural acht und ursprünglich deutsch, wie im La-
teinischen und Griechischen. Was ist das r in Manne;', Wei-
ber anders als s? Man sehe darüber Grimms Grammatik nach.
— Ebcndas. V. Hier würde llec. zur grössern Deutliclikeit so
gesagt haben: Ein Hauptbegriff kann nämlich gegen andere
Begriffe in gewisse Fülle kommen , d. h. in gewisse Beziehun-
gen und Verhältnisse treten. Zur Bezeichnung dieser Fer-
hältnisse dienen gewisse IUjidungen der Iia//plwörter, und diese
Endungen nennt Juan Fälle, Casus. Der^ame P erhält nissf all
ist durchaus falsch. Dean Fall ist hier = Verhältniss. Was
Iieisst nun Verhältnissfall? — Im Folgenden muss es lieissen:
Sage ich z, B. mein Freund ist mir unvergesslich, so steht der
Begriff Freund (nicht, wie im Buche steht, der Freund) u.
s. w. Vgl. Lorberg II S. 19. llec. erwartete nun eine Auf-
zählung der Verhältnisse im Allgemeinen, welclie durch die
Casus ausgedrückt werden. Allein nichts von dem ! Es ist frei-
lich wahr, dass die Sache noch sehr in) Dunkeln ruhet, so
iiothwendig sie auch zur Aufklärung so vieler Tlieile der Gram-
matik ist. Allein zu versuchen ist sie doch. — Mit Recht ta-
delt Lorberg (a. a. 0.), dass die Declination der Gattungs-
namen von der der Eigennamen getrennt ist. Als ob niclit al-
len ein und dieselbe Declination zum Grunde läge! — S. 123.
Was hier von adjectivischer Declinationsform gesagt wird, muss
nach Lorberg (S. 20) verbessert werden. — S. lii). Sagt mau
denn: die Nannijn oder die Nannys? die Berthan oder die
Berthas? Rec. däclite, nur die letzte Form wäre die richtige,
so wie er es für überflüssig hält Foss's Gedichte zu schreiben.
Es ist hinlänglich: T'oss Gedichte. Jacobs Elementarbuch.
S. 130, VI. Zur Regel: „f/as Substantiv kann auch als
Prädicat im Nominativ stehen.!''- wird hinzugefügt: .^.^dann wenn
Etwas mit demSubJecte in ein gleiches ierhältniss gesetzt iver-
den soll'-'- u. s. w. Allein das wird erst im Folgenden erklärt,
Jahrb. f. P.'iil. u. Pädag. Jahrg. III. Heft 11. -^'^
250 Deutsche Sprache.
steht also hier am unrechten Platze. Ueber den für Anfänger
sehr schwierigen Ausdruck: gleiches Verhält?nss^ hätte mehr
gesagt werden sollen. Die Sache bleibt beim Verf. noch sehr
im Dunkeln. — Was übrigens hier und auf der folg. S. von den
Casibus im Allgemeinen erinnert wird, gehört in die Lehre von
den Casibus überhaupt, nicht hierher. — S. 132, Anm. 2
heisst es : „ Ohne Noth muss man auch nicht Präpositio-
nen gehrauchen u. s. w. Man sage daher nicht: diess ist der
Sohn von meinem Freunde'''' u. s. w. Warum denn nicht? fragt
Rec. Warum soll ich denn nicht zum Ausdrucke einer einzigen
Sache in der Sprache zwei Weisen gebrauchen können? Ist das
nicht gerade ein Vorzug einer Sprache? ein Zeichen von Fülle?
Es ist — um diess hier zugleich ein für alle Mal zu erinnern, —
eine ganz falsche Ansicht von manchen Grammatikern, und na-
mentlich auch von Hrn. Heyse, die Ansicht, von zwei Sprech-
weisen für eine und dieselbe Sache wäre eine falsch und müss-
te aus der Sprache verdrängt werden. Wozu das? Nein! des
Grammatikers Verdienst sei auch das Streben , mehre Sprach-
formen für eine Sache nachzuweisen! So kann ich sagen: Preu-
ssens König und der König von Preussen. Rec. möchte doch
wissen, was für eine Zweideutigkeit und Unbestimmtheit durch
die letzte Sprechweise vermieden würde! Sie ist ja gerade die
gewöhnlichere und jene: Preussens Könige für den höhern Styl.
— Die Regel bei Heyse ist also durchaus schielend und muss
etwa so heissen: Statt des Genitivs hann man in vielen Fällen
Präpositionen gebrauchen , iveil auch sie zur Bezeichnung von
Verhältnissen der Begriffe gehraucht werden ; ja sie sind in
manchen Fällen sogar bestimmter. Vgl. Lorberg I S. 23.
Siebenter Abschnitt.
Das Fürwort oder Pronomen u. s. w.
S. 135. Ueber die Einleitung hat sehr Treffendes gesagt
Lorberg II S. 20lf. — S. 136. Was der Verf. zu Ende der
Einleitung hinzufügt , „ dass die Fürwörter dieser u. s. w. ihre
Selbständigkeit verlieren können'"''^ ist gewiss falsch. Dem Rec.
scheint gerade das Umgekehrte richtig. Jene Pronomina sind
ursprünglich adjectivischc Wörter und werden zu selbstständi-
gen Pronominibus , wenn das Substantiv leicht zu ergänzen ist.
— Im Folgenden unter Nr. I spricht der Verf. unklar und un-
richtig von der Verschiedenheit der Personen. Es muss hei-
ssen: Person ist diejenige Form eines Verbi,, durch welche
das Verhältniss des Gegenstandes .^ von welchem gesprochen
wird , zu detn Sprechenden bezeichnet zu werden pflegt. Die-
ses Verhältniss ist dreifach : es kann nämlich der Sprechende
1) der Gegenstand selbst sein, von dem er spricht; 2) de?i Ge-
genstand vor sich haben, von dem er spricht; 3) von einem
Heyse^s Deutsche Schulgrammatik , und Lorberg's Zusätze. 251
Gegenstande sp? ecken ^ der abivesend ist. — S. 137. .,^ Ich und
du sind für alle drei Geschlechter '•'■. liier koniite der Grund
hinzugefügt werden : weil es keiner näheren Bestimmung bei
dem bedarf, was dem Sprechenden und Hörenden klar vor Au-
gen liegt. Vgl. Lorberg II S. 20. — S. 141, 3: ,, Anstatt
meiner u. s. w. sagt man auch: der., die ^ das meine'"'' u. s. w.
Allein in welchem Falle'? Das ist im Folgenden sehr unklar an-
gedeutet. Es rauss heissen: Anstatt meiner u. s. w. sagt man
der., die., das meine u. s. w. , wenn u. s. w. — S. 141, 2
kommen die Benennungen: die bestimmte Beugung., die unbe-
stimmte Beugung der Adjective, vor. Dieselben sind ganz un-
statthaft. Richtig ist doch nur der Ausdruck : Die Beugung für
bestimmte und nnbestimmte Sprechweise. — Ueber den un-
passenden Namen: beziehliche Fürwörter s. L or b erg a. a. O.
— S. 145, 1. Wenn es hier heisst: der, die., das ist eine
blosse Verkürzung für welcher, welche, ivelches: so weiss der
Rec. nicht, was er zu einer solchen Bemerkung sagen soll. Der
Verf. will doch nicht etwa damit andeuten, dass der, die, das
durch Verkiirzung d. h. durch Wegfall von Lauten oder Buch-
staben aus welcher, welche, loelches entstanden sei? Das wäre
ein in seiner Art einziges Etymologisiren. Es soll wohl bloss
heissen: der, die, r/ßs ist das kürzere Wort fiir ?f»e/cÄer, wel-
che, welches; oder das kürzere Relativpronomen ist der. Aber
welch eine gemeine Bemerkung ist das! Ob nicht jedes kleine
Kind das von selbst erkennt! Statt dessen wäre zu erwähnen
gewesen, dass der, die, das das ältere Relativpronomen wäre,
das für welcher, ivelche, ivelches noch immer und zur Ab-
wechslung in der Rede sehr vortheilhaft angewendet werden
könnte. — Anm. 2 enthält wieder eine sehr mangelhafte Regel.
^, Statt des Ge?iitivs vo?i welcher, welche, welches nimmt man
seine Zuflucht gewöhnlich zu dem Stellvertreter der, die, das'"''
u. s. w. Hier ist 1) nicht der Grund angegeben, warum diess
geschieht; es geschieht um der grössern Leichtigkeit willen,
mit welcher sich dessen und derer aussprechen lässt ; ivelches
u. s. w. ist schwerfälliger. Wohl auch um der Gleichheit so
vieler Casus , die ivelches und welcher lauten, zu begegnen.
2) der Ausdruck ^e?f>öÄw/«cÄ viel zu unbestimmt; er kann den
Anfänger in der deutschen Sprache sehr leicht irre führen. Es
gibt nehmlich ja gewisse Fälle, wo ich nur den Genitiv von wel-
cher gebrauchen kann: z. B. Napoleon, welches grossen Man-
nes Thaten u. s. w. ; die Papageien, welcher Vogel Gefieder u.
s. w. Wer darf denn in solchen Fällen deren oder dessen sa-
gen*? — Anm. 4 heisst es: „So wird höchstens nur noch bei
Dichter?! entschuldigt'-'-. Diese Worte veirathen das Streben
des Verfs., diess Wort (Relativum) so ganz aus unserer Sprache
zu verbannen. Er entschuldigt es höchstens nur bei Dichtern ! !
Möge er doch davon abstehen und lieber sagen: Der Gebrauch
17*
252 Deutsche Sprache.
des Wortes so als Relativ ist bei Diclitern und in der liöhern
Prosa gar nicht ungewöhnlich, und gibt der Rede bisweilen eine
wunderlicbliche Anmuth. — Was klingt zarter als der bekann-
te Höltysche Vers: Ruschen^ so der Eltern Freude^ so der
Stolz des Dorfes war? Man verwandle das So in das^ was
verliert der Vers'? — S. 146. Dass bei was für ein in der
Melirheit der Artikel wegfällt, und wegfallen inuss, liegt am
Tage, da ein als Artikel keine Mehrheit hat. Ich sage ja e?«
Buch^ Plural: Bücher. So ist es auch hier. — Die in der An-
merk. aufgestellte Regel: ^^Man trenne ja nicht den Artikel
eiji von was für nnd saß;e z. B. nicht: Was hast du für einen
Fisch gefaiigen? sondern Was für einen Fisch'-'' u. s. w. , ist
durchaus grundlos. Rec. würde um des Wohlklanges willen
gerade die erste Weise sehr häufig wählen. — S. 148, 3. „/^/e
Fürwörter ich und du dürfen nicht ausgelassen werden'-^ heisst
es da, und dann kommt als verwerfliche Redeweise das Bei-
spiel: Hast tvohl i'iel fergnügen gehabt? — Der Sprachge-
brauch im alltäglichen Leben, der die Kürze liebt, hat beson-
ders im vertraulichen Gespräche diese Auslassung so sanctio-
nirt, dass der Rec. kein Bedenken trägt, sie gerade recht zu
empfehlen, und des Verfs. Regel für ungegründet und tadelns-
wei;th zu halten. — 4. Hier ist wieder etwas Falsches. „ JFer-
den männliche und weibliche Personen durch Verhleinerungs-
Wörter bezeichnet.^ tvelche in der Sprache sächlichen Geschlech-
tes sind, so muss doch im Fortgange der Rede das Sprachge-
schlecht dem natürlichen Geschlechte tveichen'-''. Diess muss
ist ganz unstatthaft; es streitet g^^^ii alle Grammatik. Es darf
und kann nur heissen: so kann u. s. w. — S. 149, 7. Recens.
begreift nicht, wie der Verf. behaupten kann, „es iväre in dem
gebildeterji Vortrage welcher .^ welche., welches dem der ^ die,
das vorzuziehen'-'-. Inwiefern sollte denn der Gebrauch des
letztern geringere Bildung verrathen*? J)er , die ^ das ist ein
eben solches Pronomen relativum als welcher^ tvelche, welches
und noch obendrein das ältere.
Achter Abschnitt.
Das Beiwort oder Adjectiv u, s av.
S. 154. Es ist dunkel, Avenn es heisst: „i>ßs Beitvort
dient dazu, irgend ein Merk?nal des Hauptivortes zu bestim-
men'-''. Was bedeutet hier bestimmen? In welchem Sinne ist
es zu nehmen'? — Was auf derselben Seiie von der Bildung der
Adjective aus Adverbien gelesen wird , steht hier ganz am un-
rechten Orte. — S. 155. Unter den Stammwörtern, welche un-
ter I, 1 aufgeführt werden, dürfte vielleicht kein einziges ein
wahrhaftes Wurzelwort sein. So dürfte dem jung iuvenis von
iuvo, dem alt olo (olesco), dem gross creo (xqslööcov da-
Hcyse's Deutsche Scliulgraramatik, und Lorberg's Zusätze. 253
mit verwandt und cresco) u. s. \v. zum Grunde liegen. — S. 159.
Äe//^ wird liier, wie im Vorhergelienden ( S. 155. ), sonder-
bar genug, unter die ^achsylben d(!r Adjective gezählt, und
gesagt, es bedeute eine Menge. Wie falsch das sei, hat
Lorberg schon (II S. 32) trefflich entwickelt, indem er
die Adjective auf selig von jener alten Substantivendung sal
herleitet. Also Trübsal^ trübselig {ei^anilich trübsälig). Man
sieht hieraus zugleich, wie unrichtig es sei, seelig zu schrei-
ben.
S. 100. Unter den Participien , welche hier als fehlerhaft
aufgeliihrt werden, dürften sich nicht wenige rechtfertigen
lassen, llecensent verweist den Verf. in dieser Hinsicht auf
Grimms Grammatik. — Das Wort Sitzlebensart^ welches der
Verf. vorschlägt, statt der Redensart : sitze7ide Lebensart^ ist
weit schlechter als diese. Die Redensart: fahrende^ reitende
Pos^ (Post in der Bedeutung Postolficiant, Postillion, der die
Postsachen fortschafft , ) findet Rec. gar nicht so unrichtig. Da-
fiir ist aber imPreussischen jetzt überall der Name Fahr- und
Reitpost gewöhnlich ; oh mit Grund und Recht eingeführt, be-
zweifelt Recensent. Denn was ist denn streng genommen eine
Reitpost '^
S. 161 b) ist das Beispiel: Edel isfs u. s. w. nicht passend
gewählt ; denn sowohl edel als edler ist Adverbium , wie die
Form des Superlativs am edelsten (vgl. dazu die Note*) auf
das Augenscheinlichste zu erkennen gibt. Zugleich will der
Rec. hierbei den Hrn. Verf. zu bedenken veranlassen, ob denn
auch z. B. rund, in dem Beispiele der Tisch ist rmid^ das Ad-
jectivsei, oder nicht vieiraehr das Adverbium. Ich frage nach
dem Ist eben so als, wenn ich sage: die Blume blüht schön,
nach Blüht ^ — nehmlich tvie? Mehr hiervon nachher! — An-
merk. 1. Warum nennt man nicht ganz recht denPositiv u. s. w.
Steigerungsstufen? Dem Anfänger konnte das in wenigen Wor-
ten angedeutet werden. — Anm. 2. Die Bemerkung: ^^yhich
viele Adverbien sind der Steigerung fähig'-'' u. s. w., gehört nicht
hierher, sondern in den Abschnitt vom Adverbio — Anm. 4.
Hier hätte die falsche Form mehrere berücksichtigt und ge-
zeigt werden sollen, dass nur mehre (von meh d. i. mag
magims, yLhy (x^yag,) statt meh er e , wie schön schönere ^ rich-
tig wäie. Der Verf. hat diese Bemerkung erst S. 184, Anm. 1.
— S. 162, Anm. 5 erinnert an die Art Regeln für die Gramma-
tik zu geben, wie sie in den alten Sprachlehren vom vorigen
Jahrhunderte aufgestellt wurden, nach welchen z. B. von bonus
der Comparativ melior, der Superlativ optimvs gebildet wer-
den sollte. Der Verf. sagt nämlich: ^^ Einige Adjective mei-
chen in der Eildung ihres Comparativs und Superlativs
ganz ab ^ nüinlich gt/t, besser^ best'"'' u. s. av. In toiejern wei-
chen sie denn ab? Haben sie denn nicht im Comparativ er ^ im
254 Deutsche Sprache.
Superlativ st als Kenntzeichen , wie alle übrigen Adjective?
Und die scheinbare Anomalie, dass es lieisst: hoch (Jioch ist
doch wohi das Adverbium, nicht das Adjectiv? dieses lautet
ja: hohe (/*), hohe^ hohes ^ wie 7iach ursprünglich das Adver-
bium von nahe. Der Verf. durfte also nicht die Comparation so
machen hock, höher ^ höchst; sondern hohe, höher, höchst,^,
höchst^ nahe, nächst gehört nicht hierher, sondern in eine,
vom Verf. in dieser Grammatik ganz übergangene und doch so
wichtige Lehre von der Verwandtschaft der einzehien Laute
und ihrem gegenseitigen Uebergehen in einander. Ch musste im
Superlativ statt des blossen H hervortreten, weil ein Ä, ein et-
was harter Laut, davor tritt. Vgl. mögen möchte, scribo
scripsi. Im Adverbio ist es nöthig, damit es das Wort gehö-
rig in der Aussprache begrenzt. Besser dagegen und best ist
nicht von gut gebildet, sondern vom veralteten bas. Darnach
ist die ganze Anmerkung zu modeln ; sie ist durchaus verfehlt.
— Aum. 6. Wie der Vf. schlechthin sagen kann: „/?er neuere
Sprachgebrauch behandelt die Wörter erst und letzt als Post-
/iVe", sieht Rec. nicht ein. Sie bleiben immer Superlative;
nur bei Eintheilungen und Zurückweisungen auf dieselben kann
ich einen Comparativ (nur keinen Superlativ) davon bilden: er-
stere, letztere. — Anm. 7. Auch hier ist Vieles zu bessern.
Vgl. Lorb erg schon im ersten Hefte. — S. 165, Aura. 8. Mit
wenigen Worten konnte der Grund angegeben sein , warum ein
anderer Sinn entsteht, wenn man das vorangehende Adverb
beugt.
IV. Beugung des Beiwortes. Hier vermisst der Rec. eine
recht durchgreifende Regel über die Anhängung und Weglas-
sung des n im Nominativ und Accusativ des Pluralis der Ad-
jective. Die Sache ist noch immer nicht aufs Reine gebracht.
Rec. hält dafür, dass die Weglassung oder Hinzufügung dieses n
lediglich ihren Grund im Wohlklange hat und darnach beur-
theilt werden rauss. — S. 168, Anm. 2. Da der Wohlklang in
der Sprache eine solche Macht übt, dass er selbst Regeln über-
treten lässt: so ist demselben keinesweges zu viel eingeräumt,
wenn man statt des übellautenden bequemem lieber bequeme»
sagt, statt lahmem lieber lahme72 u. s. w. — S. 169 ff. V.
Schon Lorberg (I S. 29 if. II S. 34) hat auf das Mangelhafte
dieses Abschnittes aufmerksam gemacht. — Warum denn, um
namentlich darauf noch hinzuweisen, die Menge Adjective auf-
zuzählen, die den oder den Casus regieren? Das Einzelne ge-
hört ins Wörterbuch; die Grammatik gibt und hat zu geben
das Allgemeine Die Rection der Adjective muss hervorgehen
aus den allgemeinen Bemerkungen über Rection oder über die
Bedeutung der Casus. — S. 171. Wozu die Bemerkung: ,,Den
Adverbien folgt der Infinitiv unmittelbar ohne zu'-'""} Erstens
gehört sie nicht in den Text, sondern höchstens in eine An-
Heyse's Deutsche Schulg;rammatik , und Lorbcrg's Zusätze. 255
merkung, und zweitens ist der Satz gar nicht richtig gefasst.
Was soll heissen: folgt? Das kanu der Anfänger so nehmen,
als ob der Infinitiv vom Adverbio regiert werde. Nichts fal-
scher als das! — Die gleich darauf unter 2 folgende Regel:
„fias mit seinem Substantiv verbundene Adjectiv steht immer
vor dem selb en'-'- ist wiederum schielend. Wenn ich nun
sage: der Feind ^ grossmüthig^ schenkte ihm das Leben. Steht
da das Adjectiv nicht hinter seiiiem Substantiv *f Sprechen nur
so die Dichter? — S, 172 f. 4 diirfte einer Umarbeitung be-
dürfen, da, wenigstens nach des llecens. Dafürhalten, wie er
schon oben erinnerte, einfältig Adverb ist, ich mag sagen: er
ist einfältig., oder: er handelt einfältig. In beiden Fällen frage
ich nach dem Verbo wie? In beide» Fällen wird der allgemei-
ne Begriff des Verbi näher bestimmt, also durch ein Adverb.
— S. 173 findet der Rec. in dem Beispiele: „er beschreibt ihn
sehr gut, '■'' keine Zweideutigkeit. Es kann nur der Sinn darin
liegen: er beschreibt ihn so, dass die Beschreibung gut ge-
heissen w«rden kann. Im andern Falle sage ich: er beschreibt
ihn als sehr gut. — S. 174 muss nach den Worten : „so schreibt
man es mit einem kleinen Anfa?igsbuchstaben,^'- der Grund hin-
zugefügt werden: denn dann ist es blosses Adjectiv, sich auf
das vorangehende oder nachfolgende Substantiv beziehend. —
S. 175 konnte mit wenigen Worten der Grund angefügt werden,
warum im sächlichen Geschleclite die Adjective als Substantive
keine Mehrheit haben.
Neunter Abschnitt.
Das Zahlwort u. s. w.
S. 178 f. Das Zahlwort soll dazu dienen, die Zahl von Ge-
genständen einer Art genauer zu bestimmen, und doch theilt
der Verf. die Zahlwörter ein in bestimmende und nicht be-
stimmende. Ist das nicht ein offenbarer Widerspruch*? — S.
184: .,., Aus nicht etwas ist nichts entstanden'"'-. Nach welcher
Regel der Etymologie? Ist wohl eine solche Zusammenziehung
möglich'? Warum soll es denn nicht aus nichtvmA. dem substan-
tivischen Nominativ - s entstanden sein ?
Zehnter Abschnitt.
Das Zustand s wort (Verb um) «. s. w.
S. 187. Dem Rec. ist es auffallend , zu lesen: .,,ei7i Wort.^
welches — aussagt'-'-. Ein Wort kann wohl etwas besagen,
aber nichts «wssagen. In dieser Hinsicht halteich es auch nicht
mit Lorberg ( il S. 37.), der das Verbum deutsch Aussage-
wort will geuannt wissen. Da ist immer noch Zustandswort das
erträglichere. — Weiterhin heisst es: ^^Geivühnlich gibt man
jedes Verbum in einer ganz einfachen und rohen Gestalt ohne
256 Deutsche Sprache.
Beziehung auf eine Person und daher ohne Fürwort an'-'-. Was
ist denn hier eine rohe Gestalt des Verbi fih* eine Gestalt*? Soll
ich darunter diejenige verstehen, in welcher nicht der Begriff
einer Beziehung auf Etwas liegt, (wie es zu sein scheint,) so
kann ich sie doch unmöglich eine rohe nennen. Vgl. Lorberg
II S. 38. Der Satz muss so gestellt werden : Geivöhnlich gibt
man jedes Verbum , wenn man von demselben als ron einem
selbstständigen J forte spricht^ also ohne alle Beziehung auf ein
anderes Wort (auf einen andern Begriff) in derjenigen Form
an , die den Begriff des f erbi ohne weitere Nebenbegriffe als
den Begriff der Zeit , ausdrückt. Diess ist der Infinitiv. Er
ist nämlich die Bezeichnung u. s.w. (nacli Lorberg a. a. O. ). —
Grundweise für den lateinischen Namen Inßnitivus zu gebrau-
chen, ist ein neuer verunglückter Versuch, die römische No-
raenclatur aus der deutschen Grammatik zu verbannen. Falsch
ist auch, was der Verf. weiterhin sagt: ^^der Infinitiv enthält
in der lieget den Statum des ZustaJidswortes'-'', oder wie Lor-
berg ( a. a. 0. ) : „ der Infinitiv enthält am einfachsten den
Stamm des Verbs (so würde Rec. nie schreiben)". Denn voti ste-
he?i z. B. ist der Stamm sta , wie im Griechischen Gtdco , woher
l'ötrj^i., zind im Latein, stao daher sto; den Stanwi behält aber
das Iniperfectum : ich stand. Brechen kommt her von brach,
lateinisch frag., woher fr agor und frango., Imperfectum nun
brach. — Gleich darauf heisst es: „/^er Infinitiv ist dein Sub-
stantiv am meisten verwandt'-''. Was will der Verf. mit dem
am 7neisteJt sagen'i Eher liesse sich noch denken: jiahe ver-
wandt. Und das wäre ganz richtig, wenn man es nehmlichreclit
versteht. Lorberg (a. a. 0.) zwar will das nicht gelten las-
sen. Indessen kommt es darauf an , was man sich unter Ver-
Avandtschaft in diesem Falle denkt. Versteht man darunter,
was die beiden Schmidt in ihren Programmen (Ratibor und
Prenzlau) über den Infinitiv verstehen: eine so nahe Verwandt-
schaft, dass der Infinitiv geradezu ein Substantiv sei: so ist
das freilich unrichtig. Es wäre eben so, als wenn ich sagen
wollte: G/osses sei ein Substantiv, weil ich sagen kann: Gro-
sses ziemt dem grossen Geiste. Es bleibt darum immer ein Ad-
jectiv. So bleibt der Infinitiv ein nothwendiger Theil des Verbi,
wenn ich ihn auch als Substantiv gebrauchen kann. Insofern
aber als der Infinitiv den Begriff des Verbi ganz nackt, ohne
alle Nebenbegriffe, den Nebenbegriff der Zeit ausgenommen,
gibt, also als für sich bestehend, als für sich allein: insofern
ist nur ein kleiner Schritt, denselben als wirklich selbstsländig
und als Ilauptbegrift" zu betrachten. Und darum könnte man
allerdings von einer gewissen Verwandtschaft zwischen Sub-
stantiv und Infinitiv sprechen. — S. 188. Hinsichtlich der
Stammwörter hat sicli der Verf., der sich überhaupt mit der
Etymologie etwas zu wenig befasst zu haben scheint, hier wie-
Heyse's Deutsche Schulgrammatik , und LorLcrg s Zusätze. 257
der versehen. Liefen kann doch wahrlich kein Stammwort ge-
nannt werden; es kommt ja her von legen\ Auch dürfte trin-
ken schwerlich hierher gcliören; es mag wohl mit trecken, d. i.
ziehen, und ^/-«Ac/e verwandt sein. — Bald darauf heisst es:
aus drwf^en (drang) wäre drängen^ aus ertrinken ertränken.
Gerade umgekehrt! Auch bücken kommt nicht von biegen^ son-
dern biegen von bücken (Bug). — S. 104. Die Lehre von den
unpersönlichen Verben ist sehr unvollständig abgehandelt und
verdient eine gänzliche Umarbeitung. Die Anmerkung, wel-
che S. 195 dazu gemacht wird : „ÄeAr oft ist das es ganz ent-
behrlich'\ ist ganz entbehrlich. — S. 200, Anm. 1. Der Verf.
scheint eine unrichtige Vorstellung von der Bedeutung der Par-
ticipien zu haben , wenn er sagt , dass die Participien keine be-
stimmte Zeit bezeichneten, vielmehr auf alle Zeiten bezogen
werden könnten. Schliesst denn das Letztere das Erste aus*?
— Anm. 2. Ganz falsch ist der Anfang dieser Anmerkung:
„ Bas zioeite Particip verliert nur dann seine leidentliche Be-
deutung, tvenn es in Verbindung mit dem Hülfsworte haben
zur Umschreibung activer Zeitfonneu dient''''. Als ob nicht:
ich habe das Buch gelesen, soviel wäre als : ich habe das Buch,
das gelesen ist (von mir)! Als ob cognitum nicht das Particip.
Perf. Pass. bliebe, wenn ich auch sage: habeo cognitu?n. —
S. 202, 3 sagt der Verf.: „der neuere und bessere Sprach-
gebrauch zieht es vor , nach den und den Wörterji das Particip
zu setzen .^ statt dass man fri'iherhin den Infinitio set:ite'-''. Dem
Rec. ist das kein besserer Sprachgebrauch ; er glaubt die alte
Redeweise durchaus beibehalten zu müssen; denn 1) ist sie
durch das Alter und Herkommen hinlänglich festgestellt; 2)
lässt sie sich recht wohl erklären (vgl. Ileyse in der Anraei'k.);
3) vermeidet sie den UebeJklang, das Schleppende der Parti-
cipien geholfen, geheissen u. s. w. am Ende eines Satzes. Oder
lautet es besser zu sagen: ich habe ihn kommen gesehen, als:
ich habe ihn kommen sehen? Der Begriff des Sehens ist in die-
sem Falle dem Gewichte nach unbezweifelt der untergeordne-
te ; und er sollte in dem iängern Worte mehr hervorstechen als
der Begriff des Kommens*? — S. 203. Hier will der Rec. noch
nachtragen , was er eigentlich zu S. 188 ff. hätte erinnern sol-
len, dass der Vf. mit Unrecht die Verba mit denVorsylben be
(= bei), emp (= e«^), ent (^z=:a?it avtl), er (^= es d. i. ea.'),
ver (= dwer dwo duo), zer (= ziver von zive , ztrei) zu den
abgeleiteten rechnet. Sie sind vielmehr zusammengesetzte.
Weil aber jene Form der Präpositionen sich mit der Zeit ei-
genthümlich für die Verba bildete, so trennt der Sprachge-
brauch dieselben bei der Conjugation nun nicht mehr von ihren
Verben. — S. 204, Anm. 2. Hier konnte der Grund angegeben
werden, warum esheisst: ich stehe auf, und: tveil ich anj-
stehe. Auf, an u. s. w. ist nehmlich durchaus iu diesem Falle
258 Deutsche Sprache.
Adverbium; wir nennen sie aber , obwohl fälscblich , Präposi-
tionen. In den Hauptsätzen nun, die durch keine Relative be-
stimmt werden, steht das Verbura vor seinem Adverbio ; in re-
lativen Sätzen dagegen ganz am Ende des Satzes, also auch
das Adverbium vor ihm, dem Verbo. — S. 205 hat sich der
Verf. sehr versehen (auch Lo r berg II S. 43) hinsichtlich der
Beispiele zu den trennbaren Verbis. So heisst es : ich fahre
oder fuhr durch den Fhiss ; er brachte es hinter das Haus; er
schrieb unter u. s. w. Hier sind ja offenbar durchs hinter^ un-
ter Präpositionen mit ihren Casibus! Es soll und rauss heissen:
ich fahre oder fuhr durch ( z. B. wenn von einem Flusse die
Rede war ) , er brachte es hinter ( z. B. wenn von einem Hause
gesprochen wird). Die letzte Redensart: er schrieb unter (der
Linie), ist ohne ein Hauptwort gar nicht gewöhnlich, oder es
muss heissen: darunter. — S. 206. Er handelt miss sagt kein
Deutscher, so viel Rec. weiss, es miisste denn im Scherz sein.
— S. 207 f. Anm. Der Verf. hält fälschlich die Redensarten:
ich triirde haben ^ ich würde gehabt haben^ für umschreibend
statt: ich hätte ^ ich hätte gehabt. Bei ich hätte in Bedingungs-
sätzen habe icli in Gedanken das Präsens: aber ich habe nicht;
bei ich tvürde haben das Futurum : aber ich werde nicht haben.
So bei ich hätte gehabt das Perfectum: ich habe aber nicht ge-
habt; bei ich ivürde gehabt haben das Futunim exactum: ich
werde aber nicht gehabt habe?i. — S. 234, 3. Die Worte: „rfer
Gebrauch des Modus richtet sich im Deutschen nicht ?iach Bin-
dewörter?i^ sondern nach dem ganzen Gedanken'"'- ., lassen ver-
muthen, dass der Verf. in der That glaubt, in andern Spra-
chen z. B. im Lateinischen wäre es der Fall, dass Bindewörter
den Modus bestimmten. Darüber sind wir aber Gott Lob ! hin-
aus, und denken nicht mehr, dass z. B. ut den Conjunctiv re-
giere, sondern dass es bloss das grammatische Zeichen sei ei-
nes Absichtsgedankens, welcher nothwendiger Weise nur als
zweifelhaft und ungewiss in seinem Erfolge durch die Rede
ausgedrückt werden kann und muss, d.h. in dessen Satze das
Verbum im Conjunctiv stehen muss. — S. 235, b. Der Verf.
spricht hier über die Bedingungssätze sehr karg und ungenau.
Liess sich denn nicht näher angeben, was das für Bedingungen
sind, welche der Verf. wwx gewisse nennt*? Die Sache ist diese:
In allen Sätzen dieser Art steht der Conjunctiv sowohl im
relativen Satze mit ivenn, als im Folgesatze, 1) wenn ich ge-
rade das Gegentlieil von dem subsumire , was in der Wirklich-
keit entweder in der Vergangenheit oder in der Gegenwart
oder in der Zukunft statt gefunden hat, statt findet oder statt
linden wird. Dieses Gegentheil des Subsumirten liegt dem
Sprechenden dabei jedes Mal im Gedanken. Z. B. Ich ginge
gern auf Reisen .^ wenn mir das Geld dazu nicht fehlte. Hier
liegt im Hintergründe der Seele: Es fehlt mir aber. Der Mann
Heyse's Deutsche Schulgraramatik, und LorLerg's Zusätze. 259
würde und könnte f>;lüc/dicher leben ^ wenn er das Spiel
nicht zu sehr liebte. Hier hat man im Sinne: er liebt aber
zu sehr das Spiel. Subsumire ich iiierbei etwas , was der Ge-
genwart widerspricht, so nehme ich den Conjunctiv des Iraper-
fecti; snbsxmiire ich etwas, was der Vergangenheit nicht ent-
spricht, den Conjunctiv des Plusquaraperiecti ; subsumire ich
endlich etwas , was in der Zukunft nicht statt finden wird,
den zweiten Conjunctiv (Optativ) des Futuri. II) wenn ich et-
was subsumire, dessen Eintreten in die Wirklichkeit noch un-
gewiss ist. Z. 13. Wenn Du das thälest , tvürdest Du klug han-
deln. Hier hat man in Gedanken : ich weiss freilich nicht , ob
Du es thun wirst ; ich überlasse es Dir. — d. Was soll hier
das Wort besonders? Eben weil man in solchen Sätzen die
Wahrheit des Angeführten unentschieden lässt, darum der Con-
junctiv. — Beim Folgenden beriicksichtige der Verf. ja Lor-
bergs treffliche Bemerkung (II S. 43 f.). — S. 236 B) 1. Re-
cens. begreift nicht, warum der Verf. durch alle Ausgaben hin-
durch so heftig gegen die Weglassung der Hiilfs-Verba in Säz-
zen wie : Da ich ver7iommen., dass u. s. w. Dass Sie da geive-
sen u. s. w. geeifert hat. Wie er dieselbe unerträglich fehler-
haft finden kann und nur höchstens dem Dichter verzeiht, ist
dem Rec. über die Maassen auffallend und befremdend. Denn
1) ist in dieser Redeweise gar nicht selten eine wunderbare
Lieblichkeit von Kürze , so dass Rec. sie gerade recht empfeh-
len rauss. Die zu Ende des Satzes höchst schleppend nach-
folgenden Hülfs-Verba werden dadurch vermieden. 2) ist es
bisweilen nothwendig das Ilülfs-Verbura wegzulassen, wenn
dasselbe Hülfs-Verbum unmittelbar darauf folgt, z. B. Als ich
diess vernommen habe., habe ich u. s. w. Wie unangenehm, wie
widi'ig diese Sprache ! 3) die besten Schriftsteller unserer Na-
tion, Dichter sowohl als Prosaiker, machen von dieser Frei-
heit Gebrauch zu nicht geringer Verschönerung ihres Ausdruk-
kes. Rec. würde nur vor dem zu häufigen Gebrauch warnen
und zugleich hinzufügen, dass diese Weglassung nur dann statt
findet , wenn das Hülfs - Verbum am Ende des Satzes steht. —
2. Die hier gegebene Regel über die Rection eines Verbi erin-
nert an jene erbärmliche alte: Wenn zwei Substantive zusam-
menkommen, steht das eine im Genitiv. Der Verf. möge ja
bei Verbesserung derselben berücksichtigen, wasLorberg
( 11 S. 44. ) getadelt hat. — Das Beispiel zu haben mit dem In-
finitiv: .,.1 Du hast gut reden'-'' ., ist weniger deutlich, als wenn
es hiesse: Du hast viel Geld liegen. — S. 237, Anm. Doppel-
sinnige Ausdrücke sind das allerdings: ich Hess ihn rufen u. s.
w., allein doch nur an und für sich. Aus dem Zusammenhange
wird leicht hervorgehen, was der eigentliche Sinn jedes Mal
sei. Es war daher unpassend zu lehren, man müsse dergleichen
Redensarten meiden; nur vor ihrem Missbrauch, da wo eine
260 Deutschte Sprache.
Zweideutigkeit entstehen könnte, war zu warnen. — In der
zweiten Anmerk. lieisst es fälschlich: „/sZ der Infiiiiliv das
Subject eines Satzes^ so füllt das Zu weg.'-'- Kann ich denn
nicht sagen: Seine Felder zu bekennen und %u bereuen ist schon
halbe Besserung? Demnach muss die Regel so lauten: Ist u. s.
w^, so liann das Zu wegbleiben. — c) „^Zs Subject steht der
Infinitiv bald ?nit^ bald ohtie Artikel.'-'- Ist es denn ganz gleich-
gültig zu sagen: das Lügeti schadet^ und: Lügen schadet?
Findet keine Verschiedenheit in den Bedeutungen statt? —
Es raussten also hier die Fälle angegeben werden, wo das Eine
und wo das Andere angewendet werden kann. — S. 238 wer-
den Sätze wie: ^., ich fand ihn weinen'- ., für fehlerhaft erklärt,
weil sie zweideutig wären. Der Zusammenhang und die Stel-
lung des Particips wird selten eine Zweideutigkeit zulassen.
Dem Anfänger muss in solchen Fällen nur Vorsicht im Gebrau-
che empfohlen, nicht der Gebrauch selbst untersagt werden. —
S. 240, 2. Rec. bezweifelt, ob jeder ohne gehörige Anleitung
natürlich (?) sagen wird: ich bitte ineine Mutter. — S. 251.
Ob fragen und lehren mit Inrecht mit einem doppelten Accu-
sativ verbunden werden , möchte Rec. nicht behaupten.
Elfter Abschnitt.
Das Neben wort (Adverbium) u. s. w.
S. 255. Der Ausdi-uck Nebenivort ist nicht bezeiclinend
genug für ein Adver biuni. Das Adjectiv ist auch ein PVeben-
wort. — Bei den Worten: „f//e nie bei einem Haupt worte
stehen'-'- ., fragt es sich, ob das wirklich der Fall wäre, dass
Adverbia niemals beim Substantivo ständen? Sagt man nicht:
der Mann hier., der Mann da., der Man?i dort? — Die Be-
merkung .,.,dass NebeJiwörter nur da stehen ?nüssten, wo sie
nicht scho7i durch das Zustands- oder Beiwort oder durch ein
anderes Nebe?iwort — es soll wohl vielmehr heissen: durch eine
gewisse Form — e?itbehrlich gemacht werdeJi'-'- ^ ist zum Theil
überflüssig, zum Theil schielend. Vgl. Lorberg II S. 47. Die
Beispiele können die Anfänger durchaus verwirren. Es heisst:
.i^Z.B. statt: eine mehr erfreuliche Nachricht sagt man besser {'i)
ohne ]\ ebenwort : eine erfreulichere Nachricht'-'- . — Aber in wel-
chem Falle denn? Jenes kann ja eben so und in seiner Art einzig
richtig sein, das durch den ('oniparativ gar nicht ersetzt wird?
— „»So auch (heisst es weiter): ein Jiicht erwarteter Besuch;
— besser (?): ein unerwarteter Besuch'-'-. Jenes kann in sei-
ner Art eben so richtig sein , als dieses. Die stärkere Vernei-
nung ist: ein nicht erwarteter Besuch, im Gegensatze eines er-
warteten Besuches. — Die Bemerkung: es könnten auch einige
Adver bia zu Adjectiven gebildet und dann declinirt, zum Theil
auch comparirt werden, wirft zu vielerlei mit einem Male zu-
sammen. DasErstere: die Bildung von Adverbien zu Adjecti-
Ileyse's Deutsche Schulgramniatik , und Lorlierg's Zusätze. 261
ven gehört gar nicht hierlier. Vgl. Lorherg II S. 47. Von der
Comparatioii der Adverbia ist S. 238 die Rede. — S.258, III, 2.
Warum soll man denn nicht sagen: bang^ behend^ heul'l Reo.
wird diese Form immer vorziehen, wenn ein Vocal auf die genann-
ten Wörter folgt. Das in unserer Sprache überhaupt zu häufige
A'muss man sich möglichst zu ersparen suchen. Sein Zweck ist
ja auch im Allgemeinen nur, das Zusammentreffen der Conso-
uanten zu vermeideji. Darum lässt Rec, auch das E des Dativs
im Singular weg, wenn das darauf folgende Wort mit einem
Vocale beginnt. Aber warum liess es denn lleyse auf dem Ti-
tel seines Uuches weg'? Dort ist es offenbar ein Fehler, selbi-
ges weggelassen zu liaben. — 3. Der Rec. hat noch nie gehört
oder gelesen den Comparativ und Superlativ von ger?i: genier^
am gemsten. Sie sind gar nicht gewöhnlich. Eher noch von
ballig bälder ^ nur nicht bald er ; doch ist auch das nicht gut zu
lieissen. Aitfs eheste diirfte nicht , wie der Verf. behauptet,
zu billigen sein. — S. 251) , Anm. Statt mehr unten sagt man
nur: weiter unten. — 4. Das gemeine A\ort %iiig wird ersetzt
durch bedeckt. Es muss vielmehr heissen: zugemacht. — Die
folgende Beiherkung scheint dem Rec. nach dem, was schon
früher von der Verwechslung der Adjectiva und Adverbia erin-
nert worden ist, ganz überflüssig. — 5. Hier wird die Regel
gegeben: .,.,Gew'ühnlich stehen die Adverbien unmittelbar vor
dem Worte., das sie bestimmen sollen 2. B. er hat sich dar-
über sehr gefretiet., nicht: er hat sehr sich darüber gefreuet'-''.
Aber der Reo. würde in einem gewissen Falle gerade sagen: er
hat sich sehr darüber gefreuet. Die ganze Bemerkung gehört
übrigens nicht hierher, sondern in die Lehre von der Wortstel-
lung. — S. 2(50, 6. Die Bemerkung über auf und offen findet
Rec. ganz überflüssig; er wüsste nicht, dass selbst vom Pöbel
beide Wörter verwechselt würden. Das letzte Beispiel: ich war
diesen Morgen schoji früh offen., ist mindestens lächerlicli,
wenn nicht gar unschicklich. Des Rec. Schüler haben nie ohne
Lachen dasselbe gelesen. Auch die Bemerkung b) kann ohne
Weiteres wegbleiben. Wenn die beiden Wörter: beiläufig und
ungefähr verwechselt werden, so ist es bloss provinciell und ge-
hört nicht in eine allgemeine Grammatik : höchstens in eine An-
merkung. — Die Bemerkung unter c) bedarf einer durchgän-
gigen Verbesserung. AVir sagen ja: loenn iverden wir uns itie-
dersehen'f Wann ist dichterisch und der höhern Prosa eigen.
— Zuletzt heisst es noch, ganz schülermässig: .,.,Wenn ist im-
mer ein Bindewort'-': Was ist denn wann? Nicht auch eins?
— üeber die Bemerkung d) hat sich Lorberg ( S. 49 f.) ge-
nügend ausgesprochen. — S. 201 , g. Der Rec. gesteht, dass
die Bemerkung ihm ganz Viberflüssig vorkömmt, eben so h). —
S. 2f)2, 8. Die Bemerkung: .,.,EbeJi so übeiflüssig'-'' u. s. w., ist
durchaus falsch. Nicht, gar nicht überflüssig ist hinaus., her-
262 Deutsche Sprache.
mis^ hinanfln den Beispielen: ich sah aus dem Fe7ister hitiaus^
er kam aus dem Hause heraus^ er kletterte auf den Baum hin-
auf. Ist denn nicht ein Unterschied zwischen : er sah aus dern
Fenster^ und: er sah aus dem Fenster hinaus'^ Im ei'stern
Falle verbindet man nicht denjenigen NebenbegrifF mit der Re-
densart: aus dem Fenster sehen .^ den man mit der zweiten:
aus dein Fenster hinaus sehen ^ verbindet, nehinlich den, dass
Jemand die Dinge wirklich sieht, die draussen sind, z. B. auf
der Strasse, wo der Sprechende nicht ist. Im erstem Falle
kann Jemand bloss den Kopf zum Fenster hinausstecken und so
in Gedanken versunken sein , dass er nicht einmal die Dinge
sieht, welche draussen sind. So ist es auch mit den übrigen
Beispielen. — ü. Es heisst liier: „M«;z sagt unrichtig: Es ist
verboten nicht zu sprechen; richtiger'"'' u. s.w. — Wozu
der Comparativ? Das setzt voraus , dass jenes auch richtig sei !
Und das möchte wohl der Fall sein. Der gemeine Sprachge-
brauch heisst es gut , zu sagen : es ist ihm verboten , nicht zu
sprechen. In dieser Sprechweise wird verbieten in dem Sin-
ne des blossen Befehlens genommen. — Die Anmerkungen
am Ende der Seite sind durchaus verfehlt. Ueber die erste
hat Lor berg (S. 50 f.) schon das Richtige gesagt. Aber auch
die zweite ist grundfalsch. Der Satz: ,, IVie schön ist die Ein-
tracht unter Brüdern !'•'■ ist verschieden von dem Satze: Wie
schÖ7i ist nicht die Eintracht unter Brüdern! Der erste ist
ein allgemeiner Ausruf, der erst zu beweisen ist. Der zweite
ist das Ergebniss einer Demonstration z. B. mittels Beispiele,
und ich erwarte bei diesem Ausrufe sicher die Bestätigung des
Andern, zu dem ich spreche. Ich erwarte, dass er sagen soll:
Ja! Du hast Recht! Deine Demonstration hat mich überzeugt!
Es verhält sich also mit diesen Ausrufsätzen gerade so wie
mit den Fragesätzen. S. Lorberg a. a. 0. Wie kann nun der
Vf. sagen: Nicht wäre in solchen Fällen ein blosses Flickwort!
Zwölfter Abschnitt.
Das Verhältniss- oder Vorwort u. s. w.
S. 264, letz. Z. JFegen meiner sagt Niemand. Wie kann
es also eben so richtig sein , als meinetwegen ? — S. 265. Die
Präposition nach ist kein Stammwort ; sie kommt her von nahe.
— Die Präposition zufolge (= zu Folge) gehört zu den zusam-
mengesetzten. Dahin kann auch gerechnet werden zu Ehren^
was dieselbe Natur hat, als zufolge; man findet es freilich
nirgends als Präposition aufgeführt , aber mit Unrecht. — ■ Die
letzte Abtheilung (4) kann und muss ganz gestrichen werden.
Sind denn nicht alle Präpositionen von andern Sprachtheilen
entlehnt? Von sehr wenigen wird es sich nicht sogleich d. h.
ohne tiefere etymologische Forschungen nachweisen lassen. Bei
Heyse's Deutsche Sclmlgrammatlk, und Lorberg's Zusätze. 263
den meisten springt es ohne Weiteres in die Augen. — Anra.
Unter die fehlerhaften Präpositionen reclinet der Verf. von we-
gen, llec. hc^reiit nicht, aus welchem Grunde. Was ist denn
Fehlerhaftes darin, wenn ich sage: von Rechtswegen? Dana
wiirde auch um — willen falsch sein. Wegen kommt nehra-
licli her von Weg, und Weg heisst in diesem Falle Richtung,
Beziehung. Daher der Genitiv bei von — wegen. Wie un-
richtig ist nun die Anmerkung S, 210, von Rechtswegen stände
als Adverbiuni und wäre nebst von Jllers her die einzige Aus-
nahme, wo von den Genitiv nach sich hätte ! ! Hängt denn der Ge-
nitiv Rechts von von ab, oi[(iv \o\\ wegen? — Nur den J)ichtern
(nicht auch der höhern Prosa?) soll erlaubt sein, die Präposi-
tionen sonder, gen zu gebrauchen. Ais ob es nicht allgemein
üblich wäre zu sagen: sonder Gleichen, gen Himmel. (Vgl.
S. 273. ) — Ueber den Grund der Rection der Präpositionen
erfälirt man doch gar nichts. Der Rec. will nur darauf hin-
weisen , dass alle deutsche Präpositionen , die den Genitiv re-
gieren, von Substantiven herkommen, ungeachtet ausgenom-
men, das darum den Genitiv bei sich hat, weil es von achten
herstammt, und unweit, weil dieses den Begriff der Entfernung
hat. Während ist gebildet aus : im Währen des u. s. w. —
S. 206. Wie bei diesseit, jenseit die Herkunft angedeutet ward,
so konnte es auch bei den übrigen geschehen, z.B. anstatt, halb
(Halbe = Seite) u. s. f. — S. 268. In der Anmerkung unter
bei hat sich der Verf. wieder des Comparativs: richtiger be-
dient, wo es nur heissen kann: einzig und allein richtig. —
S. 269. Entgegen und zuwider. Hierbei macht Lorberg eine
falsche Bemerkung. Er fragt : „ Sollte?! entgegen und gegen-
über nicht vielmehr blosse Adverbien sein, da sie oft ohne
Hauptwort gebraucht werde?!?'"'' — Viele Präpositionen sind ja
überhaupt ursprünglich Adverbia, treten aber augenblicklich
in den Kreis der Präpositionen, sobald sie einen Casus regieren.
— S. 270, Anm. Der Rec, möchte nicht sagen, dass in der Re-
densart „von Alters her'-'' von den Genitiv regiert. Es scheint
diess s nur das Binde -s zu sein. — S. 285 wird die Regel ge-
geben: „Man sage nicht: für von ihm erhaltene Waaren'-'- u.
s. w. Allein wenn ich nun keine bestimmte Waaren nenne?
Wie dann*? Dann kann und muss ich docli so sprechen! — 4.
Dass die hier aufgezählten zusammengesetzten Verhältnisswörter
gar nicht zusammengesetzte Verhältnisswörter sind, hat Lor-
berg (S. 53 f.) dargethan. Es springt in die Augen, dass
der Verf. sich geirrt hat. — S. 286, 5. Der Verf. ladet hier
wieder den Vorwurf der üngenauigkeit auf sich. Es ist doch
wahrlich nicht einerlei , ob ich sage : ich habe es an Dich be-
richtet, und: ich habe es Dir berichtet? Im erstem Falle gibt
der, der den Bericht empfangen, ihn weiter an die Behörde.
Im zweiten Falle kommt er direct an die Behörde. Ein glei-
264 Deutsche Sprache.
eher unterschied findet statt, wenn ich sage: ich habe es an
ineitie Schwester gesagt, und: ich habe es meiner Schwester
gesagt. — Ist es endlich einerlei zu sagen : ick kenne alle Gas-
sen in der Stadt (d. h. innerhalb der Ilingmauer) und alle Gas-
sen der Stadt (d.h. innerhalb und ausserhalb der Ringmauer)'?
— 7. Dass die Präposition Adverbium würde , wenn sie vor ei-
nem Infinitiv zu stehen käme, hält Rec. für unwahr. Auch keine
Conjunction wird sie, wie Lorberg (S. 54.) meint. Sie be-
hält ihre Natur als Präposition bei.
Dreizehnter Abschnitt.
Das Bindewort (Conjunction) u. s. w.
S. 288 fF. Ueber die verschiedenen Arten der Conjnnctio-
nen, wie sie der Verf. aufstellt, lässt sicli gar vielfach mit
demselben rechten. Er sagt z. B.: .,^ Durch die Bindewörter
werden Sätze in eine solche Beziehung zu einander gestellt, in
welcher sie gleich wichtig neben einander erscheine?! ''.
Das stimmt keinesweges mit der Ansicht des Rec. und mit der
Natur gewisser Conjunctioneniibereiii. So wie es uehnilich Con-
junctionen der Gleichstellung (der Gedanken oder Sätze) gibt,
so gibt es auch Conjunctionen des Ilervorhebens und des Tie-
fersetzens: z. ^i. vorzüglich , vornehmlich, zumal, besonders,
weniger, tvenigstens , mindestens , minus — quam u. s. w. —
Das Folgende ist wieder sehr mangelhaft ausgedriickt : „durch
die Fügewörter ivird ein Satz als unselbständig oder als Theil
im Gebiete eines andern diesem zu- oder eingefügt'-'-. Denn
unselbstständig können u. müssen nach des Rec. Ermessen auch
die beigeordneten genannt werden; auch diese stehen nicht für
sich selbst, für sich allein da, sind unselbstständige Sätze. —
Die beiordnenden Conjunctionen oder Bindewörter zerfallen zu-
erst in einfach verbindende: der Mann und die Frau ; und in
doppelt verbindende (verknüpfende): der Mann sowohl, als
die Frau. Gleiclier Weise kann das Verhältniss der Ueber-
und Unterordnung einfach oder doppelt ( d. h. durch eine Con-
junction der Ueberordnung und eine Conjunction der Unterord-
nung) ausgedrückt werden. Hierauf hat der Verf. gar nicht
Rücksicht genommen. Zugleich ist zu bemerken , dass die Be-
nennungen : Bindewörter und Fügewörter sich nicht genug ein-
ander ausschliessen. Die anfügenden und fortsetzenden Con-
j*unctionen können auf keine Weise als zwei besondere Arten
aufgestellt werden. Auch die eintheilenden dürften keine be-
sondere Art ausmaclien. Die Ordnung des Ganzen wünschte
Rec. weit einfacher und natürlicher. Das Uebrige übergehen
wir vor der Hand, um bei der Lehre vom Satze noch Einiges
beizubringen. — S. 291. Ueber den Einllnss der Conjunctionen
auf die Wortstellung scheint hier zu viel gesprochen zu sein;
Hcyse's Deutsche Schulgramraatib , und Lorberg's Zusätze. 265
die Sache gehört doch zumeist in die Lehre von der Wortstel-
hmg. — S. 292 ist als und da und indein ohne Grund, und zum
Nachtheil der Erklärung zusammengeworfen worden. Da be-
zeichnet ja jedes Mai den Grund, und nicht etwas Gleichzeitiges.
Fünfzehnter Abschnitt.
Die Lehre vom Satze.
Bei dieser Lehre hat sich der Verf. besonders an Herling
gehalten. Er wird aber wissen, was für Anfechtungen derselbe
hinsichtlicii seines Systemes von Schmittlien ner , Krü-
ger, Grotefend, Etzler, Ger nhar d erfahren hat. Und
nocli ist die Saclie niclit gehörig aufgeklärt ; noch immer be-
darf sie einer neuen grüudlichen Untersuchung, die wir ihr
zum Heil der allgemeinen wie jeder besondern Grammatik recht
bald wünschen, llecensent versucht sein Scherflein dazu bei-
zutragen. S. 304 ff. Es kann gar nicht mehr bezweifelt
werden, dass der einfachste Satz nur aus Subject und Prädicat
bestehe. Vgl. die Aussprüche vieler trefflichen Grammatiker
bei Lorberg S. 55 f. Das einfachste Prädicat eines Subjectes
oder der einfachste, zuerst in die Augen fallende, bemerkbar-
ste Begriff, den ich von einer selbstständigen Sache abstrahi-
ren und im Sprechen ihr beilegen kann, ist der Begriff sein.
Jedes Wort, welches ich hinzufüge zu dem /si, ist eigentlich,
und einzig und allein eine nähere Bestimmung, eine Ergänzung,
Füllung, weitere Ausführung des Begriffes sein. Z. B. Gott
ist; Gott ist ewig. Im letztern Falle frage ich: wie ist das
Sein Gottes? — Wenn icJi spreche: Gott ist wirksam^ so will
das so viel sagen als: Gottes Sein äussert sich in seinem Wir-
ken^ durch sein Wirke7i. JVirksayn ist also ebenfalls eine blo-
sse Ergänzung des allgemeinen Begriffes sein. Man sieht diess
ganz deutlich , wenn ich spreche: Gott erscheint wirksam. Ist
wirksam in diesem Falle nicht eine eben solche Ergänzung,
Erfüllung, nähere Bestimmung des Wortes erscheinen"* Er-
scheinen aber und sein sind sehr verwandte Begriffe. Vgl. hier-
über Grotefend: Grundzüge einer neuen Satztheorie. Han-
nov. 1827. S. 18 ff. Freilich lässt sich auch jede andere Ei-
genschaft eines Dinges ausser dem Sein an demselben bemerken
und von ihm aussprechen, ihm unmittelbar beilegen, z.B. mensa
rotunda. Nur ist diese Art zu sprechen im Deutschen nicht
üblich, ausser in sogenannten Appositionssätzen, z. B. Gott^
gross von Rath imd That^ u. s. w., und dadurch sind Philoso-
phen wie Grammatiker verleitet worden, sein eine Copula des
Subjects und Prädicats zu nennen. Als ob nicht sein schon
allein ein Prädicat wäre! — S. 300. ^^Sollen'-''^ heisst es da,
„ einzelne Bestimmungen in einem Satze Jioch bedeutender her-
vortreten , so können sie selbst zur Form von Sätzen erhoben
werden'"'-. Rec. findet dagegen , dass kein Satz, relativ ausge-
Jahrh.f. Phil. u. Pädag. Jahrg. III. Heß 11. ;|g
266 Deutsche Sprache.
drückt, den Gedanken sonderlicher hervorhebe, als z. B. ein
Participialsatz. Man vergl. nur das von Heyse gegebene Bei-
spiel. — Die Eii/theilnng der Sätze in Haupt- und Nebensätze
deucht dem Recens. ganz unpassend, so allgemein sie auch ist.
Sie verwirrt von vorn herein die ganze Lehre vom Satze. Man
theile sie vielmehr ein in selbstständigc (für sich bestehende
und für sich verständliche) und in nicht selbstständige (die
nicht für sich bestehen und für sich vollkommen verstanden
werden können, die nicht ohne eine gewisse Beziehung auf
andere Sätze sind). Voran ist aber noch zu schicken die Ein-
theilung der Sätze in bejahende und verneinende, ferner in zu-
verlässig gewisse, schlechthin behauptende, und ungewisse. Zu
den letztern gehören die Fragsätze , zu den ersten die Ausruf -
und Heischsätze. Hiervon hat der Verf. gar nichts gesagt. —
Die unselbstständigen Sätze zerfallen wieder 1) in solche, die
mit andern verbunden sind durch das Band der Beiordnung,
welches Band entweder einfach (z B. das blosse iind^^ oder
doppelt d. h. so sein kann, dass von den zwei verbundenen Säz-
zen jeder ein Bindewort hat (z. B. et — et^ theils — theils^ nicht
mir — sonder?i auch); 2) in solche, die im Verhältniss der
Unterordnung stehen (untergeordnete, abhängige Sätze), wo-
bei zu merken ist, dass diese Unterordnung im Allgemeinen
nur geschieht unter ein Wort, das den BegriflF einer Operation
des Geistes (in logischer, moralischer, ästhetischer Hinsicht)
oder des Sprechens andeutet. Man nehme z. B. die Sätze und
Redensarten: ick denke, dass u. s.w. , es ist glaublich, dass
u. s. w. , die Vernmthimg, dass u. s. w. , es ist gut, dass u.
g. w. , es ist recht, dass u. s. w. , es ist schö?i, dass u. s. w., ich
behaupte, dass u. s. w. , ich frage, ob u. s. w. — Die Unselbst-
ständigkeit der ersten Art und zwar der nur einfach verbunde-
nen Sätze wird grammatisch angedeutet a) durch ein Deraon-
strativum, sei es Pronomen oder Partikel (demonstrative Sätze);
b) durch ein Relativum , sei es Pronomen oder Partikel (rela-
tive Sätze); c) durch eine Conjunction von Substantiven, Ad-
jectiven, Zahlwörtern u. s. w. hergenommen z. B. erstens, fer^
ner u. s. w. Die Unselbstständigkeit der doppelt verbundenen
Sätze wird ausgedrückt: ]) durch ein Determinativ (sei es Pro-
nomen oder Partikel) und ein ihm entsprechendes Relativ z. B.
so (von t6, tc5) — wie (von wer)', umnn (von wer) — dann
(von der); 2) durch Conjunctionen von Substantiven u. s. w.
hergenommen z.B. theils — theils. — Die Unselbstständigkeit
der untergeordneten Sätze wird a) gar nicht besonders ausge-
drückt; der untergeordnete Satz wird ganz nackt dem über-
geordneten Worte beigesetzt z. B. der Glaube, es ist ein
Gott, b) eingeleitet durch ein Relativum, sei es Pronomen
oder Partikel z. B. der Glaube, dass (== ort, quod, eigent-
lich eine Art von Attraction für: der Glaube dessen, dass
Hcysc's Deutsche Schulgrammatik , und Lorbcrg'ä Zusätze. 267
11. s. w. ) ein Gott sei; ich zweiße^ ob u. s. w., d/t weisst^
wie angenehm mir es ist u. s. w. , ich frage, tvelchei' es
gewesen ist? In den letztern Fällen verwechsele man nicht das
Frag - und Ausrufwort mit dem Relativ , wie es so häufig ge-
schieht. Wenn ich sage: ich frage: welcher ist da geivesen?
so ist welcher das BVagwort; wenn ich dagegen spreche: ich
frage , welcher da gewesen ist , so ist tvelcher das Relativ. Man
sieht es im Deutschen sogleich an der Stellung des Verbi. Auf
gleiche Weise verhält es sich mit den Ausrufsätzen. — Weiter
kann man nun die Sätze noch eintheilen nach ihrem verschiede-
nen Inhalte. Die Ausführung gehört nicht hierher; hier sollte
bloss auf das Richtige in der allgemeinen Anordnung der Lehre
von den Sätzen hingewiesen und damit stillschweigends ange-
deutet werden , wie, dem Reo. wenigstens, weder H er lings,
noch Krügers, noch Grotefends Theorie geniiget.
S. 312, A. 1. „Z>2e erstere [Art der Versetzung], loo die
Aussage ( soll und muss heissen : das Verbum ) de?i Satz eröff-
net ufid das Ausgesagte defiselben schliesst , kommt als tpill-
kürlicher Zierr ath der Redemir selten bei Dichtern vor,
ist hingegen immer nothwejidig in fragenden^ befehlenden, bit-
tenden und uninschenden Sätzen'-''. Hier ist zu bemerken , 1)
dass der Ausdruck tvillkür lieber Zlerrath schlecht gewählt und
falsch ist. Sage ich denn nicht — darauf hat der Verf. gar
nicht aufmerksam gemacht — : a) fragweise : Sie haben mei-
nen Wunsch erfüllt? b) befehlend: Das Glas hole! Sie thun,
ums sie können! c) bittend: Das Glas hole doch! 2) konnten
die bedingenden und einräumenden Sätze, von denen erst S.
313 die Rede ist, hier gleich mitgenommen werden. — S. 313,
2. Rec. begreift nicht, wie der Verf. sagen kann: ,^die ztveite
Versetzung ist bloss ivillkürlich'-'' , noch obendrein,
da er ganz richtig hinzufügt: ,,iind dient zu stärkerer Hervor-
hebung des Prädicatbegriffes'-'-. Ist sie denn also willkVirlich?
Hier waren gerade gesetzliche Bestimmungen nöthig, wo diese
Versetzung anzubringen sei. — S. 314f. Anmerk. ^, In fragen-
den Sätzen, die mit der Aussage (?) selbst beginnen, müssen'-''
u. s. w. Müssen'? Kann ich denn nicht sagen: Die Kirche ist
schön? Schön ist die Kirche? Der Verf. hat durchaus überse-
hen, dass die Fragsätze eine verschiedene Wortstellung haben
und haben müssen, je nachdem der Sinn anders ist. — Die
schöne Redeweise, die er im Folgenden berührt, musste mit
weit mehr Geschmack behandelt, ihr weit grössere Aufmerk-
samkeit geschenkt werden.
Se chzehnter A bs chnitt.
Von der Zeichensetzung oder Interpunction.
Hier fehlt das Zeichen des Tadels, der Verwunderung (!
oder ! ! ) und der ironischen Frage ( ? oder ? ! ).
18*
268 Deutsche Sprache.
Siebzehnter Ab schiiitt.
Von der Verslehre oder Metrik.
Hier vermisst der Rec. eine, wenn auch nur kurze Darstel-
hing der Bedeutiu^g der Buclistaben und Sylben hinsichtlich
der Malerei durch den Vers; sodann eine kurze Wiirdigung der
einzehien Fiisse, Verse und Versarten, für welche Gedichte
sie passen , bei welchem Stoffe sie anzuwenden u. s. w. Je sel-
tener davon in den Schulen gesprochen wird, je geringere
Kenntniss davon selbst manche Lehrer haben, desto mehr muss
eine solche Anweisung zur Verskunst , als die gegenwärtige ist,
darauf liinweisen.
Das im Obigen Gegebene möge dem verdienten Verf. ein
Zeugniss sein , welch lebhaftes Interesse der Ilec. an der Ver-
vollkommnung des grammatischen Unterrichtes in der deut-
schen Sprache iiberhaupt und insbesondere des angezeigten und
beurtheilten Werkes nimmt, und wie sehr er wünscht, dass
des Verfs. Ruhm sich noch mehr verbreite, nocli fester be-
gründe. Möchte sich der würdige Mann nur veranlasst fühlen,
uns nun bald auch eine systematisch, nach Etymologie und Syn-
tax geordnete deutsche Grammatik zu liefern, wie wir sie auf
Gymnasien hauptsächlich nöthig haben.
Was Nr. II oder die Zusätze von Lorberg zii Heyse's
Lehrbüchern , namentlich zur Schulgrammatik anbetriift : so
verfolgte der Verf. dabei diese Idee: „üra allmälig ein voll-
komraneres Lehrbuch der deutschen Sprache zu erhalten, schien
es ihm weit zweckmässiger, wenn Viele zu diesem Zwecke zu-
sammenwirkten , als wenn Jeder bei dem Gefühle der Mängel
eines frühern Lehrbuches ein neues , besseres abzufassen be-
mühet wäre". (S. I Hft. Vorrede. S. IV.) Eine treffliche Idee,
der wir recht viele Anhänger und Freunde wünschen, nicht
bloss bei Bearbeitung der deutschen Grammatik , sondern auch
anderer Wissenschaften. Was könnte dadurch Herrliches ge-
schaffen werden. — 3Ian kann dem Verf. nicht das Lob versa-
gen, dass er mit Liebe zur Saclie verfahren und mit Freimü-
thigkeit, die zugleich mit Scharfsinn verbunden ist, auf viele
und wesentliche Mängel der Heyseschen Lehrbücher liingewie-
sen hat. Heyse liat das erkannt , und bei der siebenten Aus-
gabe seiner Schulgrammatik das erste Heft der Lorberg'schen
Schrift vielfach benutzt. Hoffentlich wird er es auch mit dem
zweiten so machen. Zugleich einpfehlen wir allen Freunden
der deutschen Grammatik diese Zusätze sowohl zur Beachtung
beim Unterrichte als zu vielfältiger Belehrung und Anregung
ihrer selbst. Wir wünschen, dass Hr. Lorberg seinen Zweck
fernerhin verfolgen möge und könne, auch dass ihm zu die-
sem Ende seine im ersten Hefte (Vorrede S. VII.) geäu-
Anzeigen. 209
sserte Bitte erfüllt, und er mit Uciträgcn von Andern ver-
seben werde.
Hefftcr in Brandenburg a. d. Havel.
11 z c 1 g e 11.
Memoire geographique et numismatique sui la
partie Orientale de la B urbar ie appellee ^fri-
kia par les Ar ahes ^ suivi de Rech er dies siir les
B erheres Atlantiques^ anciens habitans de ces
cont r e e S. Par le C'*=. Ch". Od''. CastigUoni , membrc associe
ctranger de la Societe Asiaüque de Paris. *A Milan de rimprime-
rie imp. et royale. 1826. 127 S. gr. 8.
Wiese sebr gelebrte und für die Numismatik und Gescbicbte
der Araber in Africa sebr wicbtige Scbrift gebort nacb beiden
genannten Beziebungen weniger in den Bereich der Jabrbücber,
wobl aber binsicbtlicb der geograpbiscben Forscbungen , wel-
che in ihr über Nordafrica niedergelegt sind und welche iiber
die alte und mittle Geographie dieses Landstriches viel neue
Resultate geben. Der Verf. hat die geographischen Untersu-
chungen auch selbst zur Ilauptrichtung seiner Schrift gemacht,
und erklärt in der Vorrede: „Les progres que la Geographie
Numismatique des Mohametans a fait en Europe n' empechent
pas qu'clle ne nous offre encore bien des problemes ä re'soudre.
Cela a lieu surtout par rapport de VJfrikia., ou Afrique pro-
prement dite, des Arabes. Cette considcration m' a engage ä
essayer d'eclaircir l'origine et les vicissitudes des villes de cette
contree , dont les monnoies arabes sont arrive'es jusqu' a nous."
Die Scbrift zerfällt, wie schon der Titel zeigt, in zweillaupt-
tbeile, von denen der erstere mehr für die mittle, der zweite
mehr für die alte Geographie wichtig ist. Der erste Theil näm-
lich (S. 5 — 66) weist die geograph. Beschaffenheit von Africa
propria zur Zeit der Araber u. namentl. die Lage u. damal. Wich-
tigkeit der Städte Afrikia, Mahdia, Abbasia, Cairoan, Mansura,
Tunis, Tripolis und Algier nach, und verbreitet sich zugleich
über die Geschichte der Feldzüge der Araber in dieser Gegend,
welche noch S. 67 — 82 durch besondere Exciuse und Unter-
suchungen über mehrere Arabische Fürstenfamilien in Africa
aufgehellt wird. Der zweite Theil, 8.83 — 127, verbreitet
sich über Ursprung, Alter und Sprache der Berbern, verwirft
lütter 's Vermuthuugeii über den Ursprung dieses Worts und
270 Anzeigen.
stellt eine eigene Meinung über Wort und Volk auf. Beide
Theile sind mit ganz vorzüglicher Gelehrsamkeit ausgestattet,
und die Resultate mit einem Scharfsinn und einer Umsicht ge-
zogen , tlass sie auch da, wo man mit denselben nicht überein-
stimmen möchte, wenigstens sehr geistreich bleiben. Diess
nun, verbunden mit der Wichtigkeit des Gegenstandes selbst,
liat uns bewogen, eine gedrängte Uebersicht der gezogenen Re-
sultate in soweit zu geben, als wir alles, was Arabische Ge-
schichte und Münzkunde angeht, ausgeschieden, und nur das
Geographische festgehalten haben. Da die Schrift in Deutsch-
land nicht so gar häufig seyn wird, so hoffen wir auf diese
Weise wenigstens mit den für das classische Studium wichtigen
Resultaten und der Hauptbeweisführung bekannt zu machen,
wenn wir auch die ausführlichere Erörterung des Einzelnen und
namentlich die zahlreichen Beweisstellen, besonders die aus
den Arabischen Schriftstellern entnommenen , übergehen müs-
sen. Der Hauptinhalt der Schrift ist demnach folgender:
Das Africa propria der Römer nannten die Arabischen
Geographen Afrikia^ umfassten aber mit diesem IVamen nicht
bloss die Landstriche Zeugitana undByzakion, sondern dehn-
ten dessen Umfang auch auf Tripolis, Numidien u. einen Theil
von Mauritania Caesariensis, ja in weiterem Umfang selbst auf
Cyrenaica, die Oase des Amnion und einen Tlieil des Gebiets
von Piiazania aus. Afrikia umfasste sonach das Gebiet des
lieutigen Tripolis und Tunis, die östlichen Theile von Algier,
die Oase von Sivvah, Gadamis und einen Theil von Fezzan. Seine
westliclien Grenzen sind unbestimmt, indem es bald bis Bugia,
bald bis Meliana vorgerückt wird. Als Hauptstädte dieses Lan-
des in der Araberzeit, welche auf den bis jetzt bekannten Mün-
zen vorkommen , werden sieben erwähnt, nämlich:
I) Afrikia und Mahdia. (S. 5 — 23.) Die Stadt Afri-
kia kommt auf Arabischen Münzen von 113 — 192 der Hid-
schret (731 — 808 n. Ch. ) vor, und wird von Fr ahn und
Mars den für Cairoan gehalten, weil dieses während dieser
Zeit die Hauptstadt der Provinz Afrikia war, die Araber aber
überhaupt die Sitte haben , den Namen der Provinz aucli zu-
gleich als Namen der Hauptstadt zu gebrauchen. Allein offen-
bare Zeugnisse streiten dagegen: denn Baku i und Ibn Hau-
kai führen geradezu Afrikia und Cairoan als zwei verschiedene
Städte dieser Provinz auf, und in demFriedensschluss zwischen
Tunis und Pisa von 1^(55 (bei Lunig Cod. diplomat. T. I p.
1067.) wird Afrikia als Seestadt erwähnt ; Cairoan aber lag 36
Meilen vom Meere entfernt. Afrikia ist also wohl eine Stadt,
welche vor Cairoan Hauptstadt war. Diess aber ist die von den
Geographen wenig gekannte Stadt Zuveila^ welche man nur
nicht mit dem in Fezzan liegenden Zuveila [Zuilah, Zuela,
Sylah bei Ritter, Erdkunde Th. 1 S. 990 u. 995.] verwech-
Castiglioni ; Mc-nioire gcographiciue et numismatiquc. 271
sein darf. Letzteres ward den Arabern erst unter Obeidallah
ben Khabkliab bekannt, ersteres aber schon unter dem Kliali-
fen Othman. Denn schon im ersten Feldzuge, welchen die
Araber in Airica machten, und bei welchem ihr Zug, wie die
Eroberung von Suiietula (Sebtala) zeigt, durch Cyrenaica,
Tripolis und Byzacina [Byzakion] ^^ing, kamen sie nach den
Berichten Orientalischer Schriftsteller von Barca bis Zuveila,
und die Statthalter wohnten vor der Griinduiig Cairoans (im J.
C70. ) bald in Barca, bald in Zuveila. Dieses Zuveila nun lag
nach Nuvairi nur einen Lanzenwurf von Mahdia und galt zu
Yakuts Zeit für eine Vorstadt des letzteren. Mahdia aber
ward erst vom Khalilen Obeidallah el Mahdi, nachdem er sich
296 durch Vertreibung der Agiabiten zum Herrn der Berberei
gemacht hatte, im J. 300 (911 und 912 n. Chr.) erbaut, und
konnte sich natürlich erst nach und nach zu einer bedeutenden
Stadt und dahin erheben, dass man Zuveila als einen Theil da-
von ansah , und beide Städte unter dem Namen Mahdia verein-
te. Zuveila war also vom Anfange Hauptstadt der Provinz, und
dass es Afrikia genannt wurde, wird nicht bloss durch die Sitte
der Araber, die Hauptstadt nach der Provinz zu benennen, son-
dern auch durch folgende Umstände erwiesen. Baku! und Ihn
Haukal führen unter den Städten der Provinz Afrikia, neben
Cairoan, Mahdia u. Zuveila inFezzan auf, lassen aber die See-
stadt Zuveila unerwähnt *). Italische Chronisten aber legen
den Namen Afrikia , den sie nur in Affrica oder Africa verän-
dert haben, nicht bloss der Stadt Zuveila, sondern auch, ge-
gen den Gebrauch der Araber, der Stadt Mahdia bei. Daher
erzählen sie, dass die Pisaner und Genueser 1088 Almadia
(Mahdia) um\ Sibilia (Zuveila) an einem Tage eroberten (s.
Muratori Rer. Ital. T. VI c. 168.)? während die Orientali-
schen Geschichtschreiber nur von der Eroberung der Stadt Zu-
veila durch die Franken und Griechen in diesem Jahre spre-
chen; dass die Sicilier die Stadt Africa eine Zeitlang besa-
ssen (3Iuratori V c. 65, VII c. 271, XII c. 283; wo die
Orientalen wieder diese Stadt mit dem Namen Mahdia bezeich-
nen.); dass rex Maroc reddidit regi Siciliae Africam et Sibi-
liam (oder Sybillam)^ u. a. ra. — Uebrigens scheint mau in
dieser spätem Zeit Afrikia oder Zuveila für den Hafen von
Mahdia angesehen zu haben, und es wird erwähnt, dass der-
selbe östlich von der Stadt lag. Die Lage von Afrikia aber
giebt Berlinghieri im 4teu Buch seiner Geographie sehr
genau an:
*) Diess könnte wohl auch daher kommen , weil sie Mahdia und
Zuveila bereits für eine Stadt ansahen. [ C. J. ]
212 A n z e i g e n.
Ruspina vedi et Lepti parva insino
Ad Tliapso nilra ove si vede Susa,
Acliola , et piü verso Euro matutlno
Affrica et Ruspe, et poi vedi diffu&a
Brachode puncta, etUsilla, et Paphrura [ Taphrura? ]
La Sirte breve echo che si recusa.
und der Venetianer Alvise da Mosto berichtet, dass Jlf-
frica 260 Millieu von Tripolis lag. Die Stadt Mahdia aber darf
man nicht verwechseln mit dem ebenfalls von Obe'idallah el
Mahdi erbauten [oder erweiterten] Almadia ^ das 15 Lieues
südlich von Algier lag und früher Aljara hiess. Eben so we-
nig mit dem von Muhammed ei Mahdi erbauten Mahdia in Fez,
welclies wahrscheinlich das Kalaat Mahdi (Schloss des Mahdi)
bei Edrisi ist. Auch die Stadt Temmelet in Marocco und die
Städte Mahmora (am Ausfluss des Subu) und Rabat (am Aus-
fluss des Burragrag) in Fez führten den Namen MßArf/ß. Die
letzte ist das Kalaat Mahdi des Abulfeda. — Afrikia und
Mahdia aber lagen jedenfalls auf der Stelle eines schon zur Rö-
raerzeit nicht unbedeutenden Ortes: denn Shaw fand dort
Ruinen , die über der Araber Zeit hinaus zu gehen schienen.
Nur darf man in diesen Ruinen nicht das Aphrodisiuin des Pto-
lemaeus wiederfinden wollen; denn dieses hat Shaw gewiss
richtig in Faradis gesucht. Auch Adrumetum ist es nicht, wel-
ches man aber auch nicht mit Shaw nach Herclah (Ilerekla)
setzen darf. Herclah ist die alte Horrea Coelia , Adrumetum
aber ist Susa^ wie sich sogleich ergiebt, wenn man dieDistance
zwischen Herclah und Susa und zwischen Susa und Lempta
(Leptiminus, Leptis minor) auf Shaw's Charte mit dem Itine-
rariura des Antoninus vergleicht. Auch ist es erwiesen , dass
Susa einen Hafen hatte und noch hat [Ritter Ip. 921.], was
Shaw bezweifelte. Er irrt also eben so als Danville, wei-
cher Susa in dem Cabarussis des Augustinus sucht, welches ein
von Adrumetum verschiedener Bischofssitz war, dessen Lage
ungewiss ist. Die Araber bezeichneten mit dem Namen Sus und
Magreb die Küsten von Africa, Spanien und Portugal, und weil
sie die Hauptstädte der Provinzen mit gleichem Namen nannten,
so findet man in Africa vier Susa. Das erste ist das alte Ar-
sinoe, das heutige Suez; das zweite Marza Stisa (der Hafen
Susa), das alte Apollonia (der Hafen von Cyrene); das dritte
Adrumetum^ welches in der letzten Zeit der Römerherrschaft
Hauptstadt von Byzakion war und von Justinian Justinianopolis
(s. Corippus Johann. IV, 64 u. 75. Procop. de aedific. VI, 0.)
genannt ward; das vierte Tartidant, welches die Hauptstadt
des Theils von Africa gewesen zu seyn scheint , den die Ara-
ber Sus elAksa (das entfernte Sus, s. Ritter I p. 887.) nen-
nen. Afrikia aber lag zwischen Leptiminus und Sallecto (Casr
Castiglioni : Memoire gcograplüque et numläiuatiquc. 273
Sallecta bei Edrisi ). Auf dem Wege zwischen diesen beiden
Orten lag nach der Peiitingersclicn Tafel auch Thapsua in sol-
chem Zwischenräume, dass man daselbst (iuThapsus) zwei
Drittel des Wegs zuriickgelegt hatte: wesshalb Shaw dessen
Ruinen richtig zu J)etnass sucht. Aus Strabo p. 831 ed. Ca-
saub. ergiebt sich, dass Ituspinu ^ Thapsus ^ Zella uwA. Acholla
an der Kiiste auf einander folgten (vgl. Morcelli Afiica Cliri-
sliana T.l p. 310 u. 370, Labbeus Cojtcü. T. II c. 1577.),
und dass Zella nur in geringer Entfernung östlich von Thapsus
lag. Dieses Zella nun, welches nach Cellarius mit dem
Zetta [Zeta] des Ilirtius (Bell. Afric. (iH.) einerlei und dort in
Zella zu verbessern ist, scheint Zuveila oder Afrikia zu seyn.
Als Bestätigung kann dienen , dass auch das Fezzanische Zu-
veila nach Lyon Zella *) genannt wird.
II) Abbasia. (S.24 — 29.) Diesen Namen findet man
häufig auf Miinzen aus der Khalifenreihe der Abbasiden , und
man verstellt ihn gewöhnlich von einem Quartier der Stadt Bag-
dad. Doch hat schon Fr ahn (Nura. Kuf. ex var. museis p. 35
if.) diese Meinung abgewiesen. Eine Stadt Abbasia lag bei
Naharmalca zwischen dem Tigris und Euphrat, eine zweite in
Aegypten , eine dritte bei Cairoan in Afrikia. Die letzte ist
■wahrscheinlich das Casr Cairoan ( Schloss von Cairoan ) bei
Yakut und derselbe Ort, der gewöhnlich Raccada oder Ri-
fada ( bei C a r d o n n e fälschlich Rica ) , was nur verschiedene
Schreibart ist, genannt wird. P^s lag 4 Meilen von Cairoan,
und ward ohne Zweifel von den Arabern befestigt und dann
Abbasia genannt. Doch hat es wohl nicht lange über die Herr-
schaft der Abbasiden hinausgedauert; denn gleich nach dem
Beginn der Regierung der Fathimiten wird es nicht weiter er-
wähnt.
III) Cairoan (Kairouan bei Ritter S. 913). S. 30 —
33. Falsch hat man diesen Namen lange Zeit von Cyrene ge-
deutet**), welches jedoch von dem in Byzakion liegenden
Cairoan iiber 600 Meilen östlich lag. Cyrene ward im zweiten
Feldzuge der Araber in Africa [im J. 605.] zerstört, und die
Ruinen heissen bei Elmacinus Knren^ jetzt Grenna. Cai-
roan aber ward erst im J. 50 der H. (660 u. 670.) unter dem
Khalifen Moavia von Ocbah ben Nafeh erbaut und befestigt,
und lag nach den Arabischen Geographen mitten in einem Ge-
hölz der Wiiste, nach S h a w ' s Untersuchungen und den alten
Itinerarien an der Stelle des Bischofssitzes Vicus Aiigusti in
Byzakion. s. AI o r c el 1 i Air. Christ. I p. 352. Es war der Sitz
*) Vielleicht das C/iiaia des Plinius. Vgl. Ritter I p. 990.
•*) Audi Beck in s. Anleitung zur allgem. Weltgeschichte II
S. 658 hat noch diese Meinuns:.
21-4 Anzeigen.
des Arabisclieii Statthalters und die Hauptstadt des Landes, bis
Ibu Ischak Ibrahim seinen Sitz in Ilaccada naliin. Ais aber die-
ses von Moez Zereide zerstört ward, erhielt Cairoan sein altes
Ansehn wieder, und selbst später, als der Sitz der Regierung
nach Tunis kam, blieb es der ßegräbnissort und der Sitz einer
beriihmten Universität. Es hatte eine sehr prachtvolle und alte
Moschee , die von den Arabern hoch verehrt ward : wesshalb
auch die Stadt auf Münzen nicht selten der Ruhm des Islam
genannt wird.
IV) Manstira. S. 34 f. Ismael el Mansur, der dritte
Khalif aus dem Stamme der Fathimiten , baute diese Stadt auf
einer Halbinsel am Ausfluss des Flusses Mansurea. s. Hart-
mann zu Edrisi S. 216. Edrisi nennt sie Mansuria. Ein
zweites Mansura lag in Aegypten , ein drittes, welches Yakub
el Mansur aus der Dynastie der Almohaden gründete, in Fez,
ein viertes bei Telemsan. Noch wird der Stadt Aschir gedacht,
welche zwischen Mcliana und Mesila im jetzigen Gebiet von
Algier lag, und fälschlich für das Assurus des Ptoleniäus ge-
halten worden ist , welches aber im jetzigen Gebiet von Tunis
zu suchen ist.
V) Tunis. S. 36 — 42. In diesem Abschnitt wird meist
Geschichtliches behandelt, und in geographischer Hinsicht nur
erwähnt, dass Tunis eine sehr alte Stadt ( üiod. Sic. XX p. 418
Wessel., Liv. XXX, 7, Polyb. I, 73 u.XIV, 10.) und zur Zeit
der Africanischen Christen Sitz eines Bischof th ums war. Wich-
tiger ward es unter den Arabern nach der Zerstörung Cartha-
go's um 700 n. Chr.
VI) Trijyolis. S. 43 — 58. Bei den Alten ist diess der
Name einer Provinz, nicht einer Stadt, obschon man das letztere
aus Ptolemäus hat schliessen wollen, wo statt der gewöhnlichen
Lesart NBccnolig iq %al Asmig fisyccXt] einige Handschriften le-
sen: NsuTtohg r] nal TgiytoXis- Allein die gewöhnliche Lesart
steht nicht nur in der Strassburger Ausgabe v. 1513 und in ei-
nem ausgezeichneten Manuscript aus dem 13ten Jahrb., das von
der Insel Chios auf die Ambrosianische Bibliothek gekommen
ist, sondern wird auch bestätigt durch Strabo XVII p. 835 und
durch die Charte des Theodosius, welche Lepfis Magna an die
Mündung des Cinyps ebendahin setzt, wo Skylax JSeapolis hin-
stellt. Auch erwähnt ausser Ptolemäus Niemand eine Stadt
Tripolis in Africa. Die Provinz Tripolis war auf der einen Seite
von Byzakion begränzt und getrennt durch den bis Theiiä ge-
henden (Plin. IL N. V, 3.) Graben, den Scipio Africanus d. j.
als Gränze zwischen dem Itömischcn Gebiet und dem des Kö-
nigs Ptolemäus von Cyrenaica und Libyen ziehen liess : woher
die Namen Tap/ira und Taphrura^ welchen Namen eine Stadt
an dieser Gränze der Provinz führte. Tripolis ward die Pro-
vinz genannt von den drei Städten Ocea , Sabrata und Leptis
CastigUoni: Meiiioirt! f^copfraphiqiic et numisiuatiquc. 275
Magna. Solin. Polyli. 17. In der cliristHchen Zeit werden füni'
Bischofsitze dieser Provinz genannt, nämlich ausser den drei
erwähnten Städten noch Gt'Ui u. Airbis oder Girbis^ und Mor-
celii (AlricaClnist. T. T p. 2-12.) setzt noch eine sechste Stadt,
Neapolis^ hinzu. Und allerdings fuhren Plinius und die Acta
eccles. Afric. NeapoUs und Leptis Magna als zwei verschiedene
Siädte auf. Weil aber Ptolemäus und Strabo sie als eine an-
fuhren, so lässt sich verinuthen, dass sie beide so nahe bei
einander lagen, dass man sie fiir eine halten konnte: woher es
auch kommen mag, dass in dem Itinerarium des Antonin und
auf der Charte des Theodosius Neapolls nicht angegeben ist.
Orientalische Schriftsteller erzählen jedoch, dass die Araber
die Stadt Tripolis erobert, bald darauf zerstört und in gerin-
ger Entfernung davon das jetzige Tripolis angelegt haben;
und allerdings finden sich noch jetzt in geringer Entfernung
westlich von Tripolis bedeutende Ruinen an einer Stelle, die
nocli den Namen des alten Tripolis führt. Es fragt sich da-
her, welche alte Stadt von den Arabern Tripolis genannt wor-
den ist. Gewiss ist es, dass man darunter nicht Leptis Magna
oder NeapoUs^ das heutige Lebida am Wadi Quaam verstehen
darf; ebensowenig Girbis ^ jetzt Gherby ^ auf der Insel gl. N. ,
oder Gilti^ das nach xlntonin u. Ptolemaeus ziemlich weit westlich
von Sabrata lag. Häufig hat man das alte Tripolis an der
Stelle des ehemaligen Sabrata gesucht. So liegt z, B. das alte
Tripolis auf der Charte der Voyage a Tripoli, ou Relation d'un
sejour de dix annees en Afrique (Paris 1819.) 35 Meilen west-
lich von dem heutigen Tripolis, und Sanson und Danville
stellen geradezu die beiden Namen vieux Tripoli und tour de
Sabrata als gleichbedeutend neben einander. Allein die Ara-
bischen Schriftsteller unterscheiden einstimmig Sabrata^ das
bei Leo Africanus Zoara^ bei Marmol Zaorath lieisst,
von dem alten Tripolis., und die beiden genannten Schriftstel-
ler sagen klar , dass das alte Tripolis viel näher bei dem heuti-
gen Tripoli liege als Sabrata. Die Charten von Coronelli
und Marmol führen ebenfalls beide Orte als verschieden und
das alte Tripoli viel näher bei der jetzigen Stadt auf. Bella
Cella und Badia (Aly-Bey) bestätigen dasselbe und sagen,
dass Zovara oder Sovara ( d. i. Sabrata) viel westlicher liege.
Auch bemerkt Badia, dass bei dem alten Tripolis ein jetzt
ziemlich versandeter Hafen sich finde, was für das Alter des
Platzes zu beweisen scheint. An die Stelle aber, wohin die
genannten Schriftsteller das von Sabrata verschiedene alte Tri-
polis setzen , stellt die erwähnte Voyage a Tripoli einen Ort
Zavia, und bemerkt, dass der Ort eine Tagreise von Tripoli
«ach der Seite von Tunis hin liege, und dass man in ihm noch
ein vollkommen erhaltenes Amphitheater finde , dessen Inneres
148 Fuss im Durchmesser habe. Noch erinnert sie , dass auch
276 Anzeige n.
zu Sabrata Spuren von Alterthümern sich finden. Marmol
erwähnt dieses Zavia unter d. Namen Zaouith beu Giarba, und
Leo Al'ricanus, der es Zaviath ben Jai bah nennt ^ stellt es
ganz nalie an die Stelle, wo die übrigen das alte Tripoli setzen,
zwischen die Orte Garelgara (Gargara bei Bdrisi) und Zan-
zor, deren erster 10, der zweite 12 Meilen von dem heutigen
Tripoli liegt. Die Charte von Seutter aber setzt 12 Meilen
westlich von Tripoli einen Ort mit dem Namen: Tripolis vel
Zavias beni. Das alte Tripolis ist also Zavia^ und liegt zwi-
schen Tripoli und Zaorath, viel näher bei dem ersten als bei
dem ZAveiten. Zavia aber scheint das alte Ocea zu seyn , wel-
ches wahrscheinlich Hauptstadt des Landes war, weil es Pli-
nius zuerst erwähnt und civitas (die übrigen Städte der Provinz
nur oppida) nennt. Für Ocea beweist schon das alte Amphi-
theater, und der Name Zavia ist verstümmelt aus Eoa^ wie nach
Ptolemäus die Stadt Ocea beiden Griechen hiess. Nach dem
Itinerarium Antonini betrug der Weg von Leptis Magna bis Ocea
03, von Ocea bis Sabrata 56 Rom. Meilen. Edrisi rechnet
von Lebida bis Tripoli 10 — 74, von Tripoli bis Zaorath 35
Arabische Meilen. Rechnet man dazu die Tagereise von Tri-
poli bis Zavia, so ist nach ihm die Distance von Lebida bis Za-
via 82 — 86, von Zavia bis Zaorath 25 Arab. Meilen: und diess
stimmt mit den Angaben des Itin. Ant. ziemlich ü6erein. Die
Tabula Theodosiana setzt von Leptis Magna bis Osa ( Ocea )
75 — 76, von da bis Sabrata 49 Rom. Meilen; allein darin liegt
ein Fehler , denn dann müsste man Ocea um ein paar Meilen
westlich von Tripoli suchen, wo sich keine Spur von Ruinen
ßndet. Noch ist zu bemerken, dass alle diese Angaben Sabrata
oder Zaorath zu weit westlich stellen , weil es nach Marmol
nur 17 Lieues von der Insel Gherby entfernt ist. Doch nimmt
Della Celia von Tripoli bis Sovara 25 Lieues an, so dass von
Zavia bis Sovara etwa 18 Lieues wären. B a d i a setzt zwischen
Alt- Tripolis und Sovara 24 Lieues.
Auch das heutige Tripoli liegt an einem zur Römerzeit be-
wohnten Orte, wie ausser andern Alterthümern der dort be-
findliche, dem Marc Aurel und Lucius Yerus errichtete mar-
morne Triumphbogen zeigt. Es ist diess der vom Ptolemäus
erwähnte Hafen Garapha (bei Skylax Giaphara) , der in ähn-
licher Entfernung östlich von Ocea oder Eoa lag, wie jetzt
Tripoli von Alt- Tripolis. Denn Ptolemäus stellt Ocea unter
41^ 30' und Garapha unter 40^* 45' *). Ai^ivts nannten die
*) Diess ist niiinlich dort die richtige, von der erwähnten Anibros.
Handschr., der Stiasshurg. Ausg. von 1513 und der Ital. Uelicrsetzung
V. Magini (Venedig 15!)8.) bestätigte Lesart. Die andere Lesart, nach
der Garapha unter 41^ 25' liegen soll, stellt dessen Lage in einer klci-
Castiglioni : Memoire geographiquc et numisraatiquc. 271[
Alten solche Orte, die an und für sich nicht von grosser Be-
deutung waren, sondern nur den Ilafenplatz einer grössern
Stadt bildeten, die nicht am Meere oder doch nicht an einem
gi'justigen Laudungsplatze lag. Solch ein Ort war wahrschein-
lich Garopha; daher wird es auch nicht unter den Episcopal-
städten des Tripolitauischeu Gebiets genannt und gelangte erst
unter den Arabern zur Wichtigkeit. Und in der That liegt das
jetzige Tripolis auf einer Halbinsel an einer sehr günstigen Ila-
fenstelle : was alles für die Lage von Garapha spricht. Auch
darf man dieses nicht weiter östlich stellen, weil Della Cella
versichert, dass sich zwischen Tripoli u. Lebida nirgends Spu-
ren Römischer Alterthümer finden.
VII) Algier. S. 59 — 60. Algiei- ist nicht das alte Cae-
sarea Mauritaniae ^ wie man geglaubt hat: diess hat Shaw
richtig in den Ruinen von Scherschell wieder gefunden. Vergl.
Belley in d. Äle'moires de l'acad. des inscriptt. et bell, lettr.
T. XXXVIII p. 93. Doch liegt auch Algier an der Stelle eines
Römerplatzes , wie man aus einigen dort gefundenen Latein.
Inschriften sieht. Die Lage von Tipasa (^Tefessai) u. der Fluss
Hameese (der Savus d. Alten) führen darauf, dass Algier auf
der Stelle des alten Icoslum liegt, in welcher sehr alten Stadt
(Solin. 28.) in der christlichen Zeit ein Bisthum war. Vergl.
Ruinart histor. persecut. Vandal. p. 171. Der Name ^/^eer
stammt vom Arab. Algezair (^Al DJezair)^ Insebi., und hat sei-
nen Ursprung vielleicht von einem luselchen, das bei Algier lag
und jetzt durch die Türken mit dem Festlande verbunden ist
und an dem Eingang des Hafens liegt. Wichtiger ist, dass bei
den Arabern die Stadt auch den Namen führt : Inseln der Kin-
der Mozganan^ und dass, nach einer Sage bei ihnen, diese
Kinder Mozganan die Stadt vor der Römerherrschaft gebaut
haben. S. Morgan A coraplete history of Algiers p. 214. Leo
Afric. und Marmol führen den alten Namen Mezgana von
Algier an. Mozganan stammt von Amzig oder Mazig^ dem Na-
men der Ureinwohner. Die Römer machten daraus Mazices
(beiPtolera.) oder Mazaces (Lucan. IV, 681; Coripp. Johann.
I, 549 u. IV, 724 ; Sueton. Ner. 30 etc.). Daher stammt auch der
Name Fundus Mazucamis bei Ammian. Marceil. XXIX, 5, nach
Danville die jetzige kleine Stadt Mazuna im Gebiet von
Algier ; daher auch der Stadtname Mazaca in Numidien. Siehe
M 0 r c el 1 i Afric. Christ. T. I p. 221. Vielleicht hiess auch zur
Römerzeit die kleine Insel vor Algier Insula Mazucana^ woher
der Arabische Name entstand.
Die angehängten geschichtlichen Untersuchungen überge-
hen wir als für unsern Zweck unwichtiger, und heben nur noch
nen Entfernung westlich von Ocea, was schon der Reihenfolge wider-
streitet, in der Ptolemäus die Orte aufführt.
278 Anzeigen.
den Hauptinhalt der Abhandlung über die Berbern aus. In die-
ser wird zu erweisen gesucht, dass die Berbern das älteste
Volk Nordafrica's sind , w elches wir kennen und welches schon
vor der geschichtlichen Zeit der Griechen u. Römer aus Asien
einwanderte , und dass die Berbernsprache die Ursprache jener
Gegenden ist. Aus ihr stammen die meisten geographischen
Namen der Berberei, nicht aber aus dem Griechisclien, wie
Plinius V, 5 und Saliustius lug, 77 angeben, oder gar aus dem
Hebräischen und Arabischen, wie Boc hart, Malte-Brun,
Langle's, Shaw u. A. meinten. Sie ist aber nicht eine ver-
dorbene Punisclie Sprache : denn diese glich nach Hieronymus
u. Augustinus ganz den Semitischen Sprachen, die Berbernspra-
che aber, obgleich sie aus Asien stammt, hat mit diesen doch
nur eine entlernte Aehnlichkeit. Wenn daher Procopius de bell.
Vand. H, 10 die Sprache der Mauren fiir die Phönicische hält,
so hat er nur die Colonieen der Phönicier mit den Mauren ver-
mengt. Die Beweisfiihrung ist folgende:
Der Name Berber^ womit die Araber alle Völkerstämme,
die in Africa an der Gränze des Römerreichs sich hinzogen,
bezeichnen, ist mit Malte - Brun von Barbari abzuleiten.
BdgßaQog hiess bei den Griechen, wie im hsitem. balbus^ einer
welcher stammelt, und dann einer, welcher eine andere Spra-
che spricht. Daher gehörte selbst Italien zur Barbaria. Bei
den Römern bezeichnete das Wort zu Cicero's u. August's Zeit
solche, welche weder Griechen noch Römer (Italier) waren.
Später jedoch, als unter den Kaisern das Römische Bürgerrecht
häufiger vertheilt wurde, hiessen alle im Römerreich Gehörnen
Ro7nani^ und Barbari nur die, bei welchen diess nicht der Fall
war. Alle den Römern nicht unterjochten Länder fiihrten daher
den Namen Barbaricum^ die Bewohner derselben den Namen
Barbari, Noch bildete man ausserdem das Wort Barbaricini^
womit man die innerhalb der Gränzen des Reichs Wohnenden
bezeichnete, während diejenigen, welche ausserhalb dieser
Gränzen ihre Wohnplätze hatten, Barbari gentiles hiessen.
Daher der Name Barbagia u. Barbaricini von der Maurischen
Colouie in Sardinien, welche die Vandalen dahin brachten und
welclie von den Römern nicht unterjocht werden konnte. Nach
diesem Sprachgebrauche nun hiess das Indische Meer, weil es
das Römerreich nicht berührte, Mare barbaricum (s. Steph.
Byz. s. V. ßaQßagta.)., und eben daher muss man die Namen
Barbaricum emporinm an der Mündung des Indus und Barbari
auf dem Delta dieses Flusses ableiten. Auch die freien Gegen-
den Deutschlands und die Uferstriche der Donau nannte man
Barbarias. s. Mamert. paneg. Juliani 7, Ducange s. v. barbarias.
Barbaria war auch nach Steph. Byzantinus u. Cosmas Indicopl.
der Name für die Länder südlich von Aegypten, und dass man
die Gränzstriche in Mauritanien unter dem Worte Barbaricum^
Castiglioni: Memoire gcograplüquc et nuralsmatiqiic. 279
ihre Bewohner unter Barbari zusammenfasste, ist von Ducange
s. V. Barbaricum nachgewiesen, vgl. Jul. Ilonor. cosmogr, p. 20.
Selbst AiG BarbaciiiinwA Baurbarras am Senegal sclieincn da-
her benannt zn seyn. vgl. Ritter IS. 555. Die Byzantinischen
Schriftsteiler behielten nach Casaub. z. Ilistor. Äug. scriptt.
p. 174 tlen Namen Barbarin nur für die Länder Africa's bei,
welche durch die Muhammedaner vom llömerreiche losgerissen
wurden. Die Araber machten Berber aus Barbari und Berbe-
ralcotn aus Barbaricum ^ und unterschieden die Aethiopischen
Berbern {Berberinen^ südlich von Aegypten) von den westlichen
oder Atlantischen (westlich von den Provinzen Africa's).
Die westlichen Berbern nun nennen sich selbst ^/n;:?')?', Imazig
oder Amazirg^ d, h. Freie^ Herren^ was nichts Anderes ist als
Mazig^ wie sich diese alten Berbern am Hofe des KhalifenOmar
nannten, s. Ritter I S. TsOO, Shalerin Malte - Brun's Nouv.
Annal. des voyages T. XXV II p. 86. Von Mazig aber stammen
die Namen Mazices (Mazyces) , Mazaces und Mat,vsg. Zwar
führt Ptolemäus die Mdt,vsg nur als ein Volk Mauritaniens an,
aberHerodot IV, 191 erwähnt sie als Anwohner am Tritonsee —
denn Mat,v8g^ nicht Md^veg ist dort zu lesen — und aus der
Exposit. tot. mundi in Gronov. Geogr. ant. p. 269, Stephan. By-
zant. s. V. Mä^vsg., Ethicus cosmogr. p. 47, Eustath. ad Dio-
nys. Per. 195, Euagrius liist. eccies. p. 259 ed. Reading, Phi-
lostorgius bist. ecci. XI p. 542 u. A. ergiebt sich , dass Md^vsg
der Gemeinnatne aller Völker des nördlichen Africa war, der
eigentliche Name der Eingebornen also, während die Namen
Numidae und Mauri nur von dem Nomadenleben und der brau-
nen Farbe hergenommen sind. Von Amzig stammt nun der
Name des Flusses ^yn^^sog^ß, welcher zwischen den Reichen des
Masinissa und Syphax floss. Plin. V, 2. Mit Mazig aber stim-
men überein die Namen Mdxat und Macii bei Ilerod. IV, 175,
Polyb. III, 33 und Plin. V, 3, Ma.vita?ii, wie Justinus XVIII, 6
die Urbewohuer Africa's nennt, Macomades u. Macmnia?ii hei
Coripp. Joh. II, 116 u. 210, d. h. Macae Ammonii oder Macae
Aminii^ Adyrmachidae, d. h. Adrar - Macae = Bergniazig ; ja
selbst die Mesamnioneii oder Nasamonen (Herod. 11,42, Plin.
V, 5.) scheinen daher genannt zu seyn. Nasamonen aber hiessen
nicht bloss die Bewohner der Oase des Ammon , sondern alle
Völker Libyens bis an die Küsten des Mittelmeers, s. Steph.
Byzant. s. v. 'A^^arta, Stat. Silv. II, 93, Coripp. Joh. V, 198.
Daher Ammonium südlich von der grossen Syrte, und AWAxQa
"Ayi^avog bei Strabo XVII p. 834, = das Caput Vada der Rö-
mer, wo Justinian eine Stadt baute (Procop. de aedif. VI, 6.),
welche die Araber daher Cammuniah oder Capudia nennen.
Zu Mazig gehören auch die Cijiyphii Macae (Sil. Ital. B. Pun.
III, 275, Herod. IV, 198.) am Cinyps und an der Syrte, wo Ara-
bische Schriftsteller die Stadt Sort oder Serie erwähnen , die
280 An zeigen.
Macaei Syrtitae des Ptolemaeus oder die Macomades Syrtis
nach Ren eil the geogr. syst, of Ilerod. p. 050. Auch die Mas-
sylii sind nichts anderes als Maööatlißvsg, d. h. Libysche Ma-
zig (Strabo XVII p. 829.), und die Massaesyli (Piin. V, 1.) fin-
det man in den Schilluh {ßchilluh- Mazig) in Fez wieder. Vgl.
Ritter I S. 903.
Dass aber diese Mazig aus Asien kamen, geht aus raehrerii
Gründen hervor. Ilerodot lässt seine Mazyes von den Troja-
nern abstammen, Sallust lug. 18 iässt eine Asiatische Colonie
von Persern, Medern und Armeniern nach Africa kommen, und
Leo Africanus sagt, dass die Uerbern aus Palästina durch Grie-
chenland nach Africa einwanderten. Vergl. Ritter I S. 900.
Procopius (de bell. Vaiid. II, 10, vgl. Joseph. Antiqq. I p. 44.)
und Arabische Schriftsteller berichten, dass die Uerbern Nach-
kommen der Urbewohner Palästina'» sind , welche von den Ju-
den von dort vertrieben wurden, vgl. Ritter I S. 500. Die
Arabische Sage fügt hinzu, dass sich diese Palästinenser mit
einer Colonie der Hemiariten aus dem glücklichen Arabien ver-
mischten, und dass aus dieser Mischung die Berbern hervor-
gingen. Und allerdings stellen die Berbern ihrer physischen
Beschaffenheit nach den Asiaten viel näher, als den Negern:
schon Strabo bemerkte ihre Aehnlichkeit mit den Arabern, vgl.
Ritter I S. 901. Merkwürdig ist auch die auffallende Aehn-
lichkeit, welche zwischen den Spraclien der verschiedenen Ber-
bernstärame von der kleinen Oase und der Oase des Ammon an
bis an den Atlantischen Ocean und auf die Canarischen Inseln
sich findet (vgl. Jones de linguaShilensi und Ritter 1,900.);
woraus sich ergiebt , dass alle diese Landstriche vor Alters von
Einem Volksstamme bewohnt wurden. Diese Berbernsprache
darf man aber nicht mit Mars den und L an gl es für ein Ge-
raisch aus den Sprachen aller der Völker halten , w eiche nach
und nach Herren dieser Küsten waren; denn dagegen streitet
die grosse Armuth und Rohheit dieser Sprache, welche alle ab-
stracte Begriffe aus dem Arabischen borgen muss. Ueberhaupt
hat auch vor den Arabern kein früheres Volk eine dauernde und
ausgebreitete Herrschaft über diese Gegenden ausgeübt oder
neben dem politischen auch einen religiösen Einflnss geliabt.
Noch weniger darf man mit Che'nier (Recherches sur lesMau-
res etc.) die Berbernsprache aus der alten Karthagischen ablei-
ten. Die Punische Sprache war nur an den Küsten im Gebrauch
und gelangte nie in das Innere; vielmehr nahmen gerade iniGe-
gentheil die Karthager in Leptis die Landessprache an. s. Sal-
lust. lug. 77. Auch hatte Karthago, das mehr nach der Herr-
schaft auf dem Meere als nach Eroberungen auf dem Africani-
schen Continent strebte, nur sehr spät erst einen unbedeuten-
den Einflnss auf das Innere des Landes, s. Justin XII, XIX, XX
u. XXI, Polyb. I, 05 u. XIV, 1, e.^cerpt. CXVIU, Liv. XXXIV,
Castiglioni : Memoire g^JograpliIque et numismatiqiic. 281
33- Daher ging diese Sprache schnell unter, als die Römer da-
hin kamen. Der Einüuss der Itömer selbst war noch geringer,
und auch die christliche lleligion drang niclit bis iiber die Grun-
zen der Römischen Provinzen. Sic kam nicht bis zu den Ber-
bern der Wüste, sondern diese blieben Heiden, s. Clandian. I
cons. Stiiich. I, 255, Coripp. Job., Ducange s.v. BaQßaQLKOv,
Die Cultur blieb immer gering und nur ein Theil der Eingebor-
nen, die Bewohner der Kiiste, kannte die Schreibkunst; aber
sie hatten, wie aufgefundene Inschriften und Miinzen Maurita-
nischer Könige beweisen, ganz andere Schriftzeichen, als die
erwähnten Völker. Von der Arabischen Sprache hat die Ber-
hernsprache allerdings vieles genommen , aber in ihrem innern
Wesen ist sie sehr von derselben verschieden. Wenn nun die
Araber behaupten, dass schon vor der Einführung des Islams
auf einem Theile der Küste die Arabische Sprache gesprochen
ward, so beweist diess, seihst wenn es wahr wäre, niclits, als
dass schon früher Araber hier eben so einwanderten , wie sie
schon vor Plinius (VI, 32 f.) und Curtius (IV, 7.) nach Aegypten
und dem Südrande der Saliara kamen. Doch zeigt der ganze
Bau der Berbernsprache ihre \erwandtschaft mit den Orienta-
lischen Sprachen Südwestasieus, und beweist also die Asiati-
sche Abstammung dieses Volkes. Auch wird diese Behauptung
nicht dadurch aufgehoben, dass nach Jackson's Meinung die
Sprache der Schillu (der Zyalah bei Edrisi) von der alten und
allgemein herrschenden Berbernsprache sehr verschieden ist *).
vgl. Ritter I S. 900 u. 004.
Aus der Berbernsprache erklären sich die meisten geogra-
phischen Namen ganz einfach, und ihre Abstammung aus der-
selben ist augenscheinlich. Die Arabischen Schriftsteller von
Ihn Ilaukal an theilen die Berbern in fünf Stämme (Ritter
I S. 901.), die Gomara (Gumeri), Huouaru (Tuariks), Zenaten^
Sajihagiaw. Musamcdi (Musmudä), und die jiämliche Einthei-
lung kannten die Römer , wie die Qim/qiiege/itani bei Vales. z.
Ammian. Marc. XXII, 16, bei Aurel. Vict. 39, Oros. VII, 25 u.
Eutrop. IX, 22 beweisen. Aber auch die Namen der Unterab-
theilungen dieser Ilauptstämme waren bei den Römern die näm-
lichen. Die Leouatha (Lebatha) der Araber sind die Ahvä%ai
oder Aißäv%ai des Procopius und die Lunguanteii des Corippus
(s. Mazzucch eili z. Joh. p. 167.), wahrscheinlich auch die
Libyer der frühern Schriftsteller, s. Rennel the geogr. syst.
of Herod. p. 410. Die Mozabis sind die Musubei des Jul. Hono-
rius (cosmogr. p. 20.) und die Musonii der Tabula Theodosiana.
*) Dieser Pnnct dürfte Iiidcss docli eine grössere Beachtung ver-
dienen nnd nicht so leicht zu beseitigen seyn; denn eben diese Schillu
(Schelluh) , nicht aber die Berbern , führen nach Jackson den Namen
Amazirg. [ C. J. ]
Jahrb. f. Phil. n. Pädag. Jakrff. III. Heft 11. J()
282 Anzeigen.
Aus dem Namen Atlas machten die Araber Lamta^ und Lemtu-
nen aus AÜantes. Diese Lemtunen wohnten in der Sahara west-
lich von Fezzan an der Stelle der Herodotischen Atlanten (IV,
184.) und zogen sich nach Corippns (Joh. 11,19. ) nordöstlich
bis Tillibaris an die Gränze von Tripolis hin. Atlanten und
Ataranten aber sind nur durch verschiedene Aussprache ent-
standene Namen, so sehr man auch dariiber gestritten hat. s.
Steph. Byz. s. v. "ArlavTsg^ Larcher z. Ilerod. T. III p. 483
und Rennel ebend. p. 035 u. 643. Der Berg Atlas nämlich
heisst bei den Eingebornen Dyriii oA. Addyrin (Solin. 24, Stra-
bo XVIi p. 825, Plin. V, 1.), und daher bildeten die Araber ne-
ben dem Namen Lamta auch die Form Deren oder Daran *).
Die Gezuliten^ welche an das Gebiet der Lemtunen gränzen,
sind die Gaetuli desPlinius. s. Dombay Gesell, der Maur. Kö-
nige Th. I S. 194. Die Mograva oder Magroa auf dem Gebirge
südlich von Mostgannim nennen Ptolemäus und Plinius (V, 2.)
Macurebes und Corippus (Job. II, 62.) Macares. In den Zeoua-
gha, welche an der Stelle der Stadt Fez wohnten, erkennt man
leicht die an die Gränze vonMauritanien gestellten Zauekes des
Ilerodot (IV, 193.) und die Vacuates der Römer (Ptolem., Jul.
Honor. cosmogr. p. 20). Rennel (geogr. syst, of Her. p. 639.)
ist im Irrthum, wenn er die Zauehes mehr östlich stellt; denn
die Insel Cyraunis ist nicht das heutige Querkiness ., sondern
muss viel westlicher von Karthago gesucht werden und ist wahr-
scheinlich mit Cerne einerlei, dessen Lage ungewiss ist. vergl.
Gosse lin geogr. des anciens T. 1 p. 77. Die Sanhagia nörd-
lich vom Senegal^ welcher daher seinen Namen hat, sind die
Salrnaggenites bei Jul. Honorius; die mehr östlich wohnenden
Olleletys aber die Auloles oder Aiitololes bei Aethicus p. 64,
Plin. V, 1, Sil. It. III, 306, Lucan. IV, 677, Claudian I Cons.
Stil. 1,356. Die Nefusa^ welche man nur nicht in der Marok-
kanischen Provinz Nefis, sondern in den Bergen nordwestlich
von den Haroudje (Harusch) suchen muss, sind die Navusi bei
Coripp. Job. II, 146. Von den Haouara^ welche vor Alters in
den Gebirgen von Tripolis wohnten, hat die Stadt Abaris und
die Provinz Abaritana (Plin. XVI, 36; Victor Vitens. histor.
persec. Vand. p. 5 u. dort Ruinart.) ihren Namen. Den Namen
Hascora in der Prov. Nefis findet man in CiemSascar des Corippus
(Job. 11,74.) wieder. Die äM^oms (Schillu) indenBergen vonFez
und Marocco (Ritter I S. 902.) sind die Salinses^ welche Ptolem.
*) Daher haben wohl die Gaetuli Darae und Aethiopes Daratitae
ihren Namen , und aus Addaran dürfte Atras und dann Atlas sich viel
natürlicher herleiten lassen , als wenn man die Etymologie des Wortea
im Griechischen sucht, wie noch neulich Rucks tuhl in den Quac-
stton. ^«anticis getban hat. Vgl. Ritter I S. 895 ff, [C. J.]
CastigHoni : Mf'^moirc g<';ographique et numismaliquc. 283
in der Gebirji^skette des Atlas südwestlich von Gibraltar woh-
nen lässt. Ein Stamm von ihnen, die Silzaclae (^Shillous ffa-
choul) bei Coripp. II, fi6 (n. das. Mazzucchelli) wohnten an den
Ufern des Subjis oder Suöti (des Vadara des Corippus), welcher
auf dem noch jetzt so geiiaiuiten Gebirge Selilgo entspringt.
Die yJcas^ Margumnias und Tahounis im Gebiet von Tripoli
scheinen die Bacates, Anagoinbri und Tapaniles des Ptoleraäus
zu seyn. \\Y\GGoniera der Araber (Ritter 906.) sind die Canarii
des Suetonius Paulimis bei Plin. V, 1, jenseits des Atlas, und
von ihnen entstand wahrscheinlich der Name Gannaria extrema
bei Ptolemäus. Mit dem Namen hängen noch die Canorischen
Inseln zusammen, von denen die eine Gomera heisst. Dass
übrigens die Canarii viel südlicher wohnten, als die heutigen
Gomera , darf nicht aufi'allen , da sie von den Arabern wahr-
scheinlich eben so, wie die Lemtunen und Sanhagia, aus ihren
Sitzen verdrängt worden sind. WiQ Mazoulas^ welche Shaw
in der Gegend von Bona und Tabraca fand, sind die Massyli^
welche Strabo XVII p. 832, Liv. XXIX, 19 und Plin. V, 2 eben
dahin setzen. Ferner behaupten die Araber, der Name Ajrica
stamme vom Könige der Ileiniariten Ifricus^ welcher Africa er-
obert habe. Daraus lässt sich vielleicht folgern, dass in den
Ifuraces des Corippus II, 113 der Ursprung des Namens Africa
zu suchen sey. Mehr beweist der Ort Ghernia , das Garrama
bei Ptolemäus und Plinius , welcher in der Berbernsprache
Ghur-mnan =r an dem Wasser heisst und in einem Thal zu su-
chen ist in welchem mehrere Seen sich befinden und welches bei
denAi'abernO?/ßf/e^-(Wady-) C'hati= das die Seen umufernde
Thal genannt wird.
Auch der von Plinius beschriebene Zug des Baibus zu den
Garamanten stimmt ganz mit der Caravanenstrasse iiberein, wel-
che noch jetzt von Algier nach jenen Gegenden fiihrt. Sie ist,
wie Plinius selbst bemerkt (vgl. Tacit.IIistor. IV, 50.), etwas län-
ger als die von Ocea. Die letztere geht iiber den Anfang des
Gebirges Harondje^ welches Wort von Azgrew^ d. h. Stein.,
stammt: und diess stimmt ganz mit Plinius, wenn er sagt:
hoc iter vocatur praeter caiiut sacüi. Aber auch die Aehn-
lichkeit der Ortsnamen ist auffallend. Das Tabidimn oppidum
(TßÄMrfa bei Ptolem. vgl. lluinart bist, persec. Yand. p. 12X)
findet sich wieder in Tebid auf Renne I's Charte zu Horne-
mann's Reisen; Nieteris natio in Nudrama ., wie einer der fünf
Districte der Mozabis heisst; JS'eglige/nela in Necau. Die Btc-
bejum natio findet sich zwar unter den jetigigen Stämmen nicht;
aber von ihr stammt der Name Limes Bnbensis an der Gränze
des Tripolitanischen. Enipi natio ist Klianniba und der Mons
niger (Ritter 885 f.) die Fortsetzung der schwarzen Haroudje.
Thube?i und Tapsagum [ d. i. Tibbous - akha?n = Haus der Tib-
bous] haben ihre Namen von dem im Distrlct Tibesty woliuen-
19*
284 Anzeigen.
den Stamme der Tibboiis. Auch die heisse Quelle [Vege^^rjy^]
i'aiul Lyon in den Herren von Tibesty wieder. Boin erkennt
man in ^äo, Baracum in Brac^ Maxula in Mejula; den Berg
Gyri [Girgir bei Ptoiemäus] in dem Fezzan umschiiessendeii
Eyri ^ welcher an die Wüste Hair stösst; Alele^ die Haupt-
stadt der Phacanü (Fezzaner), in Zela^ wie die Bewohner von
Bornu die Stadt Mourzouk nennen; Cillaba in Zoiivcila oder
Zella (welches freilich die Araber erbaut haben w ollen : indess
bezeichnet hier, wie häufig, die von ihnen angegebene Zeit der
Erbauung nur den Zeitpunct , wo sie dahin kamen.) ; Oydamis
[ Gadabis bei Corippus II, 117.] in Gadamis. Generelle Namen
sind Debiis oppidum und Desciia natio : AennJJescira [Dasch-
Irci) lieisst Stadt der Bergberbern ^ u. Bebris {^Doivara^ Stadt
der Beduinen in der Ebeiie. Von dem letztern Worte stammt
dabberani und dabrikan , oder vielmehr , weil die Berbern kein
b zu haben scheinen, daouerani u. daonrikan, womit die Berg-
berbern nicht allein den Fremden^ sondern auch den Schwar-
zen bezeichnen, weil die Bewohner der Ebene südlich von den
Bergen diese Farbe haben. Ein ganzes Negergebiet südlich von
Fezzan führt den Namen Daoura.
In der Ammons-Oase erwähnen die Arabischen Geographen
einen Ort Sunteria oder Schanteria^ was jedenfalls \o\\ Alexan-
der stammt , weil die von ihm benannten Orte nur Escanderia
oder Scanderia geschrieben werden konnten. Zweifelhaft aber
ist es, ob dies Santeria das von Ptoiemäus hier erwähnte 'Aks^-
dvÖQOv TtccQE^ßokrj (s. Brown travels in Afr. p. 22.), oder die
Stadt des Amnion^ das heutige Siivah sey, wo Alexander den
Tempel vergrösserte und schmückte, s. Jul. Valer. de reb. gest.
AI. I, 18. Das Letztere behaupten Rennel in geogr. syst, of
Her. p. 590 und Langles zur Franz. Uebers. v. Ilornemann's
Reisen Th. II S. 383. Soviel ist ausgemacht, dass der Stadt-
name Siivah (Siouah) gleichbedeutend ist mit Skouwiah, wie
der hier gesprochene Dialect heisst.
Der Berberndialect, welcher in Sokna gesprochen wird,
heisst Ertana^ und diess zeigt uns die Lage der Artennites bei
Jul. Honor. p. 20. Die Astrices bei Coripp. Job. II, 75 sind in
Mauritanien auf dem Gebirge gl. N. zu suchen, vgl. Oros. I, 2,
Aethic. p. f>4, Isidor. de Orig. XIV. Diess ist so genannt von
Stress, womit die Berbern steile und senkrechte Berge bezeich-
nen. Die Silvaizan (d. i. Self-eivdan)^ welche Coripp. II, 62
zugleich mit den Macares nennt, sind das Volk von Seif oder
Shelf^ welches an den Ufern des Seif oAgy Sh elf -wohnte^ wo-
hin die Arabischen Geographen auch die Stadt Shelfa setzen.
Die Misulani bei Plin. V, 4 {Musiilanii auf der Tab. Theodos.
und bei Flor. IV, 12 , Musulini bei Tacit. Ann. II, 52 u. IV, 24,
MiGovlanol bei Ptolera.) ergeben sich leicht als die Bewohner
des heutigen Me'sila; die Tulemii als Bewohner von Te'lemsan;
Castig-IIonl : Memoire geographiquc et numismatlqnc. 285
die Beggnenses bei Jul. Jlonor. p. 20 als Bewohner des heuti-
gen Beggia in Tunis oder des alten, von Nnmidern erbauten
Baga^ Viicca oder oppidum Vagense. vgl. Plin. V, 4, Procop.
de aedif. V, 5, Salinst. lug. 47. Verschieden davon ist die Stadt
Bugie in Algier, das Bedjdia der Araber. Die Darae bei Plin.
V, ] wohnten in der heutigen Provinz Dara in Marokko, und
die Cnpsitaiii \\\ der Stadt Gafs^ dem alten Capsa ^ welches an
den Ui'ern des Gafs oder Tritonis lag, dessen Lauf früher län-
ger gewesen seyn jnuss als jetzt. Von dem Worte azgrew, d.h.
Stein., stammt Jlaroushe oder Ilaroudje., womit man Basaltge-
birge bezeichnet, vgl. Ritter S. 1)88. Die Alten machten dar-
aus Ar::,nges oder Azruges .^ welches ebenfalls eine allgemeine
Bedeutung hatte, aber wie das jetzige Haroudje vorziiglich die
siid liehen Striche der Provinz Tripoli bezeichnete. Dort lag
in der christlichen Zeit die provincia Arziigitana^ nördlich von
den Garamanten. Nach Labbeus Concilia T. III c. 242 gab
es auch eine Stadt Arzugitana. Den Römern war die Bedeu-
tung des Wortes bekannt, und darum heisst das nördliche Ende
der Haroudje - Kette bei ihnen Caput saxi. Die Form dieser
Basaltgebirge, die häufigen Versteinerungen aller Art und Rö-
mische Ruinen wurden die Veranlassung zu der Fabel von der
versteinerten Stadt, welche sich nach den Berichten der Ara-
ber in dieser Gegend finden soll, vgl, Ritter S. 1)26 und 933.
Sie heisst bei ihnen Bas-sem, d. h. Kopf des Fisches ; und in
der That fand Ilornemann in den Haroudje grosse versteinerte
Fischköpfe. Die Augiles des Herodot führen noch jetzt diesen
Namen (Rennel a. a. O. S. 508, Porapon. Mela I, 4 u. 8.), und
der Mons Aurasiiis ist der Auraz der Araber, s. Mazzucch.
z. Coripp. p. 377. Die Wüste Gadajae., welche die Römer pas-
sieren mussten, um zu den Astrices zu kommen, ist die Wüste
Angad. Coripp. V, 285. Aus Angad-Sir (Wüste von Angad)
entstand der Name Anaciitasur ., wie Corippus II, 75 ein Volk
in der Nähe der Astrices nennt. Den von demselben (II, 77.) er-
wähnten Berg Gallida erkennt man indem Giialhasa oder Geliz
bei Telemsan wieder. Der Fluss Ghir des Leo Africai^us jen-
seits des Atlas ist der Ger des Plinius (V, 1.), verschieden vom
Gir in Nigritien (bei Ptolem. u. Claudian. de prim. consul. Stil.
I, 252.), welcher noch jetzt so heisst. Der Berg Ziccar ist der
Suggarus der Alten (Aethic. p. 64), und eine Fortsetzung die-
ses Gebirgsastes der Zuccabar^ in welchen Ptolemäus die Quelle
des Cinyps setzt. Er ist so wie der Stadtname Zuccabar bei
Ruinart histor. persec. Vand. p. 166 entstanden aus Zouc -
ebrid^ d. h. f^eg des Marsches^ weil man dieses Gebirge pas-
sieren mu8s, um nach Fezzan zu kommen. Auch Mourzouk be-
deutet Stadt des Marsches. Von Adrar [Berg) und Moiirt
{Stadt) stammt Adrumetiim^ d.i. adrar - mourt^ Stadt des
Berges: das jetzige, auf einer Anhöhe liegende Äj^s«. Igilgilis,
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das heutige, auf einer Steinklippe liegende Gigel^ stammt von
Ighily d. Ii. Hügel. Zuchis mit dem See von Ziicha ist von
Zouk {ßlarkt) gebildet wegen des Handels, den es mitPurpur-
waren und Salz (? salaiso7is) trieb, s. Strabo p. 834. Agaly-
mnus^ wieCoripp. 11,(59 die höchste Gegend des Atlas nennt, ist
entstanden aus cighal emaii, d. h. Gebirge der Wasser. Daher
ergiebt sich, dass die Fluminenses des Jul. Ilonorius (cosmogr.
p. 20.) dieUevvohner des Landstriches sind, welcher von den dort
oben entspringenden Flüssen bewässert wird und jetzt Edaute-
iiam^i unter den Gewässern (inferienre aux eaux), heisst.
Die Wüste lieisst bei den Berbern Siiir (woher Syrles^
welches Wort man fälschlich mit Sahara., Ebene., gleichbedeu-
tend genommen hat.) und das Gebirge aghal: daher stammen
Vsargala (wo das u praefixum ist) u. ZerquUis^ d. i. Zer- aghal,
13ergwüste. So aber nennen Ptolemäus und Corippus (II, ^6 u.
145.) das wasserarme, untere Plateau des Atlas. Von Aidou-
aghal, d. h. grosses Gebirge (Ritter S. 886.), kommt Duccala,
bei Leo Africanus Name einer Provinz Marokko'« amFusse der
Gipfel des Atlas. Von Warr^ welches ein kleines Felsenpla-
teau (plateaux pierreux d'une petite etendue) bedeutet, stammt
Warr-aghel, welches in Vareclan., Farcala., Fargala, Gur~
gala^ Wurglah (bei den Arabern) verdorben worden ist. So
heisst aber nicht nur ein District der Mozabis südlich vom Ge-
biet von Algier, sondern auch eine Gegend hinter dem Atlas
bei Segelmesse. In der letztern wohnten wahi'scheinüch die
Aethiopes Africerones des Ptolemäus, welche vielleicht ihren
Namen von A- Fargalan haben. Sie waren die Nachbarn der
Aethiopes Agangines oder Gangines ., d. i. der Zuenziga des
Leo Africanus, weichein der Wüste südlich von Mauritanien
wohnten, vgl. Aethic. p. 64. Tinginent heisst hei den Berbern
ein Weinberg: daher erklärt sich des Pompon. Mela Bemerkung
I, 5, die Griechen hätten das Promontorium Tingi Ampelusium
genannt. Martamalus oder Martamolum bei Coripp. II, 81 ist
nichts anderes als Mourt-Tamal^ Stadt von Tamal, und also
gleichbedeutend mit Turris Tamal in ^niow. Itiner., mit Tur-
ris Tamallcni bei Ruinart S. 151 und mit Limes Tamalleiisis,
8. Casaub. z. histor. August, scriptt. S. 24. Der Name Marma-
rica scheint von marragh , salzig (sale) , zu stammen und wäre
dann eben so durch emphatische Verdoppelung gebildet, wie
Digdiga., Putput., l^7/2ai'//za